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Der Skandal um einen offensichtlich fingierten Aufsatz zur DDR-Geschichte, den die Zeitschrift des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung in Dresden vor einigen Monaten ungeprüft veröffentlicht hat, machte erneut deutlich, wie wichtig es ist, sich intensiver mit der Totalitarismus- und Extremismusforschung in Deutschland auseinanderzusetzen. Die Totalitarismustheorie ist das Instrument einer interessegeleiteten Geschichtswissenschaft, der affirmative Diktaturvergleich das Mittel einer staatszentrierten Geschichtspolitik. Wenn es um die Umdeutung der Geschichte des 20. Jahrhunderts geht, müssen wir nicht erst in Richtung baltische Staaten, Ungarn oder Polen schauen. Das Beispiel aus Sachsen zeigt, welche verheerenden Konsequenzen die Einmischung einer Landesregierung auf die wissenschaftliche Landschaft und die historisch-politische Bildungsarbeit haben kann. Hier müssen VertreterInnen der institutionell verankerten Geschichtswissenschaft sowie linke HistorikerInnen stärker Position beziehen.
Es war ein kurzer Aufschrei, der die deutschsprachige Geschichtswissenschaft erfasste, als »Christiane Schulte & Freund_innen« im Februar 2016 bekannt gaben, dass ein zuvor in der Zeitschrift Totalitarismus und Demokratie veröffentlichter Aufsatz »frei erfunden« gewesen sei, »ohne dass dies jemandem aufgefallen wäre«.(1) Der Aufsatz gibt vor, »die Geschichte der deutsch-deutschen Teilung aus dem Blickwinkel des Schäferhundes zu betrachten« und überrascht gleich zu Beginn mit der These, dass »zu den ersten Opfern der Berliner Mauer« ein Schäferhund namens Rex gehört habe. Angeblich wurden 34 Diensthunde an der innerdeutschen Grenze »verschlissen in einem Krieg, der nicht der ihre war«. Zwar gehört das Aufzeigen von Kontinuitäten über gesellschaftliche Umbrüche und Systemtransformationen hinaus zur Geschäftsgrundlage von Geschichtswissenschaft, doch hätte die besondere Kreativität von »Schulte« die Herausgeber der Zeitschrift, das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. in Dresden, stutzig machen müssen. Behauptete diese doch auf dünner – und letztlich ja auch erfundener – Quellengrundlage, dass »direkte Nachfahren von KZ-Wachhunden um 1947 auch im Speziallager Nr. 2 [gemeint ist Buchenwald] eingesetzt«(2) gewesen seien.
In einer Stellungnahme gaben die genarrten Dresdner an, »durch einen gefälschten Lebenslauf und eine scheinbar wissenschaftliche Argumentation, die dem Leser mit ausführlichen Erläuterungen, umfangreichen Fußnoten und falschen Archivangaben glaubhaft gemacht« werden sollte, »systematisch getäuscht« worden zu sein. Doch das eingereichte Manuskript hätte schon aus rein fachlich-qualitativen Gründen niemals veröffentlicht werden dürfen.(3)
Die geschichtswissenschaftliche Öffentlichkeit reagierte gespalten. Geradezu widersprüchlich argumentierte Patrick Kilian von der Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Zürich, der den Hoax einerseits als bloßen »Scherz« abqualifizierte, ihm andererseits ein »kritisches Potential« attestierte, das aber »um Längen« verfehlt worden sei. Letztlich sei die »Guerilla-Aktion in Wirklichkeit weniger radikal«, als sie vorgebe zu sein, und komme als Abklatsch eines lange hinter uns gebrachten »Stellungskrieg[es] […] einer im akademischen Raum ins Abseits gedrängten traditionellen und positivistischen Linken« daher. Das klingt allzu sehr nach einem »Ende der Geschichte« (Francis Fukuyama) und weicht einer ernsthaften Auseinandersetzung mit einer Totalitarismusforschung aus, die geradezu affirmativ Nationalsozialismus und DDR-Regime »vergleicht«. Immerhin konstatierte der Historiker Florian Peters vom Institut für Zeitgeschichte München-Berlin einen Mangel an »wissenschaftlicher Diskussionskultur«, blieb in seiner Kritik jedoch bei der Hinterfragung »akademischer Modetrends« stehen. Die inkriminierte Publikation lasse sich »wohl nur damit erklären, dass die Kernaussagen des Aufsatzes nur zu gut zum totalitarismustheoretischen Forschungsprogramm des Hauses passen«.