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• In Zeiten von Corona
• das erste: Deutschland tötet!
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• Inseln der Freiheit? Zum Gebrauchswert von Jugendsubkultur
• Materializing feminism: Lesung und Diskussion (von und mit der MONAliesA)
• Offenes Antifa Treffen
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• Lesung: Liebe, Körper, Wut, Nazis
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• flint*sessions Nr. 1
• position: Ist das Modell Lukaschenko am Ende?
• position: Schon wieder ein Einzeltäter - Der Anschlag in Halle als Fortsetzung deutscher Zustände
• doku: »Es war mein 21. Geburtstag, als ich am Telefon zu meiner Mutti gesagt habe: 21 Jahre und immer noch kein Kommunismus. Und da hat sie gesagt: Na was soll ich denn sagen, ich stand kurz davor und wurde dann einfach in die Vormoderne zurück gebombt.«
• Das gute Viertel
In diesem Jahr feiert Deutschland 30 Jahre Einheit. Für uns gibt es Nichts zu feiern. Schon gar nicht in Leipzig, jenem Ort, der sich als »Heldenstadt« geriert. In dieser Stadt hat der rechte Terror die meisten Menschen in Sachsen das Leben gekostet.
Leipzig tötet!
Klaus R., Bernd G., Horst K., Achmed B., Nuno L., Thomas K., Karl-Heinz T., Kamal K. sowie wahrscheinlich zwei weitere Menschen sind in Leipzig seit 1990 durch rechte Täter ermordet worden.
Sie wurden aus rassistischen, homosexuellenfeindlichen oder sozialdarwinistischen Motiven ermordet. Doch selten werden die Betroffenen rechter Gewalt auch als solche anerkannt. Das weiße Mehrheitsdeutschland findet bei weit über 200 solcher Morde und jährlich hunderten Gewalttaten noch immer den Einzelfall, Verständnis für TäterInnen und (Mit-)Schuld bei den Betroffenen.
Nicht nur nach den schrecklichen Taten in Halle und Hanau hat sich gezeigt, dass es Täter-Opfer-Umkehrungen, eine Empathielosigkeit in den Debatten über Rechtsruck und eine Entpolitisierung der Hintergründe sind, die die Betroffenen und ihre Angehörigen die Tat erneut durchleben lassen:
Menschen werden zum zweiten Mal geschlagen und ermordet oder das angezündete Haus wird vollends niedergebrannt – aus rechter Gewalt wird rechter Terror.
Im Oktober 2020 jährt sich der rassistische Mord an Kamal K. in Leipzig zum zehnten Mal. Wir werden auch in diesem Jahr am 24. Oktober aller Opfer rechter Gewalt in Kaltland auf Leipzigs Straßen gedenken. Seit mehr als zehn Jahren möchten wir an die Betroffenen rechter Gewalt erinnern, den rechten Terror in diesem Land und speziell in dieser Stadt sichtbar machen. Es ist uns wichtig, das gesellschaftliche und politische Klima in Deutschland und die Ursachen hierfür klar herauszuarbeiten und zu benennen.
Die rechten Morde in Leipzig und irgendwo anders in Deutschland sind keine Einzelfälle, sondern stehen für das gesellschaftliche Klima, das seit Jahrzehnten in diesem Land herrscht. Allein im Jahr 2019 kam es in der Stadt Leipzig zu 62 durch die Opferberatung dokumentierten Angriffen mit 92 Betroffenen, 30 dieser Taten waren rassistisch motiviert.
Im Jahr 2018 kam es in Sachsen zu 317 rechtsmotivierten Angriffen mit 481 Betroffenen, ein Mensch wurde aufgrund seiner sexuellen Orientierung ermordet. Seit 2014 werden ca. 2/3 der rechten Angriffe in Sachsen aus rassistischen Motiven der TäterInnen verübt.
Von den 90er Jahren bis heute wird im Zusammenhang mit Rassismus und rechter Gewalt mit den selben Mitteln gearbeitet. Durch die TäterInnen-Fixierung der Dominanz-Gesellschaft wird eine Identifikation mit ihnen und ihren Motiven geschaffen. Die Betroffenen hingegen werden aus dem öffentlichen Gedächtnis verdrängt. Dies zeigt sich in der Berichterstattung zu rechten Taten und wiederholt sich in den Prozessen. Es zeigte sich auch im schriftlichen NSU-Urteil, welches im April 2020 veröffentlicht wurde und wiederholt sich jüngst im Halle-Prozess, bei dem der Täter zum Zentrum der Aufmerksamkeit gemacht wird. Die Betroffenen sind, wenn überhaupt, nur Statist*innen. Solidarisierungen mit den Betroffenen rechter Gewalt ebben schnell ab. Vielmehr erfahren sie und ihre Angehörigen nicht selten den rassistischen Zynismus der deutschen Gesellschaft. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Ideologie der TäterInnen findet bis heute selten statt.
