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»There's a sort of evil out there«

Frauen in Twin Peaks

1. Postmoderne TV-Serie

Die Fernseh-Serie Twin Peaks, die 1991 erstmals in Deutschland ausgestrahlt wurde, als ein Kulturindustrieprodukt, das auch etwa bei Akademiker_innen und Feminist_innen sehr beliebt war und ist, besitzt bis heute Kultstatus. Erst kürzlich erschien mit »The secret history of Twin Peaks« ein Roman zur Serie und für nächstes Jahr steht mit der dritten Staffel eine lang erwartete Fortsetzung an. Dieser Kult kann auch damit zu tun haben, dass die Serie oft mit der Ära der Postmoderne in Verbindung gebracht wird. Der Soziologe Todd Gitlin nannte die Serie die »erste postmoderne TV-Serie, die von einem größeren Sender produziert wurde«(1) und die tote Laura Palmer als Hauptcharakter wurde als »gepeinigter weiblicher Körper, der exemplarisch für die Postmoderne steht« beschrieben(2). Aber es steckt weitaus mehr dahinter. Letzterer zufolge war Twin Peaks vor allem deswegen so erfolgreich, weil sie zeigt, dass »sexuelle Gewalt nicht angenehm oder natürlich ist, sondern alltäglich und durch viele - vermeintliche Durchschnittsmänner - begangen wird«. Ihrer Meinung nach, war Twin Peaks vor allem deswegen ungewöhnlich und aufrüttelnd, weil es die Häufigkeit und Alltäglichkeit von sexualisierter Gewalt gegen Frauen thematisierte, »die Aufmerksamkeit des Publikums auf die sexuelle Viktimisierung von Frauen richtete« und die Zuschauer_innen als »empathisch gegenüber den Opfern von Inzest« und Gewalt beschrieb. Selbst in Darstellungen grausamer Gewaltszenen, habe Twin Peaks »uns geschockt, weil es der amerikanischen Familie den Spiegel vorhielt«.(3)
Randy Davenport stellt heraus, dass Twin Peaks »auch in dem Sinne radikal ist, als es die tradtionellen Vorstellungen von Inzest durch einen Bruch mit dem Topos der verführerischen Tochter in Frage stellt«(4). Mit dieser Aussage nimmt sie Bezug darauf, wie Leland Palmer kurz vor seinem Tod seiner Verantwortung für den Tod seiner Tochter Laura bewusst wird und sie interpretiert dies als Gegenstück zu dem genannten Topos. Demnach sieht Davenport die Serie durch feministische Diskussionen zumindest beeinflusst und bezeichnet sie daher als fortschrittlich.(5)
Die Charaktere und Dialoge der Serie sind oft sympathisch und faszinierend und die vielen Elemente von Satire machen sie besonders sehenswert. Allerdings macht sich diese Satire nicht in Bezug auf Gechlechterrollen bemerkbar. Ganz im Gegenteil dazu würde ich behaupten, dass Twin Peaks sich immer in traditionellen Rollendiskursen bewegt. Das wirft die Frage auf (die aber in dieser Arbeit nicht beantwortet, sondern nur angerissen werden kann), was die Attraktivität der Serie für Menschen ausmacht, die für sexualisierte Gewalt und Geschlechterrollen sensibilisiert sind, obwohl die Serie misogyne, also anti-weibliche und oftmals brutale Gewalt in zentraler Position darstellt. Diana Hume George meint, dies hätte mit unserem Unterbewusstsein und unseren versteckten Wünschen zu tun, die sich bestenfalls in unseren Träumen zeigen würden(6). Träume seien »von einer ethischen Dimension befreit« und »beherrscht von libidinösen Kräften, die keine Unterscheidung machen zwischen Wunsch und Angst, Richtig und Falsch«(7). Für Hume George stellt sich in der Folge die Frage, ob es die Serie schaffen kann, diese versteckten Wünsche zu hinterfragen und die Attraktivität der Gewalt für die Zuschauer_innen sichtbar zu machen (oder zumindest darauf hinzuweisen). Sie beantwortet diese Frage jedoch negativ. Das als Ausgangspunkt für diesen Essay genommen führt zu der für ihn zentralen Frage, ob die Serie richtigterweise als »fortschrittlich« – oder, um die negativen Aspekte dieses Terminus zu berücksichtigen, als emanzipatorisch – beschrieben werden kann, nur weil sie Gewalt gegen Frauen zeigt. Sue Lafky sieht Twin Peaks als »zynischen Ausdruck einer Desillusionierung nach der Zerstörung des Mythos vom idyllischen, friedlichen Kleinstadt-Amerika oder als subversiv im Verhältnis zum sonst eher schablonen-basierten TV-Programm«(8). Der vorliegende Essay beantwortet diese zentrale Frage mit einem eindeutigen »Nein«.
Die Frauen in Twin Peaks »leben in konstanter Angst vor Gewalt durch Männer« und »die Serie baut auf dem Mythos der “phallischen Potenz” auf«, so dass Lafky zufolge in diesem Fall auch von Misogynie gesprochen werden kann.(9) Entsprechend dazu ist meine These, dass Twin Peaks patriarchale Ideologeme wie Vergewaltigungsmythen und »Victim-Blaming« reproduziert, indem es diese männliche misogyne Gewalt in eine nicht-menschliche, »natürliche« oder gar übernatürliche Sphäre verschiebt bzw. sie den betroffenen Frauen selbst vorwirft.

