• Titelbild
• Editorial
• das erste: Wem gehört die Stadt?
• inside out: Ausgeladen. Nietzsche & the Wagners
• AzudemSK
• Enter Shikari
• Pascow
• Offenes Antifa Treffen
• Heimat - Eine Besichtigung des Grauens
• No-Crap-Flohmarkt
• position: Subtile Jagden
• das letzte: Über Identifikation
»I ♥ bezahlbare Mieten« prangte auf einem Protestschild der Leipziger Demonstrationen zum bundesweiten »Aktionstag gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn«. Es war nur das Schild einer Einzelperson, keiner politischen Gruppe, dennoch fasste die Botschaft das Ansinnen der Protestierenden wohl am treffendsten zusammen. Zwar wurde auch wieder entgegen aller Erfahrung behauptet, dass Wohnraum keine Ware, sondern ein Menschenrecht sei – mit der herrschenden Eigentumsordnung wollten sich zumindest dem eigenen Bekunden nach dann dennoch höchstens die üblichen schwarz gekleideten Verdächtigen anlegen.
Als kritikwürdig begreifen dabei selbst linke Mietaktivist/innen selten den Umstand, dass Grund- und Immobilieneigentümer die Not der eigentumslosen Mehrheit nach einer Unterkunft ausnutzen, um ihnen einen gehörigen Teil des Ertrags ihrer Arbeit abzupressen und auf der eigenen Seite als Gewinn zu verbuchen. Stattdessen richtet sich die Kritik, wie etwa auch im Motto des Aktionstags, gegen Gentrifizierungsprozesse, d.h. die Aufwertung ganzer Straßenzüge und Viertel, weil sich in diesem Zuge über kurz oder lang eine Unvereinbarkeit des beschriebenen Verhältnisses vom Grundbedürfnis zu Wohnen und dem Profitinteresse des Immobilienkapitals zum Nachteil der bisherigen Mieter/innen einstellt. Protest regt sich, wenn die mit der Miete immerhin größte einzelne Ausgabe eines Haushalts nicht mehr wie noch vor wenigen Jahren ca. 30%, sondern inzwischen durchschnittlich 37% der Nettoeinkommen beträgt. Da sorgt sich selbst Jule Nagel vorgeblich um die »angeblichen ›Führungskräfte‹ der Stadt«, die sich aufgrund ihres im bundesweiten Vergleich geringen Einkommens die neu gebauten oder luxussanierten Wohnungen nicht leisten könnten.(1)
Andernorts taugen die »Besserverdienenden« hingegen wiederum als Feindbild. Nagel will nicht, »dass Leipzig eine Stadt wird, die sich vornehmlich nach den Interessen der InvestorInnen und der Besserverdienenden richtet und aus der Menschen in Erwerbslosigkeit oder mit den schlecht bezahlten Jobs zunehmend verdrängt werden.« Und auch das Bündnis mit dem Namen Leipzig für alle schränkt die Zahl der von ihm ideell Repräsentierten ein, weil in der an Kultureinrichtungen heranrückenden Wohnbebauung »dank Mietpreisen ab 10€ aufwärts [...] Menschen wohnen, die sich zwar viel leisten können, aber freie Kultur und Szene nicht zu schätzen wissen.«(2) Forderungen aus dem aus Connewitz kommenden Demonstrationszug, dass es in der Stadt nicht nach den Interessen der Besserverdienenden gehen dürfe, wendet das Konkurrenzverhältnis um Wohnraum, in welchem die herrschende Eigentumsordnung die Mehrheit der Eigentumslosen hält, gegen die potenteren Konkurrent/innen. Kritik trifft nicht die Eigentümer von Grundstücken und Immobilien, sondern jene Konkurrent/innen um Wohnraum, deren größeres Einkommen einen Konkurrenzvorteil birgt und denen deshalb zur Last gelegt wird, das ›eigene‹ Atelier, das Hausprojekt oder die ›eigene‹ Wohnung ›wegzunehmen‹.