So hieß es bereits 1997 in einem Redebeitrag zu einem der rechten Morde in Leipzig(1):
Die Linie der Staatsanwaltschaft entspricht im Grunde genau der Art und Weise, wie die deutsche Gesellschaft seit mehr als 50 Jahren mit ihren Verbrechen umgeht. Mit allen Mittel[n] wird verleugnet, daß die Täter aus den eigenen Reihen, aus den eigenen Familien, aus dem eigenen rassistischen, antisemitischen Milieu kamen und kommen. Wenn überhaupt, dann waren es immer nur DIE NAZIS, also die anderen, und auch das waren nur ziemlich wenige verrückte Einzeltäter, angeblich nur unglücklich verführte Mitläufer.
So auch heute: Wenn Deutsche sogenannte Ausländer ermorden, soll das nichts mit Ausländerfeindlichkeit zu tun haben, sondern eher z.B. mit Alkohol, Angst, Arbeitslosigkeit, Familienkrach, schlechter Laune, schlechtem Wetter. Dabei zeigt die ans Lächerliche grenzende Beliebigkeit, mit der all diese sogenannten Gründe immer wieder zur Entschuldigung der Täter herangezogen werden, vor allem eines: Es genügt offenbar tatsächlich ein nichtiger Anlaß, ein beliebiger Auslöser, damit ganz normale Deutsche zu Killern werden und sie ihre Vernichtungsphantasien in die Tat umsetzen. Manche von ihnen sind organisierte Nazis, andere sind es nicht. Manche sind betrunken, andere sind nüchtern. Wenige werden bestraft, unzählige laufen frei herum. Sie wissen, was sie tun, und vor allem wissen sie, wem sie es anzutun haben.
Aber davon wollen Staatsanwalt und deutsche Öffentlichkeit nichts wissen. Sie wollen nicht aus irgendwelchen rassistischen Äußerungen auf eine entsprechende Gesinnung und schon gar nicht auf eine daraus motivierte Mordbereitschaft schließen. Wie sollten sie auch? Schließlich müßten sie dann auch ihre eigene Ausländerfeindlichkeit, ihre eigenen Vorstellungen von deutscher Ordnung, ihren eigenen Umgang mit den als fremd Stigmatisierten betrachten und daraus schließen, daß vielleicht auch sie potentielle Mörder sind.
Und gerade das wollen sie am allerwenigsten. Die anständigen guten Deutschen wollen sich in den mörderischen Taten, die aus ihrem gemeinsamen Ausgrenzungs- und Vernichtungswahn gegenüber Nichtdeutschen entstehen, nicht mehr wiedererkennen.
Dem entspricht eine rassistische und autoritäre Formierung, die weite Teile der Gesellschaft mittragen und der weder Linke noch Liberale etwas Wesentliches entgegensetzen. Mediale Hetzkampagnen, die sexistische Übergriffe, antisemitische Einstellungen oder Terrorakte zu einem Spezifikum von Geflüchteten erklären, legitimieren immer neue Gesetzesverschärfungen.
Rechter Terror, zunehmender Alltagsrassismus und der ungebrochene rassistische Konsens hingegen werden gesellschaftlich ausgeblendet, wenn nicht gar verharmlost und entschuldigt, während Kritik am institutionellen Rassismus durch Regierung, Polizei oder Verfassungsschutz zunehmend delegitimiert wird. Auch in Zeiten der Black Lives Matter-Bewegung kann dies beobachtet werden: Zwar wird die Bewegung auch oftmals positiv aufgenommen – Kritik an den rassistischen Strukturen von Polizei, Politik, Gesellschaft sowie den Regierenden wird aber weiterhin abgeschmettert. Es geht immer um den Rassismus der Anderen. Die Verstrickungen der Behörden in rechte Netzwerke und Taten, wie bei Uniter, Nordkreuz oder beim NSU 2.0 sind da schnell vergessen.
Diese Strategie kann nur als Doppelte verstanden und kritisiert werden: Das Gerede vom Aufarbeitungs- und Willkommens-Weltmeister Deutschland ist die notwendige Legitimationsgrundlage für das wieder formulierte und praktizierte Volksgemeinschaftsstreben.
Vor fünf Jahren haben wir im Aufruf zu unserer Demonstration im Oktober geschrieben:
TOLERANZ TÖTET!