2. Gewalt gegen Frauen

Zuerst möchte ich den Charakter und das Ausmaß der Gewalt gegen Frauen in Twin Peaks darstellen. Das zentralste Opfer ist wahrscheinlich die promiskuöse, kleinkriminielle Schönheitskönigin von Twin Peaks, Laura Palmer, die vergewaltigt, ermordet, »in Plastick verpackt«(10) und in einen Fluss geworfen wird und zudem ein Opfer von Inzest wird. Andere Opfer stellen Ronette Pulaski dar, die auch vergewaltigt, aber nur knapp nicht ermordet wird, Lauras Cousine Madeleine Ferguson (Maddy), sowie Annie Blackburn, die beide ermordet werden; darüber hinaus Shelly Johnson und Evelyn Harsh, die beide von ihren Ehemännern terrorisiert werden.
Diese Gewalt ist mit Inzest als einem wichtigen Thema in Twin Peaks verbunden. Leland Palmer wird vor allem im Prequel Fire walk with me als voll von sexueller Eifersucht für seine Tochter dargestellt. Es wird zudem nahegelegt, dass er sich auch an der toten Maddy vergeht, was also auf Nekrophilie deutet.
Benjamin Horne steigt in seinem eigenen Bordell »One-eyed Jack’s« fast mit seiner Tochter Audrey ins Bett, in welches sie sich eingeschleust hatte, um an Informationen über den Mord an Laura Palmer zu gelangen. Die Infiltration als potentielle neue Mitarbeiterin geschah mit dem Namen Hester Prynne, was auch der Name der Protagonistin in Nathaniel Hawthorne’s The Scarlet Letter ist, die Bestrafung für ihre Sexualität erfährt. Inzest wird in der Serie nie explizit als solcher benannt. »Die Behandlung von Inzest in der Show reproduziert die Pathologie dessen, wie Inzest in den meisten Familien behandelt wird: durch Leugnung und Stillstellung.«(11)
Lynch könnte hier kritisch sein, ist es aber nicht. Entsprechend schreibt auch Christy Desmet: »In einer gewissen Hinsicht, legt Lynch vielleicht tatsächlich nahe dass ein Mörderer und Vergewaltiger in jedem liebenden Vater lauern kann. Aber mit der Einführung von Bob als Leland Palmer’s Doppelgänger, gibt er ebenso viele Fragen auf, wie er beantwortet«(12). Auf Bob wird später noch genauer einzugehen sein. Desmet stellt sowohl der Show, als auch der Gemeinde Twin Peaks das Urteil, »die soziologische Tatsache des Vater-Tochter-Inzests durch die Kanonisierung Lauras als post-freudsche Heilige, die durch das Böse schlechthin, Bob, zum Opfer wird, zu maskieren.« Aus dem Mysterium ihrer Ermordung werde so das Mysterium ihres Martyriums. Siet spricht hier sogar von einem »Freud’schen Sub-Plot«, der dazu beitrage weibliches Begehren und Sexualität zu unterdrücken.(13)
Im Kontext frauenfeindlicher Gewalt hat auch Nekrophilie ihren Platz in Twin Peaks in einigen Anspielungen, wenn z.B. FBI-Agent Albert Rosenfield versehentlich auf Laura Palmers toten Körper fällt und sie umarmt, oder wenn Leland Palmer während der Begräbnis-Zeremonie auf den Sarg der Toten fällt, der durch einen Automatismus hoch und runtergefahren wird, sodass die Szene an sexuellen Verkehr erinnert. Sue Lafky betont, dass das Bild der toten Laura Palmer eine »heitere, schöne und sexuell verfügbare« Frau zeigt, und sogar als einer der vom People’s Magazine zu den 25 faszinierendsten Menschen des Jahres 1991 gekürten zu einem Medien-Highlight wurde.(14)
Es kann die Beobachtung gemacht werden, dass die Serie mit all diesen Bildern spielt, aber nie explizit macht, was dahinter steht. Sie gibt einen großen Raum für Interpretation, aber bleibt oberflächlich in ihrer Weigerung, diese Bilder mit all ihren Konnotationen als irgendwie sozial relevant in der Ausführung dieser Verbrechen zu adressieren, auf denen die Serie ja letztlich beruht.
Dies bleiben jedoch Nebenaspekte der die Serie umspannenden Gewalt gegen Frauen und werden hier nicht weiter analysiert. Diese Gewalt muss nun jedenfalls in Beziehung zu den Rollen gesetzt werden, in denen Frauen im Allgemein in Twin Peaks gezeigt werden, was im nächsten Teil geschieht.

