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#261, März 2020
#262, August 2020
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Aktuelles Heft

INHALT #261

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• das erste: Ein neuer Ordnungsbund für Thüringen
• inside out: Stellungnahme der Kritischen Jurist:innen Leipzig (KJL) und des Conne Islands zum Entzug der Gemeinnützigkeit des VVN-BDA vom 10.12.2019
• inside out: Stellungnahme des Conne Islands zum Übergriff beim HGich.T-Konzert am 27.12.2019
Tarek (K.I.Z.)
Die Sterne? Schon mal gehört…
Russian Circles × Torche
Turbostaat
Turbostaat
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Die Sterne? Schon mal gehört…

Wir müssen uns schon etwas trauen
Weil irgendwo da draußen
Da wird das Innen zum Außen
Und irgendwo dort in den Weiten
Da lässt sich nichts mehr vorbereiten
Und wir spielen keine Rolle
Und wir verlieren die Kontrolle




Die Sterne gehören wahrscheinlich zu jenem Set kluger Independent-Popacts mit deutschsprachigen Texten, für die in allen Musikredaktionen dieses Landes, die etwas auf sich halten, jemand vom Fach sitzt; oder wenigstens jemand, der jemanden kennt, der vom Fach zu sein scheint, die Platten hat, Interviews gelesen hat, mal bei einem Konzert war usw. Der Autor dieses Textes hingegen hat keine einzige Sterne-Platte im Schrank stehen oder in einer hochverfügbaren, personalisierten Medienbibliothek herumliegen, seit dem 2010 erschienenen Album 24/7 kaum eine Veröffentlichung der Band mitbekommen, auch vorher kein Wissen über sie und ihr Schaffen angehäuft, das sich hier einfach servieren ließe und, man ahnt es, bisher kein einziges ihrer Konzerte besucht.


Das liegt zweifelsohne auch daran, dass er, im Gegensatz zu den Pop-Profis von Intro (mittlerweile Outro) bis Visions, gerade noch rechtzeitig begriffen hatte, wie man auf jeden Fall nicht schreiben sollte und seine prospektive Karriere als Musikredakteur und Plattenrezensent daher präventiv in den Wind geschossen hat, bevor sie auch nur annähernd in Lohnarbeitsverhältnisse hätte abrutschen können. Der Vorteil dieser Konstellation liegt auf der Hand: Die Leserschaft muss ebenso wenig bedient werden wie Künstler und Marketing. Man kann offen reden.


Es gibt ein schätzungsweise nicht ganz freiwillig zum Klassiker geadeltes Stück der Sterne mit dem Titel Universal Tellerwäscher, das dem Autor mit etwa zehn Jahren Verspätung Anfang der 2000er das erste Mal auf irgendeinem ollen Intro-Sampler untergekommen ist. Es waren drei enttäuschende Minuten, nach denen eine vorher unbekannte Band für schlicht uninteressant befunden und fortan nicht weiter beachtet wurde. Der damals gewonnene Eindruck, so einige Leute redeten sich, aus mehr oder minder selbstverschuldetem Mangel an Alternativen, lediglich ein, dieses quirlig dahinleiernde Stück musikalische Wassersuppe zu mögen – des Textes wegen natürlich –, hat sich bis heute gehalten. Vielleicht war der Stil als Provokation intendiert und niemand hat's gemerkt.


Auf hitparade.ch heißt es über diesen »rhythmisierten Popsong[] mit nicht banalem Inhalt«(1) unter anderem: »Ehrliches Lied, noch dazu tanzbar.« (5 Sterne), »Gesellschaftskritik made by Die Sterne. Gern unterschätzte deutsche Pop-Musik der Mercedes-Ausführung.« (5 Sterne), »Gute deutsche Musik. Der Text ist erfrischend verrückt...« (6 Sterne), und in einem Eintrag vom 19.3.2019 schließlich: »Die waren wirklich nicht schlecht.« (4 Sterne).(2) Man sucht sich sein Publikum eben nicht aus.


Die Sterne, die dieses Lied 1994 ihrem Repertoire hinzugefügt hatten, gibt es allerdings tatsächlich schon seit geraumer Zeit nicht mehr. Seit Mitte 2018 schließlich ist Frank Spilker einziges verbleibendes permanentes Mitglied der Band. Doch ein leeres Haus hat Platz für Gäste. Und so wurde das am 28. Februar bei PIAS erscheinende neue Album Die Sterne mit allerlei Gastmusikern produziert, darunter Philipp Janzen (Von Spar, Urlaub in Polen), Zwaine Jonson, Carsten »Erobique« Meyer (Urlaub in Italien) und die langjährige Live-Keyboarderin der Band, Dyan Valdes. Kurzum: »Weniger Band, mehr Kollaboration.«(3) Die Sterne haben sich also gewissermaßen wirklich aufgelöst. Geschadet hat es scheinbar nicht.


