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Aktuelles Heft

INHALT #242

Titelbild
Der Schulz-Effekt (ein Nachruf)
• das erste: Spindlereien bei der Bundeswehr
Jahresbericht 2016
Offenes Antifa Treffen
Wheelchair Skate Day
AnaBOWLika - Punk Matinee
Filmriss Filmquiz
Flying Wheels Skateboard Workshop für Mädchen (und Jungen)
United on Wheels – Wir rollen durch deine, meine, unsere Stadt! - Roller Day
United on Wheels – Wir rollen durch deine, meine, unsere Stadt! - Skate Days
United on Wheels – Wir rollen durch deine, meine, unsere Stadt! - Bike Days
United on Wheels – Wir rollen durch deine, meine, unsere Stadt! - Tour de Bike
• doku: Sie waren keine »Duckmäuse«
• doku: Hauptsponsor des Jihadismus
• doku: Kein Al Quds-Tag 2017!
• das letzte: Macron-i with Cheese
»Someone Please Have Sex With Me«

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Spindlereien bei der Bundeswehr

»Seit sich Bundespolitiker fürchten müssen, im Bundeswehr-Kugelhagel zu sterben, ist die Stimmung nicht die Beste«, kommentierte Sebastian Carlens in der jungen Welt angesichts des Auffliegens der rechten Terrorzelle um den Oberleutnant Franco Albrecht. Diesen Eindruck gewann er jedoch weniger aufgrund öffentlicher Stellungnahmen der Abgeordneten – die Reaktionen selbst aus den Oppositionsfraktionen nahmen die Armee in ihrer Gesamtheit aus politischen Motiven eher gegen die Kritik von Kriegsministerin Ursula von der Leyen (CDU) in Schutz – sondern dem Umstand, dass die zur Aussprache ins Ministerium geladenen ranghohen Militärs sich vor dem Betreten des Gebäudes vom Militärgeheimdienst MAD durchsuchen lassen und selbst ihre Smartwatches abgeben mussten.

Zuvor hatte von der Leyen in einem ZDF Heute-Interview unter Verweis auf das Öffentlichwerden sexuell-sadistischen Missbrauchs und erniedrigender Ausbildungspraktiken in den Kasernen Pfullendorf und Sondershausen der Armee, deren Befehls- und Kommandogewalt sie abseits des Verteidigungsfalls inne hat, ein »Haltungsproblem« und eine »offensichtliche [...] Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen« attestiert, wogegen sie »konsequent drangehen« wolle. Darunter Falle auch »der Soldat A. mit rechtsextremistischem Gedankengut« - von Anschlagsplänen also kein Wort mehr. Ohnehin sind die genannten Vorfälle für die Kriegsministerin in erste Linie ein Image-Problem: »Wenn die Vorgesetztenebene die Führung nicht wahrnimmt und die Verantwortung nicht wahrnimmt, die sie müssen,« erläuterte die Ministein im Interview, »dann werden Dinge eben aus falsch verstandenem Korpsgeist schöngeredet, es wird weggeschaut, und das gärt dann so, bis es zum Eklat [sic!] kommt, und das [!] ist nicht in Ordnung.« Denn was in der veröffentlichten Meinung als Skandal firmiert, sabotiert die ohnehin schleppend vorangehende Rekrutierung - eine der selbsterklärten zentralen Amtsaufgaben von der Leyens.

»Die Bundeswehr leidet nach wie vor unter dem erheblichen Personalmangel«, resümiert etwa der aktuelle Jahresbericht des Wehrbeauftragten des Bundestags, Hans-Peter Bartels (SPD), und schon im Vorjahr hieß es: »Die Bundeswehr hat trotz intensiver Anstrengungen bei der Personalgewinnung erhebliche bis alarmierende Personalprobleme in einigen Verwendungsbereichen und Laufbahnen. Der auf dem zivilen Arbeitsmarkt zu verzeichnende Fachkräftemangel ist bei der Bundeswehr in besonderem Maße spürbar.«