3. Frauenrollen

Weibliche Charaktere haben in Twin Peaks generell keinen guten Stand und sind geradezu dazu verdammt, Opfer von Gewalt zu werden. Sie haben wenig oder gar keine Autorität und besitzen wenige Freiheiten. Außerdem werden sie meistens in Beziehung zu Männern identifiziert. Sie erreichen fast immer nur dann ihre Ziele, wenn sie ihre Körper und ihre Verführungskünste einsetzen. Das trifft auf Audrey Horne, Donna Harraway und Madeleine Ferguson (Maddy) zu, die diese Fähigkeit in ihrer auf eigene Faust geführten Ermittung von Laura Palmer’s Mord benutzen, und es trifft auf Evelyn Marsh zu, die mit Hilfe von James Hurley ihren gewalttätigen Ehemann loswerden will.
In dem Unterfangen der oben genannten drei Freundinnen Lauras, das Mysterium ihres Todes zu lüften sind ihre stärksten Waffen ihre Körper sowie ihre Macht, Männer zu verführen. Ihre Anstrengungen werden von den maßgeblichen männlichen Figuren jedoch kaum wahrgenommen, geschweige denn wertgeschätzt.
Die einzigen beiden Frauen, die nicht ausschließlich zuhause gezeigt werden (oder in der Schule/Uni) sind Norma Jennings und Shelly Johnson, die in einem Lokal arbeiten, wo ihr Job pimär darin besteht, Gäste zu bedienen, was nicht unbedingt eine hochangesehene Tätigkeit darstellt. Shelly Johnson wird von ihrem brutalen und kriminellen Ehemann Leo u.a. durch Prügel und Morddrohungen terrorisiert. Seine männliche Macht scheint so groß zu sein, dass er sogar an den Rollstuhl gebunden noch als furchteinflößend dargestellt wird und diese Wirkung auch auf Shelly entfaltet. Nachdem Leo verwundet wird und invalide ist, entscheidet sich Shelly, nicht gegen ihn auszusagen, sondern im Gegenteil sogar dazu, ihn später wieder nach Hause zurückkehren zu lassen und ihn zu füttern, nachdem ihr Liebhaber Bobby ihr es so empfohlen hat, um an Versicherungskohle zu kommen. In einer späteren Szene ist Shelly dann auch nicht in der Lage, eine Waffe zu bedienen, um sich vor Leo zu verteidigen, wenn er erneut gewalttätig wird.
Catherine Martell, die Besitzerin des Sägewerks und wahrscheinlich der stärkste weibliche Charakter der Serie hat Geschäftsgespräche primär nach dem Sex oder in einer durch Gefühle der Liebe affektiv aufgeladenen Atmosphäre. Davon abgesehen besitzt sie die größte Macht, wenn sie sich als Mann verkleidet. Sie erklärt zudem, sie konnte nur so viel Geschäft und Intrige betreiben, weil sie die Hilfe ihres Bruders hatte, der entgegen der allgemeinen Vermutung nicht tot war.
Die andere Geschäftsfrau, Josie Packard, wird zwar manchmal als mysteriös, clever und intrigierend dargestellt, stellt sich dann aber dennoch oft als hilflos heraus und sucht Hilfe bei ihrem Liebhaber Sheriff Truman. Sie wird im Laufe der Story zum Zimmermädchen für Catherine und deren Ehemann degradiert und am Ende stirbt sie, weil sie Bob gesehen (und wirklich nur gesehen) hat.
Eine interssante, wenngleich nicht weniger stereotypen-verhaftete Rolle nimmt der Transgender FBI-Agent_in Dennis/Denise ein, die von David Duchovny gespielt wird und Macht bzw. Autorität nur in seiner männlichen Rolle auszuüben in der Lage ist, während sie in ihrer weiblichen Rolle ihre verführerische Ader ausspielt.
Darüber hinaus gibt es auch noch eine Rolle – die rothaarige Witwe Milford – deren einzige Funktion darin zu bestehen scheint, Männer zu verführen und Böses über sie zu bringen, was sie in mehreren Fällen tut und wofür sie vom Bürgermeister von Twin Peaks als böse und teuflisch bezeichnet wird, der ihr dann aber später auch verfällt.
Abweichungen von diesem Geschlechter-Schema werden entweder als pervers, komisch, behindert, krank oder bemitleidenswert dargestellt. Beispiele hierfür stellen der als ängstlich gezeichnete Deputy Andy, die verrückt-infantile Nadine Hurley, die wahnsinnige Sarah Palmer sowie die entrückte »Log Lady« dar. Letztere z.B. wird von Sue Lafky auch als eine Witwe beschrieben, »die den größten Teil ihres sozialen Austauschs auf einen Holzscheit beschränkt, von dem sie glaubt, dass er ihr Weisheit and Gefolgschaft verschaffe, … dem aber auch phallische Kraft zuzukommen scheint«.(15) Als ein weiteres Beispiel kann Nadine Hurley dienen, die zwar mit übermenschlichen Kräften ausgestattet ist, aber dennoch meistens als harmlos dargestellt wird, mit einer Ausnahme, wenn sie ihren Mann in einer tätlichen Auseinandersetzung beschützt. Davon abgesehen richtet sie all ihre Energie auf einen Mitschüler im College, in den sie sich verliebt hat.

