• Titelbild
• Editorial
• das erste: Subkultur im Spannungsfeld zwischen Rechts und Links
• inside out: Pressemitteilung: Conne Island gewinnt Klage gegen Überwachungsmaßnahmen durch Verfassungsschutz
• Sex-Zwangsarbeit in NS-Konzentrationslagern
• KLUB: Elctric Island X Edit
• WORD! cypher / End Of The Weak Leipzig (Open-Mic-Freestyle-Session).
• Offenes Antifa Treffen
• Freddie Joachim & Duktus // Cafe Konzert
• Grails + Majeure
• Lesung: Im Feindbild vereint. Zur Relevanz des Antisemitismus in der Querfront-Zeitschrift Compact
• Lesung: Millionaires zu Besuch
• Lesung: Hipster und andere destruktive Charaktere der Gegenwart
• Ahzumjot & Chima Ede
• Soundsystem Clash
• review-corner event: Sag mir, wo du stehst
• review-corner event: Wo wir stehen, wo wir kämpfen
• position: Antideutsche Feldforschung.
• doku: Wir fordern das Wort »Apartheid« zurück!
• Anzeige
• das letzte: Das Letzte
Nach dem Lesen des Artikels NIEMAND WIE IHR? Über Chemie Leipzig und dessen heimatbewusste Ultras von Andreas Reschke(1) weiß ich nicht so recht, ob ich mich über all das gefährliche Halbwissen des Autors ärgern oder vielmehr über dessen Empörung lachen soll. Mit welchen Begriffen dort teilweise hantiert wird und welche Gesänge dort für unumstößliche Wahrheit genommen werden, ist schon ziemlich kurios, sollte aber beim antideutschen (pardon: »ideologiekritischen«) Käseblatt Bonjour Tristesse aus Halle nicht verwundern. Schließlich befindet man sich seit Jahren im Kreuzzug für die Ordnung und die scheinbar heile Welt. So gilt es, diese gegen all die fiesen »linksdeutschen Rackets« und »Banden« aller Couleur für das Heil der »westlichen Zivilisation« zu verteidigen. Da genießt der Souverän Staat immerzu Vorrang, auch wenn man partiell Staatskritik im Sinne Marx‘ verlautbaren lässt. Doch geschieht diese Kritik in einer abstrakten Art und Weise, die im konkreten nur zur Verteidigung gegen ihre negative Aufhebung in Stellung gebracht wird. Und wer oder was in dieser negativen Aufhebung der Verhältnisse ausgemacht wird, liest sich dann wie der langweilige Biedermeier beim Schutz der bürgerlichen Scholle. In diesem Fall nun trifft es die Ultras der BSG Chemie Leipzig.
Neues aus der Sportsoziologie
Der Autor des Artikels hatte sich bereits in einem anderen Bericht über die Ultra-Szene von FC Sankt Pauli erzürnt. Dabei liegt es mir fern, dem tatsächlichen Hype rund um den selbst ernannten »Kiezclub« zu begründen bzw. zu feiern. Nur sehe ich in dem Treiben der Fans keine »konformistische Rebellion« am Werk, die »Heimatschutz-Rhetorik und das Bedürfnis nach bodenständigen Verhältnissen« auszeichnet. Der Bezug zum Viertel wird da als »Blut- und Boden- Rhetorik« gebrandmarkt, so als ob der rassische Wahn neuer Nazis in Teilen Hamburgs exerziert wird. Am Aufbegehren gegen steigende Mieten und Verdrängung wird dann auch nur der Kampf für »Ursprüngliches« und »Authentizität« ausgemacht, wobei der gehässige Blick in niedere Regionen für eine schlechte Polemik herhalten muss, wenn Reschke »lila Strähnchen zur Frisur in Plattenbauvierteln« als Notwendigkeit beschreibt. Hihi, jaja diese dummen Assis aus der Platte, wa?! Dass Klassenkampf von oben auch immer schon mit modischen und sprachlichen Stereotypen einher ging, macht Reschke an diesem Beispiel nochmal deutlich.
Doch nicht nur in Hamburg grassiert die »Blut-und-Boden-Ideologie«, auch in Leipzig scheint dies der Fall zu sein. Schuldiger ist hier der »Männerchor der Diablos«, eine als »Kiezmiliz auftretende Horde insbesondere im linksalternativen Süden und Westen der Stadt«. Sie sind, der Running Gag aus Halle musste kommen, natürlich für Reschke ein »Racket« wie es im Buche steht. Die Nähe dieser »straff hierarchisch organisierten Fußballprollgang« zu »verschiedenen Rackets in der Leipziger Antifa-Szene« stellt für Fan- und Milieu-Forscher Reschke keinen Widerspruch dar, sie frönen vielmehr dem gleichen »Bedürfnis nach gemeinschaftlicher Nestwärme«. Und fertig ist der Lack!