Die Armee setzt deshalb auf Diversity-Management, um »die Vielfalt an Fähigkeiten und Kompetenzen in der Gesellschaft umfassend für die Streitkräfte nutzbar zu machen.«

»Bei dem Wettstreit um gescheite Köpfe und geschickte Hände muss die Bundeswehr attraktiver Arbeitgeber für alle Gruppen unserer Gesellschaft sein: Frauen und Männer, verschiedene Generationen, Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft und mit unterschiedlichen Lebensmodellen, verschiedener sexueller Orientierung und Identität, unterschiedlicher Kulturen und Religionen. Der Aufwuchs des Anteils von Frauen in der Bundeswehr ist stetig aber zu langsam. Hier gibt es noch großen Nachbesserungsbedarf«, konstatiert Bartels. 2016 erreichte der Anteil von Frauen beim Militär erstmals elf Prozent. Das erklärte Ziel liegt zunächst bei 15%, der Quote von Armeen vergleichbarer Staaten. Der Wehrbeauftragte sieht darin »nicht nur eine Gleichstellungsangelegenheit«, sondern »nach Aussetzung der Wehrpflicht und mit Blick auf den demographischen Wandel schlicht eine Existenzfrage.« Dabei steht der erfolgreichen Rekrutierung von Frauen neben dem in der Regel immer noch attraktiveren zivilen Arbeitsmarkt auch der Umgang in den eigenen Reihen entgegen. Öffentlich bekannt gewordene Vorfälle, wie die in Pfullendorf, dürften, wenn auch nicht in ihrem Ausmaß, doch in ihrer Grundhaltung eher als repräsentativ denn als Einzelfall gelten. Das legen auch die Berichte des Wehrbeauftragten nahe. So hieß es 2014 unter Bezugnahme auf die Ergebnisse der im gleichen Jahr erschienenen Studie Truppenbild ohne Dame?: »Im Vergleich zur Vorgängerstudie, die im Jahr 2008 veröffentlicht wurde und auf Daten aus dem Jahr 2005 basierte, haben in der Bundeswehr die Vorurteile gegenüber Frauen in den Streitkräften nicht abgenommen. So ist nach wie vor ein Drittel der Soldaten der Auffassung, die deutsche Armee verliere wegen der Frauen an Kampfkraft. In vielen Fällen wurden in diesem Zusammenhang das Vorgesetztenverhalten und gleichzeitig sexuelle Belästigungen durch Vorgesetzte oder Kameraden gerügt. In der genannten Studie haben 51% der Soldatinnen angegeben, während ihrer Bundeswehrzeit schon einmal belästigt worden zu sein. Im Jahr 2016 ist die Zahl der gemeldeten »Vorkommnisse wegen des Verdachts auf Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung [...] auf 131«, und damit im Vergleich zu den 86 Fällen des Vorjahres um 52% gestiegen. Bartels weiß: »Die tatsächliche Zahl sexuell motivierter Übergriffe dürfte höher liegen«, denn Betroffene »scheuen sich aus Sorge, berufliche oder persönliche Nachteile zu erleiden, nach wie vor Belästigungen anzuzeigen. Auch Scham spielt in diesem Kontext eine Rolle. Betroffene, die sich offenbart hatten, fühlten sich oftmals nicht ernst genommen und hilflos.« Hinzu kommt, dass »zur Entspannung der Situation in der Einheit [...] vielfach die betroffenen Soldatinnen« - nicht die Beschuldigten - »einer neuen Verwendung zugeführt« werden. »Kommen mangelnde Akzeptanz als Frau und Mutter, ein unangemessener Umgangston und mangelnde Karriereaussichten bei Teilzeitbeschäftigung hinzu,« gibt er zu bedenken, »ist die Entscheidung gegen den dauerhaften Dienst in der Bundeswehr die konsequente Folge.«

