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Der folgende Text dokumentiert den am 28. Mai 2018 im Conne Island gehaltenen Vortrag Zur Kritik des islamischen Antisemitismus und seiner Bagatellisierung von Thomas Maul, der im Rahmen der Veranstaltungsreihe 70 Jahre Israel. Zum weltweiten Antisemitismus und dem Objekt seiner Begierde stattfand. Dabei handelt es sich um eine Abschrift des mündlichen Vortrages, deren Veröffentlichung u.a. den Zweck hat, Behauptungen über diesen Vortrag überprüfbar zu machen. Daher hat der Autor auf die sonst übliche Überarbeitung von Vortragsmanuskripten für schriftliche Publikationen verzichtet.
Im Rahmen dezidiert proisraelischer Feierlichkeiten zu 70 Jahre Staatsgründung über islamischen Antisemitismus zu referieren, nötigt einem heute eine Zweiteilung auf. Im ersten Teil soll es daher um den islamischen Antisemitismus selbst gehen, um das, was ihn ausmacht, und Fragen seiner effektiven gesellschaftlichen Bekämpfung. Der zweite Teil wird darauf reflektieren, dass und inwiefern es gerade der islamische Antisemitismus samt seiner Rezeption durch die verschiedenen politischen Lager im gegenwärtigen Deutschland ist, der die linke Israelsolidarität zunehmend spaltet, in eine Identitätskrise treibt, in deren Verlauf die Akteure politische Prioritäten setzen, die mit einer konsequenten und bedingungslosen Israelsolidarität immer weniger zu tun haben, ja, dass sich linke bzw. linksantideutsche Selbstidentität und Selbstidentitätspflege auf der einen Seite und politische Israelsolidarität, die mehr ist als Lippenbekenntnis, auf der anderen Seite nahezu ausschließen.
I.
Zum islamischen Antisemitismus wäre gleich zu Beginn festzuhalten, dass es ihn eigentlich gar nicht gibt. Es gibt nur einen modernen Antisemitismus, keinen genuin islamischen, und es gibt moderne muslimische Antisemiten, die allerdings einige Besonderheiten aufweisen, die in der Tat etwas mit dem Islam und seiner Geschichte zu tun haben, worauf zurückzukommen sein wird. Vorerst aber zum modernen Antisemitismus für sich:
1.1 Zum modernen Antisemitismus
Moderner Antisemitismus ist bekanntlich wesentlich kein antijüdischer Rassismus, sondern eine Verschwörungstheorie, eine Welterklärung, welche die Juden zu den Drahtziehern und Nutznießern allen Übels macht, und darum darauf hinausläuft, die Erlösung der Welt an die Endlösung der Judenfrage, also die Vernichtung der Juden, zu knüpfen. Antisemitismus ist eine pathologische Krisenreaktion einzelner Subjekte und/oder ganzer Gesellschaften, die schwer aushaltbare Widersprüche (logische wie gesellschaftliche) und psychische Ambivalenzen gedanklich und zur Praxis drängend aufzulösen verspricht.
Deshalb auch ist von einem Erlösungsantisemitismus zu sprechen. Mit Freud könnte man sagen: gelingt es einer Kultur nicht, dass die negativen, negativ erlebten, Gestehungskosten des Zivilisationsprozesses, der ja immer auch Triebversagung bedeutet, mittels Sublimierung und materiellen Lebenserleichterungen von den Subjekten kompensiert werden können, entsteht ein zunächst diffuses Unbehagen an und in der Zivilisation, das unter bestimmten psychosozialen Bedingungen in antizivilisatorische Raserei umschlägt, im Fall des Antisemitismus in der Form, dass den abstrakten, überpersönlichen negativen Veränderungsprozessen ein konkretes jüdisches Gesicht gegeben wird.
Elemente davon finden sich bereits im christlichen Antijudaismus, auf den der nationalsozialistische Antisemitismus – ohne in ihm aufzugehen – daher zurückgreifen konnte. Es fehlte ihm – also dem christlichen Antijudaismus – aber noch die Geschlossenheit einer alles erklärenden Weltanschauung und damit auch der Anspruch, die negative Totalität einer Gesellschaft zu erfassen. Was wiederum damit zusammenhängen könnte, dass es so etwas wie gesellschaftliche Totalität im engeren Sinne noch gar nicht gab. Erst der die feudale Epoche ablösende Kapitalismus wird ein zentrales und gewissermaßen totales, tendenziell imperiales, sich globalisierendes Vergesellschaftungsprinzip installieren: den Wert, der als Geld erscheint, das unpersönlich und abstrakt die Welt regiert. Im Kommunistischen Manifest schreiben Marx und Engels:
»Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose bare Zahlung«.
Sobald die Juden mit der realen gesellschaftlichen Synthesis irreal identifiziert sind, wird der Antisemitismus Antikapitalismus, inszeniert er sich als fundamentale Gesellschaftskritik, lässt sich die antisemitische Bewegung kennzeichnen als: negative Aufhebung des Kapitalverhältnisses auf seiner eigenen Grundlage.