Es könnte so einfach sein, wenn das gezeichnete Bild nicht mit all den folgenden Halbwahrheiten verziert werden würde. Andreas Reschke mimt dabei streckenweise den Szene-Experten mit Innenansichten, die für Außenstehende wohl sonst nicht nachvollziehbar wären. Er behauptet, dass der Antisexismus der Leipziger Linken bei den Ultras von Chemie Leipzig Grenzen hätte und Sexismus dort toleriert werden würde. Auch hätten die Ultras ein Teilnahmeverbot gegen Fans von Lok Leipzig an antifaschistischen Veranstaltungen ausgesprochen, derer sich die Antifa-Szene aus Angst vor Abkehr beugen würde. In postfaktischen Zeiten zählt vermutlich die eigene Wahrnehmung mehr als bisher, so dass ich gerne meine ganz persönliche Verwunderung über solche Behauptungen bekunde. Das wirklich teilweise äußerst maskuline, ergo: sexistische Verhalten mancher Ultras hatte in der Vergangenheit schon so manches Gespräch mit sich gebracht. Wenn das bislang ohne großes Aufsehen für weniger Involvierte stattfand, dann ist das auch Resultat von der Vermeidung sinnloser Gerüchte und der Klärung der Problemlage. Auch der Ausschluss früherer Mitglieder der Gruppe Blue Side Lok führte vor Jahren zu einer kleinen Diskussion, an deren Ende die Teilnahme selbstverständlich nicht ausgeschlossen wurde. Es mag für Reschke nicht in den Kopf gehen, aber die linke Szene in Leipzig ist nicht das arme Opfer der Ultras von Chemie, was um die Teilhabe an militanten Aktionen besorgt ist. Doch ist insbesondere seit Neugründung der BSG Chemie eine deutliche Positionierung gegen Faschismus von Fans und Verein zu beobachten. War man zu früheren Zeiten noch der Häme vieler Fans als Spielverderber im vermeintlich unpolitischen Fußball ausgesetzt, so freue ich mich bei meinen spärlichen Besuchen im Alfred-Kunze-Sportpark über das, was Reschke scheinbar stört: die Teilnahme »von der linken Stadträtin bis zum Antideutschen, vom Punk bis zum Bauwagen-Wursthaar«. War zu Sachsen-Leipzig-Zeiten noch eine Diskussion über die Widerwärtigkeit des sog. »U-Bahn-Lieds« und die Abwehr gegenüber rechten Gruppen wie »Metastasen« im eigenen Fanblock notwendig, so sind solcherlei Prozesse glücklicherweise auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet. Dass dieser Prozess von einer stark selbstbestimmten Teilhabe aller interessierten Fans abgelaufen ist und seit Jahren funktioniert, verdient schlichtweg Respekt. Man kann dabei das Spektakel des Ultra-Universums mit all seinen Riten lächerlich finden und blöd machen – die Vermittlung antifaschistischer Grundüberzeugungen erreicht mittels der Fanszene von Chemie Leipzig womöglich mehr Leute als es der Zirkel um Bonjour Tristesse jemals tun wird, da die Abgrenzung vom »Pöbel/Mob/Horde/Bande/Droogs/Racket« einem elitären Habitus inhärent ist, der bourgeois spricht und nach geistiger Aristokratie stinkt.
So passt es ganz gut, wenn Lok Leipzig positiv attestiert wird, »dass der Konkurrenzverein bemüht ist, die Nazis aus dem Stadion zu verbannen«. Dass hinter solchen Aussagen vielmehr die Sorge um das Image des eigenen Vereins steht und dies häufig erst aufgrund öffentlichen Drucks geschieht, scheint Reschke nicht zu interessieren. Und vermutlich reicht ihm das Lippenbekenntnis einiger Bürokraten von Lok, um den »Familienverein« vor den wenigen Problemfans als gerettet zu betrachten. Doch gerade im Fußball sollte eben die sog. »Basis« nicht missachtet werden, ist es doch gerade diese, die für einen angenehmen Aufenthalt im Stadion und darüber hinaus steht. Wenn bei Lok Leipzig jedoch die aktive Fanszene öffentlich den Zusammenhalt mit militanten Nazis frönt, ungeniert widerlichen Sexismus als Fangesang tituliert und die umliegenden Fans scheinbar keine Berührungsängste haben – dann bringt auch das offenkundige Bekenntnis zu Vielfalt und Toleranz wenig. Man möge sich die Reaktionen auf die finanzielle Spende des Vereins nach dem Nazi-Angriff am 11.01.2016 in Connewitz durchlesen, um sich ein weiteres Mal zu vergewissern, dass auch bei tatsächlicher Distanzierung von Nazis kein allgemeines Aufbegehren gegen den Normalzustand bei Lok Leipzig zu beobachten ist.
