• Titelbild
• Wahlabsage
• das erste: Streetwork mit Marx
• inside out: Im Osten nichts Neues.
• Jahresbericht 2018
• Full of Hell / The Body / Wayste / Hydren
• Captain Planet, Deutsche Laichen
• position: Unteilbare Gutbürger im Dienst fürs Kapital
• position: Von Kettenrauchern und Dieselautos
• position: Eine schrecklich nette Familie
• das letzte: Demokraten wider Willen?
Die Kommunal-, Landtags- und Europawahlen dieses Jahres werden derzeit zum Anlass für viele Kampagnen, Bündnisse und Schulterschlüsse gegen das Erstarken rechter Parteien genutzt. Dabei ist der rechte Konsens keine komplett neue Erscheinung, sondern entspricht der sächsischen Entwicklung der letzten drei Jahrzehnte. Hoyerswerda, Mügeln, Brandis, Freital, Heidenau, Bautzen, Wurzen, Chemnitz sind Eckpunkte sächsischer Realität. Der Nährboden für den rechten Konsens wurde beispielsweise auch durch die staatlich finanzierte ‚akzeptierende Jugendarbeit‘ als Antwort auf die rechten Pogrome der frühen Neunzigerjahre gelegt.
Auch das Ineinandergreifen von Wissenschaft und Politik fördert die Normalisierung rechten Gedankenguts: Die Extremismustheorie, auch als ‚Hufeisen-Theorie‘ bekannt, setzt ‚Linksextremismus‘ mit ‚Rechtsextremismus‘ gleich, während autoritäre Einstellungen der sogenannten ‚Mitte‘ außer Acht gelassen werden. Diese Theorie ist die Grundlage für die Arbeit von Behörden und damit Basis vielfacher staatlicher Repression gegen alternative (Jugend-)Zentren und emanzipatorischen Aktivismus. Antifaschistischer Protest, der sich gegen rechte Gewalt richtet, wird selbst als ‚extremistisch‘ und gewalttätig gebrandmarkt und kriminalisiert.
Dies lenkt vom eigentlichen Problem ab und verschiebt seit fast drei Jahrzehnten den Diskurs in Richtung völkischer, antiuniversalistischer und autoritärer Ideologien. Solche rechten Kontinuitäten dürfen nicht nur punktuell zu Wahlen skandalisiert werden, sondern ständig und unablässig problematisiert und angefochten werden. Der Ursprung faschistischer Tendenzen ist nicht nur bei einer Partei zu suchen, sondern zieht sich quer durch die gesamte Gesellschaft.
Heimat
Von landespolitischer und medialer Seite wird der Eindruck erweckt, als sei Sachsen in jeglicher Hinsicht besonders. Die sächsische Zivilgesellschaft feilt gleichermaßen wie die sächsische Landesregierung an einer positiv aufgeladenen Identität der Sachsen. Beiden ist daran gelegen, die ‚unverheilte Wunde‘ der Wendetragödie als ostdeutsches Narrativ zu verfestigen. Dazu wird ihnen - quasi als genetisch eingeschrieben - eingeredet: ‚Die Ossis sind halt so‘. In diesem Sinne gelten dann auch Besorgnis, Weinerlichkeit und binnendeutsche Diskriminierungserfahrung als positive Eigenmerkmale. Absurder Höhepunkt ist die imaginierte Ähnlichkeit zu Geflüchteten, deren Heimat immerhin noch existiere, während die Heimat der Ostdeutschen diesen für immer genommen worden sei. Integrationsministerin Petra Köpping, die ihr Amt hauptsächlich der ‚Integration‘ der Ostdeutschen widmet, fordert mit ihrem Buch, das den Untertitel „Eine Streitschrift für den Osten“ trägt: „Integriert doch erstmal uns!“(1). Linke machen sich mit den VerwalterInnen dieses Elends gemein, wenn sie solche staatliche AnsprechpartnerInnen aufs Podium setzen(2).
Die sich zeigende Überforderung der institutionellen politischen Akteure und der sächsischen Zivilgesellschaft weisen nur mehr auf das ideologische Vakuum hin, welches nach 60 Jahren autoritärer Diktaturen die CDU in 20 Jahren nur partiell füllen konnte. Es dürstet die Ostdeutschen nach Autorität und starker kollektiver Identität, in welcher das Individuum aufgehen kann. Das ideologische Tauziehen um dieses kleine Stückchen Erde wird besonders ungeniert in Wahlkampfzeiten praktiziert. Gefühle von Verbundenheit bis Liebe, Verwurzelung, Herkunft, Kiezsolidarität und Liaison zum ansässigen Fußballverein sind einige der Signalworte reaktionärer Gemeinschaftsduselei. Auch sich selbst als progressiv verstehende Parteien wie SPD, Grüne oder Die Linke können nicht kaschieren, dass sie in erster Linie autochthone Sachsen sein wollen. Demnach sind auch die Wahlkampfslogans ein Potpourri der Kleingeistigkeit: Der SPD geht es „um unsere Heimat“(3), die AfD fordert: „Deutschland braucht Identität“(4), und ein Ziel der Grünen ist es, „Sachsens vielgestaltiges kulturelles Erbe zu pflegen und erlebbar zu machen“(5). Bis vor einigen Jahren gab es nur eine ‚soziale Heimatpartei‘.