Externalisierung der Gewalt
Wie sich im Verlaufe der Erzählung herausstellt, wird das Böse, das für die Ermordung der Frauen verantwortlich ist, von Bob repräsentiert. Dieser wird konstruiert als Geist von einer anderen, nicht-menschlichen und unrealen Welt, der eine animalische Erscheinung besitzt, sich auf animalische Weise verbal äußert und der von anderen Menschen Besitz ergreift. In der Szene von Maddys Mord durch Leland Palmer, fokussiert die filmische Perspektive auf die Geräusche, die Leland von sich gibt und dadurch auf seine Gefühle. Das erlaubt es der Zuschauer_in, Sympathie für Leland zu empfinden, und in ihm ein Opfer von Bob zu sehen. Die Porträtierung von Bob als eine wilde, übernatürliche, animalische, monsterhafte Kreatur dient der Abspaltung bzw. Auflösung des Zusammenhang zwischen männlicher Gewalt und Patriarchat.(16) Passenderweise schließt FBI-Agent Albert Rosenfeld an einer Stelle: »maybe that’s all Bob is – the evil that men do«. Diese Externalisierung ist auch in einer Äußerung von Sheriff Truman in Episode 3 präsent: »There’s a sort of evil out there. Something very, very strange in these old woods. Call it what you want, a darkness, a presence; it takes many forms and it’s been out there for as long as anyone can remember and we always have been here to fight it.«
Statt der Realität gerecht zu werden, wird die Gewalt, die dort passiert, als über-natürlich und nicht menschlichen Ursprungs präsentiert. Das basiert auf der Annahme, dass »Vergewaltigung in Twin Peaks nicht unter alltäglichen und menschlichen Umständen passiert«. Im Gegenteil ist es allerdings sogar möglich, hier eine Form von rape culture zu attestieren, wie es etwa Chloe in ihrem Text »“She’s dead – wrapped in plastic”: Unwrapping Rape Culture in Twin Peaks«(17) unternimmt. Wenn man rape culture als »einen Komplex von Vorstellungen« begreift, »der zu männlicher sexueller Aggression ermutigt und Gewalt gegen Frauen unterstützt«(18), gewinnt diese Behauptung einige Legitimität, gleichwohl sie die Zuschauer_in in der Regel auf den ersten Blick überrascht (stellt der Versuch diese Gewalt aufzuklären doch den primären Handlungsstrang in dem Narrativ dar). Es ist dieser Definition zufolge außerdem naheliegend und zugleich eine nur wenig neue Erkenntnis, dass rape culture, wo sie existiert, Teil einer misogynen partiarchalen Gesellschaft ist.

