• Titelbild
• Connewitz bleibt sächsisch
• das erste: Wider die falsche Toleranz gegenüber einer reaktionären Ideologie
• Leoniden
• Adam Angst
• review-corner buch: Rezension: »Einführung in islamische Feminismen« von Lana Sirri (2017)
• doku: Der Staat als Gefährder
• das letzte: Das Viertel bleibt dämlich
Die Regression linker Rhetorik schreitet unaufhörlich voran, wie man derzeit mit Blick auf die Flut politischer Graffiti in Connewitz Tag für Tag aufs Neue beobachten kann. In loser Folge kommentiert der Rote Salon im Conne Island die einschlägigsten Beispiele.
#3: Über Schöngeister und Schmierfinken
Am 10. Dezember des vergangenen Jahres hatte das linXXnet zur Kiezaussprache über Graffiti ins UT Connewitz geladen.(1) Als Stimme aus dem Off klärte dort der doppelt aktive Sprayer ›Tom‹ – einerseits ist er als Writer unterwegs, um den Schriftzug seiner Crew an möglichst vielen Stellen zu hinterlassen, andererseits versucht er als politischer Mann der Tat den Stadtteil zu verteidigen – über die Rationalität des gentrifizierungskritischen Sprayens auf. Das Zubomben auch der allerletzten unverzierten Hauswand, ob nun mit eilig hingerotzten tags, der politischen Zahlenmystik zeitgenössischer Antifas(2), gängigen, gegen Spekulanten oder Yuppies gerichteten Politparolen oder im Vorbeigehen abgesetzten wave lines, verfolge (unter anderem) den Zweck, das Viertel für jene Leute unattraktiv zu machen, die Geld investieren wollen (ungefähr Minute 24:00).
Das klingt zunächst nach einer vernünftigen politischen Moral und kann sich noch dazu auf wissenschaftliche Untersuchungen stützen. Etwa das Experiment einer Gruppe von Sozialpsychologen um den Niederländer Kees Keizer, das es 2008 bis ins renommierte Fachblatt Science schaffte. Unter dem Titel The Spreading of Disorder wurde berichtet, dass auf Fahrradgepäckträgern verteilte Werbeflyer signifikant öfter auf dem Boden landeten, wenn die umliegenden Wände mit Sprühereien übersät waren. Der Befund schien die in den 1960ern aufgestellte und vor allem in den 1980ern und 1990ern populäre Broken-Windows-Theorie zu bestätigen, mit der diverse Großstädte ihre Null-Toleranz-Politik gegenüber Bagatelldelikten begründeten: Ist eine Scheibe an einem leerstehenden Haus zerbrochen, ziehe diese Vandalismus sozusagen magisch an und bald sei die ganze Nachbarschaft ruiniert. Oder eben: Wo Dreck (= Graffiti) ist, bleibt das Geld (= Investoren) weg.
Doch womöglich haben Tom und alle anderen ein- (Subkultur) oder doppelgleisig (Subkultur und politische Aktion) taggenden Schmierfinken die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Schon in Goethes Faust heißt es: »Grau, treuer Freund, ist alle Theorie / und grün des Lebens goldner Baum.« Generalunternehmer, die grüne Bäume im Leopoldpark rücksichtslos fällen lassen, um sich an den nachher hochgezogenen ›Luxusappartements‹ eine goldene Nase zu verdienen, ticken möglicherweise anders, als die Befürworter ›kiezpolitischer Maßnahmen‹ es erträumen: »An den Umständen, die Investoren zuvorderst interessieren, ändern ein paar ›Destroy-Lines‹ laut Ivo Cathomen«, so ein Vertreter des Schweizer Verbandes der Immobilienwirtschaft gegenüber der Onlinezeitung TagesWoche, »nichts: ›Für eine Standortbestimmung spielen für Investoren harte Faktoren eine Rolle wie die Lage und Fragen der Erreichbarkeit, die Verfügbarkeit von Schulen.‹« Wer den Erfolg der Strategie »Sprüh den Investor fort!« prüfen möchte, denke an die Unmengen bebauter oder in Bebauung befindlicher Grundstücke und (Ex-)Brachen im Viertel (wie gesagt: Leopoldpark). Bleiben also die Investoren wirklich weg? Auch die Mietpreisentwicklung spricht nicht eben für die Dosenhelden: Vor sieben Jahren meldete der 2008 gegründete Gentrification Blog eine aufkommende Debatte über Verdrängung in Connewitz. Er verwies auf Daten des Capital-Magazins zur Attraktivität verschiedener Stadteile Leipzigs. Connewitz tauchte dort jedoch gar nicht auf, dagegen war vom Musikerviertel, Gohlis-Süd, aber auch Plagwitz die Rede. Wie weit die Sprayer das selbstgesteckte Klassenziel(3) verfehlt haben, zeigt folgendes: Damals, 2012, lagen der Mietspiegel in Connewitz und im Investoren anempfohlenen Plagwitz noch gleichauf (5,68 €/m² versus 5,69 €/m²), mittlerweile ist »unser Kiez« an der Westkonkurrenz vorbeigezogen (7,60 €/m² versus 7,30 €/m²). Im selben Zeitraum hat sich Baudynamik umgekehrt: Wurden 2012 noch 34 Baugenehmigungen in Plagwitz erteilt und 14 in Connewitz, waren es 2018 14 dort und 35 hier (Zahlen des Leipzig Informationssystem). Am Ende dienen die Spraydosenfeldzüge eben doch vor allem der Selbstvergewisserung der Politaktivisten, auf der richtigen Seite im Kampf um das Stadtviertel zu stehen; politisch sind sie wohl eher nutzlos: Keine Nachbarschaft ist der Gentrifizierung je aufgrund übereifrigen bombings entkommen.
Zusätzlich liegt Toms Doppelstrategie noch ein zweites Missverständnis zugrunde, denn Sprayer sind schon immer Vorreiter der Gentrifizierung. Selbst Wikipedia weiß, dass »Gentrifizierungsprozesse […] nach typischen Mustern [ablaufen]: Wegen niedriger Mietpreise sowie zunehmend attraktiver Lage werden einzelne Stadtteile für ›Pioniere‹ (Studenten, Künstler, Subkultur) attraktiv.«(4) Sprayer-Tom (und wer weiß wie viele seiner Freunde) erfüllt mindestens die letzten beiden, wenn nicht gar alle drei Merkmale eines Pioniers. Und auch explizit politische Aktivisten ahnen die Schöngeistigkeit ihres Hobbys, auch wenn sie von den gesellschaftlichen Konsequenzen nichts wissen wollen. So heißt es im Buch Das ist unser Haus. Eine Geschichte der Hausbesetzung: »… viele der noch ›in Betrieb‹ befindlichen ehemals besetzten Häuser sind übersät mit Graffiti, die sich anzusehen lohnt.« Das merken früher oder später auch die Immobilienmakler und schnell geht es dann zu wie in Darmstadt, wo 2013 Graffitikünstler die Fassade eines Gebäudes gestalteten, das anschließend mit dem ›Deutschen Bauherrenpreis‹ ausgezeichnet wurde (www.deutscherbauherrepreis.de). Aber die schmutzige Wirklichkeit ficht den wahren Kiez-Sprayer nicht an: Er selbst ist der Gute und die Typen aus Darmstadt höchstes ›bitches‹(5) …
Der Rote Salon im Conne Island