Dabei hat die seit der Antike nahezu überhistorische Persistenz, mit der sich antizivilisatorisches Unbehagen an die Juden haftet, durchaus Anhaltspunkte in der Realität, die sie nicht rational rechtfertigen, aber erklären, dass und warum es historisch eben nicht zufällig ist, dass immer wieder die Juden als Objekt fürs Ressentiment herhalten. Wenn nämlich der klassische Nazi nicht nur den äußeren Juden verfolgt, sondern immer auch den Juden im Innern, die Verjudung des eigenen selbst bekämpft, dann reagiert dies verschroben darauf, dass der Prozess der Zivilisierung Europas in vielerlei Hinsicht tatsächlich eine Judaisierung ist, eine Verallgemeinerung des Judentums, weshalb eben auch Freud den christlichen Antijudaismus als heidnische Abwehr der Christianisierung (und das Christentum kommt vom Judentum) begriffen hat, also christliche Judenhasser als schlecht getaufte Heiden, die unter eine dünnen Tünche Christentum geblieben seien, was ihre Vorfahren waren: polytheistische Barbaren.
Das Problem ist also nicht die Identifikation von Juden und Judentum mit der Zivilisation oder der Moderne für sich – gegen die man als Antisemitismuskritiker dann anders als Marx, Freud und Adorno den Juden ihren besonderen und entscheidenden Beitrag zur Zivilisation abzusprechen hätte. Das Problem ist die Zivilisationsfeindschaft, die ihrerseits im Misslingen von Zivilisation gründet, das seinerseits im Kapitalismus insofern notwendig beschlossen liegt, als dieser als spezifische Form von Herrschaft und Ausbeutung das Glück, das er immerhin verspricht, kategorisch dementieren muss.
Adorno war daher, was die Bekämpfung des Antisemitismus betrifft, äußerst skeptisch. Nicht in Hinblick auf die Notwendigkeit, den Kampf zu führen, sondern in Hinblick auf seine Erfolgsaussichten. Einerseits läge begründete Hoffnung, den Antisemitismus ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen, allein darin, seine Bedingung, seinen Grund zu beseitigen, also in der kommunistischen Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft, welche das bürgerliche Glücksversprechen einlöst, eine versöhnte Gesellschaft, in der alle gut leben und ohne Angst verschieden sein können, eine Gesellschaft, die, nach Freud, von den Menschen nicht mehr Triebverzichte verlangte, als unbedingt nötig, und die verbleibenden nötigen belohnt, praktisch als lohnend erfahrbar macht. Andererseits ist dahingehende Praxis zum einen verstellt, was nicht nur am Zustand der Linken inkl. ihrer israelsolidarischen Sektion liegt, zum anderen dürfe das Falsche des jetzigen Ganzen ohnehin nicht zur Ausrede werden, sich dem Antisemitismus im Hier und Jetzt nicht in den Weg zu stellen. Fürs Hier und Jetzt schlägt Adorno zwei im Grunde pädagogische Strategien, eine kurzfristige und eine langfristige, vor.
Kurzfristig muss manifesten antisemitischen Charakteren, bei deren Persönlichkeitsentwicklung die Würfel erst mal gefallen sind, wo sie öffentlich mit Worten und Taten hervortreten, mit aller staatlichen oder sonstigen Gewalt, d.h. autoritär und repressiv begegnet werden, nicht (wie Adorno sagt) aus Strafbedürfnis, sondern weil autoritäre Gewalt die einzige Sprache ist, die der Autoritäre versteht und – wenn auch widerwillig – respektiert. Langfristig wäre mittels quasi antiautoritärer Erziehung schon der Entstehung autoritärer Charaktere in der frühen Kindheit vorzubeugen bzw. entgegen zuwirken.
Die Grenzen beider Strategien liegen darin, dass – wie Marx sagen würde – der Erzieher ja selbst erzogen werden müsste, dass, anders ausgedrückt, diejenigen, die antiautoritär erziehen und autoritär Grenzen setzen sollen, ja selbst innerhalb des falschen Ganzen sozialisiert werden. Auch sie erfahren und exekutieren die gesellschaftliche Kälte, legen sich die seelische und körperliche Verhärtung zu, die einerseits nötig ist, um im Konkurrenzkampf aller gegen alle zu bestehen, und andererseits gleichzeitig eine gewisse Gleichgültigkeit gegen das Schicksal anderer mit sich bringt. Für den Erfolg des Vernichtungswerks einer Minderheit autoritärer Sadisten, Folterer und Bürokraten reicht eben jene eingeübte Gleichgültigkeit und das Wegsehen einer selbst unter Umständen sogar für sich ressentimentfreien Mehrheit aus. Weshalb sich Auschwitz immer wiederholen und Ähnliches geschehen kann, ja, Ähnliches nach Auschwitz bereits geschehen ist: die Völkermorde in Ruanda und Sudan z. B., und Ähnliches zuvor stattgefunden hatte: wie ja der orientalische Völkermord an den Armeniern Hitler explizit als Blaupause der Judenvernichtung galt.
