• Titelbild
• Ein Angriff auf uns alle
• das erste: Der Stress mit Weihnachten ist vorerst vorbei.
• The Menzingers
• Sepultura
• Terrorgruppe
• Chain & the Gang
• The Pains of Beeing Pure at Heart
• position: Abwege einer Polemik
• das letzte: Den Schaden haben die Anderen
Wie leicht es doch ist, sich mit Metaphern und polemischen Bemerkungen um eine fundierte Argumentation und eine dezidierte Auseinandersetzung mit einem Thema zu drücken. Wie ärgerlich, dass es dabei mal wieder das Thema sexualisierte Gewalt getroffen hat. Im Folgenden beziehen wir uns auf den im August im CEE-IEH veröffentlichten Text Das Pulli-Archipel,(2) welcher bei dem Versuch, den Umgang mit dem Wolf Down-Outing zu kritisieren, vor lauter Stilmitteln leider die realen Probleme und Widersprüche nicht mehr zu erfassen scheint. Auch wenn es uns bei Schlagworten wie »Opfermentalität« in diesem Kontext sehr schwer fiel, eine sachliche Antwort zu formulieren, waren wir doch bemüht, uns auf die inhaltlichen Aspekte zu konzentrieren. Wir werden keine umfassende Analyse des Wolf Down-Outings und des Umgangs damit vorlegen, vielmehr haben wir uns darauf beschränkt, einzelne Kernpunkte des Textes aufzugreifen. Einen solchen Artikel wollen wir nicht unkommentiert lassen.
Auch heute noch wird sexualisierte Gewalt viel zu oft, wenn überhaupt, im Privaten und als Einzelfall verhandelt. Der Hinweis im Text, im Fall eines Übergriffs/einer Vergewaltigung eine Beratung oder Psychotherapie aufzusuchen, ist für sich genommen zwar nicht falsch, als Argument gegen eine Veröffentlichung jedoch problematisch. Es wird, wie so oft, die individuelle Verantwortung der betroffenen Personen hervorgehoben. Demnach müssen sich weder die gewaltausübenden Personen mit den Vorwürfen auseinandersetzen, noch spielen eine Kritik gesellschaftlicher Zustände und eine kollektive Aufarbeitung eine Rolle.
Die Aussage, es herrsche »im Allgemeinen die Auffassung, dass man selbst gröbere Verstöße gegen geltendes Recht und erlittene Traumata in den kleinen Bekanntengrüppchen und Plenas klären könne, obwohl es an benötigtem Fachwissen sowie dem emotionalen Abstand fehlt« offenbart in ihrer Polemik die bewusste Verkennung der eigentlichen Intention und der Voraussetzungen des Outings. Die beiden Frauen wenden sich mit dem, was sie erlebt haben, an die Öffentlichkeit, weil sie, wie sie es sagen, wütend und verzweifelt sind, weil sie andere Menschen vor der gewaltausübenden Person schützen wollen und weil sie nicht mehr mit ansehen wollen, wie diese Person verehrt und geschützt wird. Sie machen auf den sexistischen Normalzustand aufmerksam und ziehen das Thema sexualisierte Gewalt ins öffentliche Licht. Sie weisen damit auf ein strukturelles Problem unserer Gesellschaft hin, welches sich auch innerhalb der (Hardcore-)Szene widerspiegelt. Dass ein Outing viele, eventuell unbedachte und nicht-intendierte Folgen haben und auch das Problem an sich nicht lösen kann, steht außer Frage. Dennoch sollte ein marodierender Lynchmob in den sozialen Netzwerken als Antwort auf ein Outing nicht an erster Stelle als Anlass genommen werden, die betroffenen und in diesem Fall veröffentlichenden Personen in die Verantwortung zu nehmen. Vielmehr offenbart er doch eine allgemeine Unfähigkeit im Umgang mit sexualisierter Gewalt.
Es wird in dem Text als Widerspruch verhandelt, dass die betroffenen Personen sich mit ihrem Outing genau an die Gruppe richten, von welcher sie den eigenen Ausschluss befürchteten und deswegen lange Zeit zögerten, diese Veröffentlichung zu machen. Auch an dieser Stelle offenbart sich die Unwissenheit oder auch das Hinwegsehen über Auswirkungen sexualisierter Gewalt und den gesellschaftlichen (Nicht-)Umgang damit. Eine Erfahrung, die fast alle von sexualisierter Gewalt betroffenen Personen teilen, ist die Nichtanerkennung oder Infragestellung der Gewaltausübung – bei einer Anzeigenaufnahme, vor Gericht, in der Familie oder im Freundeskreis. Dies mag daran liegen, dass bis zur Gesetzesänderung im Jahr 2016 auch juristisch die sexuelle Selbstbestimmung nur als verletzt galt, wenn es nachweislich eine Widerstandshandlung der betroffenen Person gegeben hat, wobei die Beweislast bei der betroffenen Person lag. Verknüpft mit gesellschaftlich tief verankerten Vorstellungen von sexualisierter Gewalt und idealtypischem Opferverhalten - beide weit entfernt von der Realität – führte und führt dies allzu häufig dazu, dass betroffenen Personen nicht geglaubt wird und/oder ihnen von sich und anderen die Schuld an dem Geschehenen selbst zugesprochen wird.
Es wird darauf hingewiesen, dass das »Konzept der Definitionsmacht höchst problematisch [sei], weil es gerade nicht versuch[e] nach objektiven Maßstäben die Schuldigen von den Unschuldigen zu trennen«. Dass das sehr wohl objektive Kriterium, ob es einen Konsens gegeben hat oder nicht, an dieser Stelle keine Geltung zu haben scheint, verweist wieder einmal auf die problematische Historie im Umgang mit sexualisierter Gewalt. Wer sich im Zusammenhang eines deklarierten Übergriffes einreiht bei der Frage nach der Schuld oder Unschuld von Beteiligten, scheint die Problematik von subjektiven Grenzüberschreitungen nicht verstanden zu haben.
Definitionsmacht meint an erster Stelle, dass nur die betroffene Person sagen kann, wann ihre Grenze überschritten oder missachtet wurde. Anknüpfend an diese Erfahrung kann dann, gerade mit dem Wissen um problematische und konfliktäre Aspekte von Definitionsmachtkonzepten, beispielsweise in Verbindung mit einer gemeinsamen Verantwortungsnahme, eine Auseinandersetzung um die Unterstützung einer betroffenen Person und eine Aufarbeitung des Geschehenen stattfinden.
Wir halten es für außerordentlich sinnvoll, über die Gefahren, welche Outings für alle Beteiligten mit sich bringen, zu diskutieren. Für uns muss diese Auseinandersetzung allerdings in einem Rahmen stattfinden, der sich ausdrücklich solidarisch mit den betroffenen Personen von sexualisierter Gewalt positioniert. Nur unter dieser Voraussetzung können wir verschiedene Aspekte im Umgang mit sexualisierter Gewalt auch kritisieren. Sexualisierte Gewalt muss als Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse begriffen werden und kann dementsprechend weder mit einer Dämonisierung und dem Ausschluss der gewaltausübenden Personen aus sämtlichen Kontexten (oder gleich der gesamten Gesellschaft), noch mit einer individuellen psychischen Aufarbeitung der betroffenen Personen emanzipatorisch beantwortet werden.
von Antisexistischer Support Leipzig (ASL)(1)