• Titelbild
• Jahreswechsel
• das erste: Vom bedingungslosen Grundeinkommen und seinen kapitalen Freunden
• Caféshow: Bike Age, Empowerment
• Filmriss Filmquiz
• Offenes Antifa Treffen
• Conne Island X-mas-Tischtennisturnier
• review-corner event: Die Wiedergutwerdung der Ostdeutschen
• doku: Klimaschutz als Marketingstrategie
• das letzte: Ein Bruch des Wertgesetzes
Wer gedacht hat, dass die Buchlesung im Conne Island zum Buch 30 Jahre Antifa in Ostdeutschland am 3. Oktober 2017 und die kritische Auseinandersetzung mit der teils eigenen Zeitzeugenschaft den Höhepunkt der Veranstaltung darstellt, der wurde eines Besseren belehrt. Für Kopfschütteln und Sprachlosigkeit sorgten die Redebeiträge von Vertretern des Leipziger Ablegers der Interventionistischen Linken (IL), Prisma, in der Publikumsdiskussion.
Aber ich will der Reihe nach schildern, welche Irrungen von Prisma-Vertretern aus meiner Sicht begangen wurden...
1.) Gleich am Anfang der Diskussion bedankte man sich bei den Autoren für ihr Buch mit der Begründung, es sei wichtig, der vermeintlichen Denunziation der westdeutschen Medien in Bezug auf die Ostdeutschen etwas entgegenzusetzen. Ein Buch, das den Kampf einiger weniger Antifas gegen genau diese Ostdeutschen und das sich durch sie konstituierende menschenfeindliche Umfeld beschreibt, wird damit herangezogen, um die Ehre der Ostdeutschen zu verteidigen. Die Anzahl der intellektuellen Dehnübungen, die es gebraucht hat, um den Spagat zwischen dem eigenen vermeintlich emanzipatorischen Standpunkt und dem rechten Konsens der Ossis hinzubekommen, erscheint astronomisch.
Was der Journalist Eike Geisel an der staatlich subventionierten Auseinandersetzung mit dem Holocaust in Deutschland kritisiert und als »Wiedergutwerdung der Deutschen«(1) beschrieben hat, schien hier als Vorlage für die narrative Zivilisierung der Ossis zu dienen. So instrumentalisiert man die wenigen Antifas, um den gemeinen Ostdeutschen als potentiellen Partner für zukünftige Mobilisierungen nicht aufgeben zu müssen.
Anstatt sich von den Ost-West-Zuschreibungen zu lösen und zu problematisieren, was im Argen liegt, wird versucht, sich anzubiedern und den »Pegiden«, Heidenauern, Freitalern und all den anderen Besorgten die Verantwortung für ihr eigenes Handeln abzusprechen. In ihrem Beitrag Rechtsruck in Sachsen erläutert Prisma, dass der Grund für die ostdeutsche Zurichtung die »Schuld des Westens« sei, denn dieser wäre verantwortlich für den »kaputt gesparten Wohlfahrtsstaat«.(2) Eine solch einseitige Ableitung des Handelns der Subjekte aus den sie umgebenden Verhältnissen spricht den Menschen jegliche Verantwortung ab und zementiert die Allmacht des Bestehenden.
2.) Nach einer kurzen »Intervention« seitens der Zuhörer, indem auf den »rechten Konsens«(3) verwiesen wurde, erhoben sich die Prismaten ein weiteres Mal zum Ansturm gegen die Vernunft: es gäbe keinen »rassistischen Konsens«(4) in der ostdeutschen Bevölkerung.
Also gut, sicher gibt es ein paar ›Volksverräter‹, die sich selbst noch als Ossis bezeichnen und trotzdem ein paar ausgetragene Schuhe und verblichene Jeans für die Geflüchteten aus dem heimischen Repertoire aussortiert haben. Somit ließe sich durchaus darüber streiten, ob aus dem Konsens vielleicht ›nur‹ hegemoniales Denken geworden ist. Gruselig wird es dann, wenn – wie hier geschehen – durch die Verleugnung des ›rassistischen Konsens‹ der eigene Standpunkt dem strategischen Kalkül geopfert wird. Denn ehe man sich hierbei zu deutlich oder überhaupt positioniert, spekuliert man lieber über möglichst große Bündnisse, mit wem auch immer.
