• Titelbild
• Editorial
• das erste: Für einen Antifaschismus ohne Kompromisse
• inside out: Stellungnahme des Conne Island zum Vortrag von Thomas Maul
• Chefket
• Danger Dan
• Hamburger Gitter
• Die Wilde Jagd + New Hook
• Zur Theorie des Riots
• Drohende Gefahr
• leserInnenbrief: Richtigstellung
• doku: Roter Salon in einem Brief an das Plenum des Conne Island
• doku: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
• doku: REVOLUTION
• das letzte: Letztalltägliches aus dem sich seinem Ende zuneigenden Spätkapitalismus
Auf die Einladung Thomas Mauls ins Conne Island reagierte die Leipziger Linke mit einem Sturm der Empörung. Dabei hatte das aufgeregte Gerede über den angeblich eingeläuteten »Rechtsruck« kaum noch etwas mit dem zu tun, was Maul tatsächlich formuliert hat. Sowohl während der Veranstaltung, als auch in den penetranten Diskussionen danach, unterschieden sich die besonders empörten Linken in ihrem Verhalten kaum noch von dem, was man sonst nur von chronisch beleidigten Pegida-Ossis gewohnt war. Wahlweise dem Conne Island, den Organisatoren der Reihe 70 Jahre Israel oder ganz allgemein den abtrünnigen »Rechtsantideutschen« wurde unterstellt, sie verfolgten finstere Pläne zur schrittweisen Etablierung von AfD-Positionen innerhalb der Linken. Allen aufgeschreckten Gemütern sei an dieser Stelle noch einmal versichert, dass auch »Rechtsantideutsche« in der AfD keinen Bündnispartner sehen. Mit ihrem antiaufklärerischen Gesellschaftsvorstellungen, ihrem Hass auf alle Formen gesellschaftlicher Vermittlung, ihrer Begeisterung für die unmittelbare »Herrschaft des Volkswillens«, ihrer aggressiv-nationalistischen Positionierung in der Flüchtlingsdebatte und ihrer Bewunderung für Wladimir Putins Russland ist die AfD ein Akteur der Gegenaufklärung.
Und selbstverständlich hat die AfD ein Problem mit Antisemitismus. Der weiterhin starke Rückhalt für Wolfgang Gedeon, das grundsätzlich relativierende Verhalten der Parteispitze gegenüber Antisemiten in den eigenen Reihen, die Akzeptanz des völkisch-nationalistischen Flügels um Höcke, der sich in erster Linie durch einen antisemitischen Antiamerikanismus auszeichnet, die enge Zusammenarbeit mit dem publizistischen Flaggschiff des antisemitischen Israelhasses und Antiamerikanismus Compact, die Forderung nach einer erinnerungspolitischen Wende (nicht nur eine Position des rechten Flügels, sondern der Bundespartei), sind nur einige Belege hierfür.
Dennoch muss in dem Zusammenhang der Hinweis auf die Tatsache erlaubt sein, dass es sich bei der AfD eben nicht um eine primär antisemitische Partei oder gar den Wiedergänger der NSDAP, sondern in der direkten Gegenüberstellung vergleichsweise harmlose Souveränisten handelt und die Partei auch über einen westdeutschen gemäßigten Flügel verfügt. Die Durchsetzung mit ausgewiesenen Antisemiten und Wahnsinnigen ist kein Alleinstellungsmerkmal der AfD. Wer das glaubt, ist sowas von deutsch, dass er die Abgrenzung zur AfD nur deshalb braucht, um sich nicht in der in allen Parteien verbreiteten deutschen Ideologie selbst wiedererkennen zu müssen. Denn solche Leute lassen sich auch zur Genüge in der Linkspartei finden(1), mit der die AfD ohnehin mehr Positionen teilt als ihr lieb ist und die ebenso um die Gunst jammernder Ossis buhlt(2).
Es ist zudem schon länger offensichtlich, dass in den europäischen Parteien am rechten Rand, abseits der neonazistischen Gruppen, Verschiebungen hinsichtlich des Antisemitismus stattfinden. Welche Bedeutung hat es für die antifaschistische Praxis, wenn Linkspopulisten keinen Hehl aus ihrem Antizionismus machen(3), während Rechtspopulisten offen Israel in Schutz nehmen?