Laura Palmer – victim to be blamed?
Die Darstellung Laura Palmers als ein »gefallener Unschuldsengel«, die in illegale und unmoralische Aktivitäten wie Drogenkonsum und -handel, Pornographie, Prosititution und Promiskuität verstrickt war, wird – nachdem ältere Äußerungen von ihr bekannt wurden – noch durch die Unterstellung übertroffen, sie hätte die Vergewaltigung heraufbeschworen. Ihr Ex-Freund Bobby Briggs sagte sogar »Laura wollte sterben« und ihr Therapeut Dr. Jacoby sagte »Laura wollte andere Menschen korrumpieren«.
Auf einer von ihr aufgenommen Audiokassette sagt sie selbst: »I think a couple of times he’s tried to kill me. But guess what? As you know, I sure got off on it.« Dass sie diese Aussage mit einem Kichern beendet, spielt die Gefährlichkeit und Ernshaftigkeit der Verbrechen, denen sie ausgesetzt ist, stark herunter. Sie äußerte sich ebenfalls über »dreams of big, big men and different ways that they might hold me and take me into their control«. Dadurch wird unterstellt, dass nur diejenigen Frauen, die sich solchen Aktivitäten aussetzen, überhaupt Betroffene von Vergewaltigungen und sexualisierter Gewalt werden können.(19) Und tatsächlich wendet die Serie einen nicht geringen Teil des Plots dafür auf, Lauras in mehrererlei Hinsicht zweifelhafte Vergangenheit zu beleuchten und ermutigt damit das Publikum eventuell gar dazu, anzunehmen, sie hätte ihr Schicksal verdient. Damit kann konstatiert werden, dass die Serie das häufige Muster des »victim-blamings« nutzt, was besagt, dass Betroffene meist selbst Schuld an ihrem Leid sind.(20)
Twin Peaks reproduziert also weit verbreitete Mythen über sexualisierte Gewalt, die Soziolog_innen wie Diana Scully und Diana Russell bereits vor vielen Jahren aufgebrochen haben, wie z.B. den genannten Vorwurf, die Betroffenen hätten die Übergriffe provoziert oder aber den, dass sowohl Betroffene als auch Täter als pathologisch zu befinden wären.(21) Die Nichtbeachtung der bitteren Relität häuslicher und familiärer Gewalt schlägt sich besonders in einem Dialog zwischen Sheriff Truman und Agent Cooper in Episode 16 nieder:

Sheriff Truman: »I’ve seen some strange things but this is way off the map. I’m having a hard time believing.«
Agent Cooper: »Harry, is it easier to believe a man would rape and murder his own daughter?«

