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Aktuelles Heft

INHALT #245

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Der NSU, die BRD und der rassistische Normalzustand
Konsumierende Freund*innen - was kann ich tun?
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Magnus Klaue: Doof geboren ist keiner.
Klub: HO_SE OF KANN
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SUBBOTNIK
SOOKEE
• review-corner event: Wir sind viele, wir sind krass
• das letzte: Das Parlament der Dinge

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Aus aktuellem Anlass hat Hannes Giessler Furlan ausgewählte Erinnerungen an seine Antifa-Zeit niedergeschrieben. Am 7.10. haben Kiezmilizionäre in Connewitz einen Fan der Band Frei.Wild verprügelt und die Frei.Wild-Tunnel aus seinen Ohrläppchen gerissen. Solche Missetaten erwachsen nicht aus Antifaschismus und Notwehr, sondern aus Straf- und Folterlust, im Eifer und Geleit der Gruppe und unter dem Deckmantel des Antifaschismus.



Wir sind viele, wir sind krass

Nachtragungen zu »30 Jahre Antifa in Ostdeutschland«1

Ca. 1994 in Leipzig, abends, die Nacht bricht herein. Ich bin Teenager und gewillt, zum ersten Mal mit zurückzuschlagen, und fühle Stolz, endlich zum aktiven antifaschistischen Widerstand dazuzugehören, nachdem ich oft vor Faschos hatte wegrennen müssen. Die Polizei ist kein großer Faktor, ihr mangelt es infolge der Wende noch an Präsenz und Souveränität. Wir sind ein ca. dreißigköpfiger Tross, überwiegend Männer, mehr noch Jungen. Es ist dunkel, wir begeben uns ins Gebiet einer Faschoclique, zeigen uns untereinander unsere Bewaffnung. Einer der älteren Teenager holt ein Fleischermesser unter dem Ledermantel hervor. Als Pazifist erzogen, wird mir mulmig. Ich versuche, es mir als Drohkulisse zu erklären und halte mich eher am Ende unserer Meute auf. Dann, eher als gedacht, geht es los. Gebrüll und Geschrei. Die erste Reihe stürmt voran, der Rest hinterher. Wir erwischen zwei. Sie wehren sich nicht, sondern versuchen sich mit Lauten und Händen verständlich zu machen. Bei uns macht sich die Erkenntnis breit: Das sind keine Faschos, sondern Taubstumme. Teils Entsetzen, teils Betriebsamkeit. Einige von uns entschuldigen sich mit hilflosen Gesten, während die Entschlossensten schon weiterziehen, um doch noch die Richtigen zu finden. Die erwischt es dann auch, in einem Hauseingang. Einer der Faschos liegt am Boden, als einer unserer Protagonisten auf einmal eine Pistole zieht und sie ihm an den Kopf hält. Ich trete hinaus auf die Straße, um Wache zu halten – eigentlich, um mich der Situation zu entziehen. Es fällt kein Schuss, der Fascho schreit. Triumphierend, aufgedreht machen wir uns auf den Rückweg. Das Wort »Scheinhinrichtung«, mir neu, läuft feierlich von Mund zu Mund. Dann, im Stimmengewirr, wird ein Gerücht laut und so beliebt, dass alle einstimmen: Der Neonazi habe nicht irgendwas geschrien, sondern »Mami«. Er wird nachgeäfft: »Mami!«, »Mami!«. Unsere Gelächter hallen durch die Straßen.


Ein paar Jahre später: Schlägerei zwischen Hunderten Neonazis und Antifas im Regionalzug. Wir wurden angegriffen, sind zahlenmäßig aber überlegen, es geht zur Sache, die Notbremse wird gezogen, der Zug hält, links und rechts Felder. Feuerlöscher, Steine, auch einige Messer kommen im Zug und außerhalb zum Einsatz. Der Kampf wogt eine Weile. Ich sehe, wie einer von uns unablässig auf einen Neonazi eintritt, der auf dem Boden liegt, und bin froh, als einer unserer Rädelsführer dazwischen geht. Nachdem wir die Neonazis in die Flucht geschlagen haben, inspizieren wir das Zugabteil, worin sie sich verschanzt und das wir mit Steinen »eingedeckt« und völlig entglast hatten. Unter meinen Füßen knirscht das Glas, vor mir öffnet sich langsam eine Toilettentür. Ist da noch ein Neonazi drin? Heraus tritt bange eine vierköpfige Familie, der Vater hält das kleinste Kind in seinen Armen, es zittert und drückt sein Gesicht ins Hemd seines Vaters. Durch unsere Meute hindurch drängt es die Familie ins Freie.