Unter anderem deshalb ist mir völlig schleierhaft, was so skandalös daran sein soll, den Nationalsozialismus als Orientalisierung des Abendlandes zu bezeichnen. Originell ist es jedenfalls nicht. Klaus Mann schon hat dessen Heraufkunft als Zeitgenosse mit den drei Worten gefasst: »Die Perser kommen.« (Was den vor- und nicht-islamischen Persern sicher unrecht tut, im Allgemeinen aber das richtige meint…)
Mit dem Staat Israel jedenfalls haben die Juden ihre Sicherheit unabhängig gemacht vom guten oder schlechten Willen anderer, die Konsequenz daraus gezogen, dass die Judenvernichtung die ewige Krisenlösungsmöglichkeit kapitalistischer Vergesellschaftung sein wird. Darum werden die Juden ihren Staat und seine Grenzen auch dann schützen, wenn das deshalb als politisch »rechts« gilt, weil Linke den Staat, die Grenzen, die Nation und den Nationalismus nicht mögen. Angesicht der internationalen antisemitischen Israelfeindschaft von braun, rot oder öko- wie islam-grüner Seite und des Appeasements von Feiglingen oder Gutmenschen ist es zu begrüßen, dass Israel im Besitz von Atombomben ist. Denn damit ist zumindest theoretisch ausgeschlossen, dass die Welt einem zweiten Holocaust zusehen könnte, ohne dabei und davon selbst in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Ja, in diesem Sinne hängt die Idee der Menschheit am israelischen Besitz der Atombombe.
Soweit zum modernen Antisemitismus und dem Staat Israel als sicheren Zufluchtsort für verfolgte Juden, dessen Gründung bereits vor dem Holocaust mehr als legitim gewesen wäre.
1.2. Zum islamischen Antisemitismus
Über einen vormodernen islamischen Antisemitismus muss man nicht lange reden. Die frühen Muslime haben Juden und Christen, da wo sie herrschten, in der Institution der Dhimmitude gegenüber Polytheisten privilegiert und dem Islam gegenüber erniedrigt, mit Sondersteuern, Sonderkleidung, dem Verbot, Waffen zu tragen und sich zu verteidigen. Auch antijüdische Pogrome hat es in den Kalifatsgeschichten immer wieder mal gegeben. Juden tauchen im klassischen islamischen Schrifttum als Schriftverfälscher sowie mitunter Affen und Schweine auf, ein paar jüdische Stämme sollen während der Konstitutionsphase des Islam vernichtet worden sein. Im Großen und Ganzen speiste sich islamische Judenfeindschaft daher jahrhundertelang aus einem Gefühl der Überlegenheit, als Hass von Herrenmenschen auf von ihnen gedemütigte und geschwächte gesellschaftliche Minderheiten. Wenn überhaupt existent, waren Verschwörungstheorien fürs islamische Bewusstsein in der sogenannte islamischen Blütezeit kaum von Bedeutung. Dies ändert sich mit der Moderne, bzw. tatsächlich mit ihrem Einbruch in den Orient.
Dazu muss man wissen, dass der Islam, wie keine andere Religion und als zentrale Vergesellschaftungsideologie oder Kulturpräge-Instanz die Frage der eigenen Wahrheit an die Frage der Macht, kriegerische Erfolge, expansive Kraft, die Größe des Einflussgebietes und politischen Reiches gekoppelt hat. Der Islam ist wahr, weil und soweit er triumphiert.
Die Moderne nun bescherte ihm aber eine Niederlage auf ganzer Linie. Mit dem Ende des Osmanischen Reiches brach das letzte Kalifat – selbst schon nicht mehr arabisch, sondern türkisch – zusammen, und auch vorher schon war man den europäischen Kolonisatoren militärisch unterlegen. Auch seit deren Abzug kriegt man so gut wie nichts auf die Reihe, sondern erweist sich in jeder Hinsicht: militärisch, wirtschaftlich, geistig-kulturell als impotent, fast überall herrschen jenseits dünner Schichten von reichen und halbwegs gebildeten Clanführern Armut und Analphabetismus, Elend, Ödnis und rassistische wie misogyne Sklaverei. Daraus hätte folgen können, dass der Islam und sein Anspruch, das gesellschaftliche Leben politisch zu durchdringen, abgewirtschaftet haben, also ein Umbau der traditionellen Lebensweise anstünde.
Diese Schlussfolgerung hatte in liberaler Gestalt immer zu wenig Anhänger unter den Moslems, um sich festzusetzen, und hatte letztlich auch in der autoritären Variante (also Atatürk in der Türkei und der Schah in Persien) keinen Erfolg. Der Islamismus beantwortet die islamische Identitätskrise anders. Der offenkundige Verfall islamischer Gesellschaften liege am Abfall der Gläubigen vom Islam, an der Lockerung und Verlotterung traditioneller Sitten, weshalb ihre Re-Islamisierung als Losung und Lösung ausgegeben wird. Da dies – von außen betrachtet – heißt, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, haben wir es mit einer sukzessiv eskalierenden Krisenspirale zu tun, an deren konsequentem Ende Tugendterror und Selbstmordattentat stehen.
Zudem kam die Krise, bzw. die sie vermittelnde Moderne nicht nur eingebildet, sondern tatsächlich von außen in die islamische Welt, wobei deren Erfolg nicht mit rechten Dingen vor sich gegangen sein kann. Der eigentlich überlegene Islam war danach nur besiegbar, weil übermächtige, jenseitige Kräfte wie der Teufel (später: der kleine und der große Satan) ihre Hände im Spiel gehabt haben müssen. Soll heißen: der Widerspruch zwischen angemaßter Omnipotenz und realer Impotenz ist der Nährboden rein formal schon für verschwörungstheoretisches Denken, und inhaltlich für den quasi Import des modernen europäischen Antisemitismus im Orient.