Twin Peaks und das Patriarchat
Es ist an dieser Stelle auch aufschlussreich, den Urheber der Produktion und seine Ansichten zu Gewalt gegen Frauen näher zu betrachten. David Lynch hat in Interviews Gewalt gegen Frauen rationalisiert, Kritiker_innen für die Pauschalisierung von Frauen in seinen Werken verurteilt und sogar geäußert, »there are some women that you want to hit because you’re getting a feeling from them that they want it, or maybe they upset you in a certain way«.(22) Lynchs Werke haben ihren Ursprung jedoch nicht allein in seinen privaten Ansichten, sondern sind eher eine vermittelte Form von Repräsentationen von Frauen, die die gesamte Gesellschaft und ihre Medien durchziehen. Letztendlich lüftet Lynch keine Geheimnisse, wie auch Diana Hume George konstatiert, sondern reduziert das Böse auf ein über-natürliches Äußeres.(23)
Christy Desmet hat mittels einer semiotischen Lesart von Twin Peaks darauf hingewiesen, dass die Trennung der beiden ermordeten Protagonistinnen in Hure und Jungfrau eine patriarchale ist und auch im Kontext der Serie entsprechend gedeutet werden muss. Diese Lesart, die die Bedeutung von Zeichen – oder genauer: ihren metaphorischen Gehalt und damit deren Implikationen – untersucht, versucht die religiöse Aufladung der Rolle von Laura als fallen saint und ihres inzestuösen Vaters nachzuvollziehen und zielt darauf, zu zeigen, dass der Vater, um das Patriarchat zu beschützen, beide der von ihm als solche wahrgenommenen Töchter töten muss: die Jungfrau Maddy und die Hure Laura. Denn beide stehen den Interessen des Patriarchats an Reproduktion entgegen. Das Letztere wird von Leland vorbildlich repräsentiert sowie ausgeübt: gleichwohl er gegen ein kulturelles Tabu verstößt, sichert er zugleich das Patriarchat. Mit der Feststellung, dass das Letztere für beide Morde verantwortlich ist, bekommt nun auch Bobby Briggs’ Ausspruch auf ihrem Begräbnis eine eigene Wahrheit: »We all killed Laura«. Der Tod von Laura führt schließlich zur Gerechtigkeit.(24) Die Trennung in Heilige und Hure werde hier Desmet zufolge sogar eigentlich irrelevant, da letztlich die Frau selbst als das Böse bzw. als Gefahr aufgebaut werde. Unter Rückgriff auf Lacans »Gesetz des Vaters« schreibt sie, dass die Triebökonomie in Twin Peaks darauf hinauslaufe, weibliches Begehren zu leugnen und Frauen nur als im Dienste des Mannes stehend zu definieren(25). Entsprechend meint sie im Gefolge von Julia Kristeva, dass »westliche symbolische Systeme die Existenz oder zumindest die Realität weiblichen Begehrens leugnen«.(26) Deshalb schlussfolgert Desmet, dass das Böse, das in Twin Peaks der Männerbund der »Bookhouse Boys« bekämpft, am Ende die Frau selbst ist.(27)
Es wäre sicher interessant, diese Argumentation noch genauer nachzuvollziehen, würde in dem hier gesetzten Rahmen aber zu weit führen. Nichtsdestotrotz korrespondieren Desmets Ergebnisse mit dem, was ich mit dem nächsten Teil des Essay zeigen möchte, nämlich, dass die Gleichsetzung von Natur und Frau in der Serie einem historischen Muster folgt.

4. Natur und Frau

Die Natur und die Erde wurden immer schon als weiblich identifiziert und oftmals auch als gesetzlos. Ebenso wurde in patriarchalen Gesellschaften die Frau immer schon als dem Mann unterlegen angesehen, wie die Historikerin und Philosophin Carolyn Merchant betont. Ursprünge oder zumindest Hinweise zu diesem Verhältnis finden sich bereits in der Antike, beispielsweise in der Philosophie von Aristoteles(28). Die Idee der Naturbeherrschung geht auf das Alte Testament zurück und die Gleichsetzung der Natur mit Weiblichkeit spiegelt sich auch in den Philosophien von Platon, Paracelsus und anderen wieder., ebenso wie in Darstellungen der Natur in der Literatur der Renaissance(29) oder etwa den strengen Regularien des Bergbaus im Mittelalter(30), denen noch das Bild der Mutter Erde zugrunde lag. Das Verständnis der Frau als passiv hat seinen Ursprung in dem, was Merchant zufolge immer schon als physiologische Funktion der Frau aufgefasst wurde: die Erziehung von Kindern, oder, allgemein gesprochen, Reproduktion(31).
Mit dem Entstehen des Kapitalismus, hat auch das Patriarchat eine Wandlung vollzogen. Sowohl die Frau, als auch die Natur wurden zum Objekt von Beherrschung und unbegrenzter Ausbeutung, auf dem Fundament der »neuen Wissenschaften«, wie sie z.B. Francis Bacon formulierte. Gesunkener Respekt gegenüber Frauen, die nun zunehmend objektiviert und verachtet wurden, fand seinen überwiegend negativen Ausdruck auch in Darstellungen von Frauen in der Kunst der Renaissance, die eine Phase des Übergangs war(32). Bevor dieser Wandel stattfand, nahmen Frauen in vielen Bereichen der Arbeitswelt teil. Das änderte sich mit dem Aufzug des Kapitalismus. Sie wurden aus diesen Bereichen entfernt, so z.B. aus der Braukunst, und verloren ihr Monopol bei der Gebärhilfe. Sie wurden im Kapitalismus in die häusliche Sphäre verbannt. Diese Unterordnung der Frau wurde durch die demokratischen Theorien der Aufklärung nicht in Frage gestellt, sondern eher noch verstärkt. Zudem wurde sie als mit einem größeren sexuellen Begehren vorgestellt(33). Die Vorstellung der triebgesteuerten, unkontrollierbaren, gesetzlosen, chaotischen und verführerischen Frau kulminierte im Bild der Hexe, in welchem sie zugleich mit der vermeintlichen Notwendigkeit, kontrolliert und unterworfen zu werden, vereint wird: »Die Hexe, Symbol für die Gewalttätigkeit der Natur, entfachte Stürme, verursachte Krankheiten, vernichtete die Ernte, vereitelte die Zeugung und tötete Säuglinge. Die gesetzlose Frau mußte, wie die chaotische Natur, unter Kontrolle gebracht werden.«(34) Die Herabwürdigung der Frau geschieht auf Basis einer Dualität von Natur und Kultur, die die Natur mit der Frau identifiziert und die Kultur mit dem Mann. In Nordamerika war dies auch noch bis ins 19. Jahrhundert hinein mit dem Begriff der »frontier«, also der Grenze des besiedelten Landes, verbunden, die zugleich als Projektionsfläche und integratives Moment für den Drang nach Naturbeherrschung fungierte. Der Mythos der wilden, unkontrollierbaren und menschenfeindlichen Natur hält sich jedoch bis in die heutige Zeit und spielt seine Rolle auch in Twin Peaks, wenngleich sie dort nicht unbedingt offen zutage liegt.

