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Aktuelles Heft

INHALT #241

Titelbild
„Der April macht was er will“
• das erste: Linkes Neuland
Das 5 vor 12 Syndrom – Arbeitsdruck in linken Zusammenhängen

»Wer nicht feiert...«
Darkest Hour
Girlz Edit pres.: Diskussionsveranstaltung // Featuring Females* - Frauen im Musikbusiness
Crowbar
Rixe (Cafékonzert)
Kritik des Familismus. Geschichte, Theorie und Realität eines ideologischen Gemäldes
SOOKEE

Love A
Lesung und Diskussion: Verheerende Bilanz - Der Antisemitismus der Linken

• position: Kleinkrieg in Perversien
• doku: »Flüchtlingskrise« und autoritäre Integration
• das letzte: Kapitalverbrechen Terror

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Kleinkrieg in Perversien

Eine Lesereise durch vermintes Territorium

Dieser Text versteht sich als kleine Rundreise durch den aktuellen queeren Theoriesumpf und nicht als eine dezidiert theoretische Auseinandersetzung und Kritik. Dabei werden Untiefen und Brackwasser durchforstet und hier und da vielleicht die ein oder andere trockene Insel mit einem Moorblümchen drauf sichtbar gemacht. Wem an einer grundsätzlichen Kritik gelegen ist, der*die nehme die Bücher selbst, ein wenig kritischen Verstand und im Zweifelsfall einen Lesekreis zur Hand und denke selbst; nicht zu empfehlen sind Dinge die unter dem Hashtag #beissreflex veröffentlicht werden.

