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Aktuelles Heft

INHALT #239

Titelbild
Editorial
• das erste: Subkultur im Spannungsfeld zwischen Rechts und Links
• inside out: Pressemitteilung: Conne Island gewinnt Klage gegen Überwachungsmaßnahmen durch Verfassungsschutz
Sex-Zwangsarbeit in NS-Konzentrationslagern
KLUB: Elctric Island X Edit
WORD! cypher / End Of The Weak Leipzig (Open-Mic-Freestyle-Session).
Offenes Antifa Treffen
Freddie Joachim & Duktus // Cafe Konzert
Grails + Majeure
Lesung: Im Feindbild vereint. Zur Relevanz des Antisemitismus in der Querfront-Zeitschrift Compact
Lesung: Millionaires zu Besuch
Lesung: Hipster und andere destruktive Charaktere der Gegenwart
Ahzumjot & Chima Ede
Soundsystem Clash
• review-corner event: Sag mir, wo du stehst
• review-corner event: Wo wir stehen, wo wir kämpfen
• position: Antideutsche Feldforschung.
• doku: Wir fordern das Wort »Apartheid« zurück!
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• das letzte: Das Letzte

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Subkultur im Spannungsfeld zwischen Rechts und Links

Eine historische Annäherung

»All dies ist schon mal geschehen. All dies geschieht irgendwann wieder.«
Weissagung der Pythia (Battlestar Galactica)

Ende 2015 startete in Leipzig eine Veranstaltungsreihe unter dem Motto: Quatsch mit rot-brauner Soße, welche sich kritisch mit Historie und Gegenwart von Querfronterscheinungen auseinandersetzte. Im Rahmen dieser Reihe hielt ich einen Vortrag zum Thema Der Untergrund – subkulturelle Wurzeln radikaler Theorie und Praxis ab 1900 mit folgendem Inhalt:
»Wenn heutzutage von Rechtsradikalen Landkommunen gegründet werden, Linke gemeinsam mit Verschwörungstheoretikern für den Weltfrieden und gegen TTIP demonstrieren oder Nazis eine vegane Kochshow auf youtube präsentieren, herrscht zuweilen Irritation. Dringen hier ›Rechte‹ in ›linke‹ Lebenswelten ein oder steckt dahinter gar eine gezielte neue ›Querfrontstrategie‹? Warum gelingt es mitunter scheinbar mühelos, eine Verbindung zwischen zwei eigentlich völlig gegensätzlichen politischen Welten herzustellen? Antworten auf solche Fragen kann ein Blick in die Vergangenheit liefern. Er führt zurück zu den Wurzeln einer Szene, welche mit heutigen Begriffen als ›alternativ‹, ›subkulturell‹, ›underground‹ oder einfach als Bohème bezeichnet werden kann, zu einer Gegenkultur gegen den gesellschaftlichen Mainstream, die sich in ihrer Ablehnung der modernen Gesellschaft einig war und nach neuen, revolutionären Wegen zur Befreiung des Menschen suchte. Sie vereinte Künstler*innen, Intellektuelle, Philosoph*innen, Dichter*innen, Schriftsteller*innen, christliche Sozialist*innen, ökologische Anarchist*innen, Rassist*innen, Antisemiten, Jüd*innen, Feminist*innen, Esoteriker*innen, Lebensreformer*innen und Pädagog*innen. Sie hinterließen ein Erbe, welches bis heute wirksam ist.«(1)

