• Titelbild
• Der Schulz-Effekt
• das erste: German Übereifer
• Toxpack / Zaunpfahl
• KLUB: IO x Electric Island x Veranda
• Turbostaat
• yo, fatoni!
• Jojo Mayer + Nerve
• position: Weniger Nationalismus, mehr Leistung?
• doku: Aufruf zur Demobilisierung.
• doku: Wir brauchen eine Diskussion über die Karriereplanung der linken Studis
• das letzte: High Noon in Thekla
In der Disko der Jungle World wurde kürzlich über die deutsche Erinnerungspolitik debattiert. Diese Diskussion erfasste zwar durchaus einige ihrer aktuellen Momente, jedoch fehlten andere Teile dieses Gegenstands, die hiermit ergänzt werden sollen. Der Beitrag German Gedenken(1) von der Antideutschen Aktion Berlin (ADAB) reicherte zunächst zentrale Thesen Eike Geisels mit aktuellen Bezügen an. Geisel zufolge wird eine »neue Lust am historischen Schuldbekenntnis der Deutschen« dadurch geweckt, dass sich das »Shoahbusiness« inzwischen besser denn je vermarkten lässt. Die ADAB zeigt, wie der dahinterstehende Eifer, mit Sigmar Gabriels (SPD) Stolz auf das internationale Renommee des ›Erinnerungsweltmeisters‹ schwanger geht. Der Auschwitzüberlebende Georg Brady bezeichnete dies im Tagesspiegel vor wenigen Jahren treffend mit den Worten: »Es ist verrückt, wie sich die Dinge umkehren. Vor 70 Jahren wollten sie mich umbringen, jetzt ehren sie mich.«(2) Wohl spätestens seit Schröders Staatsantifaschismus, den Geisel selbst nicht mehr erlebte, ist nun, wie Katrin Antweiler in ihrer Replik(3) auf die ADAB schreibt, der Patient im internationalen Erinnerungsdiskurs »geheilt«. Zwar wollen die Deutschen sich ihr Auschwitz noch immer nicht wegnehmen lassen und es habe, wie Geisel schrieb, gefälligst deutsch zu bleiben. Aber die Vorzüglichkeit des Wesens deutscher Erinnerungskultur darf sich international gern generalisieren, so dass alle anderen daran genesen dürfen. Jedoch was bedeutet das schon, ein »geheilter Patient«? Dass von diesen nun vermeintlich ›zukunftsorientierten‹, ›versöhnlichen‹ und ›universalistischen‹ Deutschen, die »Hand in Hand mit dem restlichen Europa und allen anderen« gehen, nun keine Gefahr mehr zu erwarten sei, nur weil sie sich politisch zivilisiert und ökonomisch konsolidiert haben? Das stimmt mit Blick auf Deutschlands gegenwärtige Hegemoniebestrebungen wohl weniger denn je seit der Niederschlagung des Nationalsozialismus. Erste Anzeichen, was diese Hegemonie auch erinnerungskulturell noch stärker als erinnerungspolitisch bedeuten mag, lassen sich unlängst am German Übereifer ablesen, der zusehends über die rein ökonomische Kalkulation in Richtung des Irrationalen hinaustreibt. Dies liegt wohl daran, dass sich Kunst wie Kultur zumindest nicht zwangsläufig den ökonomischen Zwängen anzubiedern haben, wenn Deutschland stark genug ist.
