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• In Zeiten von Corona
• das erste: Deutschland tötet!
• das erste: GEGEN DEUTSCHLAND
• Inseln der Freiheit? Zum Gebrauchswert von Jugendsubkultur
• Materializing feminism: Lesung und Diskussion (von und mit der MONAliesA)
• Offenes Antifa Treffen
• PS#6 - Release: Das Prosadebüt
• Lesung: Liebe, Körper, Wut, Nazis
• Zeckenmatte Vortrags-Freitag
• Zeckenmatte Vortrags-Samstag
• flint*sessions Nr. 1
• position: Ist das Modell Lukaschenko am Ende?
• position: Schon wieder ein Einzeltäter - Der Anschlag in Halle als Fortsetzung deutscher Zustände
• doku: »Es war mein 21. Geburtstag, als ich am Telefon zu meiner Mutti gesagt habe: 21 Jahre und immer noch kein Kommunismus. Und da hat sie gesagt: Na was soll ich denn sagen, ich stand kurz davor und wurde dann einfach in die Vormoderne zurück gebombt.«
• Das gute Viertel
»Fast schon legendär« - für viele Menschen in und außerhalb von Connewitz wird das so Einiges in der Geschichte des Kiezes gewesen sein und ja, so manches davon wird auch mit jenem zuletzt wieder viel bemühten »harten, unerreichbaren Kern von Linksextremisten« zu tun haben.
Für die Leipziger Volkszeitung hingegen ist es das »Connewitzer Straßenfest« der Kirchgemeinden des Leipziger Südens. In ihrem Bemühen, die Trennlinie zwischen dem linken Pack und den Guten im Viertel zu schärfen, ist sie nach dem Hinweis des SPD-Stadtratsfraktionsvorsitzenden Christoph Zenker auf die katholische Pfarrei St. Bonifatius Leipzig-Süd und ihren Pfarrer Christoph Baumgarten gestoßen. »Leipzig-Connewitz darauf zu reduzieren, ein ›Hotspot der linksautonomen Szene‹ zu sein, das geht vielen Bewohnern zu weit«, wusste sie anschließend zu berichten.
»Der Pfarrer weiß um die Klientel und die Probleme im Viertel«
Bereits Mitte März wurde Baumgarten vom Internetportal der römisch-katholischen Kirche in Deutschland (katholisch.de) genauer über »die Ursachen für die Konflikte in Connewitz« befragt. Die seien »vielschichtiger, als man zunächst denken mag«, wusste dieser zu berichten. »Natürlich: Ein wesentlicher Grund für die Konflikte ist, dass es hier eine linksextreme Szene gibt, die den Staat und seine Institutionen ablehnt. Und diese Ablehnung richtet sich vor allem gegen die Polizei. Manche Aktivisten wollen aus dem Stadtteil mit aller Gewalt eine ›bullenfreie Zone‹ machen […]. Daneben gibt es hier im Viertel aber auch noch andere Konfliktherde – zum Beispiel mit Blick auf die lokale Fußball-Szene. Das sind dann teilweise persönliche Konflikte, die nicht so viel mit den politischen Auseinandersetzungen zu tun haben; aber natürlich vermischen sich die unterschiedlichen Konfliktherde auch.«
Dem über weltliche Problemlagen durchaus informierten Internetportal war das zu wenig, es hakte nach: »Welche Rolle spielt bei den Auseinandersetzungen in Connewitz denn das zunehmende Problem fehlenden Wohnraums und steigender Mieten? Es ist ja bekannt, dass alteingesessene Bewohner gerade aus beliebten Großstadtvierteln zunehmend vertrieben werden, weil sie sich die steigenden Mieten nicht mehr leisten können und es nicht genug günstige Wohnungen gibt. Ist das in Connewitz auch so?« Baumgarten beruhigt: »Ganz so extrem ist die Situation hier noch nicht – vor allem im Vergleich zu Berlin, München oder anderen beliebten Großstädten. Man kann in Connewitz immer noch relativ preiswerten Wohnraum finden, das sind dann aber teilweise noch unsanierte Häuser und Wohnungen.«(1)
»Der Pfarrer weiß um die Klientel und Probleme im Viertel«, findet hingegen die LVZ. Für die Wohnungssuche lautet sein Rat sinngemäß, die Bedürfnisse gegebenenfalls marktgerecht auf die eigenen Einkommensverhältnisse herunterzuschrauben. Damit befindet er sich in schlechter Gesellschaft zu Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD).