(4)
Frühere Kontroversen
Seit seiner auf Beschluss des Sächsischen Landtages erfolgten Gründung im Jahr 1993 widmet sich das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung als An-Institut der Technischen Universität Dresden der Erforschung der »politischen und gesellschaftlichen Strukturen von NS-Diktatur und SED-Regime sowie ihrer Folgen für die Gestaltung der deutschen Einheit«.(5) Die Einrichtung wird seit 2009 von dem Historiker Günther Heydemann geleitet, der zugleich eine Professur an der Universität Leipzig wahrnimmt. Stellvertretender Direktor ist der Politikwissenschaftler Uwe Backes, Professor am Institut für Politikwissenschaft der TU Dresden. Schon diese Personalien zeigen, dass das Institut nicht einfach als Sprachrohr einer interessengeleiteten Forschung zum Zweck der wissenschaftlichen Unterfütterung der (nicht nur) in Sachsen allzu beliebten Extremismusdoktrin abqualifiziert werden kann. Die ganze Angelegenheit ist schon etwas komplexer und bedarf gerade daher einer intensiveren Debatte innerhalb der Geschichtswissenschaft.
Bereits 1999 hatte eine Studie eines Mitarbeiters des Instituts über den Hitler-Attentäter Georg Elser für Aufruhr gesorgt, in der dessen Tat die moralische Legitimation abgesprochen wird. Der »Täter« Elser, so Autor Lothar Fritze, der »die Qualität seiner Überzeugungs- und Willensbildung« selbst infrage gestellt habe, habe »seine politische Beurteilungskompetenz überschritten«, als er 1938 den Ausbruch eines Krieges prognostizierte.(6) Es entbrannte eine Kontroverse, in deren Verlauf Saul Friedländer, Geschichtsprofessor in Los Angeles, als Beiratsmitglied zurücktrat und der damalige Direktor Klaus-Dietmar Henke seinen Vize Backes rauswerfen wollte, habe dieser doch »einen geschichtspolitischen Krawall« anzetteln wollen. Schließlich musste Henke gehen.(7) Unter Heydemanns Ägide wurde ein »Richtungswechsel veranlasst«,(8) von nun an sollte sich das Hannah-Arendt-Institut vermehrt der Erforschung des Nationalsozialismus widmen.
Totalitarismusforschung im Widerstreit politischer Interessen
Kerngeschäft der Dresdner Wissenschaftler ist die Etablierung einer als innovativ daherkommenden Totalitarismusforschung, die sich insbesondere an Hannah Arendts »Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft« orientiert. Dabei verkannte die Namenspatronin des Instituts in ihrem klugen Werk zum einen offenkundig den Charakter der nationalsozialistischen Vernichtungsagenda und bezeichnete zum anderen gerade die DDR nicht als totalitär. Auch die beiden US-amerikanischen Politikwissenschaftler Carl Joachim Friedrich und Zbigniew Brzezinski dienten mit ihrem Totalitarismus-Modell als Stichwortgeber. Sie sahen im Dritten Reich eine monolithische »Befehlswirtschaft«. Dabei war das NS-Regime, das zu keinem Zeitpunkt eine Verstaatlichung der Wirtschaft anstrebte, durch ausgesprochen »polykratische Züge« gekennzeichnet.