Der Leitartikel Deutscher Übereifer in der diesjährigen Februarausgabe der KUNSTZEITUNG könnte sich schon bald als idealtypisch-zeitgenössisches Dokument dieses sich hinter vermeintlicher ökonomischer Kalkulation versteckten Revisionismus erweisen, der die »nachkriegsdeutsche Kosten-Nutzenanalyse« zur neuen »Beseitigungswut gegenüber der Erinnerung« (Geisel) werden lässt.(4) Verleger Karlheinz Schmid beklagt im Leitartikel jenen »deutschen Übereifer, der sich zunächst in einer inflationär wirkenden Zunahme einer Erinnerungskultur äußert, die teils groteske Züge annimmt«. Sie erwecke – fast schon eine rhetorische Hommage an Geisels »nationale Wiedergutwerdung der Deutschen« – den Anschein, »dass diese Nation mittlerweile nichts mehr unversucht lässt, […] in jedem Kleingartenverein zu ermitteln, wo es noch eine Opfergruppe geben könnte, derer zu gedenken wäre« (Schmid). Scheinbar lebt in dieser »deutsche[n] Kritische[n] Theorie« (Geisel) der außenpolitische Traum nach mehr »Lebensraum im Osten« samt seiner libidinösen Energie in sublimierter Form im Inneren, genauer in der Stadtpolitik des Herzens der deutschen Republik fort: Insbesondere unter Bezugnahme auf das Holocaust-Denkmal in Berlin schreibt Schmid: »Da werden Wettbewerbe ausgeschrieben, Millionen Euro verbaut, um Jahre später, ganz ängstlich, erkennen zu müssen, dass man den Stadtraum völlig dicht gemacht hat. Teils mit Schrottkunst, aus heutiger Sicht.« So müllen wir Deutschen also nur wegen unseres Vergangenheitskomplexes gegenüber den Jüdinnen und Juden unsere Städte zu. Die rund 1,3 Millionen Baudenkmäler jeder Art »sind Ausdruck eines deutschen Traumas, sich für Unrecht vorausgegangener Generationen entschuldigen zu müssen, die dunkle deutsche Vergangenheit politisch korrekt aufpolieren zu wollen« und vom »Krampf im Denken und Handeln« (Schmid). Während Geisel in Bezug auf die Pläne zum Mahnmal, dessen Eröffnung er selbst nicht mehr erlebte, noch den deutschen Arbeitseifer polemisch mit der »Fähigkeit zu Mauern« auf den Punkt brachte und es zur »nationale[n] Kuschelecke« stilisierte, beklagt Schmid lieber die Instandhaltungskosten, so dass selbst die symbolischen Akte, welche neben der Rehabilitation der Deutschen zugleich die weitestgehend ausgebliebenen materiellen zu überdecken hatten (siehe den Artikel der ADAB), zusammen mit den Betonklötzen Berlins brüchig werden. Plötzlich wird aus der liberalen Vorstellung des Äquivalententausches, nach welcher auch das politische ›Image‹ Deutschlands im internationalen Konkurrenzkampf um die höchste Absatzrate noch vor dem Tauschakt bestmöglich zu promoten sei, wieder ein manifester Kulturkampf. Nur wegen des Vergangenheitskomplexes der Deutschen werde der Rückbau der Denkmäler »unmöglich, weil niemand den Bilderstürmer geben kann. Das wäre politischer Suizid.« (Schmid) Im selben Jargon entdeckt Schmid in der Diskussion um das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin, welches »vom Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages, der längst Kulturpolitik macht«, »aus Kostengründen abgesagt« wurde, ein »entlarvendes Beispiel« für die Fehlkalkulation der nachkriegsdeutschen Kosten-Nutzen-Analyse. Zwar kritisiert Schmid auch das »sudetendeutsche Aufbegehren« für »ein konzeptionell längst überholtes Dokumentationszentrum in Sachen Flucht, Vertreibung und Versöhnung«, weil insgesamt die »nicht enden wollende Erinnerungskultur […] den scharfen Blick nach vorn« vernebele, was zunächst die These zur »zukunftsgerichteten Politik« (Antweiler) bestätigen würde. Allerdings verfestigt dieser Versuch der vermeintlichen Überwindung der deutschen Geschichte immer wieder die Idiosynkrasie. So setzt Schmid sämtliche historischen Ereignisse in relativierender Weise unterschiedslos gleich, wie er gleichermaßen die Differenz von Erinnerung und Aufklärung nicht zu ziehen vermag: Den marginalen Betrag von »fünf Millionen aus dem 1,6-Milliarden-Zuwendungsbeutel der Staatsministerien für das Bundesarchiv, um die NS-Vergangenheit deutscher Ministerien und Behörden aufzuarbeiten«, kritisiert er in einem Atemzug mit den 50 Millionen für die sudetendeutschen Revisionistinnen und Revisionisten. »Der deutsche Denkmal-Wahnsinn in Sachen Freiheit und Einheit […] verpulver[t] […] unser Steuergeld.« Aufgrund solcher Relationen kann man selbst beim besten Willen, Schmids Kritik noch eine rein ökonomische Rationalität zu unterstellen, nur noch dem brüllenden Irrationalismus in den Rachen schauen. Sein Schrottrecycling argumentiert innenpolitisch auf angeblicher Basis von Kostenkalkulationen, er streift dabei sogleich die bisherige Notwendigkeit ab, das NS-Aufarbeitungs-Image aufzupolieren und es weiterhin als zentralen Faktor einzubeziehen.