Dazu gehört aber auch eine linke oder antirassistische Szene/Bewegung, die all die Widersprüche in dieser Gesellschaft aushält und erträgt. Die Zusammen mit Rassist_innen und Politiker_innen aller Parteien »Willkommensfeste« feiert, um am Image des »freundlichen und weltoffenen Deutschlands« zu basteln, während auf der anderen Seite der rassistische Mob auf die Dunkelheit für den nächsten Angriff wartet oder in der nächsten Veranstaltung über den zu stoppenden »Zustrom« diskutiert wird und ein »Sondergesetz« das nächste jagt. Bei dem die gewollte und inszenierte Überbelastung in Verwaltung und Politik damit entgegnet wird, dass die Deutschen ihren nicht mehr gewollten Plunder an der nächsten Sammelstelle abgeben und so das eigene Gewissen beruhigen, doch irgendetwas gegen die »unhaltbaren Versorgungszustände« getan zu haben.
Beim Mord an Kamal ging es außer für die Familie und ihre Unterstützer_innen niemanden um Rassismus und die deutsche Normalität. Ein Umstand der sich bis heute hält. Bis zum nächsten Mord, zum nächsten Anschlag, zum nächsten diskriminierenden »Ausländersondergesetz« mit Todesfolge, bis zum nächsten Gerichtsverfahren gegen Opfer und nicht die Täter_innen eines Neonazianschlages. Spätestens seit der Gesetzesänderung 1993 ist das Leben eines Geflüchteten in diesem Lande nicht mehr viel wert. Geschützt wird nicht dieser Mensch, sondern immer nur die_der Täter_in und die verschworene deutsche Volksgemeinschaft, die deckend dahinter steht. Diese Tat kommt aus der Mitte der Gesellschaft, ob er oder sie nun organisierter Neonazi oder »nur« organisierte_r Deutsche_r ist. Doch selbst eine harte Bestrafung von Täter_innen, selbst eine in diesem Zusammenhang vom Gericht mitverantwortlich gemachte deutsche Volksgemeinschaft, macht weder Kamal noch all die anderen Opfer wieder lebendig. Sie starben als die vielen Opfer des alltäglichen mörderischen Rassismus.
Daraus ergibt sich für uns heute, dass wir nicht beim Mahnen und Gedenken stehen bleiben können, denn das alleine wird Neonazis und andere RassistInnen und AntisemitInnen nicht vom Morden abhalten. Nicht erst nach dem Mord an Walter Lübcke, den Anschlägen in Halle und Hanau und anderen weniger bekannten Gewalttaten müssen wir konkret den deutschen TäterInnen entgegentreten, uns solidarisch mit den (potentiell) Betroffenen zeigen und der Verharmlosung und Relativierung solcher Taten durch Parteien, Medien und Polizei entgegenstellen. Der Rückhalt, den die TäterInnen erfahren, muss gebrochen werden.
Wir setzen daher unseren Fokus auf die Aufdeckung und Skandalisierung der rechten Morde und des rechten Terrors sowie deren Strukturen und Netzwerke. Wir setzen auf die Konfrontation der rechten MörderInnen und Verantwortlichen in der Politik, Polizei und Justiz.
»Erinnern heißt Kämpfen!« ist für uns keine bloße Phrase, sondern Handlungsmaxime. Es geht darum, bestehende antirassistische und antifaschistische Kämpfe zu unterstützen. Unser Widerstand gilt der sozialdarwinistischen, rassistischen, FLINT-feindlichen, antiziganistischen, sexistischen und antisemitischen Ausgrenzung.
Den TäterInnen gilt unser Kampf, den Betroffenen und Opfern der rechten Verhältnisse gilt unsere Solidarität! Je stärker der Rechtsruck, je geringer die Gegenwehr, je weiter sich Sag- und Machbarkeitsfelder verschieben, desto aktiver müssen wir werden.
Deswegen bleibt trotz allem unsere Antwort: Mit einem Land, in dem Menschen in Polizeizellen umkommen, in dem Menschen von Rechten totgeschlagen und deren Angehörige verhöhnt werden, in einem Land, welches Geflüchtete an den europäischen Außengrenzen sterben lässt und ihnen das Leben hierzulande zur Hölle macht, werden wir keinen Frieden schließen!
Es gibt nichts zu feiern! Nie wieder Deutschland!
(*) Wir verwenden bei rechten TäterInnen das Binnen-I, da es laut ihrer Ideologie/Selbstverständnis lediglich zwei biologische Geschlechter gibt. Das * verwenden wir bei allen weiteren Akteur*innen, um die in der Gesellschaft verankerte Heteronormativität und Zweigeschlechtlichkeit aufzubrechen.