Gleiches gilt für die Minderheit der Soldat/innen mit Migrationshintergrund. Ende 2015 betrug ihr Anteil 14,5%, wobei, ähnlich wie bei den Frauen, die Mehrheit von ihnen die unteren Dienstgrade begleitet. Eine unter Verschluss gehaltene, nicht-repräsentative Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr aus dem Jahr 2009 gelangte zu dem Ergebnis, dass Soldat/innen mit Migrationshintergrund besonders in Ostdeutschland während der Grundausbildung rassistisch diskriminiert werden. Das Auffliegen der rechten Terrorzelle um Franco Albrecht und die damit verbundene öffentliche Thematisierung von NS-Bezügen und extrem rechten Einstellungen in der deutschen Armee kann sich für die Rekrutierung von Soldat/innen mit Migrationshintergrund hinderlich auswirken. Das mag, neben der Ablenkung vom eigentlichen Terrorskandal, der wesentliche Grund für Kriegsministerin von der Leyen sein, die Traditionsbezüge der Armee überarbeiten zu wollen. Abschrecken könnte es zudem EU-Bürger/innen, denen sich das deutsche Militär laut dem aktuellen Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr öffnen soll, um »ein weitreichendes Integrations- und Regenerationspotenzial für die personelle Robustheit der Bundeswehr« zu erschließen. Außerdem könnten sich Vorfälle dieser Art negativ auf bestehende oder angestrebte bilaterale Militärkooperationen auswirken, die der Projektion militärischer Macht Deutschlands dienen und nach Willen der Bundesregierung schrittweise den Weg zu einer EU-Armee ebnen sollen. Mit Fallschirmjägern und Panzertruppen sind bereits fast zwei Drittel der niederländischen Heeresverbände deutschem Kommando unterstellt. In den vergangenen Jahren beschlossene Kooperationsvereinbarung mit Polens Marine und Heer zur »wechselseitigen Unterstellung von Kampfgruppenbataillonen« werden aktuell von der polnischen Regierung gebremst. Im Frühjahr wurde die Absicht zur Einbindung der 4. Schnellen Eingreifbrigade der tschechischen Armee in die 10. Panzerdivision der deutschen Armee erklärt, eine weitere sah das gleiche für das rumänische Heer vor. Die Kooperationen gehen in der Regel mit der Übernahme von Waffensystemen der deutschen Rüstungsindustrie durch das Militär der Kooperationsstaaten einher.

Um das angepeilte Rekrutierungsziel zu erreichen, hat von der Leyens Staatssekretär Gerd Hoofe Ende des vergangenen Jahres eine Personalstrategie der Bundeswehr ausgearbeitet, wonach auch über 30-Jährige Quereinsteiger/innen und Personen ohne den (bisher) erforderlichen Schulabschluss als Soldat/innen rekrutiert werden sollen.

Eine andere Gruppe rekrutiert Deutschlands Militär seit der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 hingegen recht erfolgreich: Die Minderjährigen. Seither ist die Zahl der Rekrut/innen, die zum Zeitpunkt des Dienstantritts noch minderjährig waren, kontinuierlich von 689 auf 1.946 gestiegen. Obwohl Deutschland bereits 2004 das Fakultativprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten unterzeichnete, macht es von der Ausnahmeregelung zu Rekrutierungszwecken ausgiebig Gebrauch. Das Öffentlichwerden der Ausbildungsmethoden in Pfullendorf und Sondershausen Schaden nicht nur die Attraktivität des Militärdienstes, sondern gefährden auch die Unterstützung bzw. Duldung durch die Eltern minderjähriger Rekrut/innen. In Pfullendorf etwa wurden die Ermittlungen aufgenommen, weil sich ein minderjähriger Rekrut aus Angst vor einem Ritual an einen Vorgesetzten gewandt hatte.

