• Titelbild
• Editorial
• das erste: Abschied ohne Tränen.
• Lebanon Hanover × Selofan
• Converge + Crowbar
• Terrorgruppe
• No-Crap-Flohmarkt
• Kritische Theorie des Antizionismus.
• Turbostaat - Nachtbrot
• Zur Aktualität von Johannes Agnolis Transformation der Demokratie
• Blumfeld
• Jimmy Eat World
• Vergessene Flüchtlinge. Die Vertreibung der Juden aus den arabischen Staaten nach 1948
• leserInnenbrief: Im Frühling blühen die Narzissen
• doku: Die Arbeit nieder
• doku: 70 Jahre Israel
• das letzte: Variationen auf Uwe (Logbucheintrag vom 13. März Sternenzeit)
• Jahresbericht 2017
»All Comic Heroes Are Fascist Pigs« (Terrorgruppe)
Während sich im Zuge der Leipziger Buchmesse alles, was sich irgendwie als links versteht, darauf konzentrierte, den anwesenden rechten Kleinverlagen die Bühne streitig zu machen,(1) blieben in dieser antinazistischen Einheitsfront des »hellen Deutschlands« (Joachim Gauck) einige besonders leuchtende Flecken unbemerkt.
Da ist beispielsweise der in Connewitz ansässige Comiczeichner Scharwel, der auf der Buchmesse die inszenierte Selbstviktimisierung Götz Kubitscheks treffend karikierte.(2) Leider kein Aprilscherz, arbeitet er sonst seit längerem an dem staatlich geförderten Trickfilm 1989 – unsere Heimat, der in zwölf kurzen Episoden den Fokus auf die »Betrachtung der DDR als Unrechtsstaat« legt.(3) Das geschieht vornehmlich aus der Sicht von Punks und eigensinnigen Kindern, die in kirchlichen Schutzräumen zu den Helden dieser Stadt heranwachsen, die »kommunistische Diktatur« friedlich niederringen und fortan in einer schwarz-rot-goldenen Gesellschaft nach ihren Vorstellungen und Bedürfnissen leben können. Weil diese aber wehrhaft sein soll, hat das Projekt selbstverständlich totalitarismustheoretische »Aktualität und Relevanz – zum Beispiel in Bezug auf unser Demokratieverständnis zwischen Erdogan, AfD und Trump«.
In der Illustration von Unrecht, das der deutschen Heimat zuteilwurde, hatte sich Scharwel zuvor für die MDR Zeitreise zum »Feuersturm von Dresden« beweisen können.(4) Während in den deutsch besetzten Niederlanden im Winter 1944/45 20.000 Menschen den Hungertod litten, zeigt der Beitrag die dreizehnjährige, als Klischee-Holländerin verkleidete »Überlebende« Nora Lang, deren Vergnügung am Faschingsdienstag durch die Bombardierung der Garnisonsstadt ein schlagartiges Ende fand.
Ähnliches findet sich auch bei der Leipziger Comiczeichnerin Anna Haifisch, welche die Illustrationen für das CEE IEH #243 beisteuerte. Die Mitorganisatorin des Millionaires Club-Festivals, welches dieses Jahr im Conne Island stattfand, wurde von google neben elf anderen Künstlerinnen beauftragt, einen Comicstrip für die Startseite am Internationalen Frauentag zu gestalten. Thematisch wurde das ihr das neoliberale Loswort ›Chance‹ vorgegeben, und – das Interesse an den Nutzer/innen gehört schließlich zum Kerngeschäft – ein persönliche Geschichte sollte es »unbedingt« sein.
Als Frau Anfang dreißig in Deutschland, was gäbe es da für feministische Themen, die man einem Milliarden-Publikum künstlerisch vermitteln könnte? Genau, der Niedergang des europäischen Staatssozialismus. Und so handelt Haifischs Comicstrip Nov 1989 von der Chance, die ihr die Leipziger Montagsdemonstrationen und die folgende Maueröffnung eröffneten: Sie ermöglichten der damals dreijährigen Anna ihren Lebenstraum zu erfüllen und Künstlerin zu werden.