Die kritische Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Missständen wird zum Spielball einer ›Strategie der Bewegung‹ à la Sahra-›Wir brauchen einen linken Populismus‹-Wagenknecht. So sagte die Sprecherin der Interventionistischen Linken (IL) Emily Laquer in einem Interview zum Wahlerfolg der AfD gegenüber der FAZ folgendes: »Manche hoffen vielleicht, dass soziale Reformen von rechts kommen, und haben dafür den Rassismus akzeptiert.«(5) Eigentlich gibt es keine wirklichen Rassisten unter den AfD-Wählern, es fehlt ihnen nur an einer glaubhaften linken Alternative, die sich für Sozialreformen einsetzt. Wenn man die Menschen also nach dem, was sie sagen oder wählen beurteilt, hätte die IL und mit ihr Prisma ein Problem. Denn plötzlich würde die eigene Marginalität überdeutlich. Gerade in Sachsen, wo über 50% der Wähler bei der letzten Bundestagswahl für AfD und CDU gestimmt haben.
Da ist es doch einfacher, sich auf optische Merkmale für Nazis, Rassisten und Reaktionäre zu einigen. Wer also sein Burschenschaftskäppchen oder seinen Kameradschaftsausweis nicht offen trägt, hat von Prisma nichts zu befürchten - außer sehr viel Verständnis.
Radikale Kritik, die auch vor der oft beschworenen gesellschaftlichen Mitte nicht halt macht, hat hier keinen Platz. Dafür bekommt man aber klare Feindbilder geliefert. Rassisten und Nazis sind bei Prisma dann eben doch nur Idioten mit Naziklamotten an der nächsten Haltestelle. Es scheint, die IL bzw. Prisma haben ihre eigene Version der Extremismustheorie entwickelt. Einziger Unterschied zum Original ist, dass man den Linksextremismus gestrichen hat. Die demokratische Mitte bleibt über jede Kritik erhaben, während das Feindbild an den extremistischen Rändern vom islamistischen und rechten Extremismus gebildet wird. Backes und Jesse werden sich bedanken, endlich passt das Bild vom Hufeisen wieder. Als wären Nazis (und Islamisten) das einzige Problem.
3.) Die Ignoranz in der Diskussion über die gesellschaftlichen Missstände ist beeindruckend. Im Zuge der Relativierung des rechten Konsens wurde ausgerechnet die Mobilisierung zu den Protesten rund um den 13. Februar in Dresden herangezogen. Gerade Dresden, wo der Pegida-Mob sein Unwesen treibt. Dort ist es zwar gelungen, den Naziaufmarsch durch Massenmobilisierung zu verhindern, jedoch hat man dafür die Kritik am Opfermythos und dem Geschichtsrevisionismus der Dresdner Ossis fallen lassen. Leider wurde auf die Nachfrage, ob Dresden, samt seiner aktuellen Entwicklung mit Pegida, ernsthaft als Positivbeispiel herangezogen werden soll, nicht eingegangen. Es zeigt, welch eindimensionale Gesellschaftskritik zu Grunde gelegt wird, wenn Antifaschismus zur reinen Anti-Nazi-Attitüde gerinnt. Trotzdem erhielt dieser Unsinn einigen Beifall. Ob die Applaudierenden zum Agitationstrupp gehörten oder sich zufällig ein paar Geistlose in den Eiskeller verirrt hatten, war nicht klar.
Wozu also noch Kritik...
Neben diesen Geistlosen an jenem Abend scheint das weitaus größere Problem die offenbare Unfähigkeit bzw. der generelle Unwille aller restlichen Anwesenden zu sein, der vorgetragenen Analyse fundiert zu widersprechen bzw. wenigstens die damit einhergehende Problematik zu diskutieren. Denn obwohl der direkt durch Applaus signalisierte Zuspruch nicht einhellig war, blieben die Argumente nebeneinander im Raum stehen, anstatt erörtert zu werden. Egal, welcher Beliebtheit sich gegenwärtig Veranstaltungen in Szenekreisen erfreuen, es wird immer seltener Widerspruch zum Gesagten artikuliert. Sind es Plattformen wie Facebook und Twitter, die ihre Nutzer dazu bringen, sich im digitalen Meinungsstreit zu verlieren anstatt sich im Analogen als Teil eines inhaltlichen und konstruktiven Disputs wieder zu finden?