Die Leipziger Buchmesse ist ja an sich schon ein trauriges Ereignis. Da inszeniert sich eine gebeutelte Branche selbst und alle gratulieren sich dazu, dass das Buch doch noch nicht am Ende ist, denn es werden ja ohne Ende Romane geschrieben, die über 1000 Seiten lang sind(1). Dass die wahrscheinlich nur gekauft werden, weil der breite Buchrücken im Regal nicht nur mehr Platz einnimmt und es so schneller zu füllen ist; nein, auch aus der Ferne lässt sich noch erkennen wie gebildet, eine Person sein muss, die so einen Wälzer im Regal stehen hat.
In diesem von Untiefen geprägtem Gewässer, das sich Buchmesse nennt, findet sich aber natürlich auch die ein oder andere Perle, oder auch mal eine Miesmuschel. Eine solche ist zum Beispiel der Kleinkrieg von Heinz-Jürgen Voß und Patsy l‘Amour LaLove. Da beide ihre jeweils aktuellen Bücher in diesem ganzen Trubel vorstellen, beschließe ich die Buchmesse Buchmesse sein zu lassen und mich ins Getümmel zu stürzen.
Voß liest gleich zwei Mal aus dem Buch »Schwule Sichtbarkeit – Schwule Identität«, das er zusammen mit Zülfukar Çetin geschrieben hat. Die wenigen Stühle in der RosaLinde sind kaum besetzt. Neben mir sitzen zwei Menschen die zum Verein gehören und drei Gäste. Diese Zahl steigt zwischenzeitlich auf Vier, aber noch bevor Voß am Ende ist, sitzen wir wieder in der ursprünglichen Besetzung da. Einer erzählt mir bei einer Zigarette vor der Tür, dass er sich schon auf Patsys Lesung am Samstag freut. Das muss Dialektik sein.
Die Lesung beginnt mit bekannten Wahrheiten: Die erste Schwulenbewegung war gar nicht an der befreiten Gesellschaft interessiert; die geführte Identitätspolitik brauchte ihr projektives Anderes und so weiter. Es folgt ein kleiner Ausblick auf die damaligen Verhältnisse: Der preußische Sodomie-Paragraph drohte sich mit Gründung des Deutschen Reiches auszuweiten und männliche Homosexualität vom Rhein bis an die Memel unter Strafe zu stellen. So beeilten sich die Schwulen (die damals noch gar nicht so hießen) zu beweisen, dass sie ganz hervorragend im Volkskörper aufgehen und zuvorderst eben Deutsche und erst danach Arschficker seien. Daraufhin folgt eine lange Aufzählung von unterschiedlichen Rezensionen zum Buch und wie toll alle das jeweils finden; bis auf eine...(2) Weiter geht’s mit einem Exkurs in die Physik. Warum? Ich weiß es nicht. Irgendwas mit Wellen und Teilchen. In meinem Kopf zirkuliert die Frage, ob der Teilchenbeschleuniger von CERN wohl sowas wie einen Orgasmus empfindet, wenn in ihm zwei Teilchen kollidieren. Oder haben eher die Teilchen den Orgasmus? Ein letztes Mal geil, bevor es sie auseinander schießt? Die Frage bleibt unbeantwortet und Voß ist bei Magnus Hirschfeld angelangt und dabei, dass der zwar irgendwie progressiv, aber auch ein Rassist war. Kurze Erkenntnis meinerseits: »Die Homos sind auch nur Teil der Verhältnisse, oh Schreck! « Da geht es auch schon mit dem nächsten Teil weiter. Hier wird gezeigt, dass man natürlich sehr en vogue ist, was das sozialwissenschaftliche Geschehen angeht. Das bedeutet aktuell den spatial turn mitzumachen. Es geht aber nicht um die eingeölten Übermänner von Sparta, wie sie aus 300 bekannt sind, sondern um Räume. Dahinter verbirgt sich dann aber auch nur die Feststellung, dass dieselbe Aktion im öffentlichen Raum in den 70ern was anderes war als heute und in Berlin-Mitte anders funktioniert als im Wedding - wow! Plötzlich geht es aber schon wieder um Physik und Naturwissenschaften im Allgemeinen, und dass die ja irgendwie ganz anders funktionieren und andere Denkfiguren hervorbringen als die Sozialwissenschaften. Was für eine Überraschung. Diese Formen sollen jetzt aber übernommen werden und dann in der Geschlechterforschung fruchtbar gemacht werden. Als ich noch auf das obligatorische Zitat aus Hesses Glasperlenspiel warte, ist die Lesung auch schon vorbei. Es gibt zwar noch eine Nachfrage, wie das denn jetzt mit dem Kolonialismus in der Türkei gemeint sei, also wer da jetzt wen kolonisiert hat: das osmanische Reich große Teile von der arabischen Halbinsel, über Nordafrika, bis nach Wien? Oder geht es um die Auseinandersetzungen der Türkei mit Griechenland? Oder der Umgang der Türkei mit ethnischen Minderheiten, wie den Alevit*innen, Kurd*innen oder Armenier*innen? Die Antwort fällt dann aber fast schon absurd aus, wäre sie nicht so erschreckend: gemeint ist die europäische Besatzung nach dem ersten Weltkrieg. Am darauffolgenden Tag soll die Lesung ein weiteres Mal stattfinden. Ich entschließe mich nicht hinzugehen.
Ich genieße die Pause von der ganzen Vorleserei und lese lieber selbst. So zum Beispiel Packungsbeilagen oder Internet-Comics. Derart erholt gehe ich also zur Podiums-Lesung aus Beissreflexe in‘s Conne Island. Weil sich davor eine riesige Schlange bildet, schnappe ich mir meine Tochter Babsi (»He Babsi, wenn du das ließt: Hab dich lieb! Herzlike«) und wir gehen uns nochmal schnell schminken. Als wir wieder rauskommen, ist die Schlange weg und das Island voll.
Vor der eigentlichen Lesung liest Stefan Rudnick im Rahmen der »Beste Deniz wo gibt«-Aktion einen Text von Yücel zu den Gezi-Protesten. Ein Text der nicht geringeres ist als ein Plädoyer nicht die Hoffnung auf die Möglichkeit gesellschaftlicher Veränderung zu verlieren. Ein guter Start, denke ich, aber mache mir keine allzu großen Hoffnungen, dass das eingelöst wird.
