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Aktuelles Heft

INHALT #233

Titelbild
Editorial
• das erste: Gott und Staat
• inside out: Jahresbericht 2015
Klub: Electric Island X Veranda X Julian W. SWEET 18
Filmriss Filmquiz
Kleine Bühne Smokers Special

25 Jahre nach dem rassistischen Pogrom von Hoyerswerda
Räbbordy #2 - Das Hip Hop Quiz
DEATH INDEX / LA VASE (CAFEKONZERT)
Endstation Griechenland. Flucht in eine Sackgasse.
Wheelchair Skate Day
Skeletons, White Wine Double Release
All4HipHopJam 2016
Boysetsfire + Wolf Down
• review-corner event: Tag der offenen Tür in der Flüchtlingsunterkunft Braunstraße
• position: »The world has avoided another war«
• doku: Unser Elend ist euer Kapital!
• doku: „Im Tal der Ahnungslosen“ – Rassismus in Sachsen damals wie heute
• doku: Offene Grenzen als Utopie und Realpolitik
Digitalisierung und soziale Verhältnisse im 21. Jahrhundert
• das letzte: Die IHK Leipzig im Kampf um Freiräume für Investorenträume
Neue Titel im Infoladen

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Den nachfolgend dokumentierten Text haben wir der Februar-Ausgabe des auch im Conne Island ausliegenden Hamburger FSK-Programmhefts Transmitter entnommen.



„Im Tal der Ahnungslosen“ – Rassismus in Sachsen damals wie heute

Leipzig, Dresden, Chemnitz, Wurzen, Döbeln, Chrimmitschau, Freital, Heidenau, Einsiedel, Meißen - es ist ganz egal wie die Käffer heißen. Fast jeden Tag tobt irgendwo der rassistische Mob. Rassismus gibt es in ganz Deutschland. Aber nirgendwo treiben Ausländerhass und Vorurteile gegen Flüchtlinge solche Blüten wie hier in Sachsen. In keinem anderen Bundesland gibt es mehr rassistische Brandanschläge, Übergriffe und Demonstrationen. Aber warum hier? Warum in Sachsen?

Oft werden unter anderem die Folgen der Wende, fehlendes Demokratieverständnis und ein geschlossenes rechtsradikales Weltbild oder die Unfähigkeit vieler Menschen, sich von Ausländerfeinden zu distanzieren, als Ursachen genannt. Aber auch die Politik der sächsischen CDU der letzten 25 Jahre, die auf dem rechten Auge blinde Justiz und Polizei, starke örtliche rechtsradikale Strukturen sowie die Deutungshoheit der Extremismustheorie spielen dafür eine nicht unwesentliche Rolle. Das, was heute als neue völkische Bewegung hervortritt, konnte in Sachsen viele Jahre unter Obhut des VS und der Polizei gedeihen.

Ein wichtiger Fakt wird jedoch oftmals außer Acht gelassen: Der Rassismus in Sachsen (und im Rest der ehemaligen DDR) war schon vorher da. Er blühte dort seit Mitte der fünfziger Jahre, ganz besonders ab dem Mauerbau 1961. Ab Anfang der 50er Jahre kamen vermehrt ausländische Studierende in die DDR. Diese Studierenden waren neben sowjetischen Armeeangehörigen und einer geringen Anzahl von Flüchtlingen die einzigen Ausländer in der DDR. Die Ausbildung junger Menschen befreundeter Staaten oder befreundeter Befreiungsbewegungen war ein wichtiger Bestandteil Auswärtiger Kulturpolitik. Man erhoffte sich damit ein Durchbrechen der Hallstein-Doktrin. Die DDR kämpfte um Annerkennung auf internationalen Parkett. Die Hallstein-Doktrin war in den 50er und 60er Jahren eine außenpolitische Maxime der Bundesrepublik. Sie besagte, dass die Bundesrepublik die diplomatischen Beziehungen zu jedem Land abbrechen würde, das die DDR diplomatisch anerkennen würde.

Rassismus und Fremdenfeindlichkeit seien in der DDR „mit der Wurzel ausgerottet“, lautete ein zentraler Bestandteil des politischen Selbstverständnisses der DDR. Mit Bezugnahme auf die Faschismustheorie Georgi Dimitrows konnte es in der DDR keinen Rassismus geben, da mit der Ausrottung des Faschismus in der DDR die Ursachen für diesen beseitigt seien. Die Realität sah anders aus. Normale Kontakte zwischen den ausländischen Studierenden und der Bevölkerung waren der DDR-Führung suspekt. Nicht umsonst führten die Staatssicherheit und auch die Volkspolizei Akten über jeden einzelnen Studierenden, in denen die politischen Einstellungen, der Umgang mit DDR-Bürgern, das Sexualverhalten und der Alkoholkonsum und vieles mehr dokumentiert wurden.