Es gehört zu den Einfältigkeiten von Politiker/innen, Pfaffen und Sozialarbeiter/innen, den armen Menschen, auf die sich Nagel oder Peterskirchpfarrer Andreas Dohrn berufen, mit »bezahlbaren Mieten« beikommen zu wollen, ohne den Zustand der Armut selbst zu kritisieren.(3) Auf der Berliner Demonstration zum Aktionstag hielt eine Dolmetscherin, die nach eigenen Angaben beruflich mit allen Bereichen der Gesellschaft – vom Sozialarbeiter bis zum Regierungsmitglied – in Kontakt kommt, einen Redebeitrag, in welchem sie ihr »überzeugendstes Argument« in Gesprächen über Gentrifizierung mit Reichen schilderte: »Wollt ihr wirklich in einer Stadt leben, in der nur noch reiche Menschen leben können? Wollt ihr dann wirklich jede Spritze selbst setzen, Alte selbst pflegen, euch die Haare selbst schneiden, den Müll selbst wegbringen? Usw.« Damit rennt sie bei ihren Gesprächspartner/innen natürlich offene Türen ein: Niemand anderes als die Angehörigen der herrschenden Klasse wissen es mehr zu schätzen, von der Arbeit der Lohnabhängigen - wenngleich in einem viel umfassenderen Sinn - zu leben. Dass die Niedriglöhner zur Erfüllung der Dienste auch im selben Viertel wie ihre Chefs leben müssen, ist allerdings eine wohlmeinende Unterstellung der Rednerin und keinesfalls Bedingung. Im Gegenteil kann eine höhere Mietbelastung dieser durchaus die Bereitschaft steigern, ihre Dienste in einem größeren Umfang anzubieten.
Gefordert wird von den »Recht auf Stadt«-Aktivist/innen stattdessen das inklusive Projekt einer »Stadt für alle« oder es wird sogar wahrheitswidrig behauptet, die Stadt gehöre »uns«. Wer sie tatsächlich besitzt, lässt sich u.a. dem Bericht zum Grundstück- und Immobilienmarkt der Stadt Leipzig von 2016 entnehmen: ohne Bezug auf die Vermögensverteilung erfährt man zumindest bezüglich der Herkunft der Eigentümer, dass 30 Jahre nach dem Ende des ostdeutschen Staatssozialismus 60% der Neubauten und 94% der sanierten Altbauten Nicht-Leipziger/innen gehören. Fast 90% der Einwohner/innen Leipzigs wohnen zur Miete.
Dieser Mietmarkt gerät zuweilen in den Fokus eines Teils der Protestierenden, die ihn mit öffentlich gefördertem oder öffentlichem Wohnungsbau einhegen oder gar mittels Rekommunalisierung zu Leibe rücken wollen. In der Hauptstadt Berlin werden aktuell Unterschriften für ein Volksbegehren gesammelt, welches die Rekommunalisierung privater Wohnungsgesellschaften mit mehr als 3.000 Wohnungen zum Ziel hat.(4) Der Stadtvorstand der Leipziger Linkspartei, Maximilian Becker, will eine Debatte darüber zwar auch in Leipzig führen, die Einsicht in die Notwendigkeit der Vergesellschaftung des Bodens dabei jedoch nicht zur Entscheidungsgrundlage machen. Man werde stattdessen »den Verlauf des Volksbegehrens in Berlin genau beobachten und im Erfolgsfall [!] etwas Ähnliches in Leipzig initiieren.« Kritik an den Verstaatlichungsphantasien kam hingegen von FDP-Stadtrat René Hobusch: »Wohnen wird nicht durch eingefrorene Mieten für die Leipziger bezahlbar, sondern durch ein angemessenes Einkommen«, erklärte er der LVZ. Wer in dem Rechtsanwalt nun jedoch einen Fürsprecher der Arbeitskämpfe von Lohnarbeitenden vermutet, der irrt. Denn um Mieten »bezahlbar« zu machen, bedarf es seiner Überzeugung nach keiner Lohnsteigerungen, sondern »ausreichend gute[r] Jobs in unserer Stadt.« Und die Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang es diese Arbeitsplätze gibt, unterliegt ebenso dem Gewinnkalkül der besitzenden Klasse, wie die Miethöhe. Beides entspringt der Anwendung des Eigentums verschiedener Kapitalfraktionen zur Kapitalverwertung.