Nun geht die eigentliche Lesung los. Naja, nicht ganz. Es folgt die Vorstellung des Podiums durch Irene Eidinger, die mit den üblichen Beispielen autoritären queer-Aktivismus abgrenzt. Patsy l‘Amour LaLove weist darauf hin, dass »Beissreflexe« das bisher erfolgreichste Buch des Queerverlags ist und den lesbischen Sexratgeber, der bis dato diesen Titel tragen durfte, vom Thron gestoßen hat. Während die üblichen endlos langen Danksagungen kommen, überlege ich, warum es im Island nicht Lesungen aus Sexratgebern gibt und ob ich nicht auch mal ‘nen Schnaps trinken könnte. Derweil geht es vorne schon wieder mit Inhalten weiter: historisch kommt queer aus der lgbt-Identitätspolitik, ist aber so mit der Abgrenzung von diesen beschäftigt, dass der Kampf gegen den heterosexuellen Wahnsinn hinten runter fällt; der Privilegien Ansatz relativiert tatsächliche Gewalt; solidarische Kritik ist verwässerte Kritik; Antirassist*innen sind die schlimmeren Rassist*innen – und so ist man römmsdibömms von fundierter Kritik zu postantideutschem Geraune übergegangen, das schon wahr wird, wenn man sich nur häufig genug gegenseitig zitiert (»It‘s science!«). Es wird dann aber schnell wieder besser und am aktuellen queeren Aktivismus wird bemängelt, dass er sich nur noch über Sprechposition und Verletztheit legitimiert. Diskriminierungserfahrungen sind eben noch kein kritisches Bewusstsein; anders: Das Sein in der Krise schafft eben noch kein kritisches Bewusstsein.
Es folgt Koschka Linkerhand und sie legt gleich los. Wir sehen uns einem bunten Reigen von Identitätskonzepten gegenüber, die allerdings keine Rückbindung an die Verhältnisse erfahren, sondern einzig das Subjekt abbilden sollen.
»Hallo, ich bin weiß, schwul und hab ein Faible für Frauenkleider«
»Ach, bist du die Kuku Schrapnell? «
»Ja, haha, woher weißt du denn das jetzt? «
In so einer absurden Vorstellung von Gesellschaft wundert es dann auch nicht mehr, dass selbst Arbeitslosigkeit zum Identitätsmerkmal wird und nicht die Folge einer unglaublich unvernünftig eingerichteten Welt ist. Jedoch, hält Koschka hoch, ist Identitätspolitik nicht per se schlecht. Die Identität müsste nur negativ bestimmt werden als geteiltes Problem und nicht geteiltes Wesen. Wenn aber aus dieser Position die Probleme von zig Frauen angesprochen werden, wird ihnen immer häufiger Transphobie vorgeworfen, während gleichzeitig aber nur trans* Personen über trans* Themen reden dürfen. Es kommt halt darauf an, wer im Privilegien-Roulette mehr beziehungsweise weniger vorzuweisen hat. Wie sich jetzt aber eine negative Identitätspolitik äußert und zu welchen Praxen sie führt, bleibt aber leider offen.
Frederik Schindler ist als nächstes an der Reihe und referiert zu pinkwashing. Nach ein paar Beispielen, was damit denn gemeint ist, geht es vor allem um Jasbir Puar(3). Von ihr stammt nicht nur die These, dass die Selbstdarstellung Israels als schwulenfreundlich, nur der Abwertung der Palästinenser*innen diene, und dass jede Reform und Verbesserung der Lebensverhältnisse einen Verrat an der revolutionären Sache darstelle. Dann folgen ein paar abwechselnde Zitate von Floris Biskamp und Puar, wobei die von Biskamp irgendwie besser sind. Irgendwie nicht so paranoid und wahnhaft und dann ist das Ganze auch schon wieder vorbei.
Als ich schon fast denke, dass zum Glück alle so verklemmt sind und die Veranstaltung endlich vorbei ist und ich zu meinem Schnaps komme, diskutieren Koschka und Patsy plötzlich miteinander. Dass das Frausein als Betroffenheit eint und auch die Kämpfe von trans* Frauen mit aufnehmen kann, der Queerfeminismus aber eher die Grundlage für neoliberale Verwertunge schaffen will, legt Koschka dar und freut sich über die neu aufflammenden feministischen Bewegungen. Patsy harkt ein und sagt, dass jeder Traum von großen linken Bewegungen per se regressiv ist. Ich beuge mich vor und gucke, ob Patsy unter dem Tisch heimlich eine Bahamaas liegen hat... Hat sie aber nicht; wäre ansonsten ein guter Witz gewesen. Irgendwann geht voll die Debatte zur richtigen Butler-Exegese los und ich geh erstmal aufs Klo. Dort schwelge ich in Erinnerungen: »Weißt du noch, Kuku, als du dich hier hast ficken lassen und danach `ne Analfissur hattest?« »Haha, ja, weiß ich noch... Das waren Zeiten...« Als ich zurückkomme diskutieren Koschka und Patsy gerade die Schwanzfrage. Bis zum Rest der Veranstaltung schaue ich zur Schnapsbar und habe das Gefühl, in so einem Shotglas ist mehr Bewegung drin als in der Buchmesse.

Kuku Schrapnell

Anmerkungen

(1) 1000 Seiten + der Endnotenapparat
(2) http://jungle-world.com/artikel/2016/47/55268.html
(3) Die Internetseite jasbirpuar.com ist aber sehr empfehlenswert, wenn man unseriöse Lotto-Seiten mag, so findet sich dort einiges wissenswertes über die Irische Lotterie: „Die irische Lotterie kann gesagt werden: ist eine der ältesten Lotterien in Irland. Wenn es um die anderen Spielen verglichen wurde es für die massiven Jackpots bekannt“

27.05.2017
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