Dabei ist das Wort ‚Heimat‘ selbst Inbegriff einer Illusion, ein von allen politischen Richtungen genutztes Unwort für konformistische und antiliberale Haltungen. Auffällig ist, dass der Begriff weder im Plural gebräuchlich ist, noch, dass es kaum nicht-deutschsprachiges Äquivalent gibt. Heimat beruft sich schlicht auf ein Gefühl des Deutschen zu seiner Umwelt und führt damit tief hinein ins kollektive Bewusstsein der deutschen Ideologie. Heimatgefühle sind der Fluchtversuch aus der unverstandenen Moderne. Der Vergangenheit wird eine romantisch verklärte Ursprünglichkeit angedichtet, die so nie dagewesen ist.
Versucht man den Heimatbegriff auf seinen Grundgehalt zu reduzieren, dann beschreibt er in erster Linie das Bedürfnis nach Sicherheit, den Wunsch nach dem immer schon Bekannten, dem Vertrauten. In Ähnlichkeit zu Heimat geht es bei Sicherheit zumeist um das bloße, irrationale Gefühl. Im Unterschied zu Heimat eignet sich Sicherheit jedoch sehr gut für realpolitische Zwecke. Nach Außen wird die Heimat gegen nicht zugehörige Menschen abgeschottet, während nach Innen Kräfte, die ein freies Leben für alle fern von Heimat in sächsischer Volkstümelei anstreben, ausgegrenzt werden.
Zukunft
Trotz der sächsischen Verhältnisse existieren glücklicherweise auch in der tiefsten Provinz alternative Jugendzentren, Clubs und Projekte. Diese müssen sich nicht nur vor Angriffen durch Nazis und politische Institutionen sondern auch gegen die Abneigung der BürgerInnen behaupten. Sie sind Orte jugendlicher Subkulturen und können ein Ort des notwendigen Protestes sein. Das Allerwichtigste: sie können Raum für die Bildung von kritischem Bewusstsein eines jeden Menschen bieten. Genau diese Räume sind den AkteurInnen des rechten Konsens ein Dorn im Auge. Hier können kontinuierlich Freiräume auch für Menschen, die sonst an den Rand gedrängt werden, gestaltet werden, hier können politische Gruppen diskutieren, hier können auch Partys und Konzerte organisiert werden, deren Rahmen ein Versuch ist, wenigstens kurzzeitig dem Alltag voller Sexismus, Antisemitismus und Rassismus zu entrinnen. Kurzum haben AJZs das Potential, zumindest in ihrem jeweiligen Mikrokosmos, teilweise Sachzwänge, die Verwertungslogik kapitalistischer Vergesellschaftung und angestammte Rollenbilder zu hinterfragen. Um diesem Freiraum näher zu kommen, ist auch kontinuierliche Selbstkritik notwendig. Ohne Frage ist dies ein romantisches Bild – alternative Jugendzentren werden nicht automatisch die Gesellschaft oder die irrationale Wut auf das Fremde und Neue negieren.
Auch Appelle an die Abgeordneten der Parlamente werden keine Befreiung aus der abstrakten Herrschaftsform des Kapitalismus herbeiführen. Der naive Glaube daran, die Verantwortung für Veränderung an RepräsentantInnen abgeben zu können, verfestigt die Zustände in Sachsen und anderswo. Politik, die wortwörtlich bis zur Wurzel des Übels vordringen will, sollte sich also darauf fokussieren, die speziellen Verhältnisse, an denen Freiheiten eingeschränkt werden, zu kritisieren, zu negieren und schlussendlich zu überwinden. Diese im Grunde humanistische Programmatik wird schnell als Gefahr für die öffentliche Sicherheit gebrandmarkt und mit den Aussagen von Nazis und Verschwörungstheoretikern auf eine Stufe gestellt. Dementsprechend war und ist soziale Erwünschtheit, die sich in Sachsen entlang der Grenzen eben jener Extremismustheorie definiert, kein Maßstab für politisches Handeln.
Gegen die Normalisierung sächsischer Verhältnisse hilft nur unablässige Kritik, die auch vor den eigenen Strukturen nicht Halt macht. Den vereinzelten, unbequemen Schlupfwinkeln in der zumeist trostlosen Provinz gilt unsere Solidarität.