»Frau Nagel spricht bei Weitem nicht für alle«
»Wer Connewitz wegen der linksautonomen bis linksextremistischen Szene verteufele,« erklärt Baumgarten der LVZ, »›tut dem Stadtteil unrecht, denn er nimmt die große Mehrheit, die zur Durchsetzung ihrer Interessen auf Gewalt verzichtet, in Sippenhaft‹. Zu den vielen Initiativen und Institutionen, die für einen friedlichen Umgang stehen, gehöre auch seine Gemeinde«. Im Untertitel des Artikels heißt es: »Die beiden ortsansässigen christlichen Gemeinden reklamieren für sich, die Vielfalt des Leipziger Stadtteils widerzuspiegeln.« Der Pfarrer formuliert zunächst etwas zurückhaltender: »Wir erreichen mit unseren Angeboten hier und da auch Leute, die keine gläubigen Christen sind.« Kontakte zu Linksautonomen unterhalte er nicht, aber »auch in der Pfarrei gebe es Frauen und Männer, die Sympathie für linke Themen haben«. Dann aber will er doch noch der stummen Mehrheit Geltung verschaffen: »Doch die Art und Weise, wie die Autonomen versuchen, die Polizei aus Connewitz zu vertreiben, die heißt bei uns niemand gut. Frau Nagel spricht bei Weitem nicht für alle. 70 Prozent haben sie nicht gewählt«.
Nun haben sich die Linkspartei-Politikerin mit dem Direktmandat des Leipziger Südens und der Landtagsfraktionsvorsitzende Rico Gebhardt in ihrer gemeinsamen Stellungnahme von keiner Gewalttat distanziert, zu der sie nicht aufgerufen und die sie nicht begangen haben, doch die Manöverkritik verwies ebenfalls auf den Bärendienst, den die Ausschreitungen parlamentarischen und zivilgesellschaftlichen Initiativen erwiesen hätten. Es sind vorwiegend ihre politischen Gegner, die aus Nagels häufiger Kritik an Polizeistrategien und -gewalt sowie der sicherheitspolitischen Bearbeitung sozialer Probleme eine Propagierung autonomer Gewalt herbeireden wollen.
Darüber hinaus steht die Repräsentativität des Pfarrers selbst in Frage. Laut LVZ »gehören der Pfarrei St. Bonifatius Leipzig-Süd [...] zwar knapp 6000 Seelen an. Doch die Zahl täuscht. In Connewitz selber gibt es nur rund 1100 römisch-katholische Steuerzahler. Das sind [knapp] sechs Prozent der dortigen Bevölkerung. Die übrigen Schäfchen verteilen sich auf die Südvorstadt, auf Lößnig, Marienbrunn, Dölitz-Dösen, Markkleeberg, Böhlen, Zwenkau und Pegau.«
Nehmen wir realistischerweise einen Fehler der LVZ an und gehen nicht von den staatsbürgerlich geweihten 1.100 Steuerzahler/innen aus, sondern – junge Seelen fangen die Kirchen bekanntlich frühzeitig ein - Mitgliedern allen Alters, über deren Lohn- bzw. Einkommenssteuerschuld nichts weiter bekannt ist und die Baumgarten als nicht-gewähltem Pfarrer unterstehen. Dem steht dann eine in der Person von Jule Nagel kritisierte Linkspartei gegenüber, welche bei rechtlich mündigen, wahlberechtigten Wähler/innen in Connewitz bei der Landtagswahl (01.09.2019) 30,7% und der Stadtratswahl (26.05.2019) sogar 40,5% der gültigen Wahlstimmen erzielte. Bei letzterer lagen die Parteien, für die im Viertel keine gravierende Wohnfrage existiert (CDU, SPD, AfD und FDP), übrigens selbst mit zusammenaddierten 27,8% noch deutlich unter Nagels Linkspartei. Soweit bleibt richtig: Jule Nagel vertritt nicht für die Interessen aller Einwohner/innen. Die Rolle des Sprachrohrs wird ihr ohnedies mehr von Politiker/innen und Medienmacher/innen zugedichtet, die an einer Pflege des Feindbilds ›Connewitz‹ interessiert sind.