Nun ist diese Beschäftigung mit rechten Tendenzen in linken Lebenswelten wahrlich kein neues Thema der jüngeren Vergangenheit. Bereits 2008 gab es dazu einen Debattenbeitrag von mir mit dem Titel Ökofaschismus – über die Zusammenhänge von Ökologie und faschistischer Ideologie im Neurotiker Nr.17.(2)
Darin war es mir »weniger um die Analyse von konkreter Herrschaftsausübung, sondern vielmehr um ideologische Denkformen und Konzepte« gegangen. Mein damaliges Fazit: »Mit dem Wissen darüber, von wem und in welchem Zusammenhang Ideologien und Begriffe wie ›Faschismus‹, ›Ökologie‹ oder ›Ganzheitlichkeit‹ entstanden bzw. geprägt worden sind, stellt sich für mich nicht die Frage, wie in Bezug auf Umweltschutz und Ökologie eine ›Vereinnahmung‹ des Themas von ›rechts‹ verhindert werden kann, sondern vielmehr, wie eine ›linke‹ bzw. emanzipatorische Aneignung dieser Begriffe und Themen aussehen soll? Nach meinem Verständnis sind Ökologie und Faschismus ideologisch per se nicht voneinander zu trennen, die Ökologie ist vielmehr eine unverzichtbare Grundlage von faschistischer Ideologie. Ohne diese würden die ideologischen Konstrukte von Volk, Rasse und Lebensraum nicht funktionieren. Damit stellt sich die Frage, was Ökofaschismus eigentlich sei, in dieser Form gar nicht. Die provokante Frage müsste vielmehr lauten: Was ist nichtfaschistische Ökologie? Mit Blick auf bestimmte ›alternative‹, ›esoterische‹, ›ökologische‹ und ›antispeziezistische‹ Bewegungen scheint hier ein dringender Diskussionsbedarf zu bestehen.«
Falls diese Diskussionen tatsächlich stattgefunden haben sollten, so waren sie wohl wenig wirkungsmächtig. Heute, acht Jahre später, herrscht die gleiche Verwunderung über »Querfront«-Phänomene, mit dem Unterschied, dass scheinbar weitere Themenfelder und Lifestylebereiche hinzugekommen sind bzw. Beachtung finden. Dabei gibt es auch hier wenig Neues zu erfahren. Am Beispiel der »Friedenswichtel« (Querfront in der »Friedensbewegung«) wird das wohl überdeutlich. Bereits 1981 verwies Wolfgang Pohrt auf die völkischen Motivationen innerhalb der Friedensbewegung.(3)
Insofern spielt vielleicht eine gewisse Geschichtsblindheit innerhalb der Linken eine nicht unwesentliche Rolle, wenn sie immer wieder von »rechtem« Gedankengut in ihrer scheinbar »linken« Wohlfühlsphäre überrascht und aufgeschreckt wird. Gerade die links- alternative Szene und ihre Subkultur ist dafür anfällig und das nicht ohne Grund. Daher wäre der zurecht erhobene Vorwurf der mangelnden Geschichtsaufarbeitung an die Adresse der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft auch auf die Linke zu übertragen.
Es gibt eine ganze Reihe von theoriegeleiteten Ansätzen, mit deren Hilfe diese Misere analysiert und eventuell erklärt werden kann. Angefangen von der kritischen Theorie, über die neue Marxlektüre, der Wertkritik bis hin zum Wert-Abspaltungstheorem und einigen anderen.
Ich möchte einen weiteren, wenn auch theorielosen, hinzufügen: den kritisch-historischen. Diese geht radikal, im wahrsten Sinne des Wortes, auf die Wurzel zurück und versucht mit dem Aufzeigen der Entstehungsgeschichte der Jugendbewegung und der mit ihr verbundenen Subkultur, Ansätze für einen zusätzlichen Verständnishorizont zu erschließen, um sich der Problematik rechter Tendenzen in der alternativen Szene anzunähern.
An den Anfang möchte ich folgende Überlegungen stellen:
Unterliegen wir mit der Gleichsetzung von gelebtem Lifestyle und linkem Bewusstsein nicht einem Fehlschluss? Zur schematischen Erläuterung: Wenn ich mich als links definiere (Prämisse 1) und gern Fahrrad fahre (Prämisse 2) folgt dann zwangsläufig (Konklusion), dass Fahrradfahren etwas Linkes ist? Ich denke nein, aber allzu oft wird linkes Bewusstsein aufgrund solcher Fehlschlüsse konstruiert und begründet. (Kann ziemlich beliebig mit Ernährungspräferenzen, Musikgeschmack, sexuellen Vorlieben, geschlechtlichen Identifikationen, wirtschaftlich-sozialem Stand etc. ausgetauscht werden.)
Kaum etwas in der politischen Praxis geschieht in einem geschichtslosen Raum. Viele Ideen, welche heute für eine »linke« politische Subkultur herangezogen werden, sind keineswegs neu, sondern in der Regel über 100 Jahre alt. Bei diesen Praxisideen verhält es sich oft wie mit einem gebrauchten Wagen. Äußerlich ist er ganz annehmbar, aber keiner weiß, welches Erbe im Kofferraum noch mitgeliefert wird und dann unverhofft zum Vorschein kommt. Daher eventuell auch das Erstaunen, wenn etwas Vorgefundenes von links vereinnahmt wird und es dann doch nicht hält, was es scheinbar zu versprechen schien. Insofern ist eine Strategie des politisch-kulturellen »labelns« vielleicht in Frage zu stellen. Wenn Ideen nicht aus dem »Nichts« entstehen, sondern gemäß materialistischer Philosophieansätze auf objektiven Grundlagen basieren, lohnt es sich, auf die materielle Entstehungsgeschichte subkultureller und jugendbewegter Ideen und Szenen zu schauen, um Rückschlüsse auf die praktische Gegenwart zu ziehen.
Wissen wir tatsächlich, welchen bewussten und unbewussten (!) Einfluss die Vergangenheit auf uns hat? Die Erforschung von intergenerationellen Übertragungen von Ansichten, Werten, Ideen etc. im subjektiven Bereich steckt noch in den Kinderschuhen. Die kritische Auseinandersetzung mit den »68ern« hat gezeigt, dass der »oberflächliche« Bruch mit der Generation der »Nazi-Väter und -Mütter« keine Garantie für eine emanzipatorische politische Praxis sein kann. Polemisch ausgedrückt: Schülerinnen und Schüler von Adorno haben die maoistisch-stalinistischen K-Gruppen mit gegründet, welche dann zuweilen Verbrechern wie Pol Pot ihre Huldigung erwiesen.(4) Da stellt sich dann doch die Frage, inwieweit die theoretische Bildung tatsächlich ein Garant für »wahres« linkes Bewusstsein und entsprechende politischer Praxis ist!