(9) Der »Historikerstreit« von 1986/87 bildete einen Höhepunkt der Auseinandersetzungen um die Totalitarismusforschung, wollte der Historiker Ernst Nolte doch einen »kausalen Nexus« zwischen Bolschewismus und Nationalsozialismus erkannt haben und fragte, ob denn nicht der »‹Archipel GULag› ursprünglicher als Auschwitz« gewesen sei.(10) Der die Shoah relativierende Vorstoß Noltes ging einher mit den geschichtspolitischen Bestrebungen der damaligen Kohl-Regierung um eine »geistig-moralische Wende«. Jahrzehnte später sekundierte der Historiker und Chemnitzer Professor Frank-Lothar Kroll, indem er den stalinistischen Terror indirekt als grausamer zeichnete als den Nationalsozialismus, habe Letzterer doch in den Juden immerhin eine definierte Opfergruppe gehabt, während der Bolschewismus schließlich »anders als sein nationalsozialistisches Pendant, sehr rasch auf seine konkrete Feindbildorientierung« verzichtet habe. Das ist in seiner Vereinfachung aber weder richtig noch eine hinreichende Erklärung auch nur einer der beiden »totalitären Großideologien«, wie Kroll sie nennt.(11)
Die »Wiedervereinigung« schließlich führte nach 1990 nicht nur zu einer Renationalisierung des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens, sondern beförderte eine völlige Banalisierung der Totalitarismus-Theorie(n) im Zuge der Hegemonialisierung des Diskurses um die DDR als der zweiten deutschen Diktatur. Die Rede von der »doppelten Diktaturerfahrung« Deutschlands führte beispielsweise bei dem Politikwissenschaftler Eckhard Jesse, der bis 2014 eine Professur an der Technischen Universität Chemnitz innehatte, zu einem bloßen Diktaturvergleich, der natürlich Unterschiede festzustellen vermag, jedoch in seiner Eigenschaft als geschichtspolitisches Projekt einer zu neuem Selbstbewusstsein gelangten deutschen Nation interessegeleitet Differenzen »einebnet«.(12) Dieser Historismus geht von einer Geschichte als teleologisch-chronologischer »Erzählung« aus, an deren »Ende« – nach einem totalitären »time-warp« (Phil MacNaughten/John Urry) in Form von Nationalsozialismus und Realsozialismus – die »friedliche Revolution« von 1989 steht. In diesem Narrativ wird das Dritte Reich zum bedauerlichen »Ausnahmezustand« und die DDR zum überwundenen »Provisorium« – den totalitären »Unrechtsstaaten« folgte der demokratische Rechtsstaat.(13)
Derzeitige Geschäftsgrundlage der bundesrepublikanischen Verfechter der Totalitarismustheorie ist eine Vergleichsperspektive, bei der in der Regel auf Basis von Mikrostudien ein Abgleich von DDR – passenderweise meist einfach als »DDR-Diktatur« klassifiziert – und NS-Regime vorgenommen wird. Doch was lässt sich hier vergleichen? Die DDR umfasste ein Territorium zwischen Elbe und Oder, Rügen und Sächsischer Schweiz, während das NS-Regime in seinem Großmachtstreben seinen Einflussbereich bis nach Nordafrika und ans Nordkap ausweitete, wie der Historiker Wolfgang Wippermann in einer Streitschrift feststellte, in der er eine »Dämonisierung durch Vergleich« beklagte. Weder in räumlicher noch in temporärer Perspektive erscheint ein Vergleich angebracht.(14) Auch aus gesellschaftshistoriografischer Perspektive kann die Totalitarismustheorie wenig beitragen: War das Dritte Reich in den zwölf Jahren seines Bestehens eine »Mobilisierungsdiktatur« (Adam Tooze), deren Gesellschaft sich als sogenannte Volksgemeinschaft voll und ganz in den Dienst der Mobilmachung für den Krieg stellte, muss eine Betrachtung der DDR differenzierter ausfallen. Gerade für die 1980er Jahre kann eine verstärkte »Entpolitisierung« der dortigen »Nischengesellschaft« (Günter Gaus) konstatiert werden.