Die Vermarktung des Gedenkens, seine Verfügbarmachung im Rahmen einer ökonomischen Rationalität, wonach »moralische Attitüde und politisches Kalkül jene Verbindung ein[ging], die im neuen Bewährungshelferidiom mit der Standardformel ›Gerade wir als Deutsche‹ ihren rhetorischen Dauerausdruck« (Geisel) findet, setzte in der Vergangenheit eine historisch-spezifische Situation voraus. Zum einen verlangte sie eine ausreichende ökonomische Konsolidierung Deutschlands, wie sie zunächst u.a. das sog. Wirtschaftswunder nach dem unmittelbaren Post-NS-Taumel mit sich brachte, um so den revisionistischen Kräften etwas entgegenhalten zu können. Zum anderen durfte noch keine europäische wie internationale Vormachtstellung in Aussicht stehen oder gar gegeben sein, wie es bis zur Wiedervereinigung der Fall war. Geisel zeigt in seinem Zitat mit Blick auf die Opfer, dass dieses sog. »Bewährungshelferidiom« eine gedoppelte Bestrafung der überlebten Jüdinnen und Juden war, die nach ihrer Erfahrung der Shoah nun noch ein zweites Mal herangezogen werden, um der »Heilung des Patienten« und »nicht dem Gedenken an die Opfer« zu dienen. Nun ist diese Form der »Ritualisierung des Gedenkens an die Shoah« nicht als einmal erreichte, ahistorische Konstante, die zwar irgendwie unangenehm, aber doch erträglich für die Opfer ist, zu verstehen, sondern kann sich, sobald sich ein günstiger Moment zur pathischen Projektion bietet, gegen diese Opfer stets wieder wenden. »Denn in Wahrheit hat die Massenvernichtung bewiesen, […] daß ein derartiges Verbrechen langfristig gut ausgeht und sich nicht nur in Exportquoten, sondern auch […] in Kultur auszahlt.« (Geisel) Zum ehrwürdigen Gedenken waren den Deutschen die Jüdinnen und Juden schon immer ein Splitter im Auge, der ihnen als Vergrößerungsglas dienend ihr eigenes Leiden und ihren Schmerz erst richtig offenbart. »Je heftiger sie sich mit toten Juden beschäftigten, desto lebendiger wurden sie selbst. […] ›Die Juden sind unser Glück.‹ Denn was wäre ohne sie aus der Endlösung der deutschen Frage geworden?«, diagnostizierte Geisel noch Anfang der 1990er Jahre. Der Faktor ›Jude‹ war in der Kalkulation dieses ›Glücksmoments‹ nur so lange entscheidender Teil der Bilanz, wie die deutsche Frage noch nicht geklärt war. Ihr lag das »übermächtige kollektive Verlangen, den Prozeß der nationalen Rehabilitierung der Deutschen als Deutsche endlich zum Abschluss zu bringen« (Geisel), zugrunde, was letztlich in der Deutschen Revolution von 1989 kulminierte. Noch ein Jahr vor diesem Ereignis, zur zentralen Gedenkveranstaltung anlässlich des 50. Jahrestages der Reichspogromnacht am 9. Nov. 1988 in der Frankfurter Synagoge hatte zwar eine »neue deutsch-jüdische Symbiose« stattgefunden, diese Zeremonie krankte allerdings noch daran, dass hier noch Juden und Jüdinnen im Spiel waren. Schon ein Jahr später war das Problem soweit behoben – »nun fielen sich nur rein Deutsche in die Arme.« (Geisel) Dass noch einige Jahre nach der sogenannten »Wende« vorwiegend das ökonomische Kalkül die Erinnerungspolitik beherrschte, ist wohl dem Umstand geschuldet, dass die Deutschen zwar mit erhobenem politischen Haupt, jedoch mit deutlichen Einbußen im Geldbeutel aus diesem Wende-Taumel hervortraten.