Da zum Glück keine Zeit mehr war, noch ein Rezensionsexemplar des Albums zu beschaffen, konnte sich im Folgenden komfortabel mit einer kurzen Besprechung dessen begnügt werden, was das Marketing »auf allen Plattformen«(4) bis Redaktionsschluss hergab. Da fand sich zum einen das bereits 2017 für das WDR-Hörspiel Zwei ohne Musik entstandene Stück Hey Dealer, ein anziehend freundliches, mit Applaus am Anfang und einem sphärischem Gitarrenriff zwischendurch veredeltes Kinderlied über befreiten Drogenbezug. Noch im Dezember letzten Jahres war zudem Der Palast ist leer erschienen, eine kleine Geschichte darüber, wie Menschen von Verhältnissen überholt werden, die vor allem deswegen interessant ist, weil sie ernüchtert und gewissermaßen im Vertrauen, also unverblümt, von ehemals oben erzählt wird, wobei sich Verbesserung der allgemeinen Lage und Update der Katastrophe wie von selbst unentwindbar ineinander verschlingen. Am 22. Januar wurde dann noch Der Sommer in die Stadt wird fahren präsentiert, ein Stück das emphatisch dazu einlädt, im Rhythmus mit dem Kopf zu wippen und weniger ängstliche Menschen vermutlich kurzerhand zum Tanzen verleiten wird, was nicht unwesentlich am Carsten Meyer liegen dürfte. Aus Erfahrung misstrauische Hörer werden bei der ersten Begegnung mit diesem Stück allerdings zunächst zwei Zeilen Angst haben, wenn der Gesang einsetzt. Denn da scheint es kurz, als sei Frank Spilker zum politischen Liedermacher regrediert, der im Mantel prätentiöser Coolness zur abgeschmackten Anklage des Weltzustands ausholt: »Es regnet Lügen. Es regnet Phrasen.« An genau diesem Muster aber rempelt er im nächsten Augenblick ebenso nonchalant wie zielgenau vorbei und blamiert damit erfolgreich eine ganze Berufsgruppe.


Gemein ist den drei Stücken eine angenehme Unaufgeregtheit und Schamlosigkeit, die darauf schließen lässt, dass sie von Leuten gemacht wurden, die sich selbst ernst, aber so ernst nun auch wieder nicht nehmen. Der Rest der Platte bleibt vorerst im Dunkeln. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird aber nach der Veröffentlichung dieses 12. Studioalbums der Sterne zutreffen, was Spilker – hier nicht ganz wortgetreu wiedergegeben – schon vor reichlich drei Jahren in einem Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger bemerkt hat: »Viele Leute wollen das nicht hören, aber [es ist] interessanter als gängige Klischees zu bestätigen.«(5)


Eines allerdings lässt die offizielle Ankündigung doch noch zweifelsfrei wissen, nämlich, dass der dem Bandnamen identische Albumtitel als »ein Statement«(6) zu verstehen sei. Vielleicht in dem Sinn, dass Die Sterne eben Die Sterne sind, solange Frank Spilker dabei ist, sich also die Frage danach in den anstehenden Interviews gespart werden kann.


Ein Statement – und zwar eines zur Denunziation des grundlegend wahnhaften Zeitbezugs unterm Kapital – war auch der Titel des 2010er Albums 24/7. Als der Verfasser dieses Textes mit einigen Jahren Verspätung aus nicht mehr auffindbaren Gründen über dieses Werk stolperte, verfing die Titelliste in next to no time. Depressionen aus der Hölle, Deine Pläne, Nach fest kommt lose, Wie ein Schwein, Passwort; das sah auffällig danach aus, als könnte es derbe was mit dem eigenen Leben zu tun haben. Also wurde reingehört. Und was es da zu hören gab, war keinesfalls schlecht und jedenfalls erheblich interessanter als das etwa von Universal Tellerwäscher und In diesem Sinn bekannte Stil-Leben der Band. Das hatte, wie man nachlesen kann, irgendwas mit Produzenten, Labels und dem Willen zur Veränderung zu tun.


Das Klangbild dieses Albums war nicht nur merklich von elektronischen Instrumenten geprägt, sondern vor allem grundlegend maschinisiert, die Band mitunter nur mehr als menschlicher Pattern-Sequencer wahrnehmbar, der in abweglosen Bahnen auf der Stelle dreht und gleichzeitig auf's Ende zuspult. Das ungeheuer Repetitive der meisten Stücke auf 24/7 machte den Eindruck, diese Musik sei darauf angelegt, auf den Geist zu fallen. Dazu kam die fast ohne Ausnahme mit Echo- bzw. Hall-Effekt belegte Stimme Spilkers, in der sich Widerhall des Immergleichen und geisterhafte Allgegenwart ebenso ausdrückten wie Draußensein, Abgewandtheit, Abwesenheit und Selbstauflösung.