Ohne den Anschluss wäre sie das wohl nie geworden, mutmaßte sie gegenüber der Sächsischen Zeitung (SZ): »Ich weiß nicht, ob ich je hätte studieren dürfen«. So aber durfte sie sich in der Konkurrenz als der Selektionsweise dieser Gesellschaft in Schule und Studium durchsetzen und wurde zur Belohnung staatlicherseits als Künstlerin zertifiziert. Doch Haifischs Comicstrip erzählt nicht nur »vom Glück eines Mädchens«, sondern von dem »der ganzen Nation«.(5)
Doch nicht nur ihr garantierte das Schweinesystem die freie Entfaltung nach den eigenen Fähigkeiten und Bedürfnissen, nein, »plötzlich konnten alle frei entscheiden, was sie mit ihren Leben machen wollen«. So steht es unter einer der Zeichnungen, in der sich je ein Drittel dazu entschieden hat, Eltern oder Konsument/in zu werden und für das restliche Drittel die Entscheidung zur Lohnarbeit (auf dem Bau) eher angedeutet wird. Die tatsächliche Entwicklung wird retrospektiv verzerrt dargestellt: tatsächlich entschieden sich viele Frauen dazu, kein Kind zu bekommen (Halbierung der Geburtenrate) und fast ein Drittel der Beschäftigten entschied sich für mehr Freizeit und traf die Entscheidung, zur Kapitalakkumulation nicht benötigt zu werden.
In Deutschland, das für seinen globalen Gestaltungswillen auf der Suche nach einer resilienzfördernden Identität ist, ist solcherlei Produktion von Alltagsreligion gefragt. Wenn es der deutschen Sache dient, sieht man es selbst Denkmälern wie dem Rondell auf dem Dresdner Heidefriedhof nach, dass es seinen Ursprung im – das bleibt jedes mal zu betonen – ›ehemaligen‹ Unrechtsstaat hat. An diesem Ort, der bis vor wenigen Jahren die zentrale Rolle für das Gedenken an die westalliierte Bombardierung der Stadt bildete, durfte dieses Jahr der Leiter des katholischen Büros des Bistums Dresden-Meißen, Daniel Frank, bezeugen: »Ich glaube daran, dass Gott den Menschen in der Nacht des 13. Februar nah war, ich weiß es nicht, aber ich glaube daran.« Die Wehrmacht war sich da noch sicherer: ihre Koppelschlösser zierte der Spruch »Gott mit uns«.
Zur Stärkung dieser nationalen Selbstverständlichkeit ließ man nach dem Anschluss nicht nur die Dresdner Frauenkirche, welche die DDR mahnend als Ruine überdauert hatte, wieder errichten, sondern auch die vor 50 Jahren in Leipzig gesprengte Universitätkirche St. Pauli. Es sei dem staatssozialistischen Intermezzo nicht gelungen, »Glaube und Wissen zu trennen«, frohlockte der damalige Ministerpräsident Stanislaw Tillich bei der Eröffnung des Neubaus im August vergangen Jahres. Im neuen Paulinum komme »beides wieder zusammen«. Die vor der Sprengung gesicherte Kanzel soll deshalb auch nicht im Andachtsraum, sondern – als »Symbol für das freie Wort« - noch in der universitären Aula angebracht werden.
Die Religion sei ein »Phänomen weltlicher Beschränktheit«, schrieb Karl Marx bereits vor 175 Jahren. Das in der DDR am Universitätshauptgebäude angebrachte Relief, welches neben ihm Prometheus mit dem Feuer der Aufklärung zeigte, das er den Menschen von den Göttern stahl, wurde auf den Campus der sportwissenschaftlichen Fakultät verbannt.
Die Redaktion