Der meist historiografisch angelegte Totalitarismusansatz geht in der Regel mit einer in der Hauptsache von PolitologInnen und SoziologInnen betriebenen Extremismusforschung einher, die von einer Bedrohung des demokratischen Verfassungsstaates von links- und rechtsaußen ausgeht. Dabei, so das Urteil von Wippermann, handelt es sich um einen als Wissenschaft getarnten »Politologentrug« mit erheblichen methodologischen Unzulänglichkeiten.(15) Die selektive Analyse der Totalitarismusforschung führt nicht nur zu einer Wahrnehmungsverengung, sondern auch zu einer gefährlichen Ignoranz gegenüber tatsächlichen nationalistischen, rassistischen, antisemitischen oder antifeministischen gesellschaftlichen Entwicklungen. Eine kritische Auseinandersetzung mit den ganz praktischen Auswirkungen des Totalitarismusparadigmas insbesondere in der historisch-politischen Bildung zur DDR-Geschichte ist dringend geboten, wird hier doch immer stärker der 1974 ausgehandelte »Beutelsbacher Konsens«, in dem die Leitgedanken der politischen Bildungsarbeit festgehalten sind, ausgehöhlt.(16) Dabei muss der Totalitarismusbegriff nicht einmal verworfen werden. Es würde reichen, seine Genese und Rezeption kritisch zu analysieren und ihn gegen seine vermeintlichen VerteidigerInnen zu wenden. Gleichzeitig sollte es sich eine kritische Geschichtswissenschaft zur Aufgabe machen, »abgebrochene Potentiale der Vergangenheit« und verlorene Momente nachzuverfolgen, statt einer vermeintlichen Objektivität und Neutralität folgend letztlich doch nur eine »Geschichte der Sieger« (Walter Benjamin) zu schreiben.(17)
Forschungslücken und Eckpunkte für eine notwendige Debatte
Dass eine kritische Historiografie zum DDR-Regime und eine Befassung mit dem Stalinismus und Realsozialismus von links durchaus stattfindet, zeigen die Existenz von außer-institutionellen Arbeitskreisen wie dem AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West, der Selbsthilfegruppe Ei des Kommunismus (SEK) oder dem AutorInnenkollektiv Loukanikos und die wachsende Zahl von Publikationen aus diesem Spektrum in den letzten Jahren. Zudem unterhält das renommierte Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) eine komplette Abteilung, die sich verstärkt der Gesellschaftsgeschichte der DDR zuwendet. Und das in München und Berlin ansässige Institut für Zeitgeschichte (IfZ) widmet sich in zahlreichen Projekten seit vielen Jahren der DDR- Geschichte, wenngleich man sich hier nicht immer und nicht grundsätzlich vom Totalitarismusansatz lösen möchte. Die Breite der Forschungen widerspricht dabei durchaus dem in der Öffentlichkeit präsenten und durchaus so intendierten Bild von der DDR. Nur ein Beispiel: Während im öffentlichen Gedächtnis der Berliner Republik die Bürgerrechtsbewegung (im Singular) als freiheitlich, demokratisch und vor allem prowestlich positioniert wird, war die Ausrichtung in der Realität wesentlich vielfältiger: Neben den heute als BürgerrechtlerInnen bekannten und nicht selten rechts gewendeten ProtagonistInnen, deren politische Spektren heterogen und geradezu diffus waren, existierte eine thematische Diversität (Umweltschutz, Feminismus, Antifaschismus usw.), die sich nicht auf Chiffren wie Freiheit und Bürgerrechte reduzieren lässt. Hier existieren erstaunliche Forschungslücken.
Allerdings muss auch die etablierte DDR- und Kommunismusforschung neue Impulse aufnehmen, statt den »eingetretenen Pfaden« der letzten Jahre zu folgen und endgültig zu einer willfährigen Chronistin der Berliner Republik zu werden. So müsste stärker nach den »Schroffen und Zacken« (Walter Benjamin) gefragt werden, nach den verschlungenen Pfaden und Umwegen der Geschichte. Auch Systemvergleiche haben dabei ihre Berechtigung bewiesen, beispielsweise in vergleichenden sozialgeschichtlichen Arbeiten zu Bundesrepublik und DDR oder zu den sozialistischen Staaten in Mittel- und Osteuropa.