In den 50er Jahren kamen die Studenten zumeist aus Nordkorea, China und Vietnam, ab Anfang der 60er Jahre vermehrt aus Afrika und dem arabischen Raum. Dies hing von wechselnden außenpolitischen Allianzen, Richtlinien und Ereignissen ab. Die Studierenden stellten den größten Teil der Ausländer, die in jenen Jahren in der DDR lebten. Das Studium in der DDR war kostenlos und es gab ein Stipendium. Fast alle ausländischen Studenten und Promovierenden mussten einen einjährigen sprachvorbereitenden Deutschkurs am Herder Institut in Leipzig (ab Mitte der 60er Jahre mit einer Außenstelle in Dresden-Radebeul), der Vorstudienanstalt für ausländische Studierende in der DDR, absolvieren, bevor sie an Universitäten in der ganzen DDR verteilt wurden. Sehr viele der Studierende blieben zur Studienzeit im Gebiet des heutigen Sachsen. Leipzig war die Stadt, in der durch das Herder-Institut und die stattfindende Messe der Anteil von Ausländern in den 50er und 60er Jahren höher war als im Rest der DDR. Hier studierten in den 60ern jährlich ungefähr 1000 Menschen aus anderen Ländern.

Alltagsrassismus in Leipzig

1964 nahmen die rassistischen Übergriffe in Leipzig derart überhand, dass die UASA (Union der afrikanischen Arbeiter und Studenten in der DDR) ein Memorandum verfasste, das an verschiedene Institutionen von Partei und Staat geschickt wurde.(1) Es herrschte eine große Unruhe unter den afrikanischen Studierenden, denn innerhalb kürzester Zeit wurden mehrere Afrikaner von Deutschen zusammengeschlagen, dabei wurden mindestens zwei lebensgefährlich verletzt. Die Täter waren männliche DDR-Bürger, überwiegend betrunken. Die Übergriffe fanden meist in oder vor Diskotheken, in oder vor Gaststätten sowie in öffentlichen Verkehrsmitteln statt. Die Fahrer des Leipziger Taxiverbandes weigerten sich schwarze Studenten zu befördern, besonders dann, wenn diese in Begleitung weißer Frauen waren. In Gaststätten wurden afrikanische Studenten oftmals nicht bedient, in Diskotheken wurde ihnen unter fadenscheinigen Begründungen der Einlass verwehrt. Verkäufer und Verkäuferinnen, Schaffner und Kellner oder Postangestellte zeigten sich von ihrer unfreundlichsten (rassistischen) Seite. In Zusammenhang mit diesen Übergriffen betont die UASA das rassistische Vorgehen der Leipziger Volkspolizei, die nach Meinung UASA die Straftäter nicht richtig verfolgte und die Ursachen für die Übergiffe bei den Afrikanern suchten. Das Vertrauen der afrikanischen Studierenden in die Leipziger Volkspolizei war erschüttert.

Rassismus in der DDR in jenen Jahren war nicht nur ein Leipziger Problem. Es gab ihn in der ganzen DDR. Besonders viele Übergriffe gab es aber in den Bezirken des heutigen Sachsen (Leipzig, Dresden, Karl-Marx-Stadt).(2) Viele ausländische Studierende, die Rassismus als eine unvermeidbare Begleiterscheinung eines Studiums im Westen betrachteten, waren vom Rassismus in einem sozialistischen Land erschüttert. Die UASA sprach in ihrem Memorandum offen von Rassenhass in der DDR. Man warnte davor, dass das Ignorieren dieser Entwicklung jederzeit einen furchtbaren Konflikt auslösen könne. Und ein solches Ereignis würde „die imperialistische Presse nur durch die antikommunistische Brille sehen“. Die Offiziellen von Partei und Staat steckten damit in einem großen Dilemma, denn mit dem Memorandum wurde seitens der UASA ein Problem benannt, dass es in der DDR offiziell nicht gab und so auch nicht geben durfte. In der Abteilung Internationale Verbindungen beim ZK der SED und im Staatssekretariat für Hoch- und Fachhochschulwesen war man aufgeschreckt. Das Memorandum und die rassistischen Übergriffe sollten unbedingt unter der Decke gehalten werden. Auf die Studierenden wurde auf verschiedene Weisen Druck ausgeübt. Auf gar keinen Fall wollte man, dass im Westen darüber berichtet würde.

Bis heute hält sich unter vielen Ostdeutschen der Mythos, Rassismus habe es in der DDR nicht gegeben. Das ist falsch. Rassistische Denk- und Verhaltensmuster waren tief in der ostdeutschen Bevölkerung verankert, lange bevor Ende der 70er und in den 80ern wegen Arbeitskräftemangels tausende Vertragsarbeiter aus Algerien, Vietnam, Mocambique, Angola, Kuba, aber auch aus Polen, der ČSSR und Ungarn in die DDR geholt wurden. Auch der Wandel des politischen Systems und der Austausch der Köpfe in Verwaltung und Justiz nach der Wende haben daran nichts geändert.


DJ/PiRadio

Anmerkungen

(1) Abschrift des Memorandums der UASA, nicht datiert, um Februar 1965, BArch, DO 1/8.0/41383


(2) Ausführliche Schilderung der rassistischen Übergriffe auf ausländische Studenten in der DDR in den 60er Jahren findet man bei Mac Con Uladh, Damian (2005): Studium bei Freunden? Ausländische Studierende in der DDR bis 1970. In: Müller, Christian (Hg.): Ankunft, Alltag, Ausreise. Migration und interkulturelle Begegnung in der DDR-Gesellschaft. Köln, Wien , S. 175–220. Siehe auch: Waibel, Harry (2014): Der gescheiterte Anti-Faschismus der SED. Rassismus in der DDR. Frankfurt am Main.

23.05.2016
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