Im Sinne der angekündigten kritisch-historischen Betrachtungsweise möchte ich jetzt einen Sprung wagen, welcher uns über 100 Jahre zurückversetzt, in die Zeit des Wilhelminischen Kaiserreiches vor Ausbruch des ersten Weltkrieges. Hier liegen die historischen Wurzeln der deutschen Jugendbewegung und ihrer Subkultur. Diesen »Kofferraum« zu öffnen und damit bewusste und unbewusste Traditionslinien sichtbar zu machen, kann helfen, die Gegenwart in Teilen zu verstehen.
Die deutsche Jugendbewegung entstand aus einer ablehnenden Haltung gegenüber der industriellen Moderne. Im Gegensatz zur materialistisch fundierten Kritik der Arbeiterbewegung an den herrschenden Verhältnissen (Marxismus), mit ihrer, im Prinzip, vorwärtsorientierten Bewegungsrichtung der geschichtlichen Entwicklung, sah diese jugendbewegte Kritik die Lösung der gesellschaftlichen Probleme in einer idealistischen Rückbesinnung auf »alte«, scheinbar bessere Zeiten. Dazu hatte sie auch allen Grund. Der industrielle Fortschritt und die Zunahme der Bedeutung der Großstädte entzog dem alten Bürgertum der Advokaten, Beamten, Lehrer etc. vor allem in der Provinz ihre bisherige, privilegierte Stellung. In Konkurrenz zum neuen industriellen Bürgertum drohten Ansehensverlust und entstanden Abstiegsängste. Dies übertrug sich auch auf die junge Generation dieser Klasse. Die gefühlten Verlierer dieser Zeit waren die Repräsentanten des klassisch-humanistisch gebildeten Bürgertums. Heute würden wir, zumindest in Hinsicht auf die universitäre Ausbildung, die Absolventen von Geistes-, Sozial-, Kultur- und Politikwissenschaft sagen. In Anbetracht der derzeitigen Situation in Bezug auf Karriere- und Verdienstmöglichkeiten im Vergleich zu den MINT-Fächern kein neues Phänomen…
Nun war diese »Verliererklasse« keineswegs progressiv. In großen Teilen national-konservativ geprägt, suchte sie in ihrem Rahmen nach Lösungsmöglichkeiten. Wichtigster Ansatzpunkt war dabei die Änderung der subjektiven Lebensweise im Hier und Jetzt. Nicht die Veränderung der gesamtgesellschaftlichen Lage, sondern die unmittelbare individuelle
Lebensgestaltung wurden zum Ausgangspunkt gelebter Praxis. Als Vorbild diente die Lebensreformbewegung,(5) welche alle denkbaren Möglichkeiten einer alternativen, scheinbar besseren Lebensweise anbot, angefangen von vegetarischer/veganer Ernährung, alternativer »Medizin«, Reformpädagogik, Konsumverzicht, ökologisch-regionaler Landwirtschaft, Freikörperkultur bis hin zu den Landkommunen etc. Ideologisch vorrangig völkisch, antisemitisch, antifeministisch, irrational, antimodern und elitär geprägt, bot sie ein ideales Praxismodell, um sich Distinktionsgewinne gegenüber dem verachteten Proletariat und dem neuaufgestiegenen Industriebürgertum zu verschaffen.
Wichtig für das Verständnis, warum ausgerechnet die Jugend des alten Bildungsbürgertums (und damit ihre gesellschaftlichen Wertvorstellungen) für die Entstehung der deutschen Jugendbewegung maßgeblich wurde, ist die damalige (vielleicht auch heutige?) sozial-gesellschaftliche Situation.
Proletarierkinder gingen bis zum 14. Lebensjahr in die Schule, dann drei Jahre in die Lehre und im Anschluss noch drei Jahre zum Militärdienst. Mit ca. zwanzig Jahren erfolgte der Eintritt in den Berufsalltag, Familiengründung etc.. Von freier Jugendzeit im jugendlichen Alter, wie wir es heute kennen, Schulferien, Semesterferien, Urlaub keine Spur. Achtstundentag und bezahlter Urlaub waren erst ab der Revolution 1918 möglich. Im Industriebürgertum war die Situation nicht viel anders. Zwar war dort der Militärdienst in der Regel auf ein Jahr begrenzt, aber die Verpflichtungen im eigenen Familienbetrieb sorgten für einen sehr zeitigen Einstieg des Nachwuchses in das Berufsleben.
Neben dem Adel bildete das alte Bildungsbürgertum hier die Ausnahme. Deren männlicher Nachwuchs (für die Mädchen war meist die Rolle als Hausfrau und Mutter vorgesehen) ging bis zum zwanzigsten Lebensjahr auf das Gymnasium, mit entsprechender Ferienzeit. Danach ein Jahr Militärdienst und anschließend ein Studium, inklusive Semesterferien, in der Regel ohne finanzielle Sorgen. Erst mit Ende Zwanzig erfolgte der Einstieg ins Berufs- und Familienleben.