Die deutsche Ideologie ist seit jeher dadurch gekennzeichnet, eben über die rein ökonomische Rationalität hinaus in einen tendenziell destruktiven Irrationalismus zu treiben, sobald die historische Situation es politökonomisch zulässt und die Mittel dafür zur Hand sind. Deutschland als Krisengewinner und neuer europäischer Hegemon stellt eine Gefahr dar, die sich auch – oder gerade – im Kulturbetrieb der Kulturnation niederschlägt: Wenn Björn Höcke (AfD) also in seiner Dresdener Rede vom 17. Januar dieses Jahres das Holocaust-Mahnmal als »Denkmal der Schande« bezeichnete, was nun AfD-intern zur Einleitung eines Ausschlussverfahrens führte und wohl als ihr letzter Versuch gewertet werden kann, den bürgerlichen Schein doch noch irgendwie zu wahren, wird dies in der Politik wie in den Medien zu einem Eklat ersten Ranges aufgebauscht. Was Höcke sagte – und das kratzt am Stolz der Deutschen – stellt jedoch in Bezug auf den historischen Gegenstand des eliminatorischen Antisemitismus eine Wahrheit dar, wie auch Walser 1998 mit seiner »Dauerpräsentation der Schande« ex negativo den Kern der Sache traf. Der immanente Widerspruch, dass Auschwitz sich eben nicht so ohne weiteres rationalisieren und kommodifizieren lässt, provoziert das deutsche Gemüt von links bis rechts. Diese Idiosynkrasie erst lässt die heftigen Aggressionen bis hin zu »Morddrohungen wegen Trivialitäten«(5) (Bergmann) folgen. Dass der »Heilungsprozess abgeschlossen« (Antweiler) sei und das »ritualisierte Gedenken« lediglich »einer regelmäßigen Vergewisserung« dessen diene, verkennt einerseits, dass eine wirkliche Heilung innerhalb des falschen Ganzen nicht abgeschlossen werden kann. Andererseits können sich sogar Psychotiker und Psychotikerinnen eine ganze Weile unbemerkt innerhalb dieses Falschen bewegen. Demnach ist Geisel zumindest dahingehend zu widersprechen, dass in Deutschland die höchste Form des Vergessens das inflationäre Erinnern sei: Es gibt auch noch die Abrissbirne, die der deutschen Wertarbeit ohnehin noch näher steht als das Mauern. Der (noch) subtile Revisionismus der »Kulturnation Deutschland« und der gleichsam rauere Wind ihrer Erinnerungspolitik sind dabei eingebettet in den international beobachtbaren Rekurs auf nationalkapitalistische Abschottungspolitik. Die einstigen Imagekampagnen scheinen vorüber zu sein. Der politisch wie ökonomisch starke Hegemon bedarf der ökonomischen Rationalität nur noch insofern, als dass sie den Schein des offensichtlichsten Irrationalismus zu verdecken vermag. Plötzlich sind wir zwar »Erinnerungsweltmeister« (Geisel), aber zugleich auch wieder handfeste »Weltmeister im Basteln an der eigenen (Schuld-)Vergangenheit« (Schmid).
Achard Rieus