• Titelbild
• Editorial
• das erste: Die islamistische Rechte. Teil 1: Die Muslimbruderschaft und der legalistische Islamismus
• kulturreport: Die Stadt als Zelle – Gedanken zu graffiti writing und darüber hinaus
• interview: Kein Dancefloor ist ein Safe Space
• interview: Interview mit Hot Topic!
• position: Conne Elend: ein Nachgesang
• position: Der Ignorant bist Du!
• review-corner buch: Ignoriert die Befindlichkeiten der Männer!
• review-corner buch: Rezension: tapis-Magazin – Analyse zur islamistischen Rechten
• doku: What's Right?
• doku: Die hochtrabenden Fremdwörter
• das letzte: Je te présent: Françoise Cactus
Im Text Antisexistische Selbstjustiz: Der Richter bist du! vermengen Voigt/Pleger mehrere Kritikansätze an antisexistischen und betroffenenzentrierten Unterstützungsbemühungen zu einem Konvolut an Anschuldigungen und Behauptungen(1), das den damaligen Stand der dort behandelten Auseinandersetzung verfehlt, die bezeichneten Handlungsweisen polemisch und häufig falsch wieder gibt.(2) Zudem werden hier unterschiedlichste Akteur*innen mit teils stark divergierenden Absichten und Verhaltens- und Aktionsformen als homogene Gruppe behandelt und der Fehlleistung bezichtigt, die diskutierte Tat entweder nicht einem scheinbar unfehlbaren, objektiven Rechtssystem überlassen oder zumindest nicht in Nachahmung dessen gehandelt zu haben. Weiterhin ist der Text von Unterstellungen und Diffamierungen getragen, die darauf schließen lassen, dass Voigt/Pleger nicht den Versuch unternommen haben, mit den von ihnen verhöhnten Personen in einen verständigen und diskursfördernden Austausch zu treten, um die je unterschiedlichen Motivationen zu erfragen. Vielmehr werden etwaige Beweggründe unterminiert und in chauvinistischer Manier alle Akteur*innen als „blindwütige[] Opferschützer" denunziert, die „Frust entladen" würden, ihnen „projektive[] Rachefantasien" und „aggressiv-rächende[s] Selbstmitleid" unterstellt, und damit eine kritische Auseinandersetzung zum Umgang mit sexueller Selbstbestimmung und der Versuch der Herstellung „sicherer Räume" unterhöhlt.(3)
Wir wollen nachfolgend versuchen, differenzierter und fundierter auf einzelne Aspekte der Inanspruchnahme von rechtlicher und psychologischer Hilfe, der Möglichkeiten für die Herstellung vermeintlicher Objektivität im Ermittlungsverfahren und Gerichtsprozess und den Nutzen von zivilgesellschaftlicher Unterstützungsarbeit im Feld der sexualisierten Gewalt einzugehen.
Die von Voigt/Pleger fortwährend ausdrücklich oder implizit geforderte institutionelle Begutachtung und Rechtschaffung bei Fällen der sexualisierten Gewalt, soll hier nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden. Viel mehr wollen wir auf Hindernisse, Hürden und Unzulänglichkeiten in diesen Prozessen hinweisen, die eine angemessene Bewertung und Anerkennung erschweren oder sogar verunmöglichen und zivilgesellschaftliche Unterstützungsarbeit mindestens nahelegen.
Nahezu jede Form der Inanspruchnahme von Hilfen und Zuwendungen zu (nicht-)staatlichen Unterstützungstrukturen in konkreten Fällen, unterliegt zuvorderst der Beurteilung durch die von sexualisierter Gewalt betroffene Person. Das liegt nun vor allem an der banalen Tatsache, dass sexuelle Handlungen, und damit auch die sich durch diese vollziehende Gewalt, häufig unter Ausschluss von Dritten stattfinden. Entsprechend ist die subjektive Bewertung der Missachtung der sexuellen Selbstbestimmung und der daran anschließende Umgang zur psychischen, psychosozialen und rechtlichen Behandlung dieser, stark davon abhängig, ob Betroffene in psychisch belastenden Lagen ihrem Urteilsvermögen trauen, sich an der erfahrenen Gewalt eine Mitschuld geben und welche Erwartungen an Hilfeeinrichtungen und Unterstützungsangebote geknüpft werden.