Vom Feind meines Feindes bin ich Fan
Für Reschke gibt es jedoch Licht am Ende des Tunnels. Seit 2009 kann Leipzig mit einem Bundesligaverein aufwarten, wobei familiäre Atmosphäre dank eifriger Filterung des Vereins konsumiert werden darf. Die Rede ist natürlich von Rasenballsport Leipzig. Um auch hier nicht falsch verstanden zu werden: das Bashing vieler Ultras ist unglaublich eklig und ist durchsetzt von einer Selbstgefälligkeit, die jeglicher Realität im Fußball-Spektakel trotzt. Hier wird streckenweise ein vereinsübergreifender Zusammenhalt zelebriert und die Widersprüchlichkeit des eigenen Vereins ausgeblendet, was an Lächerlichkeit schwer zu überbieten ist. Reschke nahm dies 2015 zum Anlass vom »Volkssport Bullenjagd« zu sprechen. Jedoch fehlt auch in diesem Artikel der genaue Blick und so werden Diskurse im Ultra-Spektrum nivelliert oder auch Blödsinn verbreitet.
So ist zu lesen, dass »die Diablos den Retortenverein Rasenballsport Leipzig (RBL) als Eindringling in die autochthone Fußballwelt der Heldenstadt ablehnen«. Das ist schlichtweg gelogen. Ein im November 2011 veröffentlichter Artikel in der hauseigenen Postille Orange Times reflektierte bereits das dumme Verhalten einiger Fans und den allgemeinen Verdruss gegenüber RB Leipzig. So ist zu lesen: »Peinliche Busattacken von möchtegern-linken Ultras gab es bereits am ersten Spieltag und seitdem jagt eine infantile Fahne die nächste […] dies geschieht, vor allem auf das eigene Verhalten bezogen, immer unreflektiert«. Wessen Geistes Kind die Kritik an RBL oftmals ist, wird ebenso beschrieben: »Diesem Hass gegen den Verein ist oft […] mal versteckter, mal offener zumindest aber struktureller Antisemitismus, zu eigen.« Das könnte man wissen, wenn man möglicherweise einfach mal Kritik im Handgemenge versuchen würde, anstatt immer nur als ferner Beobachter den Klugscheißer mit Szene-Expertise zu spielen. Denn auch die »Horde« von »Ultras Frankfurt« fühlte sich der Tradition der Frankfurter Schule verpflichtet und stellte vor dem Spiel gegen RBL fest: »Aber vielleicht sollte man sich einfach mal fragen, wie viel Idealismus denn gerade von den RB-Boykottierern in anderen Lebensbereichen an den Tag gelegt wird. Schaut doch mal, wie viele von denen auf der nächsten Auswärtsfahrt zu McDonald‘s rennen, ein Konto bei der Deutschen Bank unterhalten oder bei H&M einkaufen. Und wie viele sich beim nächsten Auswärtsspiel in Frankfurt Geld auf die Bezahlkarte laden. Um es mit einem großen Frankfurter Bub zu sagen: Es gibt kein richtiges Leben im falschen.« Dabei könnte man einige Differenzen von RBL zu anderen Vereinen aufweisen und kritisieren, wie die quasi nicht vorhandene Möglichkeit als Mitglied Entscheidungen zu beeinflussen oder der peinlich genaue Eingriff in jegliche Initiative von Fans, um das familienfreundliche Bild nicht zu zerstören (wobei die umgekehrte Seite der Medaille die passive Konsumtion des Spektakels auszeichnet und letztlich der Fisch nicht nur vom Kopf her stinkt).
Grundsätzlich ist es ulkig zu lesen, wie all die erbarmungslose Kritik bei RBL ausfällt. Die Heimatliebe wird da zum Erbrechen gelebt und drückt sich in vielerlei Hinsicht aus. Bei verhältnismäßig wenigen Fahnen im Fanblock wurde zu Anbeginn fleißig die Fahne des Freistaates Sachsen geschwungen, soviel Stolz muss sein. Das 1000jährige Jubiläum der Stadt wurde im Mai 2015 mit einer riesigen Choreographie im Stadion gefeiert, wo von Luther bis Wagner all den »Helden« dieser Stadt gedacht wurde. Hier schien der Bezug zum Verein weniger interessant, da es doch die lokale Stadt in seiner Gesamtheit zu repräsentieren gilt. Die Liste an öffentlichen Bekennerschreiben zu Heimatstolz ließe sich fortsetzen und kann bei nahezu jedem Spiel begutachtet werden.
In dieser Hinsicht lob‘ ich mir die Ultras von Chemie. Die stellten schon vor Jahren fest: »Chemie spielt nicht für Leipzig« und gaben bereits frühzeitig auf die Vereinnahmungen der Stadt einen Dreck. So wird es auch hoffentlich bleiben.
Sektion Prooligan