• Titelbild
• Editorial
• das erste: In Sachsen nichts Neues
• inside out: Ein Schritt vor, zwei zurück
• Offener Brief an Talib Kweili
• Audio88 & Yassin
• KLUB: Electric Island pres. DJ SPRINKLES
• KLUB: L'Altro Mondo
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• Being As An Ocean + Burning Down Alaska + Capsize + Casey
• Sayes: Nicht nur vielleicht-Release-Cafeshow
• Autechre
• Skateistan – Filmvorführung und Gespräch
• A-F-R-O Polo
• Offenes Antifa Treffen
• 25YRS Conne Island & Antifaschistischer Frauenblock Leipzig: Sag mir wo du stehst
• 25YRS Conne Island & 15YRS Phase 2: Mitten ins Schwarze ist auch vorbei
• review-corner event: Shalom Tristesse: Anmerkungen zu den blinden Flecken der Europa-Diskussionen
• position: Ein anderer Text wäre möglich gewesen
• das letzte: Beate Zschäpes offene Rechnung
• Neue Titel im Infoladen
Es war gerade eine Woche vergangen, seit CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel mit seiner Ronald Schill-Imitation bei der Berliner Senatswahl eine Schlappe eingefahren hatte, da äußerte sich Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich – bestärkt durch die medial zur »Mitverantwortung« aufgebauschte, ihrem Inhalt nach jedoch gewohnt uneindeutige Stellungnahme der Bundeskanzlerin(1) – geschickt im Spracharsenal des vergangenen Wahlkampfes zu den anstehenden Feierlichkeiten zum Tag der deutschen Einheit in der Landeshauptstadt, indem er davor warnte, die veröffentlichte Aufmerksamkeit an jenem Tage »irgendwelchen Minderheiten« zu überlassen.
Wo sonst gegen für's alltagsreligiöse Bewusstsein halbwegs bestimmbare »Extremisten« agitiert wird, gehört die unbestimmte Rede von »irgendwelchen Minderheiten« zum politischen Kalkül. Unter »Minderheiten« konnte ein jeder verstehen, was er wollte: Migranten, Links- oder Rechtsextreme.(2) Diese nur scheinbare Beliebigkeit der im nationalistischen Jargon gehaltenen Ansage zielte im »Wir sind das Volk«-Land jedoch gerade auf die politische Integration eben jenes Bevölkerungsteils, der sich seit einiger Zeit in Form von Pegida und AfD öffentlich gegen die de facto Staatspartei formiert. In seiner Eröffnungsrede wünschte sich Tillich später, »dass wir aufeinander zugehen und gemeinsam anpacken«, und forderte: »Bauen wir Brücken, wo Gräben entstanden sind.«
Zur von »irgendwelchen Minderheiten« abzugrenzenden Mehrheit zählt Tillich auch die in der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe Aktiven. Über diese hatte sich bereits Bundeskanzlerin Merkel bei der Pressekonferenz zur Berliner Senatswahl »begeistert« gezeigt, weil sie mit ihrem unermüdlichen Einsatz »auch kompensieren, was wir zum Teil staatlicherseits noch nicht ausreichend organisiert haben.« Tillich geht einen Schritt weiter. Nach der Indienstnahme privater, gesellschaftlicher Ressourcen für Aufgaben des Staates, steht für ihn die Verwandlung der zivilgesellschaftlichen Hilfe in einen ideologischen Staatsapparat an, um gemeinsam, »als wehrhafte Demokratie[,] mit mehr politischer Bildung und gestärkter Polizei und Justiz die Radikalisierung(3) [zu] bekämpfen und auch das Miteinander und die Menschenfreundlichkeit [zu] stärken.«(4) Dazu bedarf es jedoch eines wachsamen Auges. Denn wer bei einer Stärkung der Polizei zuerst an die folgenlosen Übergriffe auf Journalisten und Gegendemonstranten in Schneeberg und bei Legida-Demonstrationen, das Verhalten der Beamten in Clausnitz, das polizeiliche Vorgehen in Bautzen, alltägliches racial profiling und das Durchführen von Abschiebungen denkt, wird Tillichs Ansinnen kaum teilen. Und schließlich beteiligen sich an der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe nicht wenige »Linksextremisten, die unseren demokratischen Staat und seine Vertreter ablehnen, ja, sie angreifen.«
Der deutsche Inlandsgeheimdienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz, veröffentlichte zu diesem Zweck bereits im August eine Handreichung für Flüchtlingshelferinnen und -helfer. Linksextremisten, heißt es darin, praktizierten eine »propagandistische Instrumentalisierung