Der Präsident des Immobilienverbands IVD, Jürgen Michael Schick, gab sich dem Handelsblatt gegenüber entsprechend alarmiert: »Zuerst brennen die Autos der Wohnungsunternehmen, jetzt werden Unterschriften gesammelt, und morgen soll enteignet werden.« Den Menschen werde ein »sozialistisches Paradies« versprochen, jedoch nur eine weitere Spaltung der Gesellschaft erreicht. Im Deutschlandfunk beschwichtigte hingegen Rouzbeh Taheri, Initiator der Kampagne, er wolle gar keinen Sozialismus. Die FDP ist dennoch gleich zur Stelle, um diesen »Sozialismus aus dem Grundgesetz« zu streichen - schließlich würde, so Bundesfraktionsvize Michael Theurer, damit »die Achtung des Gesetzgebers vor dem Eigentum« dokumentiert. Dass der Staat durchaus gewillt ist, Eigentümer vor drohenden Einschränkungen ihrer Verfügungsgewalt zu schützen, durften zuletzt Attac und die Deutsche Umwelthilfe erfahren. Dennoch führe die in Berlin angestoßene Debatte laut dem Geschäftsführer der Private-Equity- und Vermögensverwaltungsgesellschaft PRS Family Trust GmbH, Rainer Schorr, bereits dazu, dass »vor allem große institutionelle Investoren [...] ihr Engagement in Berlin« überdenken.
Diese Abhängigkeit vom Investoren findet in der Debatte kaum Berücksichtigung. In einer Phase mäßiger Konjunktur und von Niedrigzinsen schaffen die nach Anlagemöglichkeiten suchenden Kapitalmassen mit ihren Investments in Betongold eine Situation, in der sich die Kritik vornehmlich auf die Veränderung der Stadtviertel oder ganzer Städte bezieht: Neubauten oder Sanierungen gelten als hässlich, zu teuer oder nicht dem Bedarf der angestammten Viertelbewohner/innen entsprechend. Darauf, dass sich hingegen der »einmalige Möglichkeitsraum« (Vernetzung Süd) Leipzig einer besonderen historischen Entwicklung – kapitalmangelbedingtes Verfallenlassen ganzer Stadtteile zu DDR-Zeiten, Neuordnung der Eigentumsverhältnisse nach dem Anschluss an die BRD, »Hauptstadt des Wohnungsleerstands« in den 90ern (Rückgang der Einwohnerzahl um 20%), die den Preisdruck kleinerer Sanierungswellen auf die Mieten gering hielten – verdanken, zu deren ›Kehrseite‹ die oft im gleichen Atemzug kritisierte hohe Arbeitslosigkeit und die Niedriglöhne gehören, wurde bereits früher von anderen in dieser Zeitschrift hingewiesen.(5) Leipzigs vergangene Jahrzehnte als »Mekka billiger Mieten, freier Wohnungswahl und der Aneignung der Viertel durch die BewohnerInnen« (The Future is still unwritten) wurden durch eine weitreichende Abwesenheit des Kapitals ermöglicht. Im Vergleich mit anderen Standorten und Anlageoptionen schienen weder die Stadt noch ihre Menschen für die Kapitalverwertung übermäßig interessant zu sein. Diese Lücke ermöglichte für längere Zeit ein Einrichten in der Armut. Pacht oder Miete wurden auch damals gezahlt, nur eben für einen niedrigeren Wohnstandard und in einer Höhe, die als dem eigenen Einkommen angemessen empfunden wurde.