Die Anonymität und Distanz einer Echokammer in der eigenen Facebook-Gemeinde schaffen eine komfortable Position, von welcher aus man sich nicht nur leichter den Konsequenzen entziehen, sondern auch, wenn argumentativ entwaffnet, den Rückzugszeitpunkt selbst bestimmen kann. Als Konsequenz daraus forciert die Angst vor einer abweichenden Meinung die Flucht in die Konformität. Dieses Phänomen moderner Diskussionskultur führt dazu, dass sich derlei Positionen, wie die der Gruppe Prisma, am Ende der ›Diskussion‹ in den Köpfen festsetzen. Insofern können auch nachfolgende Texte wie dieser nicht darüber hinweg trösten, dass die eigentlich uneingelöste Hoffnung darin besteht, aus der inneren Emigration zurück zu kehren anstatt sich von der scheinbaren Allmacht Anderer dumm machen zu lassen.
Was ist eigentlich dein Problem...
Es muss wieder gestritten werden um politische Positionen anstatt verstummt der allgemeinen Verblödung anheim zu fallen. Ansonsten verkommen ›kritische Auseinandersetzungen‹ lediglich zur Selbstvergewisserung der eigenen linken Ideologie und spielen letztlich den Erfüllungsgehilfen, wie aktuell bei Prisma, in Sachen Ehrenrettung jener Suppe, die einen nicht nur umgibt, sondern in der man schon längst mitschwimmt. Für die ›linksradikale Politik‹ von Prisma entlarvt sich mit dem Versuch der ›Ehrenrettung der Ostdeutschen‹ die Bemühung um eine unbedingte Assimilation in den gesellschaftlichen Einheitsbrei. Dem ist die Masse ihrer Mitglieder scheinbar genauso rückgratlos ausgeliefert, wie sie in den auf Konsens getrimmten Plena auf einen bündnisfähigen Standpunkt eingeschworen wird. Mit dem Drang um Anpassung ins heimatliche Nest ist Prisma in Zeiten neoliberaler Zurichtung des Individuums durchaus in guter Gesellschaft, denn so unerfüllbar die Suche nach dem Individualismus im Mainstream auch ist, so obsessiv wird innerhalb der Linken nach Sinn und Konformität gesucht.
Es grenzt an Realitätsverweigerung, wenn die Geschichts- und Theorielosigkeit linker Gruppen kaum noch zu überbieten ist und genau diese Bündnisse in links-affirmativen Kreisen besonderes Ansehen und Szenecredibility genießen. Wo intellektuelle Barrierefreiheit zum Gruppenselbstverständnis erklärt wird, dort verkommt politische Kultur zur eindimensionalen Anti-Nazi-Attitüde ihrer Mitglieder. Mit einer solch zurechtgelegten Utopie nach einem widerspruchsfreien Leben, indem sich kapitalistische Zustände schönreden lassen, fallen einem die eigenen linken Ungeheuerlichkeiten auch nicht mehr auf, die man sogar bereitwillig vor Publikum im Conne Island zum Besten gibt.
Zum Abschluss bleibt zu sagen...
Es ist mir insofern ein inneres Bedürfnis, vielen Linken in Sachen Geschichtslosigkeit ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Es muss nicht zwangsläufig Neues geschrieben, kein Rad neu erfunden werden, es lohnt sich bereits, ältere Texte ehemaliger Gruppen wie dem Bündnis gegen die Realität Leipzig (BgR) heraus zu suchen. Es liest sich wie ein vorauseilender Appell aus der Vergangenheit an die geschichtslose linke Strömung gegenwärtiger Tage, wenn das BgR die Ziele seiner Bündnispolitik folgendermaßen beschreibt: »Inhalte transparenter zu machen und diese gemeinsam mit den BündnispartnerInnen zu diskutieren und so eine Positionierung dieser zu erwirken. Dafür ist eine intensive inhaltliche Auseinandersetzung, wobei eigene inhaltliche Grundpositionen verteidigt werden müssen, unumgänglich, um erfolgreich als gemeinsames Bündnis agieren zu können. Wo eigene Grundpositionen aufgegeben werden, ist das frühere oder spätere Scheitern des Bündnisses vorprogrammiert.«(6)
… damit weiß Prisma, was die Zukunft für sie bereit hält.
Diogenes von Sinope