Individuelle Beurteilung und Anzeigebereitschaft
Susanne Heynen weist in diesem Zusammenhang etwa auf die Bedeutung von gesellschaftlich verbreiteten Vergewaltigungsmythen und subjektiven Theorien hin, die sich nun nicht zuletzt auf die Tat-Beurteilung der Betroffenen auswirken, sondern auch die Wirkung und Anerkennung von potentiellen zivilgesellschaftlichen und institutionellen Unterstützungsstrukturen beeinflussen.(4) Sekundäre Viktimisierung, das abermalige Gefühl Opfer zu sein, tritt hier initial als Opferposition der eigenen Abwertungen und Schuldzuweisungen auf, die sich nach Grad der Akzeptanz zu Vergewaltigungsmythen(5) unterschiedlich stark auswirken können. So tragen Selbstzuschreibungen, wie etwa die, sich nicht ausreichend zur Wehr gesetzt zu haben, dazu bei, einen sexuellen Übergriff nicht als Normbruch und Unrecht zu begreifen, sondern ihn zu entschuldigen, womit die Bereitschaft zur Inanspruchnahme jeglicher Hilfen sinkt. Das verweist auf die zentrale Problematik, dass derlei Mythen vor allem auch deshalb weite Verbreitung finden, weil sie das Selbstwert- und Sicherheitsgefühl von den potentiell am ehesten Betroffenen, also vor allem Frauen, stärken. Das Gefühl scheinbarer Kontrolle über die Gefahr, selbst einen sexuellen Übergriff zu erleben, erwächst hier vor allem aus der Abgrenzung zu vermeintlichen Fehlern, die Betroffenen zugeschrieben werden. Diese selbststärkenden opferbelastenden und täterentlastenden Lesarten führen aber letztlich dazu, im Falle von Betroffenheit selbstbeschuldigende Erklärungsmuster für die Tat zu entwickeln.(6)
Das wohl am weitesten verbreitete Stereotyp einer Vergewaltigung, die gewaltvolle Tat, begangen durch eine völlig fremde Person, scheint nun bei Voigt/Pleger als das einzig denkbare Bild einer „wirklichen Vergewaltigung“(7) zu verfangen, wenn sie etwa eine strafrechtliche Begutachtung einfordern und damit unterschlagen, dass mit dem steigenden Bekanntheitsgrad zwischen Tätern und Betroffenen, die Anzeigebereitschaft sinkt. Zudem scheint ihr Insistieren auf objektifizierbare Tatbestandsmerkmale, das sich vor allem in der Zurückweisung der Betroffenenperspektive ausdrückt(8), genau auf eben solche abzuzielen, die physisch wahrnehmbar sind und hauptsächlich eine „wirkliche Vergewaltigung” begründen würden. Rita Vavra gibt hier ebenfalls zu bedenken(9), dass sich die Neigung zu diesem Mythos in Bewertungen und Delegitimierungen ausdrückt, die die Glaubwürdigkeit und Belastungserfahrungen von Betroffenen in Frage stellen, wenn die Straftat nicht dem verbreiteten Idealtypus entspricht. So wäre kritisch anzumerken, dass überhaupt nur die Hälfte aller Vergewaltigungen mit Tätergewalt einhergehen und weniger als die Hälfte aller Betroffenen körperliche Gegenwehr leisten und weit häufiger zu keiner Reaktion auf das Erleben fähig sind.(10) Demgegenüber entwickelt sich nicht nur eine Posttraumatische Belastungsstörung, eine der möglichen langfristigen psychischen Folgen auf sexualisierte Gewalt, schon allein mit einer Häufigkeit von 30 bis 50%, auch das Risiko einer Selbsttötung steigt hier in erheblichem Maße.(11) Viel häufiger jedoch, treten psychische Folgen für Betroffene auf, die sich in ihrer wechselnden Varianz und Intensität mindestens auf die Lebenswirklichkeit und das Selbstbild auswirken. Diese beinhalten gewöhnlich Ängste und Phobien, depressive Episoden, Veränderungen der Beziehungen zu anderen Menschen und dem eigenen Körper und die Erschütterung von Gefühlen der Selbstbestimmung, Sicherheit und Kontrolle.(12)
Damit scheint die Annahme nicht ganz abwegig, dass sexuelle Übergriffe zwar in den meisten Fällen nicht dem gesellschaftlich verbreiteten Bild einer höchst gewaltvollen Tat entsprechen, trotzdessen aber vielfach eine psychische Beeinträchtigung von Betroffenen die Folge ist. Diese Wirklichkeit wird nun nicht nur in aller Regelmäßigkeit medial geleugnet, auch Voigt/Pleger scheinen sich hier nicht mit der Kategorie des sexuellen Übergriffs zufrieden geben zu wollen, wenn sie etwa wiederholt die Beweiskraft des subjektiven Empfindens in Frage stellen, oder einen Tatbestand einfordern, den sie zuvorderst wohl selbst definieren wollen.(13) Die durchweg bemerkbare Delegitimierung der Betroffenenperspektive und die Negierung von durchaus unterschiedlich erfahrbaren sexuellen Übergriffen kommt vor allem dort zum Ausdruck, wo eine scheinbare begriffliche Unbestimmtheit zwischen solchen Maximalkategorisierungen unterstellt wird, die das Vorliegen von sexualisierter Gewalt dann entweder vollends begründen oder gänzlich ausschließen würden.(14) So kann hier außerdem vermutet werden, dass die mehrmalige Infragestellung des Vorliegens eines sexuellen Übergriffs(15) auf den Glauben an einen gesellschaftlich verbreiteten Vergewaltigungsmythos verweist, der Frauen bezichtigt, Vergewaltigungsvorwürfe häufig vorzuschieben und Falschbeschuldigungen zu nutzen, um Männern zu schaden.(16)