Eine Kritik der eigenen Armut lässt sich, wie oben bereits kurz angeführt, bei den Mietaktivist/innen von heute nicht finden. Stattdessen werden Bauprojekte abgelehnt, weil man sich die neuen Wohnungen selbst nicht leisten kann.(6) Um den Armen das Wohnen zu ermöglichen, darf es deshalb ruhig auch etwas weniger an Qualität sein: in seinen »wohnungspolitischen Forderungen« spricht sich beispielsweise Leipzig für alle dafür aus, »Um niedrige Mietkosten zu ermöglichen, sollen »alle Spielräume eines kostengünstigen Bauens ausgeschöpft werden«, »um niedrige Mietkosten zu ermöglichen«.(7) Eine gewisse Selbstironie enthielt ein Transparent am Aktionstag mit der Aufschrift: »Unser Dorf soll hässlich bleiben!«
Den Kritiker/innen der Gentrifizierung geht es nicht um die Eigentumsverhältnisse. Was sich in ihrer Empörung über allseits beklagte Verdrängung durch steigende Mieten Geltung verschaffen will, ist ihr verletztes Recht auf Heimat. Darauf hat bereits die Redaktion des CEE IEH in ihrer Polemik im Editorial des Februar-Heftes dankenswerterweise hingewiesen.(8) Die Verdrängung armer Menschen »in unattraktive Viertel […] am Rand der Stadt« (Vernetzung Süd) wurde auch auf Protestschildern am Aktionstag thematisiert (»Wahnsinn! Warum schickst du mich an den Stadtrand«) und im Aufruf von Jule Nagel heißt es ebenso: »Es finden sich einfach keine bezahlbaren Wohnungen mehr, außer vielleicht in den Plattenbauten am Stadtrand.« Die Verfügungsgewalt der Eigentümer und die Armut der Mieter/innen sind hier nur zur Voraussetzung für ein viel größeres Unrecht: der Verdrängung aus der Wohnung, der Straße und dem Viertel, in dem man sich eingerichtet hat und heimisch geworden ist.
Mit ihrem Engagement für den Zusammenhalt im Viertel waren die Aktivist/innen in Zeiten klammer kommunaler Kassen gern gesehen und weil die Verdrängung in den vergangen Jahren auch zunehmend Teile des Kleinbürgertums betrifft, können sie auf einiges Verständnis aus Politik und Medien hoffen.
Mit dem Verlust des Hausprojektes oder des Kiezes verschwindet damit häufig auch der Gegenstand der Auseinandersetzung. Ohnehin ist das Widerstandspotenzial im Bereich der Wohnungsfrage - nach dem Urteil von Friedrich Engels nur eine der »zahllosen kleineren, sekundären Übelstände, die aus der heutigen kapitalistischen Produktionsweise hervorgehen« - begrenzt. Die beiden Berliner Mietstreiks 1919 und 1932/33 erfolgten vor dem Hintergrund absoluter Existenznot. Arbeiter/innen verfügten nach dem Erwerb von Lebensmitteln schlicht über keine finanziellen Mittel mehr zur Zahlung der Miete. Der Hamburger Mietstreik von 1974 gegen die Mieterhöhungen in einem Studentenwohnheim richtete sich nur gegen einen einzelnen Vermieter und es wurde diesem lediglich die Beträge der Mieterhöhung vorenthalten. Der Gesetzgeber hat diese Möglichkeit später aus dem Mietrecht gestrichen. Bei alledem handelt es sich zudem um keine mit Arbeitskämpfen vergleichbaren Streiks. Während die Lohnabhängigen bei Arbeitsstreiks die Indienstnahme ihres Arbeitsvermögens durch den Unternehmer unter eigenen Opfern vorübergehend verweigern, um die Gegenseite zur Erfüllung ihrer Forderungen zu zwingen, besitzen Mieter/innen diese Möglichkeit nicht. Auch wenn sie die Mietzahlungen verweigern, nutzen sie weiterhin die Mietwohnung. Diesen Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip des Warentausches wird einem die herrschende Rechtsordnung nicht durchgehen lassen.
»Nicht die Lösung der Wohnungsfrage löst zugleich die soziale Frage,« schrieb Engels deshalb bereits 1872, »sondern erst durch die Lösung der sozialen Frage, d.h. durch die Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise, wird zugleich die Lösung der Wohnungsfrage möglich gemacht.«(9)
shadab