• Titelbild
• Wahlen und andere Wahnsinnigkeiten
• das erste: Ein neuer Ordnungsbund für Thüringen
• inside out: Stellungnahme der Kritischen Jurist:innen Leipzig (KJL) und des Conne Islands zum Entzug der Gemeinnützigkeit des VVN-BDA vom 10.12.2019
• inside out: Stellungnahme des Conne Islands zum Übergriff beim HGich.T-Konzert am 27.12.2019
• Tarek (K.I.Z.)
• Die Sterne? Schon mal gehört…
• Russian Circles × Torche
• Turbostaat
• Turbostaat
• review-corner buch: Chaos und Betriebsunfälle
• position: I hate to say we told you so!
• doku: Wir müssen doch etwas tun!
• das letzte: Das letzte Interview
• Wir bleiben solidarisch mit dem VVN-BDA und allen Organisationen, denen von Finanzämtern bzw. Finanzgerichten die Gemeinnützigkeit abgesprochen wurde.
• Wir halten die juristische Argumentation der Finanzämter bzw. -gerichte für falsch
und die politische Dimension der Entscheidungen für fatal.
• Eine Einschätzung des Verfassungsschutzes darf nicht Grundlage einer Einstufung
über Gemeinnutz sein. Der § 51 III 2 AO muss deshalb ersatzlos gestrichen
werden. Antifaschismus ist gemeinnützig.
• Zivilgesellschaft ist und bleibt gemeinnützig. Wir schließen uns den Forderungen
der Allianz für Rechtssicherheit und politische Willensbildung an.
I
Der Bundesfinanzhof hat mit dem attac-Urteil vom 26. Februar 2019 den Startschuss für eine Reihe von Aberkennungen der Gemeinnützigkeit gegeben, obwohl das hessische Finanzgericht FG noch 2016 die Gemeinnützigkeit der Organisation attac bejaht hat. Das (damals von der CDU geführte) Bundesfinanzministerium wies das Finanzamt an, in Revision zu gehen. Im Januar 2018 trat das BMF dem Revisionsprozess auch formell bei.
Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit beruht auf einem verzerrten Bild der Neutralität des Steuerrechts. Der BFH beruft sich auf Urteile des BVerfG, in denen das BVerfG in Bezug auf staatliche Zuwendung von Steuermitteln »parteipolitische Neutralität« fordert. Im durch den BFH zitierten Urteil ging es nicht um zivilgesellschaftliche Akteur:innen, sondern um parteinahe Stiftungen.(1) Außerdem wird in der Entscheidung des BFH nicht klar, wo der BFH die Grenze zwischen zulässiger und unzulässiger politischer Arbeit zieht. Einerseits können »Lösungsvorschläge für Problemfelder der Tagespolitik erarbeitet werden«(2) andererseits dürfen aber »Ergebnisse durch Einflussnahme auf politische Willensbildung und öffentliche Meinung [nicht] mittels weiterer Maßnahmen durchgesetzt werden«.(3) Vor dem Hintergrund, dass in früheren Entscheidungen gemeinnützige politische Bildung nicht nur »theoretische Unterweisung« sein musste, sondern durch einen »Aufruf zu konkreter Handlung ergänzt« werden konnte, erscheint diese Regelung noch fragwürdiger.(4)
Abgesehen davon fordert der BFH die »geistige Offenheit« der politischen Bildung.(5) Was dieser schwammige Begriff konkret bedeutet und wann von geistiger Offenheit gesprochen werden kann, wird in der Entscheidung allerdings nicht klar. Auch die Aussage des Gerichts, dass gemeinnützige Körperschaften kein »allgemein-politisches Mandat« haben, ist hier völlig verfehlt. Zivilgesellschaftliche Akteur:innen sind mit öffentlich-rechtlichen Körperschaften dogmatisch nicht zu vergleichen. Eine Begriffsbildung muss für zivilgesellschaftliche Akteur:innen selbständig stattfinden, was in der Entscheidung des BFH nicht berücksichtigt wurde.(6)