5. Schluss

Frauen sind in Twin Peaks oft schwach, passiv und haben so gut wie keine Macht über ihr eigenes Leben. Sie können fast nur etwas in Verbindung mit Männern oder über ihr sexuelles Potential erreichen. Männer sind demgegenüber meist mächtig, selbstbewusst und stark. Twin Peaks kann zwar nun auch als ein Wiederaufgreifen des Gothic-Schemas betrachtet werden, in dem eine Frau von einem männlichen Bösen terrorisiert wird. Sue Lafky hält dazu aber auch richtigerweise fest, dass es »ein Fehler [ist], dieses Genre, das auch Twin Peaks beinhaltet, als eine proto-feministische Denunzation des Patriarchats und im Speziellen, als einen prototypischen Widerspruch zu Vergewaltigungen zu privilegieren«(35). Stattdessen, »bietet Twin Peaks ungeniert Vergewaltigung und Inzest als Prime-Time-Entertainment an«(36), gleichwohl der Begriff der rape culture wohl nur mit einiger Mühe angewandt werden kann. Die Serie bricht lediglich mit einem Mythos, nämlich dem, dass Vergewaltigung und häuslische Gewalt nur in Unterschichten und nicht-weißen Bevölkerungsteilen vorkommt. Sie reproduziert hingegen viele andere Mythen, die als Teil des Patriarchats betrachtet werden müssen. Dieses Patriarchat, das mit dem Entstehen des Kapitalismus einen Wandel vollzogen und die Identifizierung von Frau und Natur theoretisch wie praktisch auf eine neue Ebene gebracht hat, hat auch die Verbannung der Frau in die häusliche Sphäre etabliert und sie zum Objekt von Unterwerfung und Ausbeutung gemacht. Dieses Verhältnis manifestiert sich nicht nur indirekt auch in Twin Peaks, wo Gewalt gegen Frauen, wie ich aufzuzeigen versucht habe, vom Mann und damit vom Patriarchat abgespalten und auf ein über-natürliches Außen übertragen wird. Damit nicht genug, wird sogar die Gleichsetzung der Frau selbst mit diesem externatlisierten Bösen impliziert.
Abschließend muss jedenfalls die traurige Feststellung gemacht werden, dass Twin Peaks in den 90ern nicht mit einem nennenswerten Fortschritt in Bezug auf Geschlechterrollen im Fernsehen aufwartete, womit die anhaltende Beliebtheit der Serie fragwürdiger erscheint.