Diese Prozesse haben sich bereits vor, während, aber kausal zunächst vollkommen unabhängig von zionistischen Aktivitäten in Palästina herausgebildet. Zwar hat es irgendwann durchaus auch ein reales Moment, dass die Juden in Palästina den Arabern als Träger von Moderne und Modernisierung oder Zivilisierung, als Urbarmacher zuvor nutz- und wertloser Landstriche erscheinen, doch ist ja gerade die Ablehnung dieser Prozesse als zivilisationsfeindliches Ressentiment das Problem. Womit ich sagen will: Es ist nicht so, dass sich anfangs zwei gleichlegitime gegensätzliche Interessen als Konflikt um Land gegenübergestanden hätten und der Konflikt irgendwann ein mal antisemitisch überformt worden wäre. Die arabische Ablehnung des Zionismus, die selbst nicht von Anfang an und dabei sowieso nicht hegemonial gegeben war, war die antisemitische, antimoderne Alternative zur vernünftigen, verhältnismäßig konfliktfreien Zusammenarbeit zwischen Juden und Arabern, die anfangs noch gegeben war.
Es ging den judenfeindlichen Arabern also nicht mal um übertrieben aggressives Nationbuilding, sondern um die Verhinderung moderner Nationalität in jeder Form, um nichts als antimodernen und antibürgerlichen Antinationalismus also, für den man des Bündnis mit dem Nationalsozialismus suchte. Zu Beginn wurde arabischerseits ein palästinensischer Staat nicht nur instrumentell abgelehnt, um einen israelischen zu verhindern, dessen Territorium Teil des eigenen Staates hätte sein sollen, sondern auch, weil man für sich selbst gar nicht in den Kategorien eines modernen Nationalstaates dachte, mit dessen politischer Form sich die umliegenden Araber ja ebenfalls bis heute nicht recht anfreunden können, und den auch die Türkei seit Jahren demokratisch demontiert.
1.3 Spezifika der islamischen Identitätskrise
Ich möchte nun ein paar Besonderheiten der Krise islamischer Subjekte und islamischer Gesellschaften kurz umreißen. Der Kapitalismus und noch die oberflächlichste Einbindung islamischer Gesellschaften in den Weltmarkt bedeuten und drohen zumindest mit der Zersetzung der patriarchalen, idyllischen Verhältnisse, wie es ja schon bei Marx und Engels heißt. Das Besondere der Verlaufsform der Krise des islamischen Patriarchats bzw. das Spezifische der pathologischen Krisenreaktion auf Basis dieses Patriarchats hat nun etwas mit den Besonderheiten eben dieses Patriarchats selbst zu tun. Dabei ist die Frage, wie eine Gesellschaft das Geschlechterverhältnis regelt und durch Formen der Triebregulation entroht, dem Naturzustand entfremdet, eben kein Nebenwiderspruch, sondern zentral und entscheidend für die Reproduktion der jeweiligen Gesellschaft als solcher. Typisch für Patriarchate im Allgemeinen ist die Tabuisierung sexueller Verhältnisse außerhalb der Institution der Ehe, weil die Verpflichtung der Frau zur außerehelichen Keuschheit die männliche Vererbungslinie gewährleistet. Besonders am islamischen Patriarchat ist nun, dass für männliche Triebversagung nicht die Männer, sondern die Frauen verantwortlich sind.
Das meint innerhalb der Ehe, dass die Frau dem Ehemann permanent als Objekt seiner Triebabfuhr zu dienen hat, weil das 1. hilft, ihn davor zu bewahren, seinen Trieb außerehelich abzureagieren, 2. frei und ausgeglichen für die Belange der Spiritualität macht und 3. Nachkommen produziert, welche die Macht der Umma vergrößern. Außerhalb der Ehe heißt es, dass die Frau sich für alle anderen Männer als soziales und geschlechtliches Wesen unsichtbar zu machen hat, das heißt, sofern sie überhaupt am öffentlichen Leben teilhaben darf, dies nur verschleiert. Im Umkehrschluss verführen nicht verschleierte Frauen zu ihrer Vergewaltigung und außerehelichem Sex und drohen mit derartigem Verhalten, Unruhe in die Umma zu bringen, zu deren Unterbindung der Ehrenmord allein schon bei Gerücht an ihnen verübt wird. Diese Logik entspringt nicht, wie mir von Linken häufig unterstellt wird, einer verallgemeinernden von mir betrieben Koranexegese, sondern sie wird von materiellen Institutionen und Diskursen, also Dispositiven, exekutiert, praktisch wirksam. Der Koran und seine Exegese haben damit nur insoweit zu tun, als sich das islamische Recht, die Scharia, die in nahezu allen Staaten mit islamischer Mehrheitsbevölkerung die Grundlage des dort jeweils herrschenden konkreten Familienrechts bildet, eben darauf bezieht.
Heiratsrecht, Scheidungsrecht, Mehr-Ehe, Kurz- und Stundenehe, Kinderehe, staatlich-offizielle oder familiäre staatlich geduldete oder geförderte Bekleidungsvorschriften für Frauen, Genitalverstümmelungen, Jungfrauenkäfig, Körperstrafen bei Unzucht, Ehrenmorde, das sind Praktiken, ganz materielle, die zum Tragen kommen, und dort, wo sie zum Tragen kommen, mit Koran und Sunna begründet werden. Dieser kulturelle Imperativ, dieses kulturelle Dispositiv, das ich patriarchalen Phallozentrismus nenne, in dem Sinne, als sich alles um die Potenzförderung des Mannes dreht, eben die Verantwortung fürs islamkonforme Verhältnis von männlicher Triebversagung und männlicher Triebabfuhr den Frauen aufgebürdet wird, eine Macht, die in der Unterdrückung als Gratifikation wiederum von Frauen und übrigens auch sexuell durchaus begehrt werden kann, was sie nicht nur zu Opfern, sondern auch Überzeugungstäterinnen an Töchtern und Söhnen macht, dieser Phallozentrismus ruht auf dem ehelichen Tauschgeschäft weiblicher Gehorsam gegen männlichen Unterhalt.