Doch während die Veröffentlichungen der Ausbildungsmethoden der Rekrutierung schaden, wirkt sich auch ihr stillschweigendes Dulden negativ auf die bereits Rekrutierten aus. So musste auch der Wehrbeauftragte eingestehen, »dass Rekrutinnen und Rekruten, die bewusster Überforderung oder inakzeptablen Ausbildungsmethoden durch ihre Ausbilder ausgesetzt sind, sich gleich zu Beginn ihrer Dienstzeit für ein frühzeitiges Verlassen der Bundeswehr entscheiden.« In den Jahren nach der Aussetzung der Wehrpflicht schwankte die Zahl derjenigen, die den freiwilligen Grundwehrdienst innerhalb der Probezeit von sechs Monaten abbrachen, zwischen 25 und 30%. In einer Evaluationsstudie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr werden als Gründe für einen Abbruchgedanken »ungewohnte Belastung«, »Probleme mit der Umstellung«, »Kritik an Vorgesetzten und Ausbildern«, »Zweifel an der Sinnhaftigkeit« und »rauer Umgangston« genannt. Für die Meisten war letztlich ein ziviler Arbeits- oder Ausbildungsplatz attraktiver, dennoch betrug die Zahl der vor Wehrdienstbeginn arbeitslosen Freiwilligen lediglich 6,8%. Mehr als die Hälfte der Abbrecher/innen waren mit ihrer militärischen Verwendung unzufrieden, fühlten sich über- oder unterfordert, ein gutes Drittel begründete seinen Schritt mit einer »abweichenden Vorstellung vom Soldatenleben«. Im Sanitätsdienst, dessen Ausbildungsmethoden in der Pfullendorfer Kaserne für Empörung sorgten, ist die Abbruchquote bzw. -bereitschaft dabei noch vergleichsweise gering.

Kriegsministerin von der Leyen verurteilte die bekannt gewordenen Vorfälle in Pfullendorf sogleich als »abstoßend und widerwärtig«. Auch der für die Ausbildung zuständige Generalmajor Walter Spindler befand: »das ist würdelos und stillos« - meinte damit jedoch seine aus den Vorfällen resultierende Abberufung durch die Ministerin. Denn Spiegel Online (SpOn) hatte bereits über die Absetzung des Kommandeurs des Ausbildungskommandos berichtet, bevor dieser wenige Minuten später selbst durch den Heeresinspekteur Jörg Vollmer informiert wurde. Wie SpOn berichtete, wurde Spindler vorgeworfen, »in einem bisher noch nicht bekannten Fall von Verfehlungen durch Heeresausbilder im thüringischen Sondershausen erneut nicht energisch genug ermittelt zu haben«. Seit Mai 2016 waren Beschwerden über Ausbilder eingegangen, später folgten sogar Eingaben von Bürger/innen der Stadt. Ähnlich wie in Pfullendorf habe das zuständige Ausbildungskommando in Leipzig die Fälle abgewiegelt. Dabei hatte Spindler noch im Oktober 2015 nach einer Militärübung die psychologische Bedeutung des Sanitätsdienstes für die Kampfbereitschaft hervorgehoben: »Wenn ich weiß, dass mir nichts passieren kann, weil wenn ich verwundet werde, werde ich wieder zusammengeflickt [...], dann kämpfe ich anders«. Doch ein vertraulicher Bericht aus von der Leyens Ministerium stellte »gravierende Defizite in Führung, Ausbildung, Erziehung sowie Dienstaufsicht« fest und führt sogar »mafiöse Strukturen« auf.

Das gesamte Führungspersonal der deutschen Landstreitkräfte durchläuft eine der elf nachgeordneten Schulen des von Spindler neu aufgebauten und bis zu seiner Absetzung geleiteten Ausbildungskommandos in Leipzig. Deshalb unterlag ihm auch die konzeptionelle Erarbeitung der Ausbildungsinhalte für den »Führernachwuchs«. Als das ARD-Magazin Kontraste im April 2009 aufdeckte, dass die Bundeswehr interne Ausbildungsbücher verwendet, die auf Wehrmachtsrichtlinien bzw. -merkblätter zurückgreifen oder die Wehrmacht verherrlichen, urteilte Wolfgang Gessenharter, ehemaliger Dozent der Bundeswehruniversität Hamburg: »Wenn ich mir die Verantwortlichen für diese Machwerke ansehe, [...] ist es [entweder] wirklich fahrlässig und ignorant, was da geschieht, oder es ist das bewusste Unterlaufen des Gesetzesauftrages, nämlich eine Ausbildung zu betreiben, die eben nach den Prinzipien unserer Demokratie funktionieren muss.« Spindler, damals seit zwei Jahren General der Heeresausbildung, zeigte sich hingegen unbeeindruckt: Es gebe eben »militärische Grundweisheiten, die Einzelschützen, die Führer von Verbänden zu verinnerlichen haben. Und militärische Grundweisheiten existierten auch während der 12 Jahre eines totalitären Regimes.«