Diese Klasse war es also, welche aufgrund der objektiv-materiellen Voraussetzungen über genügend Ressourcen, sowohl in Form von Zeit als auch von Geld verfügte, um so etwas wie eine »selbstbestimmte« Jugendkultur und -bewegung realisieren zu können. Genau aus diesem Milieu heraus entstand um 1900 herum die deutsche Jugendbewegung. Mit dem deutschen Wandervogel gab sie sich eine organisatorische Struktur. Hier entwickelte sich eine eigene Musikkultur (neben der Zupfgeige wurde die Gitarre zum populären Jugendinstrument), Organisation und Leitung wurden von Jugendlichen durchgeführt (im Hintergrund agierte meist ein Verein aus Erwachsenen, da Jugendliche im Kaiserreich keine eigenen Vereine bilden durften. Die Selbstorganisation war ein Vorbild für die spätere Hitlerjugend, in der die Jugend von der Jugend geführt wird), man entdeckte auf Wanderfahrten das kollektive Bewusstsein und die Herrlichkeit der unberührten Natur. Aus dem Bedürfnis der Fahrten entstanden die Jugendherbergen (Gründungsvater der Jugendherbergen war Richard Schirrmann, ab 1933 ein strammer Nazi) und ab 1921 die Jugendburgen (Vorläufer der selbstverwalteten Jugendzentren)(6).
Propagiert wurde Abstinenz (keine Drogen, kein Alkohol), sexuelle Freizügigkeit (vor allem in homoerotischer Ausrichtung, Frauen spielten hingegen kaum eine Rolle), Vegetarismus, Antiamerikanismus und Antisemitismus.(7) Bereits vor Beginn des ersten Weltkrieges meldeten sich 80% der Ortsgruppen des Deutschen Wandervogels als »judenfrei«.
Im Jahr 1913 traf sich die deutsche Jugend auf dem Hohen Meißner zum Ersten Freideutschen Jugendtag, um ihre selbstbestimmten Forderungen zu artikulieren. Ein Jahr später marschierten sie in den ersten Weltkrieg und rund ein Viertel der ca. 15.000 kriegsteilnehmenden Wandervögel verloren dabei ihr Leben.
Als geistige Inspiration diente neben August Julius Langbehn (Mitbegründer eines kulturpessimistischen Antisemitismus und Autor von: Rembrandt als Erzieher) vor allem Stefan George. Seine Vorstellung und lyrische Konzeption eines elitären, homoerotischen Männerbundes prägte eine ganze Generation.(8) Mit seinem Buch Der Stern des Bundes wurde er Namensgeber der »bündischen« Jugend und mit seinem Spätwerk Das neue Reich (1928) verkündete George eine hierarchische Gesellschaftsreform auf der Grundlage einer neuen geistig-seelischen Aristokratie. Wie diese neue Gesellschaft umgesetzt werden sollte, war unter seinen Jüngern umstritten. Die einen dienten willig unter dem NS-Regime, andere hingegen versuchten, Hitler zu töten, so Claus Philipp Maria Schenk Graf von Stauffenberg am 20. Juli 1944. Angeblich starb er mit den Worten: »Es lebe das geheime Deutschland«, auch eine Chiffre von Stefan George.
Nun kann zurecht gefragt werden, was hat das mit heutiger Subkultur zu tun? Die Antwort darauf fällt schwer. Nicht wegen mangelnder Bezugspunkte, sondern eher aus der Frage heraus: Wo anfangen?
Nur ein paar Stichpunkte: Ein Begründer der modernen Reformpädagogik in Deutschland, Gustav Adolf Wyneken (Vorbild der Wandervogelbewegung), wurde 1921 wegen sexuellen Missbrauchs seiner Schüler verurteilt. Wer das mit repressiven Gesetzen der Weimarer Republik entschulden will, der sei auf die aktuellen Fälle, wie den der reformpädagogischen Odenwaldschule verwiesen, welche wegen solcher Tatbestände jetzt geschlossen wurde. Wo bleibt da die kritische Hinterfragung der Reformpädagogik? Kaum zu finden sind in der Debatte hingegen reformpädagogische Ansätze nach Makarenko(9) oder dem Reggio-Konzept(10), welche im Gegensatz zu elitären bürgerlichen, zu denen auch Waldorf und Montessori gehören, tatsächlich auf einer gelebten »linken« bzw. »kommunistischen« Basis aufbauen.
Die Hippie-Bewegung gilt allgemein als angeblich »linke« Erfindung der 1960er Jahre in den USA. Tatsächlich sind die Vorbilder um 1900 herum nach Kalifornien eingewanderte Deutsche der Lebensreformbewegung. Leben in einer ökologischen Kommune mit Hinwendung zu östlichen Mythologien, gepaart mit einer gehörigen Dosis Antisemitismus.(11) Daran ist nichts Emanzipatorisches. Und zum Protest der Hippie-Bewegung: Verreckt sind im Vietnamkrieg (bezogen auf den rein us-amerikanischen Truppenanteil), dem angeblichen Hintergrund zur Entstehung der Hippie-Bewegung, die unteren Schichten der US-amerikanischen Gesellschaft, nicht die protestierenden bürgerlichen Hippiestudenten.