Ca. 1997, Demonstration in einer ostdeutschen Kleinstadt. Alles wartet noch auf die Berliner Antifa, den ersten Block unserer Demo. Endlich fährt der Berliner Buskonvoi am Treffpunkt unserer Demonstration vorbei: ein, zwei, drei, vier, fünf, sechs Busse. Wir freuen uns, denn sechs mal fünfzig bis siebzig Businsassen macht über 300. Die Berliner Antifa ist da! Wir starren gebannt Richtung Busparkplatz, wo sie sich formieren. Schließlich bewegt sich die schwarze Masse auf uns zu, der Berliner ›Organisationsgrad‹ macht uns neidisch: komplett in Ketten formiert, alle sind eingehakt. Da wird die Polizei keinen Keil reinschlagen können. Und alle, komplett in Schwarz, tragen Mützen und Sonnenbrillen, die Atzen in der ersten Reihe auch Tücher vor dem Mund. Als dieser Block unsere Demo erreicht und wir Spalier bilden, um ihn an die Spitze zu lassen, erschallt aus ihm laut und unisono: »Hurra, hurra, die Antifa ist da!«. Die Szene ergreift mich, ein euphorisches Hochgefühl versetzt mich in Wallung. Auch spätere Male immer wieder wohlige Erregung, etwa bei den Berliner 1.Mai-Demonstrationen: Abendrot erleuchtet die Stadt, der Strom bewegt sich auf eine Polizeiabsperrung zu und damit auf den Finalbeginn. Zum Crescendo des Adrenalins und im Widerhall der Straßenschlucht ertönen aus dem großen Demo-Lauti die Eingangstakte von Fade to Grey. Orgelton, Sirene, Pitchbending, Baseline, Vibrato – der Geist wird schwach, die Masse willig (Vermassung durch Musik, Uniformierung durch Rebellion; ernstliche Reflexionen darüber finden sich u.a. bei Adorno, eine possierliche im Unrockbar-Musikvideo der Ärzte).


Ca. 2002. Winterabend. Spontandemonstration in einer ostdeutschen Kleinstadt. Aus Dresden und Leipzig fahren die Antifas ein, man sammelt sich auf dem Bahnhofsvorplatz. Die Polizei verbietet die Spontandemonstration, weil im Stadtgebiet Neonazigruppen umherziehen und warten. Die lokale Gruppe, die die Demo angemeldet hat, sorgt sich um ihren Ruf in der Kommune und entscheidet, es bei einer Kundgebung vorm Bahnhof zu belassen. Die Großstadt-Antifas sind aufgeputscht und wollen in die Stadt. Wenige von ihnen, darunter ich, ergreifen das Wort für die Position der Kleinstadtlinken. Vergeblich. Betriebsamkeit erstickt den Austausch von Argumenten. Uns Zauderern und den Kleinstadtlinken bleibt nur, den Hunderten nachzuschauen, wie sie auf die Polizeiabsperrung losmarschieren. Zusammenstoß. Der Antifa-Block wird mit Knüppeln und Reizgas auseinandergetrieben, man sammelt sich am Bahnhof und fährt zurück nach Leipzig und Dresden. Die Kleinstadtlinken bleiben als kleine Versammlung auf dem Bahnhofsvorplatz zurück. Kaum in Leipzig, erreichen mich drei Neuigkeiten: Ein Dresdner Antifa hat bei dem Zusammenstoß mit der Polizei Zähne verloren, eine Gruppe von Punks aus der Kleinstadt wurde auf dem Nachhauseweg von Neonazis verprügelt und es wird in Leipzig ein spontanes Antifa-Plenum um Mitternacht stattfinden. Ich fühle mich zu diesem zwar nicht eingeladen, besuche es aber trotzdem zusammen mit einem gleich Gesinnten. Bevor das weitere Vorgehen besprochen werden soll, beginnt das Plenum mit der Zusammenfassung der Ereignisse und den Erkenntnissen des Abends: 1. Hätte man demonstrieren können, wären die Kleinstadtpunks nicht angegriffen worden. 2. Skandal, dass die Polizei dem Antifaschisten die Zähne ausgeschlagen hat. Als mein Partner und ich darauf hinweisen, dass man sich dem Risiko von Polizeigewalt selbst ausgesetzt habe, ernten wir rundum Wut. Wir würden Polizeigewalt rechtfertigen und uns mit dem Dresdner Antifaschisten entsolidarisieren. Wir trollen uns davon.


