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• +++ Terror +++ Terror +++ Terror +++
• das erste: Advent, Advent, die Karli brennt!
• inside out: Connewitz ist ein Ort für emanzipatorische Gesellschaftskritik und Hedonismus!
• KLUB Live pres.: LV (Brownswood Recordings) – Live!
• Stick To Your Guns Winter Tour
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• doku: Fight Back – Rechte Strukturen zerschlagen
• doku: Hypezig – Die Verkleinbürgerlichung des Alternativen
• doku: «... so long as nuclear weapons exist, we are not truly safe. (Applause.)»
• doku: Gute deutsche Politik
• das letzte: Straßenterror allerorten...
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Was für ein Fest! 69 angeblich verletzte PolizistInnen (2 davon vorübergehend dienstunfähig), 50 beschädigte Einsatzfahrzeuge (4 davon vorübergehend fahrunfähig), ein Sachschaden der in die Hunderttausende geht … Es war das i-Tüpfelchen des „Randalemeisters 2015“ (indymedia) zum Jahresabschluss.
Dafür hatte die Stadt mit ihrer Entscheidung, alle drei angemeldeten Neonazi-Demos ins direkte Umfeld „unserer Karli“ zusammen zu legen, selbst beigetragen. Statt eine in Connewitz gelegene Demo am absehbaren polizeilichen Notstand scheitern zu lassen, wollte man der Kiezmiliz mit dieser Entscheidung „den Druck aus dem Kessel“ (LVZ) nehmen. Denn dass ein Ort mit „Nähe zu Connewitz problematisch werden“ würde, lag auch für Polizeisprecher Andreas Loepki „auf der Hand“.(1)
Der MDR Sachsenspiegel erklärte seinen ZuschauerInnen noch am Abend, dass die Zusammenlegung des Neonazi-Sternmarschs der Polizei die Möglichkeit geben sollte, „beide Lager konsequent von einander trennen.“ Das wurde auch mit voller Härte durchgesetzt. Das Aufmarschgebiet wurde weiträumig abgesperrt und damit vor Gegenprotesten in Hör- und Sichtweite abgeschottet. Die Neonazis wurden unter dem Schutz von vier Hundertschaften der Polizei - macht etwa 2,5 Polizisten pro Neonazi - die 600 Meter lange Strecke eskortiert, versuchte Sitzblockaden von GegendemonstrantInnen sofort geräumt. Mattias Hasberg, Sprecher der Stadt Leipzig, sprach noch vor der in Mitleidenschaft gezogenen Karli stehend von einer „guten Entscheidung“, weil sich somit „zumindest diese [eine] Seite der Demonstration [...] besser kontrollieren“ ließ. „Allerdings“, resümierte die Leipziger Polizei später, „nahmen Linksautonome die konsequente Trennung nun zum Anlass, ihre Aggressionen in massivster Form gegenüber der Polizei auszuleben.“ Des Weiteren führte die konsequente Abschottung der Neonazi-Demo dazu, dass sich Protestierende nicht in Sitzblockaden, sondern zwischen autonomen StraßenkämpferInnen wiederfanden. Statt mit ein, zwei friedlichen Massenblockaden auf der Demo-Route und ein paar hundert Militanten abseits davon, sah sich die Polizei mit einer amorphen Masse aus protest-, blockade- und gewaltwilligen Demonstrierenden und schaulustigen PassantInnen konfrontiert. Die Folgen der eigenen Einsatztaktik gingen ihr hernach auf: „immer wieder und viel zu oft“ hätten sich „die Gewalttäter […] unter friedliche Protestteilnehmer mischen“ können.
Es war soweit augenscheinlich, dass sich die (zudem unterbesetzten)(2) Polizeikräfte in ihrer Repressionswucht etwas zügeln mussten. Angesichts der dennoch beträchtlichen Polizeigewalt,(3) die sich unter anderem im Beschuss ganzer Straßenzüge mit mindestens 78 abgelaufenen Gasgranaten zeigte, ist die Echauffiertheit des sächsischen Innenministers Markus Ulbig, dass „die Kriminellen sogar in der Adventszeit voller blinder Zerstörungswut in einer Einkaufsstraße agieren und schwere Verletzungen von unbeteiligten Familien mit Kindern in Kauf nehmen“, unerträglich. Dem Innenminister wäre rhetorisch die Frage zu stellen, ob Kinder und PassantInnen eher durch brennende Mülltonnen auf der Fahrbahn oder den massiven und recht willkürlich anmutenden Beschuss der Karl-Liebknecht-Straße mit Tränengas gefährdet werden.