Solche betroffenenbelastenden Zuschreibungen verstetigen sich denn auch in der alleinigen Verortung von Gefühlen der Scham bei der Betroffenen.(17) Voigt/Pleger scheinen einerseits vor allem eine beschämende Handlung in der Herstellung von Öffentlichkeit zu erkennen. Andererseits weisen sie der Betroffenen mit dem Begriff der Scham ein soziales Fehlverhalten zu, wegen welchem sie sich überhaupt schämen könnte.(18) So wäre hier erneut darauf zu verweisen, dass es meist eher Zweifel an der Glaubwürdigkeit und Schuldzuweisungen sind, die eine Scham begründen. Diese Schamgefühle, die sich auch den selbstbelastenden subjektiven Theorien der Betroffenen häufig anschließen, führen überdies zu sozialen Ausschlüssen, Vereinzelung und Einschränkungen der Herstellung von Öffentlichkeit und der Suche von Unterstützung.(19)
Weitere Faktoren, die das erfahrene Unrecht eher verschleiern, den Täter entschuldigen, die Einsicht in einen Betroffenenstatus erschweren und damit die Einschaltung von Strafverfolgungsbehörden für Betroffene fast unmöglich machen, können hier nicht nur in der Täter-Betroffenen-Beziehung gesehen werden, sondern auch in einem hohen sozialen Status oder besonderer, bspw. psychischer Belastungen des Täters. Angelika Treibel et al. konnten diesbezüglich nicht nur zeigen(20), dass die Anzeigebereitschaft von Betroffenen mit zunehmender Nähe zwischen Tätern und Betroffenen sinkt, sondern dies auch bei sinkender Schwere der Tat der Fall ist, und auch dann, wenn sexuelle Übergriffe in privaten Räumen stattfinden. Zum sozialen Status und den besonderen Belastungen der Täter bemerkt Heynen, dass sich diese vor allem in täterentlastenden Verantwortungszuschreibungen auswirken(21), die nicht nur vom Täter selbst, sondern auch im sozialen Umfeld und nicht zuletzt von den Betroffenen in Anschlag gebracht werden. Diese Symptomatik stellt sich auch merklich bei Voigt/Pleger ein, wenn sie wiederholt auf die psychischen Problemlagen des Täters hinweisen(22), damit ein vorsätzliches Handeln in Abrede stellen und den Mythos einer „Normausnahme"(23) festigen. Weiter finden sich dort nun auch Referenzen auf die vermeintliche Einschränkung des sozialen Status des Täters, durch eine öffentliche Skandalisierung der Tat. Können sich Täter mit hohem sozialen Status dauerhaft auf eine Vielzahl sozialer Ressourcen verlassen, die es ihnen ermöglichen sexuelle Übergriffe zu bagatellisieren, von diesen abzulenken oder über den Umgang damit zu bestimmen, reproduziert sich die damit bezeichnete Macht bei Voigt/Pleger in der Verurteilung vermeintlicher sozialer Ächtung des Täters.(24) Beispielhaft werden solche sozialen Handlungsweisen, die sexualisierte Gewalt verschleiern, herunterspielen, den Betroffenen anlasten oder sogar verteidigen, in einem kürzlich bei frohfroh erschienenen Artikel von Lea Schröder dargestellt, der Erfahrungsberichte betroffener Frauen* versammelt, um auf das Problem sexuell übergriffiger DJs in der Leipziger Clubkultur hinzuweisen.(25)
Verhalten und Umgang der Ermittlungsbehörden
Auf der Seite individueller Bewertungen und der Anerkennung sexueller Übergriffe scheint es also nicht wenige Hürden zu geben, die zu überwinden wären, bevor Betroffene sich überhaupt entschließen, mit ihren Erfahrungen die Öffentlichkeit oder Strafverfolgungsbehörden zu betrauen. Eine Auseinandersetzung mit erfahrenem Unrecht wird hier jedoch auf eine Ebene verschoben, die in den meisten Fällen ebenfalls besondere Belastungen für Betroffene bedeuten kann. Das Dunkelfeld bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, das in verschiedenen Studien mit bis zu 80% nicht zur Anzeige gebrachter Fälle angegeben wird(26), deutet auf nicht unerhebliche Hürden bei der Inanspruchnahme von Strafverfolgungsbehörden hin.