Der italienische Kommunist und Regisseur, Pier Paolo Pasolini, schrieb 1968 provokant:
»Die Journalisten aus aller Welt (mitsamt denen vom Fernsehen) lecken euch (wie man, glaube ich, immer noch sagt in der Sprache der Uni) den Arsch. Ich nicht, Freunde. Ihr habt Gesichter von Vatersöhnchen. Die rechte Art schlägt immer durch. Ihr habt denselben bösen Blick. Ihr seid furchtsam, unsicher, verzweifelt (ausgezeichnet!), aber ihr wisst auch, wie man arrogant, erpresserisch und sicher ist: kleinbürgerliche Vorrechte, Freunde. Als ihr euch gestern in Valle Giulia geprügelt habt mit den Polizisten, hielt ich es mit den Polizisten! Weil die Polizisten Söhne von armen Leuten sind.«(12)
Pasolini ging es hier nicht um die Verteidigung des staatlichen Repressionsapparates. Vielmehr wirft er die Frage nach der Klassenzugehörigkeit der Beteiligten und den damit verbundenen Interessen und Privilegien auf. Später im Text stellt er dann die interessante Frage, ob die Berichterstattung der großen Zeitungen über die Anliegen der Protagonisten auch so ausführlich wäre, wenn es sich statt um die Besetzung der Universitäten durch junge Bürgerkinder um Fabrikbesetzungen durch junge ArbeiterInnen handeln würde. Für Pasolini geht es bei der Studentenrevolte wohl vorrangig um einen Konflikt innerhalb(!) des Bürgertums, trotz des vorgestellten »linksradikalen« Habitus oder Proletkult der Akteure. Ihnen den Spiegel vorhaltend konstatiert er: »denn ihr seid Bourgeois und somit Antikommunisten«.