In Leipzig ließ es sich das »Who is Who der Bundeswehr und der Leipziger Gesellschaft« nach dem Bericht Anita Keckes dennoch nicht nehmen, »Leipzigs ranghöchsten Soldaten« feierlich zu verabschieden.(1) Kecke ist Chefin vom Dienst bei der Leipziger Volkszeitung und berichtet bereits seit zwei Jahrzehnten wohlwollend über das deutsche Militär. Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD), der sich - so liegen die Prioritäten, wenn ein abgesetzter Generalmajor »mit fester Stimme Kommandos über den weiten Appellplatz« ruft - »extra vom Städtetag in Nürnberg losgeeist hatte«, verurteilte Spindlers Abberufung als einen »beispiellosen, unglaublichen Vorgang« und befand: »So geht man nicht mit Menschen um.« Wie man als Ausbilder mit Soldat/innen folgenlos umgehen darf,wenn Spindler das Kommando führt, interessierte die Anwesenden – unter ihnen auch Polizeipräsident Bernd Merbitz und der Vorstandsvorsitzende der Leipziger Sparkasse Harald Langenfeld - hingegen nicht. Sie hielten es mit Spindler, der im Bayerischen Rundfunk auch nach seiner Absetzung noch die feste Überzeugung vertrat, dass »Dienstvergehen [...] in der Öffentlichkeit nichts zu suchen ha[ben], weil das interne Maßnahmen sind.« Während er sich gegen Einmischungen von Außen verwehrt, brachte Spindler sich selbst gern auch jenseits seiner »schönsten Verwendung« ein. Als OB Jung im vergangenen Jahr beim Neujahrsfest des Ausbildungskommandos erklärte, es dürfe nicht sein, »dass es in Connewitz Bereiche gibt, wo das Gewaltmonopol des Staates nicht mehr gilt«, sprang Spindler im bei und beteuerte, dass auch er sich wünsche, »dass wir für die innere und äußere Sicherheit in diesem Lande all das zur Verfügung gestellt bekommen, was erforderlich ist, um das Gewaltmonopol des Staates auch in jederlei Hinsicht wieder [sic!] hergestellt bekommen. Und da sehe ich, was in Leipzig in Connewitz passiert ist, dass wir da noch ein wenig arbeiten müssen.«

Wie Generalleutnant Erhard Bühler, Leiter der Planungsabteilung im Kriegsministerium, im März in einem Beitrag zur Aktuellen Planung in der Bundeswehr schrieb, befindet sich das deutsche Militär momentan in einem Prozess der »Abkehr von den Vorgaben der Neuausrichtung von 2011« auf globale Interventionen zur »Konfliktverhütung und Krisenbewältigung« hin zum »Kernauftrag, der Landes- und Bündnisverteidigung [...] und Bereitschaft zu Abschreckung«, ohne dass dabei das Interventionspotenzial geschwächt werden soll. In dem zeitgleich von ihm unterzeichneten Vorläufigen konzeptionellen Vorgaben für das künftige Fähigkeitsprofil der Bundeswehr ist neben umfangreichen Aufrüstungsvorhaben eine Aufstockung der gegenwärtig sieben auf zehn Heeresbrigaden vorgesehen. Die Fortsetzung der Rekrutierungsprobleme der momentan »kleinsten Bundeswehr aller Zeiten« ist damit vorprogrammiert, weshalb auch verstärkt öffentlich über die Heranziehung von Reservist/innen nachgedacht wird.