Es müsste daher einsichtig und leicht verständlich sein, dass dieses System spätestens dann in die Krise kommt, wenn junge Männer z.B. vermittelt über Massenarbeitslosigkeit unter ihnen nicht mehr an die materiellen Mittel gelangen, sich eine Ehe zu leisten, zugleich aber desto verbissener an der überkommenen Sexualmoral festgehalten wird. Das bedeutet, dass schon geringste Normabweichungen viel härter abgestraft, Normen viel rigoroser und konsequenter durchzusetzen versucht werden, als in Zeiten, in denen die herkömmliche Triebregulation sich nicht grundsätzlich in und durch Praxis in Frage gestellt sah.
Jede unzureichend oder gar überhaupt nicht verschleierte und desexualisierte Frau wird jetzt zur Bedrohung der männlichen Regelkonformität, zur Verführerin zur Übertretung, zur Verbündeten des Satans, zur vom Juden angestachelten Bedrohung der Umma. Dabei wird auch der eigene männliche Körper mit seinen »natürlichen« Bedürfnissen und in seiner Verführbarkeit zum Problem. Darum wird in den Amokläufen gegen unbotmäßige Frauen, Schwule, Juden, Christen oder schlicht Westler, also die verführerische Dekadenz, die sexuelle Nonkonformität, die sie aus Sicht des frommen Moslems leben und propagieren, der eigene Tod immer mit einkalkuliert oder gar von vornherein ausdrücklich gesucht. Wenn der Märtyrertod, die Selbstentleibung vom unreinen Körper für viele am Ende damit belohnt wird, grenzenlosen Sex mit 72 sich nach jedem Akt wieder erneuernden Jungfrauen haben zu können, steht dies eben einerseits für die negative Aufhebung des traditionellen Phallozentrismus auf seiner eigenen Grundlage, bzw. andererseits die pervers-sexuelle Dimension des Wahns, dass der jenseitige Lohn des irdischen Kampfes im Zerrbild dessen bestehen soll, was irdisch bekämpft wird.
Ohne mit Folgendem ein Ranking des Bösen aufstellen zu wollen, kann man nur durch Reflexion auf das archaisch-traditionelle Geschlechterverhältnis fassen, dass und inwiefern sich die Raserei der Islamisten viel offener – also ohne Vermittlung und Vertuschungsversuche – zur sadistischen Bestialität bekennt als das nationalsozialistische Vorbild. Die nationalsozialistische Orientalisierung des Abendlandes war ein Sprung in der Zivilisation aus der Zivilisation und inmitten der Zivilisation. Da jene Zivilisationsstufe im und vom Orient nie erklommen worden war, sind die Hemmschwellen zur unmittelbaren und rohesten Gewalt in der Masse viel niedriger, weshalb unter ihr gerade mit der Blutrünstigkeit erfolgreich geworben werden kann.
Es ist dann geradezu lächerlich, wenn die exzessiven Übertötungen in den zuletzt bekannt gewordenen Fällen von Ehrenmorden als Eifersuchts- und Beziehungsdramen rezipiert werden. Es mag im einen oder anderen Täter ein individual-psychotischer Mord- und Blutrausch wirksam gewesen sein, man sollte aber nie vergessen, dass die Täter sich häufig auch als öffentlich strafende Richter sehen, die anderen unbotmäßigen Frauen signalisieren wollen, was ihnen blüht.
Es gibt drei ganz konkrete Personengruppen, die in den letzten Jahren verstärkt mittels körperlicher Gewalt (bis zum Gewalt-Exzess und bestialischen Mord) von muslimischen Männern – mitunter in aller Öffentlichkeit – attackiert werden: Juden, Frauen und Schwule, abstrakter sind auch ganz allgemein Christen oder westliche Zivilisten das Ziel von Terroristen.
1.4. Ein realpolitischer Vorschlag
Als Islam- und Integrationsproblem war eine substantielle Herausforderung des bürgerlichen Lebens in steigendem Maße längst gegeben, bevor Merkels Flüchtlingspolitik die Sache noch verschärfte. Und zwar nicht hauptsächlich, weil Terroristen unkontrolliert die Grenzen überschreiten konnten oder weil ein paar hunderttausend Menschen, die der Gesellschaft, in die sie migrieren, feindlich gesonnen sind, für sich ein großes unlösbares Problem wären. Sondern, weil schon prinzipiell, wie sich bereits bei Hannah Arendt findet – Jan Gerber hat das bei der Bahamas-Konferenz im Mai ausgeführt, was in der kommenden Bahamas nachzulesen sein wird –, Flüchtlinge einen desintegrierenden Effekt auf nur halb- oder schlecht integrierte Migranten früherer Jahre und Jahrzehnte, die dem selben Kulturkreis entstammen, ausüben können. So wächst die islamische Gegengesellschaft nicht nur durch islamistische Flüchtlinge selbst, sondern auch durch sich von der Mehrheitsgesellschaft im Zuge von Selbstethnisierung und Selbstislamisierung lösende Migranten arabischer und türkischer Herkunft. So verstärkt eine verfehlte Flüchtlingspolitik eine seit nun fast Ewigkeiten verfehlte Integrationspolitik, bei der eine eindeutige Idee davon, in was überhaupt zu integrieren wäre, immer mehr abhandengekommen ist.