Sexuelle Übergriffe bedürfen für die strafrechtliche Verfolgung, da sie der Kategorie der Offizialdelikte angehören, grundsätzlich keiner Anzeige bei der Polizei. Einziges Kriterium für die Aufnahme der Ermittlungen wäre hier die Kenntnisnahme durch die Behörde, die sich aber fast ausschließlich über eine Anzeige von Betroffenen herstellt. Von einiger Bedeutung dabei ist, dass die Behörde eine Tat auch dann weiterverfolgen kann, wenn die Betroffenen eine Anzeige, bspw. wegen zu großer Belastungen bei der Beweisaufnahme oder Vernehmung, zurückziehen.(27)
Die Bereitschaft zur Anzeige und zur dauerhaften Kooperation ist nach Treibel et al. nun stark von dem Vertrauen der Betroffenen in die Behörden der Strafverfolgung und von den Erwartungen an ein mögliches Strafverfahren abhängig.(28) Das schließt einen rücksichtsvollen Umgang während der Vernehmung, Hoffnungen auf die Verurteilung von Tätern, möglichen Einfluss auf den Verfahrensverlauf, gründliche Sachverhaltsaufklärung und Rücksicht auf die besondere Situation der Betroffenen seitens der Gerichte ein. Häufige Befürchtungen und Belastungen können bspw. in den Mehrfachaussagen, der Infragestellung der Glaubwürdigkeit und öffentlicher Bloßstellung vor Gericht, bohrenden Fragen der Strafverteidigung und damit einer möglichen sekundären Viktimisierung gesehen werden.(29) Nicht nur Wiebke Steffen macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass die Strafverfolgungsprozedur bei Sexualdelikten eine große Belastung darstellt und viele Betroffene sich dieser nicht ein weiteres Mal unterziehen würden.(30) So zeigt auch Metzner, wie verbreitet die Probleme im Hinblick auf sekundäre Viktimisierungen sind, wenn sich die Ermittlungstätigkeit von Polizist*innen nach stereotypen Vorstellungen entlang von Vergewaltigungsmythen gestaltet und wie häufig Reaktionen erster Ansprechpartner*innen nach sexuellen Übergriffen, zu denen Polizist*innen häufig gehören, zu einer Vertiefung der Verletzungserfahrung führen.(31)
Gerade die Frage der Glaubwürdigkeit scheint sich schon bei der Ermittlungstätigkeit der Polizeibehörden stark auf die Indizienlage auszuwirken. Elsner/Steffen haben gezeigt, dass etwa einer sofortigen Aussage mehr Glauben geschenkt wird, obwohl diese nach aussagepsychologischen Erkenntnissen kein Hinweis für die Glaubwürdigkeit darstellt und es für Betroffene vielfältige Gründe gibt, nicht sofort eine Anzeige zu erstatten.(32) Dort wird ebenfalls darauf verwiesen, welche Auswirkungen eine Gegenwehr der Betroffenen auf die Glaubwürdigkeit genommen hat. Fehlende oder nachlässige Gegenwehr wurde hier nicht selten als Indiz gewertet, das die Glaubwürdigkeit Betroffener in Frage stellte.(33)
Hinweise auf die Qualität der Ermittlungsarbeit können hier zudem in der Bewertung der Betroffenenaussagen durch Sachbearbeiter*innen gefunden werden. Gerade bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung kommt den Aussagen der Betroffenen eine entscheidende Bedeutung zu, die entsprechend durch eine günstige, nicht-belastende Vernehmungssituation, von dafür ausreichend geschultem Personal erhoben werden sollten. Bzgl. der Gründe für eine erwartete Einstellung der Verfahren bei Sexualdelikten gaben die von Elsner/Steffen befragten Sachbearbeiter*innen am häufigsten die „widersprüchliche Aussage des Opfers“, „Fehlende Detaillierung”, „mangelndes Interesse an der Strafverfolgung" und den „Einfluss psychotroper Substanzen zur Tatzeit" zu Protokoll.