Vor diesem Hintergrund muss von der Leyens demonstrativer Aktionismus verstanden werden. Antidemokratische Einstellungen in einer nicht demokratischen Organisation wie dem Militär sind ebenso wenig verwunderlich, wie neofaschistische angesichts der in Bezug auf die braunen Wurzeln durchaus als authentisch einzuschätzenden Traditionspflege unbekannt. Beide erstarken durch den Wandel von einer auf Wehrdienst basierenden Verteidigungs- zu einer Berufsarmee im Einsatz. Unter dem Eindruck der Kriege in Jugoslawien und Afghanistan forderte bereits 2004 Generalleutnant Hans-Otto Budde noch vor seinem Amtsantritt als Inspekteur des Heeres: »Wir brauchen den archaischen Kämpfer, und den, der den High-Tech-Krieg führen kann.« Dass archaische Ausbildungsmethoden beide Soldatentypen in der Regel eher verschrecken und ein (Auslands-)Einsatz die Kämpfer/innen immer noch am Besten formt, hat von der Leyen erkannt. Auch wenn ihr die öffentlichkeitswirksamen Absetzungen von Ausbildern viel Kritik des Militärs sowie den Vorwurf der parlamentarischen Opposition eingebracht haben, sie habe einige Vorfälle wissentlich aufgebauscht, hat die Kriegsministerin doch geschickt die Aufmerksamkeit von der aufgeflogenen rechten Terrorzelle hin zu einer Debatte um angeblich »verdeckte rechtsextreme Tendenzen« und faschistische Traditionsbezüge in der deutschen Armee gelenkt. Dabei sind auch rechte (para-)militärische Gruppen in der und um die Armee nicht Neues; sie existierten in Westeuropa die gesamte Zeit des Ost-West-Konflikts hindurch. Neu an der Terrorzelle um Franco Albrecht ist lediglich, dass der Anschlag unter falscher Flagge offenkundig ohne Mitwissen staatlicher Institutionen geplant wurde und weitere Aktionen gegen führende Repräsentant/innen des Staates in Erwägung gezogen wurden. Das Vertrauen der Politik ins Militär ist deshalb weiterhin hoch. In der eingangs geschilderten Szene ging es bei den Personenkontrollen deshalb auch nicht um die Verhinderung eines befürchteten Anschlags der Generalität auf die Ministerin, sondern darum, die Hoheit über die mediale Berichterstattung zu behalten. Von den anderen im Bundestag vertretenen Parteien wurde von der Leyen vorgeworfen, ihren Aufgaben als Kriegsministerin nicht gerecht zu werden, sondern das Amt hauptsächlich zur eigenen Profilierung als potenzielle Nachfolgerin von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu nutzen. Abgesehen davon, dass man sich als Antimilitarist/in keine bessere Amtsführung vorstellen könnte – vgl. Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) – und mit dieser Kritik den – aus linker Perspektive - falschen Zweck zur eignen Sache macht, verkennt sie, dass von der Leyens Politik einer Maxime folgt, die bereits im aktuellen Weißbuch von 2014 zu finden ist: »Die Bundeswehr kann Auftragserfüllung und Einsatzbereitschaft nur sicherstellen, wenn sie über einen am tatsächlichen Bedarf orientierten Personalkörper verfügt. Dabei muss sich die Bundeswehr fortlaufend als ein wettbewerbsfähiger, flexibler und moderner Arbeitgeber positionieren.« Notfalls muss eben die angestrebte »strategische Autonomie« der EU auch gegen Widerstände von denjenigen durchgesetzt werden, die sie zukünftig auf militärischem Gebiet ausüben sollen. Im Fall Spindlers sind die Folgen allerdings überschaubar: er geht Ende August ohnehin in den Ruhestand.


shadab

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Anmerkungen

(1) Zu den guten Kontakten und engen Verbindungen zwischen lokalen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Eliten in Leipzig siehe auch: In Sachsen nichts Neues, CEE IEH #236 (11/2016), online: conne-island.de/nf/236/3.html

17.07.2017
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