Weniger aber noch können jene für sich beanspruchen, über verbreitete Interessen und Bedürfnisse im Stadtteil zu reden, deren messbare Repräsentativität sich auf einem deutlich geringerem, zu guten Teilen auch irrelevanten Niveau bewegt. Oder anders, damit auch die LVZ es versteht: in Connewitz ist die Linkspartei die Volkspartei.
Die Gewalttaten autonomer Straßenkämpfer/innen gegen tatsächliche oder vermeintliche Akteure von Gentrifizierungsprozessen mögen dumm, falsch und zuweilen eher ein Vorwand für militanten Pseudo-Aktivismus sein - von den belehrenden Stimmen aus sächsischen Regierungskreisen unterscheidet sie, dass sie eine soziale Problemlage anerkennen.(2)
Unterwegs in himmlischer Mission
Die protestantische Kirchgemeinde im Leipziger Süden möchte laut ihrer »nagelneuen« (LVZ) Website »mit verschiedenen Projekten und Aktionen in unseren Stadtteil hineinwirken.« Auch Pfarrer Baumgarten verschließt sich auf Nachfrage »vermittelnden Gesprächen auf Augenhöhe« nicht. Die LVZ bemüht sich um Schützenhilfe bei der Aufstellung konkurrierender, politisch zahmen Stadtteil-Vertreter/innen. Mit Baumgarten hat sie einen Pfarrer ins Licht gerückt, der selbst missionarische Ziele verfolgt. Über seine Rede auf dem vom Bistum Augsburg ausgerichteten »Studientag zur Neuevangelisierung«, die im Frühjahr 2019 kurz vor seiner Abordnung in den Leipziger Süden stattfand, berichtete die Katholische Sonntagszeitung: »Pfarrer Christoph Baumgarten räumte ein, es sei eine große Herausforderung, Menschen in eine Pfarrei zu integrieren, die mit Kirche weniger oder gar nichts am Hut hätten, auf junge Erwachsene zuzugehen, Konfessionslose anzusprechen.« Die Einladung zu einem sog. Alpha-Kurs, einem »mehr oder weniger missionarischen Bildungsangebot« (Deutschlandfunk Kultur), »unterscheide sich von anderen Glaubenskursen durch seine Niederschwelligkeit, seine Freiwilligkeit [sic!], durch liebevolles und freundliches Gastgebersein. Außerdem«, so Baumgarten, »sollte die Konfession keine Rolle spielen. Ein kurzes Gebet – vielleicht nur ein Satz – genüge. Vielleicht ergreife dann ein anderer die Chance und knüpfe einen zweiten Satz an.«(3)
Von ihrem persönlichen Erfolg dieses Missionierungskonzepts erzählte Diana Brendler aus Baumgartens vorheriger Wirkstätte Dresden: »›Meine Familie war nicht christlich, sie war nach kommunistischer Anschauung eher der Meinung: Religion ist Opium fürs Volk.‹(4) Ihr ›Tantchen‹ sei die erste gewesen, die gesagt habe: ›Wenn du eine wichtige Bitte hast, kannst du diese Gott vortragen, der kümmert sich drum.‹ Ab diesem Zeitpunkt habe sie Gott immer alles erzählt. Mit 23 Jahren habe sie erstmals einen Gottesdienst besucht und sich dann auch zur Taufe angemeldet. ›Die Taufe habe ich nicht gleich bekommen, aber einen Alpha-Flyer. Ich habe verstanden, dass ich mich für den Glauben bemühen muss. Er braucht Zeit, um zu wachsen, denn Gott will einen langen Weg mit mir gehen.‹«
Sollte Frau Brendler einmal umziehen und das Angebot nicht zum eigenen Einkommen oder der zugestandenen Kreditwürdigkeit passen, wird sie es wohl dem lieben Gott erzählen und er wird sicherlich irgendwo noch eine passende unsanierte Wohnung für sie finden können. Es ist diese Art »Schäfchen«, die man sich nicht nur in der LVZ-Redaktion für Connewitz wünscht.
shadab