Für politische Beliebigkeit in der Subkultur muss nun nicht unbedingt die weiter zurückliegende Vergangenheit bemüht werden. Exemplarisch für den Kampf um politische Korrektheit in der alternativen Szene war in den 1990er Jahren die Auseinandersetzung zwischen dem Conne Island in Leipzig und dem AJZ in Chemnitz um einen Auftritt der Band Discipline.
In einem offenen Brief(13) prangerte das Conne Island das AJZ Chemnitz an, mit einer, vorsichtig ausgedrückt, politisch problematischen Band (Discipline) ein Podium für Nazis gegeben zu haben. Das ganze mündete in ein typisch radikales Statement: »Für uns steht zumindestens jetzt schon fest, daß wir, solange das AJZ Talschock kein Problembewußtsein signalisiert, allen Antifaschisten in der Szene nur abraten können, mit dem AJZ Talschok in Chemnitz zusammenzuarbeiten. Dies ist noch kein Boykottaufruf, könnte aber einer werden!«(14)
Im Ergebnis dieser Einschätzung wurde folgendes Fazit gezogen: »Im Gegensatz zur MAD-Aussage sind die Texte der zweiten Platte also noch deutlicher (Zum Kotzen!) ausgefallen. Wohin diese Politik führt, und als unpolitisch kann das ja wohl nicht bezeichnet werden, sollte uns allen klar sein. Unserer Meinung nach ist die Agentur MAD durch die Unterstützung einer solchen Band maßgeblich daran beteiligt, derart faschistoidem Gedankengut in unserer Szene den Weg zu ebnen. Sie sollten sich endlich ihrer Verantwortung bewußt werden und Stellung nehmen!«
Und dann, Überraschung, einige Zeit später treten Discipline im Conne Island auf! Weil sie sich ja inzwischen und in einem Interview irgendwie von ihren »bösen« Aussagen und Texten distanziert haben usw. blabla…(15)
Auch im subkulturellen Bereich – und hören wir auf, uns da was vorzumachen! – geht es leider knallhart um kommerzielle Zwangslagen. Konzertagenturen (wie MAD) haben Bands, die ein Konzertveranstalter braucht, um ein volles Haus zu haben, welches notwendig ist, um die Kosten für den laufenden Betrieb einzuspielen. Welche Bands für ein volles Haus sorgen, liegt nicht in der Verantwortung des Veranstalters, sondern im Geschmack des potentiellen Publikums.
Die Ironie der Geschichte: Ausgerechnet im AJZ Chemnitz fand dann das Auftaktevent zur Kampagne Good Night - White Pride gegen rechte Tendenzen in der Hardcore-Bewegung statt…
Sich über subkulturelle/musikalische Angebote ein linkes Image aufbauen zu wollen, ist aus meiner Sicht eine problematische Strategie. Gerade die im Zuge des Hardcore aufgekommene Ideologie des »Straight Edge« zeigte dies deutlich. In Abgrenzung zur »versifften« Punkkultur entstanden, wurde ein Lifestyle ohne Drogen und Alkohol propagiert und dazu noch vegane Ernährung auf das politisch korrekte Podest gehoben. Dass sexuelle Enthaltsamkeit, Ablehnung von Abtreibung, Hinwendung zur Esoterik (ich erinnere mich nur an solche Bands wie Shelter, die mit Hare-Krishna-Gesängen auf der Bühne tanzten) oder auch positive Bezüge zum Islamismus gleich mit im Paket enthalten waren, haben viele Protagonisten ignoriert. Das männlich-weiße-westliche Subjekt (MWW) schlug wieder zu und von kritischer Distanz war wenig zu spüren. Diese fast willkürlich ausgewählten Beispiele bringen mich auf den Anfang dieser Debatte zurück. Linkes Bewusstsein kann sich nicht (oder sollte sich nicht!) über beliebige und gerade angesagte Lifestyle-Attitüden definieren.
Für den subkulturellen Bereich bedeutet dies freilich eine Herausforderung. Es muss sich die Frage gestellt werden, auf welcher Basis linkes Bewusstsein überhaupt vorhanden ist bzw. sich ausbildet und wer die Adressaten einer wie auch immer gearteten »linken« Subkulturpolitik sein sollen. Außerdem sollten sich die Aktivisten selbstkritisch fragen, woher ihr eigener Anspruch bzw. ihr Bewusstsein kommt. Sind sie nicht eventuell wieder die gefühlten »Verlierer« einer gesellschaftlichen Entwicklung? Oder anders gefragt: Wer sind die Träger der »linken« Subkultur? Der Prolet, die Naturwissenschaftlerin oder doch die Student*innen der Geistes-, Sozial-, Kultur- und Politikwissenschaft? Falls letztere, kehre ich pessimistisch zurück zum Eingangszitat:

»All dies ist schon mal geschehen. All dies geschieht irgendwann wieder.«
Weissagung der Pythia (Battlestar Galactica)

Patrick Pritscha

Anmerkungen

(1) Näheres unter: https://www.freie-radios.net/76105
(2) http://de.calameo.com/read/000319036d507ac05dd54
(3) http://www.zeit.de/1981/45/ein-volk-ein-reich-einfrieden
(4) http://jungle-world.com/artikel/1997/33/39104.html ; Treppenwitz der Geschichte: hier interviewt der ehemalige KB-Aktivist Jürgen Elsässer den ehemaligen KBW-Aktivisten Joscha Schmierer.
(5) Siehe: Claudia Barth, Über alles in der Welt- Esoterik und Leitkultur, Aschaffenburg 2006.
(6) Siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Burg_Waldeck_(Hunsrück)#1910_bis_1933.
(7) Werner Helwig, Die Blaue Blume des Wandervogels, Gütersloh 1960.
(8) Thomas Karlauf, Stefan George - Die Entdeckung des Charisma, München 2007.
(9) http://forge.fh-potsdam.de/~BiB/gruender/makarenko.pdf
(10) http://www.beckshop.de/fachbuch/leseprobe/9783956844614_ReadingSample_1.pdf
(11) Gordon Kennedy, Children of the Sun.
(12) http://ofenschlot.blogsport.de/2009/12/15/pier-paolo-pasolinis-botschaft-an-die-studenten-aals-ihr-euch-gestern-in-valle-giula-gepruegelt-habt-mit-den-polizisten-hielt-ich-es-mit-den-polizistena/
(13) http://www.conne-island.de/nf/51/6.html
(14) Die Einschätzung des Conne Island zur politischen Ausrichtung der Band Discipline, mit der ich größtenteils übereinstimme, kann hier nachgelesen werden: http://www.conne-island.de/nf/52/7.html
(15) http://www.conne-island.de/nf/76/6.html

09.03.2017
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