Dass politische Bildung nur solange geschützt sein soll, wie sie vage, unbestimmt und vermeintlich neutral bleibt, verheißt nichts Gutes. Organisationen, die Missstände aufdecken, die Räume für Selbsthilfe und Solidarität organisieren, sind per se politisch - schon deshalb, weil die von ihnen aufbereiteten Fakten unerlässlicher Bestandteil der politischen Willensbildung sind. Nur, weil nicht alle Interesse an der Arbeit dieser Organisationen haben, ist das noch kein Argument dafür, dass keine Orientierung am Gemeinwohl stattfindet, zumal die betroffenen Organisationen nicht auf finanziellen oder wirtschaftlichen Profit aus sind.(7)
Nach der Entscheidung des BFH braucht es eine gesetzliche Klarstellung. Die Allianz »Rechtssicherheit für politische Willensbildung« hat dargelegt wie die § 52 AO geändert werden muss, damit politische Willensbildung klar gemeinnützig ist.(8)
II
Besonders absurd finden wir den Entzug der Gemeinnützigkeit des VVN-BdA durch das Finanzamt Berlin - Körperschaften I. Basis der Entscheidung war die Einschätzung des bayrischen Verfassungsschutzes, der den VVN-BdA als »linksextremistisch beeinflusst« bezeichnet. Das Bundesamt und die Landesämter fu ̈r Verfassungsschutz hegen immer wieder politische Ambitionen; das zeigt ihre Geschichte und überrascht uns nicht. Dass sich das Finanzamt Berlin auf Grundlage des § 51 III 2 AO diese Einschätzung vorbehaltlos zu eigen macht, allerdings schon. Das Finanzamt Oberhausen-Süd folgt dem bayrischen Verfassungsschutz - trotz gleicher Faktenlage - in seiner Einschätzung nicht.(9)
Die Entscheidung des Finanzamtes Berlin ist ein Schlag ins Gesicht aller Antifaschist:innen. Ab jetzt besteht der Anschein, dass Antifaschismus bloß das partikulare Interesse »linksextremer« Aktivist:innen ist. Das in einer Zeit, in der faschistische Strömungen in der Bundesrepublik und überall auf der Welt wieder Oberwasser bekommen. Dabei tun zwar alle politischen Akteur:innen besorgt - viele erkennen aber nicht, dass sich antifaschistische Arbeit nicht in segensreichen Worten erschöpft, sondern politische Bildungsarbeit genauso braucht wie ein kämpferisches »Nie wieder!«. Dass diese Arbeit auf Geld angewiesen ist, versteht sich von selbst. Dass nun nach starker Kürzung der Demokratieförderung(10) auch steuerrechtliche Begünstigungen wegbrechen, lässt die Angst aufkommen, Behörden und Finanzgerichte könnten vor dem rechten Diskurs - der die angebliche Nähe staatlicher Organisationen und antifaschistischer Akteur:innen propagiert - einknicken.
Noch absurder erscheint dieser Sachverhalt, wenn man einen Blick nach rechts wirft. Die rechtsterroristische Preppertruppe »UNITER«, die sich um den KSK- Soldaten »Hannibal« schart, muss bis heute nicht um ihre Gemeinnützigkeit kämpfen.(11)
Die Einschätzung dessen, was gemeinnützig ist, darf nicht dem Verfassungsschutz zu überlassen werden. Wir schließen uns der Forderung an, den § 51 III 2 AO ersatzlos zu streichen.
III
Insgesamt sind die Entscheidungen für progressive zivilgesellschaftliche Akteur:innen verheerend. Vor dem Hintergrund, dass der für eine Änderung der Abgabenordnung zuständige Minister Olaf Scholz (SPD) weitere Verschärfungen des Zuwendungsrechts angekündigt hat, ist eine Abhilfe vorerst nicht in Sicht.(12) Das bedeutet aber nicht, dass wir in dieser Situation zur Passivität verdammt sind. Zahlreiche Politiker:innen und Antifaschist:innen haben sich bereits mit den betroffenen Organisationen solidarisiert und fordern eine gesetzliche Klarstellung der Gemeinnützigkeit. Auch wir sind solidarisch! Progressive Politik ist gemeinnützig! - Antifaschismus ist gemeinnützig!