• Titelbild
• Wahlabsage
• das erste: Streetwork mit Marx
• inside out: Im Osten nichts Neues.
• Jahresbericht 2018
• Full of Hell / The Body / Wayste / Hydren
• Captain Planet, Deutsche Laichen
• position: Unteilbare Gutbürger im Dienst fürs Kapital
• position: Von Kettenrauchern und Dieselautos
• position: Eine schrecklich nette Familie
• das letzte: Demokraten wider Willen?
Als der Suhrkamp-Verlag im Juli Theodor W. Adornos vor gut einem halben Jahrhundert an der Wiener Universität gehaltenen Vortrag mit dem Titel Aspekte des neuen Rechtsradikalismus als schmales Büchlein veröffentlichte, konnte ihm die Versicherung des deutschen Feuilletons über die Aktualität des Textes sicher sein.(1) Wenn auch mit gebührlich bürgerlicher Skepsis referierten sie mehrheitlich sogar den einleitenden Hinweis auf die marxistische These seines einige Jahre zuvor gehaltenen Vortrags Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit darüber, »dass das Potenzial des Rechtsradikalismus […] dadurch sich erklärt, dass die gesellschaftlichen Voraussetzungen des Faschismus nach wie vor fortbestehen.« Der Rezensent der Süddeutschen Zeitung verwechselte die von Adorno gemeinte »Konzentrationstendenz des Kapitals« zwar mit der Macht der »großen Digitalkonzerne [...], ganze Geschäftsmodelle mit einer kleinen Algorithmus-Änderung vernichten zu können«, erkannte das »Gespenst der technologischen Arbeitslosigkeit« (Adorno) jedoch in der »Forschung bei Robotik und künstlicher Intelligenz« wieder.(2)
Im politisch-juristischen Konflikt um die Zulassung der AfD-Listenkandidat/innen zur diesjährigen sächsischen Landtagswahl zeigt sich außerdem ein bereits von Adorno beobachtetes Dilemma der extremen Rechten nach 1945: Denn »was die Ideologie anbelangt,« so dieser in seinem Vortrag, »ist diese Ideologie durch die Gesetzgebung an ihrer vollen Äußerung verhindert. Man kann sagen, dass alle ideologischen Äußerungen des Rechtsradikalismus gekennzeichnet sind durch einen permanenten Konflikt zwischen dem Nicht-Sagen-Dürfen und dem, wie ein Agitator es neulich nannte, was die Zuhörerschaft ›zum Sieden bringen‹ soll.« Was zunächst an die wohlkalkulierten verbalen Tabubrüche und Provokationen von AfD-Politiker/innen erinnert, die Medien und Politiker/innen konkurrierender Parteien nur allzu gern skandalisieren, hat nicht nur Einfluss auf die Art der Agitation, sondern betrifft auch die politische Organisationsweise.
So ist dieser Konflikt nach Adornos Feststellung »nicht nur äußerlich, sondern der Zwang zur Anpassung an demokratische Spielregeln bedeutet auch eine gewisse Änderung in den Verhaltensweisen und insofern liegt darin doch auch ein Moment der […] Gebrochenheit. […] Das offen Antidemokratische fällt weg – im Gegenteil: man beruft sich immer auf die wahre Demokratie und schimpft die anderen antidemokratisch. Und in den Konzessionen an demokratische Spielregeln liegt ein gewisser Widerspruch: Das demagogische Element kann sich nicht mehr so ungehemmt entfalten. Ich erinnere etwa an das Problem der innerparteilichen Demokratie, dass ja in Deutschland von der Verfassung garantiert ist. Wo die innerparteiliche Demokratie verletzt wird, droht das Verbot. Wird sie aber innegehalten, so ist diese politische Form im Grund unvereinbar mit damit, was man dabei verficht.«
Obwohl es sich bei der AfD nicht um eine faschistische Partei handelt, hat auch sie bekanntermaßen ein durchaus zwiespältiges Verhältnis zur Demokratie.(3) Der Umgang der Partei und ihrer Politiker/innen mit der Teilablehnung ihrer Landesliste für den Sächsischen Landtag spricht davon Bände. Der von Mitgliedern der bereits im Parlament vertretenen Parteien besetzte Landeswahlausschuss hatte zunächst die von der AfD eingereichten Plätze 19 bis 61 wegen formaler Mängel unter Verweis auf das sächsische Wahlgesetz nicht zugelassen. Dies hätte zur Folge gehabt, dass sie unter Umständen nicht alle Mandate hätte wahrnehmen können, die ihr laut Wahlergebnis rechnerisch zustehen könnten. Die Landeswahlleiterin Carolin Schreck wurde in Zuschriften bedroht, öffentliche Sitzungen des Landeswahlausschusses vorübergehend unter Polizeischutz gestellt. Auf eine Klage der Partei und einiger betroffener Kandidat/innen hin ließ der Verfassungsgerichtshof später die ersten 30 Listenplätze zu – dies entspricht den Umfragen zufolge auch in etwa den zu erwartenden Mandaten; etwaige Direktmandate bleiben davon ohnehin unberücksichtigt.