Dabei entstand im Viertel durchaus kein geringer Sachschaden. Die Leipziger Volkszeitung (LVZ) bemühte sich den Gesamtschaden zu ermitteln und summierte kurzerhand den von Polizei, Stadt, Deutscher Bahn, Bundesbank, Hanseatic Bank, Volksbank, Sparkasse, REWE und die zerstochenen Reifen von zwanzig Privat-PKW zusammen. Die Schadenssumme „dürfte nach vorsichtigen Schätzungen in die Hunderttausende gehen“, so das der LeserInnenschaft präsentierte Resümee. Die LVZ wäre jedoch nicht die LVZ, wenn sie nicht zugleich ihr Geschäft bürgerlicher Ideologieproduktion besorgen würde. Und so wurden der Schadensangabe Kurzinterviews mit Händlern, Gewerbetreibenden oder deren Angestellten aus der Südvorstadt zur Seite gestellt, die zwar (bis auf eine Ausnahme)(4) nicht zu den Geschädigten gehören, denen aber „schon anders“ zumute wurde, „als die ersten Steine flogen“. Die Hauptgeschädigten – Stadt und Banken – wurden hingegen nicht porträtiert, weil vermutlich auch dem letzten Redaktionsmitglied bewusst war, dass deren Schäden dem Privatinteresse der geneigten Leserschaft am Arsch vorbei gehen und im ungünstigsten Fall Hohn oder gar verhohlene Schadenfreude provozieren würden. Der kulturindustrielle Filter lässt Verbrechen und die Angst davor zum Gerücht verschwimmen. Immerhin: die einzigen Schäden von Privatpersonen ereigneten sich zwar an der Deutschen Objekt größter Leidenschaft, dem Auto, allerdings fernab des Geschehens: vor einer Gaststätte in der Koburger Straße sowie auf dem Parkplatz des Wildparks. Bei den Geschädigten handelte es sich deshalb auch um linksalternative KonzertbesucherInnen eines Hardcore-Festivals im Conne Island, bei den TäterInnen also höchstwahrscheinlich um Neonazis. So aber verschwimmt alles im extremismustheoretischen Einmaleins, damit das Feindbild erhalten bleibt. Die öffentliche Bilanz für die Bürger sollte lauten: Getroffen ist der Staat, gemeint sind wir alle!
Auch Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung reihte sich in diese Deutung ein und sprach vom „offenen Straßenterror“ der „kriminellen Gewalttäter“. Den nicht-kriminellen Gewalttätern in Uniform wurde hingegen sein Dank zuteil, zugleich startete er einen Vereinnahmungsversuch: „mit allen friedlichen Demonstranten erwarte ich eine Stärkung der Polizeikräfte“. Auch die Polizei wünschte sich natürlich, dass „sich die friedlichen Protestteilnehmer stärker und aktiver abgegrenzt hätten.“(5)
Was bei Jung Gesinnungsfrage, war für die Polizei materielle Notwendigkeit - „insbesondere für die Zeitpunkte, an welchen der Einsatz von Zwangsmitteln unumgänglich war.“ Dieses Verhalten aber, nicht die zum überwiegenden Teil zweckfremde Randale,(6) muss aus linksradikaler Perspektive als Erfolg dieses Tages angesehen werden. Ob nun aus Protestwillen oder dem kulturindustriellen Spektakel entsprechenden Bedürfnis, dabeigewesen zu sein und Bescheid zu wissen – trotz heftiger Attacken auf das staatliche Gewaltmonopol ließen sich militante und zivile Protestierende nicht auseinandertreiben. Der im Nachhinein von GegendemonstrantInnen gegenüber der LVZ vorgebrachte Einwand, „man habe sich (räumlich) gar nicht distanzieren können, ohne den Gegenprotest grundsätzlich zu verlassen, weil nur der schmale Korridor auf der Karl-Liebknecht-Straße verblieben wäre“, ist