Zwar bin ich durchaus der Meinung, dass man über Maßnahmen wie restriktivere Grenzkontrollen, Abschiebung von bestimmten Personengruppen, Rückkehr zum individuellen Asylrecht in Kombination mit Einwanderung nach Kriterien, Videoüberwachung, Grenzpollern auf Weihnachtmärkten, Effektivierung von Geheimdienst- und Polizeiarbeit und dergleichen mehr – sagen wir mal – rechtspopulistische Themen auch nüchtern diskutieren könnte, ohne automatisch sogenannte Nazi-Diskurse zu bedienen, doch war dies meine Sache nachweislich nie – und ist es heute auch nicht.
Der einzige realpolitische Vorschlag, in den meine Islamkritik immer nur gemündet ist, war und ist das Kopftuchverbot für Schülerinnen bzw. ein Kopftuchverbot in allen staatlichen Behörden. Meine Argumente dafür waren immer eher traditionell links, soll heißen im vernünftigen Sinn antirassistisch und feministisch, weil es hier um die Bürgerrechte von Migrantinnen geht, die vom Kopftuch individuell praktisch und gesellschaftlich symbolisch, aggressiv und werbend verletzt werden. Weil es jede Erziehung von einheimischen wie migrantischen Mädchen wie Knaben zu sexuell selbstbestimmten Bürgern unterläuft und konterkariert, wird das Kopftuch an Mädchen während dieser Unterrichtung geduldet. Da das islamistische Racket nicht nur Mädchen und Frauen, sondern auch liberale Väter und Mütter unter Druck setzt, so mein Argument, würde ein staatliches Verbot auch in innerislamischen Kämpfen die Richtigen unterstützen und nicht wie jetzt die Falschen. Da sich das ganze islamische Sexualitätsdispositiv samt Ehrbegriff symbolisch und praktisch im Kopftuch verdichtet, wäre das Kopftuchverbot ein erster und entscheidender Schritt zur Auflösung des fatalen Zusammenhangs von Ehre und Scham, damit also auch zur Vermeidung einer spezifischen Identitätskrise, die sich in spezifischen Krisenlösungsstrategien manifestiert. Ich sage nicht, dass damit alle Probleme von heute auf morgen mit einem Schlag gelöst wären, ich sage nur, dass das der Beginn wäre, langfristig zu einer nicht-islamistischen Sozialisation, zum Abbau einer Gegengesellschaft zu kommen, und deutlich zu machen, worin die hiesige Gesellschaft ihre eigenen wesentlichen Errungenschaften sieht.
Soweit also zum ersten Teil, in dem ich versucht habe, auf Besonderheiten muslimischer Antisemiten hinzuweisen, was das Bewusstsein bzw. die Krisenverarbeitung und die Äußerungsformen betrifft, die für Juden quantitativ und qualitativ im Moment bedrohlicher sind als diejenigen klassisch rechter Antisemiten, in dem ich auf den Zusammenhang zwischen islamischem Juden- Frauen- und Schwulenhass verweisen wollte, der in der Krise eines bestimmten Patriarchatstyps gründet, und dass man das Ganze vor allem anderen integrationspolitisch beantworten müsste, und zwar mit Bezug auf unteilbare Bürgerrechte.
II.
Den zweiten Teil beginne ich mit zwei Reden, die im Deutschen Bundestag gehalten wurden, und denen ich in der Sache weitgehend zustimmen muss. Die erste stammt vom 18. Januar 2018 – verhandelt wurde die Installation eines Antisemitismusbeauftragten –, die zweite vom 26. April 2018: Hier ging es offiziell darum, die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel anlässlich des 70. Jubiläums der Staatsgründung zu bekräftigen und zu intensivieren.