Interessant ist die Begründung, die vom Verfassungsgerichtshof zur unterschiedlichen Beurteilung der Zulässigkeit der Listenplätze 1-30 und 31-61 angeführt wurde: Während es in der Streichung der Plätze 19-30 durch den Landeswahlausschuss die Chancengleichheit der Partei bei der Landtagswahl verletzt sah, bestätigte es in Bezug auf die Plätze 31-61 die vom Landeswahlausschuss verfügte Streichung, da durch den Wechsel des Wahlverfahrens während der Nominierung »die Chancengleichheit und damit die passive Wahlrechtsgleichheit der einzelnen hiervon betroffenen Wahlbewerber« verletzt worden sei.(4)
In der AfD aber fand dieser festgestellte Mangel an innerparteilicher Demokratie keinerlei Berücksichtigung. Von der Kürzung des Landeswahlausschusses betroffene Kandidat/innen klagten gegen ihre Nichtzulassung, doch es wurde keine Kritik nicht nominierter Kandidat/innen am für sie unter Umständen nachteiligen Wechsel des Wahlverfahrens durch ihre Partei laut. So kam es zu der paradoxen Situation, dass das sächsische Verfassungsgericht in einer Partei, die sich propagandistisch unablässig als Verteidigerin der Demokratie gegen die »politische Kaste« geriert, die innerparteiliche Demokratie ohne Unterstützung und sogar gegen den Widerstand aus deren eigenen Reihen durchsetzen musste.(5)
Ein Hinweis zur Auflösung dieses Paradoxes findet sich in der Deutung des Vorgangs durch Alexander Gauland. Der Parteivorsitzende und Pressesprecher behauptete auf dem Kyffhäuser-Treffen des völkischen Partei-Flügels, dass die AfD »mit Tricks sozusagen von ihrem Wahlsieg entmachtet werden« solle. Nicht die Verletzung des demokratischen Rechts der eigenen Kandidat/innen wird von ihm bemängelt, sondern die Vereitelung der erhofften ›Machtergreifung‹ auf demokratischem Wege. Denn Demokratie ist für diese Partei nicht ein Aushandlungsprozess zwischen verschiedenen Interessen, sondern lediglich ein Berufungstitel zur Legitimation politischer Herrschaft, genauso wie die mantrahaft bemühten Volksabstimmungen ganz im Schmittschen Sinne der (Wieder)-Herstellung einer Identität des politischen Willens von Herrschern und Beherrschten dienen sollen.
Trotz der alltäglich wahrnehmbar verschiedenen, sich häufig widerstreitenden Interessen der Mitglieder unserer kapitalistischen Klassengesellschaft beruft sich die AfD auf das homogen vorgestellte politische Subjekt »Volk«. Pluralismus findet sich weder im Wahl-, noch im Grundsatzprogramm der Partei. Man beruft sich auf eine privatistisch verstandene Meinungsfreiheit, kennt jedoch keine gesellschaftliche Interessenvielfalt jenseits der »verschiedenen nationalen und regionalen kulturellen Traditionen […] unserer Kontinents«. Werden gesellschaftliche Partikularinteressen als solche von den Regierenden politisch berücksichtigt, verurteilt die AfD das als Klientelpolitik. In ihrem ›Volk‹ duldet sie keine Gegensätze und sondert Querulant/innen zwanghaft als »Volksverräter« aus.
Adorno empfahl seinen Zuhörer/innen 1967, im antifaschistischen Kampf an diesen Konflikt des Zwangs zur Demokratie und der inneren Gebrochenheit anzuknüpfen. Denn das »Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie« betrachtete er, so hatte er bereits 1959 erklärt, »als potentiell bedrohlicher denn das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie.«
von shadab