zwar nicht falsch, doch mehr ein Vorwand. Stattdessen herrschte auf der Karl-Liebknecht-Straße während der Auseinandersetzungen eine fast schon volksfestartige Atmosphäre. Alles in allem fühlten sich Protestierende und PassantInnen sicher, obwohl der linke Mob wütete. Angst und Panik breiteten sich stets erst dann unter den Anwesenden aus, wenn Polizeikräfte erneute Vorstöße unternahmen. Die Verbitterung über dieses Verhalten ist Polizeisprecher Loepki im Interview mit der LVZ noch deutlich anzumerken: „Wenn Vermummte auftauchen, Steine, Flaschen und Pyrotechnik werfen, dann müssen Menschen, die sich friedlich gegen rechte Hasstiraden versammelt haben, auch ein Zeichen gegen diese Form der Gewalt setzen. Das dürfte keine Forderung, sondern eine Selbstverständlichkeit darstellen.“(7)
Von einer von Behörden gewünschten Selbstverständlichkeit war auch im Nachgang nicht viel zu spüren. Noch während die letzten Scharmützel tobten, wurde etwa bei Twitter um Hegemonie in der medialen Deutung gerungen. Dabei war auffällig, dass selbst Personen, die man politisch eher links der Mitte einordnen oder als sympathisierend bezeichnen würde, die Ausschreitungen zu legitimieren versuchten. Dazu wurde überwiegend auf die schlimmere Gewalt von Neonazis verwiesen. „Brennende Flüchtlingsunterkünfte sind inzwischen schon so alltäglich, das ein paar brennende Mülleimer Schlagzeilen machen können“, kritisierte etwa ein User den Tenor der medialen Berichterstattung. Und auch das Grundrechtekomitee begann seine Pressemitteilung mit der Feststellung: „Wenn die Empörung über brennende Mülltonnen größer ist als die über brennende Flüchtlingsheime, scheinen die Verhältnisse auf dem Kopf zu stehen.“ Die Ausschreitungen produktiv wenden möchte gar Tobias Prüwer in besagtem Kreuzer-Artikel (Fußnote 5): „Man könnte [...] #le1212 zum Anlass nehmen, um über doppelte Standards und sächsische Verhältnisse zu sprechen – dann wäre der Gewaltausbruch in der Tat wirklich sinnvoll.“ So richtig und wichtig die Denunziation dieser bürgerlichen Doppelmoral auch ist, reproduziert sie mit dieser Kontextualisierung doch selbst das leidliche Wahrnehmungsschema der Extremismustheorie.
In der Sache treffender, weil die rechts-links Konnotation abschwächend, ist da die bekannte Parole, die auch Früchte des Zorns vor ein paar Jahren vertont haben: „Menschen sterben und ihr schweigt, Scheiben klirren und ihr schreit.“ In einer Gesellschaft, in der die Mehrheit noch über einen durchaus ansehnlichen Teil des gesellschaftlichen Reichtums in Warenform verfügt, wird deren (auch nur zu befürchtender) Schaden sie mehr sorgen, als der einer fremden, von ihr unabhängigen Person.(8) Da sich in der warenproduzierenden Gesellschaft, wie Marx feststellte, „die Unabhängigkeit der Personen voneinander […] in einem System allseitiger sachlicher Abhängigkeit ergänzt“, die gesellschaftlichen Verhältnisse den Personen damit erscheinen „als das, was sie sind“, nämlich „sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen“, erscheint ihren LiebhaberInnen, das lässt sich beispielsweise in jedem Verfassungsschutzpapier nachlesen, Gewalt gegen Sachen als der gegen Menschen ebenbürtig. Diese gesellschaftlichen Verhältnisse, nicht der Vorwurf mangelnder Moral, sollten Gegenstand der Kritik sein.