ihrer Flüchtlingsunterstützung«, die »den deutschen Staat durch den Vorwurf der strukturellen, rassistisch motivierten Benachteiligung von Zuwanderern delegitimieren soll, um so die Notwendigkeit seiner Beseitigung verdeutlichen zu können.« Ein Vorwurf moralischer Zersetzung des Staatsvolks? Dagegen hilft nur Denunziation; und so soll der ehrenamtliche Flüchtlingshelfer auch zum ehrenamtlichen Geheimdienstmitarbeiter (EM) werden: »Helfen Sie uns und […] verdeutlichen Sie Ihrem Umfeld die Notwendigkeit, Hinweise auf verfassungsfeindliche [...] Handlungen an die Polizei oder den Verfassungsschutz heranzutragen. Leisten Sie einen Beitrag zum Schutz Ihrer Familie, Ihrer Verwandten und Freunde und damit zum Schutz unserer gesamten demokratischen Ordnung!«
Obwohl nicht in der Flüchtlingshilfe aktiv, nahm sich der Geschäftsführer der Leipziger CDU-Stadtratsfraktion Achim Haas den Aufruf schon aus beruflichen Gründen zu herzen: Er war auf eine Informations- und Mobilisierungsveranstaltung gegen die Einheitsfeier in Dresden im Conne Island aufmerksam geworden. Eine gute Gelegenheit also, wieder einmal das Ende der städtischen Förderung für das linke Jugendkulturzentrum zu fordern – zumal die Kollegen Kudla und Maciejewski bereits vorgeprescht waren. Als erfahrener EM wusste er, dass der sächsische Inlandsgeheimdienst die »Stammkneipe linksautonomer Terroristen« nicht (mehr) beobachtet,(5) und wandte sich deshalb sogleich vertrauensvoll an die Sächsische Zeitung (SZ). Denn die Spuren von »Connewitzer Straßenschlachten und Anschläge[n] auf Abgeordnetenbüros, Polizeiposten und Gerichte«, ließ er dort wissen, führen ins Conne Island. Es dürfe aber nicht sein, dass mithilfe von Steuergeldern zu Gewalt aufgerufen werde.
Was nach Haas' Ansicht hingegen sein darf, ist mit Steuergeldern Gewalt auszuüben. Dafür engagiert er sich selbst seit Jahren als Geschäftsführer des Freundeskreis der Bundeswehr Leipzig e.V.. Auch dort will man Brücken bauen, um eine Verbindung »zwischen der Bundeswehr, der Leipziger Bevölkerung und vor allen Dingen auch der Wirtschaft« herzustellen(6). Inzwischen gäbe es, entgegen der deutlich wahrnehmbar »ausgeprägten Distanz der Bürger« Anfang der 1990er Jahre, keine Vorbehalte unter der Leipziger Bevölkerung mehr, auch wenn zu Haas' Ärger »in den Köpfen der Menschen« noch immer »so ein bisschen [… der Gedanke], Soldat = Krieg, dass das alles sowas Unangenehmes ist«, vorherrsche.
Während also in den Köpfen der sächsischen CDU noch immer der Gedanke Conne Island = linksextreme Gewalttäter herumspukt und Haas in der SZ deshalb sarkastisch fragte, ob das Conne Island mit städtischen Fördermitteln Kurse im Barrikadenbau und Steinewerfen organisiere, erwärmt es sein Herz, wenn er beim jährlichen Sommerbiwak der deutschen Armee »immer die leuchtenden Augen von kleinen Kindern« sieht, »wenn die auf den Panzern mal herumklettern« und mit Papa oder dem Nachbarn in Afghanistan funken.(7)
Um Gewalt ohne Uniform sorgte sich auch Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) auf dem Neujahrsfest des Bundeswehr-Ausbildungskommandos. »Es kann nicht sein,« erklärte er, »dass es in Connewitz Bereiche gibt, wo das Gewaltmonopol des Staates nicht mehr gilt«. Das Thema einmal angesprochen, sprang ihm sogleich Ausbildungskommandeur Walter Spindler bei: »Im Übrigen«, ergänzte er, »wünsche ich mir natürlich, dass wir für die innere und äußere Sicherheit in diesem Lande all das zur Verfügung gestellt bekommen, was erforderlich ist, um das Gewaltmonopol des Staates auch in jederlei Hinsicht wieder hergestellt bekommen. Und da sehe ich, was in Leipzig in Connewitz passiert ist, dass wir da noch ein wenig arbeiten müssen.« Und weil man das beim Anblick des Generalmajors in der Kaserne schnell vergessen kann, schob er rasch nach: »Ich spreche jetzt als Bürger und nicht nur als Soldat.«(8)
Lange bevor Kriegsministerin Ursula von der Leyen und die CSU kräftig für Armeeeinsätze im Innern trommelten, stand Generalmajor Spindler zum Aufmarsch gegen Bürger ohne Uniform bereit, wann immer der Polizei Amtshilfe - etwa mit Kampfflugzeugen und Spähpanzern wie beim G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 - zu leisten ist. Wo für die einen Pontonbrücken zum Überlaufen ausgefahren werden, hebt man gegen andere rhetorisch Schützengräben aus.(9)
In der Nacht zum Tag der deutschen Einheit wurde dem Connewitzer Linxxnet, das die Gegendemonstration in Dresden ebenfalls beworben hatte, von Unbekannten die Scheibe eingeworfen. Führen die Spuren nun zur CDU-Stadtratsfraktion?
shadab