Die erste Rede ging so:
»Antisemitismus in jeder Form ist eine Schande, und Antisemitismus ist ein Angriff auf unsere jüdischen Bürger. Es ist ein Angriff auf die Grundlagen unserer westlichen Zivilisation. Diese Zivilisation steht auf einem jüdisch-christlichen Fundament. Der vorliegende Antrag betont richtigerweise, dass Antisemitismus in allen politischen Lagern zu finden ist. Wir in Deutschland haben aufgrund unserer Geschichte eine ganz besondere Verantwortung, und zu dieser bekennen wir uns ausdrücklich. Zu unserer besonderen Verantwortung gehört es aber auch, vor der neuen Qualität antisemitischer Angriffe in Westeuropa nicht die Augen zu verschließen. Hilfreich ist dabei der zweite Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus. Im Auftrag des Bundestages hat dieser Kreis antisemitisch motivierte Straftaten untersucht und dazu Juden in Deutschland befragt. Ich zitiere: Gefragt ›Was war das für eine Person oder Gruppe, von der die ... Tat ausging?‹, wird die Kategorie ›eine muslimische Person/Gruppe‹ ... weitaus am häufigsten genannt, gefolgt von ›mir unbekannte Person‹, erst dann folgen in gleicher Quantität linksextreme und rechtsextreme Personen/Gruppen. Dass polizeiliche Statistiken dies nicht abbilden, mag ein Beispiel aus Berlin vom 25. Juli 2014 erklären: Nationalsozialistische Parolen der schiitischen Hisbollah gegen Träger von Israel-Fahnen am Rande des Al-Quds-Marsches wurden in der ›PMK-rechts‹, also als rechtsextrem, erfasst. Meine Damen und Herren, machen wir uns ehrlich: Statistiken, die Straftaten islamistischer Terrormilizen als rechte Kriminalität erfassen, sind unbrauchbar. Sie verschleiern, aber irgendwann holt die Realität einen ein. In Frankreich zum Beispiel ist die Realität schon eine andere: Seit dem Jahr 2006 sind insgesamt 40000 Juden aus Frankreich allein nach Israel ausgewandert. Sie sind geflohen vor Terror und den tagtäglichen Übergriffen und Bedrohungen. Es sind Flüchtlinge, über die niemand spricht, weil sie vor Muslimen flüchten. Das ist die Gegenwart in Frankreich. […] Es sind natürlich nicht alle Muslime, von denen dieser Terror gegen Juden und Andersgläubige ausgeht, aber es sind bei weitem zu viele. Wenn in Deutschland Israel-Fahnen verbrannt oder jüdische Schüler von ihren Mitschülern gemobbt werden, wenn jüdische Bürger sich davor fürchten müssen, öffentlich die Kippa zu tragen, oder Einrichtungen von der Polizei überwacht werden müssen, dann ist das nicht hinnehmbar. Aber es geht ja auch anders...«
Jetzt wird’s komisch, aber ich lese es trotzdem noch mit:
»… Ich war im letzten Mai in Ungarn, wo ich ein jüdisches Zentrum besucht habe. Das musste nicht von der Polizei geschützt werden. Die Türen standen offen, die Kinder spielten auf der Straße, die Jungs trugen Kippa. Viktor Orban will, dass das so bleibt. Das erklärt auch seine Haltung in der Flüchtlingsfrage. Er hat eine Nulltoleranzpolitik gegen Antisemitismus angekündigt. Deswegen erhält Ungarn auch die Unterstützung von Israel. […]«(1)
Ich zitiere aus der zweiten Rede:
»Wir begrüßen, dass sich die Bundesregierung in ihrem Antrag dem Existenzrecht Israels verpflichtet erklärt und dazu bekennt. Das allerdings wäre glaubwürdiger, wenn die Bundesregierung nicht gleichzeitig mit Millionen von Steuergeldern Judenhass und Israelfeindschaft im Nahen Osten mit deutschen Steuergeldern finanzierte. Die UNRWA, das umstrittene UN-Hilfswerk für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten, ist im Gazastreifen praktisch ein Teil der Infrastruktur der Hamas. In den UNRWA-Schulen wird das Existenzrecht Israels konsequent geleugnet. Auf Karten der UNRWA-Schulbücher existiert der Staat Israel nicht; Israel erscheint nur mit der Palästinenserflagge, und Städte wie Tel Aviv sind gar nicht verzeichnet. Märtyrer, also Terroristen und Selbstmordattentäter, werden als Helden verklärt. UNRWA-Lehrer aus dem Gazastreifen, aus Syrien und Libanon feiern die zehn besten Zitate von Adolf Hitler auf Facebook; sie leugnen den Holocaust und fordern öffentlich: Tötet die Siedler! – Das sind nur wenige von Dutzenden Beispielen, die UN Watch zusammengestellt hat. Wer sich also fragt, woher der Hass gegen Juden und gegen Israel kommt, der hat hiermit die Antwort: Daher kommt er – mitfinanziert von deutschem Steuergeld. Während Donald Trump die Zahlungen deswegen eingefroren hat, hat die Bundesregierung die deutschen Zahlungen immer weiter aufgestockt. Seitdem die Bundeskanzlerin amtiert, sind die Zahlungen von 3 Millionen Euro auf 80 Millionen Euro gestiegen. Wir lehnen das ganz klar ab. Martin Klingst hat am 22. Januar 2018 in der »Zeit« geschrieben: UNRWA ist zu einer Krake geworden. Gegründet, um ein drängendes Problem zu lösen, ist das Hilfswerk inzwischen selber ein Problem.
