• Titelbild
• Editorial
• das erste: Sich radikal in der eigenen Zurichtung fühlen können
• Über die Rückkehr des Proletariats.
• Escape-Ism / Lassie
• Linke Politik unter rechtem Kurs: Das Beispiel Österreich
• Die schwärzeste Grauzone
• Die Sächsische Schweiz braucht ein AZ!
• review-corner buch: Meinst du, der Feind meines Feindes ist mein Freund?
• position: Kritik der unkritischen Kritik
• doku: Vom Wert der Familienbande
• das letzte: #6: Alles für den Kiez
In der Arno-Nitzsche-Straße prangt seit einiger Zeit das Graffito: »Alles für den Kiez!!« Rechts daneben hat der Subkünstler einen stilisierten Molotowcocktail hinterlassen (vgl. das beigefügte Foto). Spruch und Bild lassen tief in die Befind- wie auch Begehrlichkeiten der hiesigen Autonomen blicken.
Alles für den Kiez! Die Parole schafft es, kauzigen Größenwahn mit miefiger Hinterhofidylle zu verbinden. Sie gemahnt an den Wahlspruch der SA »Alles für Deutschland« und transportiert auf diese Weise deutsche Sekundärtugenden wie Fleiß, Pflichtbewusstsein und Zuverlässigkeit. Aufgerufen wird ein Aktivismus, der – in der heutigen, oftmals als postheroisch bezeichneten Gesellschaft – kaum noch als zeitgemäß gilt. Doch die eingebildete Gewissheit, in einem völlig falschen Ganzen zu leben, treibt die radikale Linke allemal zum Äußersten. Der Schwur, »alles« zu geben, läuft auf eine Opferbereitschaft hinaus, von der einzig noch nicht feststeht, ob sie destruktiv oder autodestruktiv ist, ob sie sich bloß gegen den politischen Gegner oder in letzter Konsequenz auch gegen sich selbst richtet.
Zugleich ist es die eng umgrenzte Scholle, die Nachbarschaft, der Stadtteil, für den sich der Sprayer aufopfern möchte. In diesem Zusammenhang sei an Überlegungen erinnert, die der kürzlich verstorbene Wolfgang Pohrt vor dreieinhalb Jahrzehnten zum Thema Stammesbewußtsein, Kulturnation anstellte – denn um nichts anderes als Stammesbewusstsein handelt es sich hier. Pohrt schrieb zwar über Kultur, doch seine Überlegungen gelten auch für die Subkultur. Auch ihr ist ein »Abgrenzungs- und Ausgrenzungsvermögen« eigen, das im erwähnten Beispiel mühelos den »Übergang von der Revolutionsromantik zur Folklore« erlaubt. In der Folklore sprechen sich laut Pohrt die »derben Sitten« einer Gemeinschaft aus und das (sub)kulturelle Abgrenzungsvermögen braucht einen »Erkennungsdienst, um den Fremden oder den Feind, in jedem Fall das Opfer, eindeutig identifizieren zu können«. In unserem Fall wird das Mittel, das gegen das Opfer zum Einsatz kommt, gleich mit dargestellt: der Wurfbrandsatz. In der Verbindung aus Aufs-Ganze-Gehen und Revierschutz bleibt dann nur die Frage: Treibt es der heroische Kiezkämpfer so weit, wie (der Erzählung nach) die Einwohner Moskaus im Kampf gegen Napoleon, die ihre eigene Stadt niederbrannten? Wird er den Molotowcocktail, wenn es hart auf hart kommt, gegen die als bedroht imaginierte Infrastruktur, die eigene Nachbarschaft richten, damit sie dem Feind (»Nazis«, »Bullen«) nicht in die Hände fällt?
Vielleicht ist das alles aber schrecklich übertrieben, denn der Spruch klingt beim zweiten Hinsehen vielmehr nach »Alles für Borussia« (wahlweise Dortmund oder Mönchengladbach). Und auch an anderen Graffitis lässt sich die Chemisierung (oder Sternisierung) der politischen Agitation ablesen. Was aber hat es zu bedeuten, wenn die Politik zum Sport herunterkommt, wenn das linke Engagement sich darin erschöpft, einen beliebigen Wimpel hochzuhalten? Die Markierung der Sympathie für einen bestimmten Club, sie mag noch so existenziell tönend daherkommen und sich mit Symbolen der Authentizität, der organischen Gewachsen- und Verbundenheit oder der proletarischen Tradition schmücken (»Werksteam Chemie – DDR-Meister 1951 und 1964«), am Ende gehen ihre Anhänger einer »eingebildeten Gemeinschaft« auf dem Leim. Sie verfallen gerade jenen Mechanismen, die sie den bösen Nationalisten immer vorwerfen; Zufällig- und Beliebigkeit ihrer Entscheidung verdrängen sie.
Stattdessen ficht die Linke ihre diversen Kiezolympiaden mit heiligem Ernst aus. Zwar wird der »marktwirtschaftliche Leistungsdruck« bei jeder sich bietenden Gelegenheit angeprangert, aber wenn es darum geht, öfter »No Cops« an die Basketballplatzmauer am Kreuz zu schreiben als es die Beamten aus der Wiedebachpassage übermalen können, zählt auch Jule Nagel ganz aufgeregt den Punktestand und bejubelt die Potenz der Sprayer.(1) Und wer erinnert sich nicht daran: Zu Fußballeuropa- oder –weltmeisterschaften um die Wette Deutschlandfähnchen abreißen, mit Punktetabellen und Preisen.(2) Der eigene bierernste Anspruch (»Alles für …!!«) löst sich dann doch in Lächerlichkeit auf.
Aber vielleicht tröstet der Hinweis des Soziologen Norbert Elias: Im Rahmen eines Prozesses der Zivilisierung habe der Sport mit seinen Gewalt reduzierenden Spielregeln auf lange Sicht (wenn auch nicht komplett) den Krieg ersetzt. Angesichts der Attraktivität des Insurrektionalismus sollte man vielleicht jenen Linken dankbar sein, die (wenn auch unbewusst) nach Schillers Maxime handeln, dass der Mensch »nur da ganz Mensch [ist], wo er spielt«.
vom Roten Salon im Conne Island