Literatur

Buchwald, Emilie, Pamela R. Fletcher, and Martha Roth. Transforming a Rape Culture: Revised edition. Minneapolis, MN: Milkweed Editions, 2005. Web. Zugriff: 16. Aug. 2016.
Chloe. “„She’s Dead – Wrapped in Plastic“: Unwrapping Rape Culture in Twin Peaks.” Chloe, 5 Oct. 2013. Web. Zugriff: 16. Aug. 2016. http://twin-peaks-senior-thesis.blogspot.com/.
Davenport, Randi. “The knowing spectator of Twin Peaks: Culture, Feminism and Family Violence.” Literature/Film Quarterly 21.4 (1993): 255-259. Print.
Desmet, Christy. “The Canonization of Laura Palmer.” Full of Secrets: Critical Approaches to Twin Peaks. Ed. David Lavery. Detroit: Wayne State UP, 1995: 93-108. Print.
George, Diana Hume. “Lynching Women: A Feminist Reading of Twin Peaks.” Full of Secrets: Critical Approaches to Twin Peaks. Ed. David Lavery. Detroit: Wayne State UP, 1995: 109-119. Print.
Jameson, Fredric. Postmodernism, or, the Cultural Logic of Late Capitalism. Durham: Duke UP, 1991. Web. Zugriff: 16. Aug. 2016.
Lavery, David. Full of Secrets: Critical Approaches to Twin Peaks. Detroit: Wayne State UP, 1995. Print.
Lafky, Sue. “Gender, Power and Culture in the Televisual Worlds of Twin Peaks: A Feminist Critique.” Journal of Film and Video 51.3/4: 5-19. Print.
Masters, Rachel D. “The portraiture of Women during the Italian Renaissance.” Honors Theses Paper 118. Hattiesburg: USM, 2013. Web. Zugriff: 16. Aug. 2016.
Merchant, Carolyn. Der Tod der Natur. Ökologie, Frauen und neuzeitliche Naturwissenschaft. München, Germany: C.H. Beck, 1994. Print.
Meyers, Marian. News Coverage of Violence against Women: Engendering Blame. Thousand Oaks: Sage Publications, 1997. Web. Zugriff: 16. Aug. 2016.
Russell, Diana E.H. Sexual Exploitation. Beverly Hills: Sage, 1984. Web. Zugriff: 16. Aug. 2016.
Ryan, William. Blaming the victim. NY: Vintage Books, 1976. Web. Zugriff: 16. Aug. 2016.
Scully, Diana. Understanding Sexual Violence: A Study of Convicted Rapists. Boston: Unwin Hyman, 1990. Web. Zugriff: 16. Aug. 2016.

Acknowledgements
Dank geht an Jay-Dee für Hilfe bei der Übersetzung aus dem Englischen.

[Marlon]

13.jpg


Anmerkungen

(1) Zit. n. Lafky S. 8

(2) Davenport S. 258

(3) Ebd. S. 255f.

(4) Ebd. S. 258

(5) Ebd.

(6) Diana Hume George, S. 116
»Is this what dreams are made of?« fragt bezeichnenderweise auch Benjamin Horne in der sehr peinlichen Szene im Bett mit seiner Tochter analog zu Shakespeares Sommernachtstraum.

(7) Ebd. S. 115

(8) Lafky, S. 10

(9) Lafky, S: 11

(10) »Wrapped in plastic« war der Titel einer Zeitschrift über Twin Peaks, die von 1992 bis 2005 erschienen ist.

(11) Lafky, S. 15

(12) Desmet, S. 94

(13) Desmet, S. 95

(14) Ebd. S. 13

(15) Lafky, S. 11

(16) Chloe

(17) Chloe ...

(18) Buchwald, Fletcher, & Roth xi

(19) Chloe

(20) Ryan & Meyers S. 8f.

(21) Vgl. Russell; Scully

(22) Zitiert nach Lafky S. 12

(23) Hume George S. 19

(24) Desmet S. 94ff.

(25) Und darüber hinaus: »The economy of desire in Twin Peaks and the narrative form it produces help to account both for the show’s unusual appeal and the ultimate dissolution of its “cult”.«

(26) Desmet S. 103

(27) Ebd.

(28) Merchant S. 22

(29) Ebd. S. 34

(30) Ebd. S. 41

(31) Ebd. S. 161

(32) Masters S. 5

(33) Ebd. S: 147

(34) Merchant S. 142

(35) Jameson S. 289

(36) Lafky S. 13

16.02.2017
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