Thomas Maul warf die Frage auf, inwiefern das gängige Abwiegeln und Vermeiden von Islamkritik den Aufstieg der AfD befördert habe. Zu Recht muss sich der linke und liberale Antifaschismus die Frage gefallen lassen, warum regelmäßig zu Großevents gegen die AfD und Nazis mobilisiert wird, sich aber nur eine handvoll Gegendemonstranten einfindet, wenn Unterstützer der Hamas, der Hisbollah, des Iran oder andere Islamisten aufmarschieren.(4) Oder wenn antiamerikanische Ausfälle von Linkspopulisten wie Lafontaine sowie der Antisemitismus von Ulla Jelpke keine vergleichbare antifaschistische Intervention nach sich ziehen. Die Virulenz von Begriffen wie »Islamophobie« in der Debatte, der die sehr reale Bedrohung durch den Islamismus als ungerechtfertigte wie krankhafte Panikmache delegitimiert, ist bezeichnend. Das Thema Islamismus wird gern ausgeblendet, aus Furcht vor falschen Rassismusvorwürfen.
Doch genau diese Unterdrückung von Diskurs, die Gleichsetzung von Islamkritik mit Rassismus und der weit verbreitete Kulturrelativismus ermöglichen es der AfD, sich als mutige Tabubrecher zu inszenieren. Solange die AfD die Einzige ist, die für eine breite Öffentlichkeit sichtbar und vermeintlich konsequent gegen lslamismus vorgeht, wird sie nicht nur bei dezidierten Fremdenfeinden und Antifeministen Erfolg haben. So ist auch der laut Umfragen wachsende Anteil von jüdischen und homosexuellen Wählern zu erklären, die traditionell kaum zu den typischen Wählern einer Partei des rechten Rands gezählt werden können. Doch sind es in erster Linie Juden und Homosexuelle, die die islamistisch motivierte Gewalt am eigenen Leib zu spüren bekommen und die sehr genau wissen, dass die No-Go-Areas für sie sich längst nicht mehr auf ostdeutsche Käffer beschränken, sondern dass es in vielen deutschen Großstädten Gegenden gibt, in denen sie sich besser nicht als Juden oder Homosexuelle zu erkennen geben(5). Eigentlich wäre die Intervention in diesen von ›Herrenmenschen‹ in Beschlag genommenen Gegenden eine originär antifaschistische Aufgabe. Doch es gibt keine Recherche-Gruppen, keine Demos und keine Schutz-Patrouillen. Die Opfer werden allein gelassen, die Linke interessiert sich nicht für sie.(6)
Dass in den Reden zum 70. Jahrestag Israels die deutlichste und klarste Rede für Israel und gegen Antisemitismus ausgerechnet von der AfD kam, müsste insbesondere die Linke entsetzen. Doch solange die Linkspopulisten der Bedrohung Israels nicht nur nichts entgegensetzen, sondern sie im Gegenteil sogar fördern, indem kulturrelativistisch argumentiert wird anstatt eine klare Islamkritik zu formulieren, können Rechtspopulisten innenpolitisch Erfolge erzielen, indem sie Israelsolidarität und Islamkritik simulieren. Man kann sehr begründet davon sprechen, dass der Bagatellisierung von Islamismus und linkem Antizionismus eine unverhältnismäßige Thematisierung der AfD gegenübersteht, die den realen gesellschaftlichen Machtverhältnissen nicht gerecht wird.
Alle Positionen, die von der AfD besetzt werden, gelten unter Linken als verdammungswürdig und werden mit Tabus belegt. Linken, denen es ernsthaft um so etwas wie Aufklärung oder Ideologiekritik an dieser Gesellschaft ginge, sollten den Wahrheitsgehalt von Aussagen prüfen. Stattdessen geht es der postmodernen Linken nicht darum was gesagt wird, sondern wer es ausspricht. Dies ist insofern regressiv, als dass es als bloße Feindbildsgenese daherkommt und keinerlei aufklärerischen Gehalt hat, wie bspw. eine konkrete Negation eines Beobachtungsgegenstandes. Früher galt der auf Marx bezogenen Linken mal Religionskritik als Bestandteil allgemeiner Gesellschaftskritik. Damit entlarven sich heutige Linke nur in ihrem Unvermögen materialistische Gesellschaftskritik zu formulieren, wenn Religionen wie der Islam lieber zu sakrosankten und schützenswerten Communities verklärt werden. Hinzu kommt, dass aufgrund des Appeasements gegenüber der nicht-authochtonen Religion, die der theokratischen Herrschaft ausgelieferten Individuen von einer westlichen Linken ganz sicher keine Solidarität zu erwarten haben. So halten es einstmals vernünftige Antifagruppen(7) mittlerweile für eine gute Idee, als Reaktion auf die AfD ernsthaft Kopftuchträgerinnen als positives Symbol auf ihren Flugblättern abzubilden. Statt die falsche Islamkritik der AfD als solche zu entlarven und ihr eine kosmopolitische, kommunistische Kritik entgegenzusetzen, wird der AfD lieber gleich vollständig das Feld überlassen. Die weltweit Millionen Frauen, die unter die Knute des Kopftuchs gezwungen und gezüchtigt werden, bleiben ausgeblendet. Das Rezept, einfach immer vermeintlich das genaue Gegenteil von der AfD zu tun - frei nach der infantilen Vorstellung: »wenn sie es schlecht finden, finden wir es gut« - entpuppt sich hier als nichts geringeres als eine Bankrotterklärung materialistischer Gesellschaftskritik und eine Entsolidarisierung mit Frauen, die unter dem islamischen Tugendterror leiden.