(34) Auch wurde das vor- und nachtatliche Betroffenenverhalten oft als nachteilig für die Glaubwürdigkeit und die Beweissicherheit angesehen. Gerade im Zuge der Novellierung des §177 StGB und der Stärkung des entgegenstehenden Willens als Merkmal der Missachtung der sexuellen Selbstbestimmung, kommt aber diesem Betroffenenverhalten und der dabei getätigten Kommunikation eine enorme Bedeutung zu. Diese Kommunikation in Vernehmungen qualitativ hinreichend zu explorieren, erfordert dezidiert geschultes Personal bei den Ermittlungsbehörden und kann bisher nicht als Regel gelten.(35)
Wird die Glaubhaftigkeit von Betroffenen im Ermittlungsverfahren bezweifelt oder gar eine Mitschuld vermutet, was bei Ermittlungen zu sexuellen Übergriffen häufig der Fall ist, kann sich die Strafverfolgung für Betroffene als sehr belastend erweisen und ihre Kooperationsbereitschaft einschränken. Nach Vavra steht hier eine befürchtete diskriminierende Behandlung in direktem Zusammenhang mit der eingeschränkten Anzeigebereitschaft von Betroffenen.(36) Auch weist sie auf geschlechtsspezifisches Misstrauensverhalten der Beamt*innen hin, was die polizeiliche Behandlung zusätzlich als belastend darstellt. Welche Erfahrungen Betroffene mit Ermittlungsbehörden etwa in der Schweiz und Österreich gemacht haben, wurde in Artikeln von Suter et al. und Nicole Schöndorfer eindrücklich dargestellt und soll hier nur exemplarisch angeführt werden.(37)
Nach der polizeilichen Ermittlungsarbeit werden die bearbeiteten Fälle dann gewöhnlich an die Staatsanwaltschaft weiter gereicht, bei der nun ein erheblicher Auswahlprozess einsetzt, der weitestgehend auf der Einschätzung zu erfolgversprechenden Beweislagen beruht. Dabei wurde bisher häufig die Fallbearbeitung als bloßes Verwaltungshandeln bemängelt(38), bei dem die besondere Empfindungslage der Betroffenen und die Qualität der Aussage eine untergeordnete Rolle spielten. Weiter wurde kritisiert, dass die staatsanwaltliche Einschätzung zur Glaubwürdigkeit in den seltensten Fällen einer erneuten Beweiserhebung gegenübergestellt wird und Erhebungen darauf hindeuten, dass auch Staatsanwält*innen eigene stereotype Vorstellungen von sexuellen Übergriffen nicht gänzlich von ihren Bewertungen zu trennen vermögen.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass für Betroffene sexueller Übergriffe und sexualisierter Gewalt, nicht nur erhebliche Hürden bei der Inanspruchnahme institutioneller und zivilgesellschaftlicher Hilfen bestehen, sondern auch die Bereitschaft zur Anzeigeerstattung stark von den Belastungen abhängen, die sich mit der Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden ergeben. Die Gefahr sekundärer Viktimisierung besteht hier einerseits in eigener oder fremder Schuldzuweisung, fehlender Anerkennung und einer Täter-Opfer-Umkehr durch das soziale Umfeld. Andererseits kann die polizeiliche Ermittlung zu einem unerträglichen Vorgang werden und der Adressierung des erfahrenen Unrechts eher abträglich sein. Ein „fairer Prozess mit offenem Ausgang", wie er von Voigt/Pleger mehrmals(39), aber ausschließlich für den Täter eingefordert wurde, wäre mithin selbst dann nicht fähig dem erfahrenen Leid von Betroffenen beizukommen, wenn er denn überhaupt vor Gericht zustande käme!
Die straßeninformierten Antisexist*innen