Vor mehreren Jahren – mein letztes Antifaerlebnis. Es traf einen Neonazi, vermutlich war es einer, vielleicht war es keiner. Ein Pulk von Ultra-Antifas plus einigen Connewitzer Hanseln wie mir, die im Wirrsal der Ereignisse ringsum waren, stürmt los, als einer auf einen Mann in der Nähe zeigt und »Nazi!« schreit. Schnell liegt dieser am Boden und bekommt dort inmitten der Meute Tritt um Tritt. Einer von den Hanseln, ich kenne ihn nicht, nennen wir ihn X, geht dazwischen, um Schlimmeres zu verhindern. Jäh wird nun X es, der auf die Fresse bekommt. Meinerseits versuche ich nun, X beizuspringen, und habe im letzten Moment Glück, weil einer mit Hassmaske mich irgendwie kennt und seine Leute stoppt, die gerade die ersten Fäuste auf mich prasseln lassen. Die Situation steht still, Augenpaare glotzen uns aus der Vermummung heraus an. Der angebliche Neonazi rappelt sich auf und sucht das Weite. X blutet am Mund. Eine der Vermummten findet wieder zur Sprache; sie schreit uns an, was uns einfalle, einen Nazi zu schützen. Wir verlassen die Szenerie. Später, in der Ambulanz, ein Taschentuch an seine aufgeplatzte Lippe pressend, nuschelt X mir zu: »Ich bin jetzt Täterschützer und du Täterschützerschützer.«
***
Die Auswahl dieser Ereignisse erfolgte einseitig, ersponnen sind sie nicht. Sie zeigen, wie unter dem Vorwand gehuldigter Zwecke (Antifaschismus geriert sich per definitionem als gut) schwachköpfige Sozialcharaktere gestärkt und verrohte Umgangsformen befördert zu werden drohen: Aufgehen in der Gruppe, das Zeremoniell der Uniformierung, chauvinistische Gebärden (unabhängig vom Geschlecht) und Abschottung nach außen, kollektive Selbstbeweihräucherung und Selbstgerechtigkeit, die Preisgabe des Geistes im Skandieren von Parolen, gemeinsames Aufplustern, Enthemmung in der Masse und unterm Schutz der Hasskappe, Kameradschaft, Kommando und Folgsamkeit im Geschehnis, Grobheit bis hin zu Sadismus sowie Entmenschlichung des Gegners. Wenn Antifarotten (nicht die gesamte Antifa ist so), in denen all dies sich aufsummiert, sich obendrein ›ACAB‹, Staatskritik und Antikapitalismus auf ihre Fahne schreiben, dann nicht, weil ihre Mitglieder als Individuen an dieser Gesellschaft leiden. Denn leiden, das müssen Humanität und Individualität in solchen Rotten. Was sie Polizei, Staat und Gesellschaft tatsächlich verübeln, sind die Grenzen, die ihnen gesetzt sind.

Hannes Giessler Furlan

Anmerkungen

(1) So der Titel eines Buches (2017) und dazugehöriger Veranstaltung, die am 3. Oktober im Conne Island stattgefunden hat.

07.11.2017
Conne Island, Koburger Str. 3, 04277 Leipzig
Tel.: 0341-3013028, Fax: 0341-3026503
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