Diesen Zustand zu benennen, ist jedoch noch keine Parteinahme für die AfD. Wo hierin der unsagbare Tabubruch liegen soll, über den man auf keinen Fall diskutieren könne, ist mehr als schleierhaft. Selbstverständlich ist die AfD keine Kraft der Emanzipation, nur weil sich offen judenfeindliche Äußerungen kaum noch und sogar antisemitismuskritische Statements in der AfD finden lassen. Selbstverständlich ist es paradox, wenn Leute wie Björn Höcke, die selbst antisemitisch argumentieren, sich gegen muslimischen Antisemitismus aussprechen.
Thomas Maul hat sich in seinem Vortrag mehrmals und deutlich von der AfD abgegrenzt. Ihm zu unterstellen, er würde die AfD in seinen Ausführungen loben, ist völlig faktenresistent. Vielmehr ist eine Analyse wie Maul sie liefert, eine Voraussetzung dafür, die AfD angemessen und zielgenau bekämpfen zu können. Thomas Maul steht in der Tradition antideutscher Kritik mit der Vorstellung von Zivilisation als kosmopolitischer Aufgabe, die sich gegen die hässlichen Formen von Kollektivität, gegen Faschismus und pseudokommunistischen Antikapitalismus wendet.
Zugegeben ist Thomas Mauls nicht grundlos umstritten. Seine Polemiken schießen oft über das Ziel hinaus und sind nicht immer geeignet, eine sinnvolle Debatte anzustoßen. Auch hinsichtlich des immer wieder erwähnten #metoo-Textes gibt es berechtigte Kritik. Bei aller Kritik sollte man sich jedoch vergegenwärtigen, dass sich Mauls Texte im Kern um die Frage drehen, inwiefern viele Ausprägungen des Antisexismus hinter die Errungenschaften des bürgerlichen Rechts zurückfallen und eine tyrannische, reaktionäre Schlagseite bilden. Da er lediglich die Möglichkeit eines gegenaufklärerischen Autoritarismus aufzeigen möchte, in welchem sich der aktuelle Queerfeminismus vom universalistischen Anspruch an menschlicher Emanzipation von Herrschaft verabschiedet hat, ist der Vorwurf des Antifeminismus an dieser Stelle unangemessen und wird ihm nicht gerecht.
Doch es ist nicht nötig Thomas Maul in jedem Punkt zuzustimmen, um ihn gegen die unhaltbaren Vorwürfe und Denunziationen, die ihm in Folge der linken Empörungswelle entgegenschlugen, in Schutz zu nehmen. Durch das immer wieder hartnäckig erkenntnisresistente operieren mit offenkundigen Falschbehauptungen, sowohl vor als auch nach der Veranstaltung, sollte eine möglichst große Welle der Empörung generiert werden. Die Initiative gegen rechte Antideutsche muss sich den Vorwurf gefallen lassen, als Stichwortgeber für die Antisemiten der Initiative für eine linke Gegenkultur (»Conne Island Boycott«) gedient zu haben.
Bezeichnend für das Niveau der Diskussion ist z.B., dass die Aussage Mauls »Wenn das, was noch vor ein paar Jahren als antideutsche Kritik galt, heute ›rechtsantideutsch« genannt wird, dann bin ich eben rechtsantideutsch« im Nachgang immer und immer wieder als Beleg dafür herhalten musste, dass er sich öffentlich als Rechter und damit AfD-Sympathisant geoutet habe. Entgegen aller Fakten wurde ihm immer wieder unterstellt, Werbung für die AfD zu betreiben. Ebenso hielt sich der Vorwurf, er habe sich positiv auf Viktor Orbans Ungarn bezogen, von dem er sich noch im Zitat lossagte.
Überhaupt schien es oft so, als genügten aufgeschnappte Reizwörter, auf die sich anschließend reflexhaft gestürzt wurde, um sich - völlig entkontextualisiert und ohne sich die Mühe zu machen, das Anliegen Mauls zu ergründen - darüber empören zu können.
Die irrationalen Beißreflexe der Linken an entscheidenden Stellen zeigen nur, wie wenig ernst es ihnen mit einer materialistischen Gesellschaftskritik ist. Vielmehr geht es um die Aufrechterhaltung der eigenen Gewissheiten und Identitäten. Damit stehen sie - im schlechtesten Sinne - in linker Tradition.
knarre