Das Wegschauen der Bundesregierung hat gravierende Folgen. Die Radikalisierung durch die Indoktrinierung in den UNRWA-Schulen trägt traurige Früchte. Der Gründer der Bewegung ›Marsch der Rückkehr‹, Issam Hammad, hat angekündigt, dass Millionen von UNRWA-Flüchtlingen im Mai an die israelische Grenze marschieren werden. Falls Israel seine Grenzen schützt, droht Hammad mit einem – wörtlich – ›Dritten Weltkrieg‹. Die Zukunft Israels hängt von dem Schutz seiner Grenzen ab. Eine Welt offener Grenzen ist mit dem Existenzrecht Israels nicht vereinbar. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, halten Sie nicht nur Sonntagsreden! […] Hier gilt das besonders. Sie können nicht einerseits mit großen Worten den Antisemitismus beklagen und andererseits gleichzeitig 80 Millionen Euro an diejenigen geben, die Israel von der Landkarte fegen wollen. Frau Bundeskanzlerin […]. Das ist vollkommen verlogen. Folgen Sie Donald Trump, stellen Sie alle Zahlungen an die UNRWA so lange zurück, bis sichergestellt ist, dass kein Cent mehr für Judenhass ausgegeben wird oder an Hamas-Terroristen fließt! Das Existenzrecht Israels ist an dieser Stelle nicht abstrakt; es ist sehr konkret. Die Welt wird Sie daran messen und wir auch.«(2)
Diese Reden machen bis auf wenige Abstriche und in den wesentlichen Punkten den Eindruck, als hätten Alex Feuerherdt oder Stephan Grigat einige ihrer wichtigsten Interventionen der letzten Jahre in Politikerdeutsch übersetzt und sich als Redenschreiber betätigt, auf dass mal irgendetwas, von dem durchaus wichtigen, was sie ja sagen, auch im Bundestag ankomme. Dem war nicht so. Es ist auch nicht so, dass es Sebastian Voigt und dem Bak-Schalom gelungen wäre, die Linkspartei insgesamt oder auch nur deren Bundestagsfraktion auf konsequent israelsolidarischen und antisemitismuskritischen Kurs zu bringen. Deshalb stammen die Reden von Beatrix von Storch von der AfD und die ganze Fraktion hat dazu applaudiert. Und Reden wie diese stellen keine Ausnahme dar, die entsprechende Rede Gaulands war ja auch in Leipzig schon im Gespräch. Vor Einzug der AfD hat es solche proisraelischen und antisemitismuskritischen Reden im Deutschen Bundestag nicht gegeben, schon gar nicht von der jeweiligen ganzen Fraktion geteilt.
Die wichtigen Punkte:
1. Antisemitismus ist ein Angriff, der zwar einerseits ganz konkret und ausschließlich Juden meint, darin zugleich aber auch auf die Grundfesten der Zivilisation zielt, die jüdisch-christlich ist, und damit jeden Bürger bzw. dessen Ordnung im Visier hat, weshalb der Kampf gegen Antisemitismus
2. nicht allein paternalistisch zum Schutz von Juden als einer Minderheit neben anderen, die eben besondere Probleme hat, zu führen ist, sondern Aufgabe jeden Bürgers, auch um seiner selbst willen.
3. Für das größte antijüdische Gewaltpotential stehen keine autochthonen Rechtsradikalen, mit denen antiisraelische Linksradikale ohnehin gleichgezogen sind, sondern Moslems. 80 Prozent derer, die körperlich angegriffen wurden, gaben an, dass die Täter einen mutmaßlich muslimischen Hintergrund haben.
4. Mit anti-antisemitischen und proisraelischen Lippenbekenntnissen, mit jeder Form des Fatalismus und mit Heuchelei wäre endlich Schluss zu machen, und es ist dies möglich, wenn man sich zu passenden politischen Konsequenzen und Handlungen durchringt, was freilich einen entsprechenden Willen voraussetzt.
Zum letzten Punkt weiß ich natürlich, dass Ungarn und Orban nicht wirklich gute Beispiele sind. Dass die ungarische Haltung zur Flüchtlingsfrage vorwiegend in Antisemitismusabwehr gründet, darf bezweifelt werden. Der Hinweis aber darauf, dass das Judentum in osteuropäischen Ländern viel offener und sichtbarer gelebt wird als in Deutschland und jüdische Einrichtungen anders als in Deutschland nicht unter permanentem Polizeischutz stehen müssen, ist in jedem Fall richtig und gerade in Deutschland wichtig, weil man die Notwendigkeit von Polizeischutz für jüdische Einrichtungen hier als nicht-veränderbare Realität fatalistisch hinnimmt, also gar nicht mehr als Ziel verfolgt, und darüber diskutiert, dass dies auch mal anders sein könnte, und wie man es hinkriegte, dass es einmal anders ist, und gleichzeitig spielt man sich als Moralapostel gegenüber Osteuropa auf.
Dass man bezogen auf Israel dem Beispiel Trump folgen könnte, also alle Gelder für die UNRWA einfriert, oder mit der Botschaft nach Jerusalem umzieht, wäre in der Tat das Mindeste, was einzufordern ist, sollen israelsolidarische Bekenntnisse von Politikern ernst genommen werden, die zu entsprechenden Maßnahmen ja durchaus die Macht hätten. Ich komme zum Schluss.
Die Linken in der Israelsolidarität, welche versucht haben, eben die Israelsolidarität in den klassischen Antifaschismus zu integrieren, machen jetzt auch und gleichzeitig auf klassischen Antifaschismus gegen die AfD, und damit gegen die einzige israelsolidarische, antisemitismuskritische und – zumindest, was das muslimische Patriarchat betrifft – patriarchatskritische Partei, weil sie zum völkischen Popanz aufblasen, was schlimmsten Falls dem Stand der CSU von vor 20 Jahren entspricht, und dazu arbeiten sie wieder offiziell oder informell mit jenem Linkskartell zusammen, was für die Erfolge der AfD verantwortlich ist, und dessen Proislamismus und Antiisraelismus ja in erster Linie anzuprangern wäre. Das einzig halbwegs Konsistente dabei ist der positive Bezug aufs Wörtchen »links«. Ansonsten aber führt das Beharren auf linke Identität eben auch bei Linksantideutschen dazu, dass Israelsolidarität entweder nichts Prioritäres mehr hat oder inkonsistent und widersprüchlich wird. Zumindest will es mir nicht einleuchten – und das ist mein Schlusswort –, warum es eine vernünftige Strategie sein soll, mit linken Antisemiten gegen die rechte Israelsolidarität zu kämpfen.
von Thomas Maul