Das lag auch an der den Gegebenheiten der ständigen Effektbeladung angepassten, einfachen Sprache, in der die Texte abgefasst waren. In Form und Inhalt von provokanter Banalität, muteten die stellenweise an, als hätte man sie für Proben in der Frühphase des Songwritings spontan zusammenassoziiert und dann im Wesentlichen so belassen. Dem Grunde nach stumpfsinnig waren sie deswegen nicht. Vielmehr lief dieser Gesang mit der oft närrischen, bisweilen brachialen und makaberen, aber auch um Eleganz nicht verlegenen Klangkulisse zu einer adäquat anstößigen Mischung mit zynischer Spitze zusammen, die sich allerdings nicht als von vorne bis hinten durchgewitzt anbiederte, sondern in der im Gegenteil auch Platz für Trauer, Verzweiflung, Resignation und Verbitterung war. Es hörte sich an wie Musik, die sich nicht scheut, ohne Sicherung am Abgrund zu spielen, dabei aber genug stilistische Contenance bewahrt, um nicht runterzustürzen.


Vielleicht ist 24/7 das bisher beste Album der Sterne. Man müsste die andern halt mal anhören. Sonderlich nachhaltigen Eindruck scheint es jedoch – warum auch immer – auf den, der das heute hier schreibt, damals nicht gemacht zu haben, sonst hätte er nicht fast vergessen, dass es diese Musik gibt, und sich erst aus einer Laune heraus das Schreiben einer unkonventionellen Konzertankündigung auf den Tisch ziehen müssen, um daran erinnert zu werden. Schon allein deshalb aber, weil sie daran erinnert hat, hat sich diese Arbeit gelohnt.


Zu Deine Pläne, das bereits 2009 erschienen war, wurde seinerzeit übrigens ein sehenswertes Video produziert, das nicht zufällig an ein anderes, nämlich Pass This On von The Knife, erinnert, und in dem Frank Spilker aus heutiger Sicht bisweilen wie eine jüngere Version Christoph Gröners wirkt. Zu dieser Analogie verleitet nicht zuletzt die zum Refrain gehörende Textpassage »Deine Pläne stehen. Du solltest meine sehen.« Vielleicht sollte man Gröner einmal fragen, ob er diesen Neodisco-Track nicht auf einem der nächsten Firmen- oder Charity-Empfänge, die er stets so engagiert und mit lachendem Herzen bestreitet, als Karaoke-Nummer zum Besten geben würde. Wenn er einmal dabei wäre, könnte er gleich noch das praktischerweise auf dem selben Album befindliche Stadt der Reichen hinterherschieben, dessen Text die für Kapitaleigner vom Kaliber »Wir sind der Staat!«(7) geradezu maßgeschneiderte Ansage enthält: »Aus dem Weg, ich möchte investier’n! Aus dem Weg, du kannst eh nur verlier’n!« Zum performativen Enhancement dieser Message sei der nimmermüden Sportskanone an dieser Stelle noch empfohlen, dabei im Takt abwechselnd mit links und rechts symbolträchtig nach vorne zu boxen. Ein für diese Einlage erforderliches Kopfbügelmikrofon beschaffen zu lassen, dürfte für den Selfmade-Millionär ja kein Problem sein.

Live zu sehen sind Die Sterne übrigens am 12. März im Conne Island. Der Autor geht hin.

Carl G. Bronetto

Anmerkungen

(1) So beschrieb Sterne-Sänger und -Gitarrist Frank Spilker in einem Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger 2017 die stilistische »Taktik« der Band. (https://www.ksta.de/kultur/frank-spilker-von--die-sterne---deutschland-ist-nicht-das-beste-land-der-welt--25682266)

(2) https://hitparade.ch/song/Die-Sterne/Universal-Tellerwaescher-191011

(3) http://www.diesterne.de/diskografie/die-sterne/

(4) http://www.diesterne.de/der-sommer-in-die-stadt-wird-fahren-featuring-carsten-erobique-meyer-und-kaiser-quartett/

(5) https://www.ksta.de/kultur/frank-spilker-von--die-sterne---deutschland-ist-nicht-das-beste-land-der-welt--25682266

(6) http://www.diesterne.de/diskografie/die-sterne/

(7) https://www.youtube.com/watch?v=zF0lzs9RpMg, 0:44

11.03.2020
Conne Island, Koburger Str. 3, 04277 Leipzig
Tel.: 0341-3013028, Fax: 0341-3026503
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