Nicht nur die Kontroversen um das Dresdner Institut und die jüngste Diskussion über die Zukunft der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen als Archiv und Forschungseinrichtung zeigen zweierlei: Einerseits scheint sich die etablierte DDR-Forschung in eine »wissenschaftliche Insellage« zu manövrieren, wie der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk konstatiert. Er kritisiert die Bundesstiftung Aufarbeitung, die lediglich wissenschaftliche »Torwächter und Platzanweiser« um sich schare.(18) Andererseits scheut man sich vor einer klaren Abgrenzung von den Jüngern der Totalitarismustheorie. Die Nichtbeachtung oder »stille Teilhabe« der Geschichtswissenschaft trägt zur weiteren »Verwissenschaftlichung« dieses Ansatzes bei. Tatsächlich ist das weitgehende Schweigen großer Teile der Geschichtswissenschaft verstörend und kann vielleicht nur als eine Art missverstandener Cordon sanitaire des Wissenschaftsbetriebs interpretiert werden. Während die einen einfach einen Bogen um die Sache machen, nehmen die anderen die gebotenen Publikationsmöglichkeiten dankbar an. Damit verhelfen sie aber jenen zu wissenschaftlicher Akzeptanz, die ihrerseits die Erkenntnisse der Wissenschaft(en) ignorieren und nicht zuletzt fachliche Anforderungen missachten. Gleichwohl sollte der Schäferhund-Hoax nicht nur zum Anlass genommen werden, die Einhaltung von wissenschaftlichen Standards einzufordern, sondern eine ernsthaftere Auseinandersetzung mit der Totalitarismustheorie und ihren Auswirkungen nach sich ziehen. Dabei kann es weder darum gehen, die Problematik zu reduzieren, ausschließlich im Freistaat Sachsen zu verorten und einfach einen großen Bogen um das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung zu machen, noch sollte zur allgemeinen Kollegenschelte ermutigt werden. Trotzdem ist eine Neuorientierung (in) der Geschichtswissenschaft dringend notwendig. An dieser Stelle sollen nur drei Eckpunkte benannt werden:
NS-Forschung und DDR-Forschung (ebenso Faschismus-und Kommunismusforschung) sind keine wissenschaftlichen Konkurrenzprojekte, sondern eigenständige Forschungsgebiete und sollten auch als solche gewürdigt werden. Eine Vermischung oder Aufrechnung ist weder in Gedenkstättenstiftungen noch an wissenschaftlichen Instituten ratsam. Stattdessen sollten neben den bisherigen Leitlinien neue Forschungsfragen entwickelt werden, beispielsweise hinsichtlich einer transnationalen Perspektivierung und einer stärkeren Einbettung der DDR-Forschung in eine Geschichte der post-nationalsozialistischen Gesellschaft(en). Eine kritische Geschichtswissenschaft – und vielleicht noch viel mehr eine linke Geschichtsschreibung – darf die inhaltliche Diskussion nicht scheuen, muss vielmehr Impulsgeber sein und eigene Forschung(en) forcieren. Die Exegese von Stichwortgebern wie Hannah Arendt, Elias Canetti oder Richard Löwenthal muss nicht der Totalitarismustheorie überlassen werden.
In der historisch-politischen Bildungsarbeit existieren sowohl in der didaktischen Vermittlung zum NS-Regime als auch zur DDR hervorragende Projekte. Gleichwohl werden in Bund und Ländern mitunter Ansätze gefördert, die einzig einer »Musealisierung« der jüngeren deutschen Geschichte dienen und Verteilungskämpfe befördern. Nicht zuletzt muss es daher auch um eine Kritik an der »Verstaatlichung des Gedenkens« insbesondere in Bezug auf den Umgang mit der Geschichte der DDR gehen.
Die Forderung nach einem neuerlichen »Historikerstreit« klingt abgegriffen. Der Widerspruch ist trotzdem nötig.