Das Geschäft des Vergleichsetzens und Ursachenverdrehens beherrschen die Verteidiger der herrschenden Ordnung ohnehin besser. Die letzte Gelegenheit dazu bot der Straßenterror rechter Hooligans anlässlich des einjährigen Bestehens von Legida am elften Januar dieses Jahres. Fast zeitgleich zum Geburtstagsständchen des Frontsängers der Nazi-Hooligan-Band Kategorie C auf der Bühne Legidas überfielen rund 250 polizeilich so Registrierte (9) in einer koordinierten Aktion ziemlich wahllos zwanzig Geschäfte in der Wolfgang-Heinze-Straße, traten und schlugen PassantInnen und feuerten Pyrotechnik auf die umliegenden Wohnhäuser ab. Auch hier gehen polizeiliche Schätzungen des Schadens in die Hunderttausende, den diesmal fast ausschließlich ansässige Händler, Gewerbetreibende und Gastronomen erlitten haben.
Vielleicht in Ermangelung einer Steigerungsmöglichkeit, vielleicht auch um das Image des Standorts zu verteidigen, verurteilte Oberbürgermeister Jung den Überfall als „erneuten“ „offenen Straßenterror“ von „Extremisten, diesmal [sic!] von rechtsaußen“. „Und auch hier [sic!]“, fuhr er fort, „hatte das Geschehen nichts mit Politik“ zu tun. Dem entgegenstehend deutete Polizeisprecher Loepki den Vorfall: „Nachdem Linksextremisten in der jüngeren Vergangenheit immer wieder die privaten Wohn- und Geschäftsadressen von zum Beispiel AfD- oder NPD-Mitgliedern aufsuchten, um dort in auch massiver Form und mit einschüchternder Zielrichtung Straftaten […] zu begehen, war es leider nur eine Frage der Zeit, bis Rechtsextremisten versuchen würden, ähnlich zu agieren. Das gestrige Verhalten“, schloss er an, „erscheint uns in diesem Zusammenhang schon als Reaktion“. Soviel zum Problembewusstsein der Leipziger Polizei in Hinsicht auf über dreißig rassistische Demonstrationen im vergangenen Jahr, dabei verübte, in ihrer Mehrzahl nicht verfolgte Gewalt gegen GegendemonstrantInnen und JournalistInnen, gewalttätige Übergriffe auf MigrantInnen und Linke im Alltag, Anschläge und zuletzt auch Brandanschläge auf Wohnwagen und linke Einrichtungen, …
Das Zerstören von Kneipen, Gardinen-, Blumen-, Musik- und Bücherläden, eines Optikers, einer Bäckerei und eines Kepab-Imbisses mit anschließend weitestgehend widerstandsloser Festnahme als „Reaktion“, statt als gestiegenes Selbstbewusstsein von Neonazis zu deuten, zeigt wie die politischen Verhältnisse in Sachsen liegen. Sicher: wenn der Staat in Krisenzeiten einerseits mit Kräften, die seine Stärkung und die Befriedung gesellschaftlicher Widersprüche mit Gewalt einfordern, und andererseits mit Kräften, die auf ein Ende der Klassen und ihrer Gegensätze zielen, sein Absterben vorantreiben und stattdessen auf eine „Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“ (Marx/Engels), hinarbeiten,(10) konfrontiert ist, bleibt kein Rätsel, auf wessen Seite er sich latent und im Ernstfall manifest schlägt.
Oder zeiträumlich verdichtet: Während die Leipziger Polizei mit ihren Verbindungen in die Neonazi-Szene für einen Skandal nach dem anderen sorgt und selbst Polizeisprecher Loepki den Eindruck eines „braunen Schattens über der Polizeidirektion“ befürchtet, vertraut Oberbürgermeister Jung darauf, „dass der Rechtsstaat klare und deutliche Konsequenzen“ auf den Neonazi-Terror folgen lassen wird. „Uns“ steht dabei allerdings mit den militanten Gegendemonstranten vom zwölften Dezember „eine Gruppe gegenüber, die diesen Staat abschaffen will“. Es dürfte klar sein, wer in Leipzig auch zukünftig stärker als Problem wahrgenommen werden wird.
Ludwig-August Weiß