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«... so long as nuclear weapons exist, we are not truly safe. (Applause.)»(1)
Die Diskussion deutscher Militärs und Think-Tanks zum Einsatz von Atomwaffen im Vorfeld des Warschauer NATO-Gipfels
Atomwaffenverzicht »unrealistisch»
Nach Auffassung des militärpolitischen Think-Tanks der Bundesregierung, der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), muss die »Nuklearstrategie« der NATO »neu diskutiert« werden - »mit Blick auf Russland«.(2) Zur Begründung wird auf eine vermeintlich »neo-imperiale Aggression« Moskaus gegen Osteuropa verwiesen: »Russland hat sich endgültig aus der Partnerschaft [mit der NATO] zurückgezogen und definiert sich selbst als anti-westliche Macht.« Hieraus ergebe sich sowohl die »Forderung nach kürzeren Reaktionszeiten« für den Einsatz von Atomwaffen als auch die Notwendigkeit »verstärkter Übungstätigkeit« im »Nuklearbereich«. Es entbehre dabei nicht einer »gewissen Ironie«, dass beides auf dem für Anfang Juni anberaumten Warschauer NATO-Gipfel thematisiert werden solle, wo der US-amerikanische Präsident Barack Obama »seinen Abschied von der NATO« gebe, erklärt die BAKS. Schließlich sei es Obama gewesen, der 2009 den Friedensnobelpreis »für die aus heutiger Sicht unrealistische Idee von der nuklearwaffenfreien Welt« erhalten habe.(3)
Die Renaissance der Abschreckung
Schon Anfang vergangenen Jahres hatte die BAKS konstatiert, dass die »Frage der nuklearen Abschreckung« nach zwei Jahrzehnten relativer Marginalisierung nun wieder im »Vordergrund« stehe. Zur Begründung wurde nicht nur auf die vermeintliche russische »Aggression gegen die Ukraine« verwiesen, sondern auch auf »atomare Drohgebärden Moskaus«. So habe Russland sein Atomwaffenarsenal »stetig verstärkt und verbessert« und beziehe es zudem in »militärische Gedankenspiele« ein, hieß es. 2009 etwa habe Moskau »Kernwaffeneinsätze gegen Polen simuliert»; seit dem Beginn des Bürgerkriegs in der Ukraine fänden entsprechende Manöver nun »nahezu im Monatsrhythmus« statt. In dieser Situation erfahre die NATO-Doktrin der »nuklearen Abschreckung« eine »Renaissance«, erklärte die BAKS - wie in Zeiten des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion seien westliche Atomwaffen einmal mehr ein »Mittel zur Kriegsverhinderung«.(4)
Rüstungskontrolle »nachgeordnet»
Wie die BAKS weiter ausführte, könne sich die NATO dabei ganz auf die »Bündnisverantwortung« Deutschlands verlassen. So werde die Bundeswehr weiterhin »nukleare Trägersysteme« für die auf deutschem Boden stationierten US-Atomwaffen vorhalten - »selbst wenn dies mit höheren Kosten verbunden ist«.(4) Passend dazu beteiligt sich die deutsche Luftwaffe regelmäßig an sogenannten SNOWCAT-Übungen (»Support for Nuclear Operations With Conventional Air Tactics«), bei denen die Besatzungen der Kampfjets vom Typ »Tornado« den Abwurf von Atombomben trainieren. Die auf dem Fliegerhorst des Taktischen Luftwaffengeschwaders 33 im rheinland-pfälzischen Büchel lagernden Kernwaffen der US-Armee sollen in den kommenden Jahren mit neuen Sprengköpfen ausgestattet werden. Diese verfügen dann über ein hochmodernes Zielerfassungssystem und eine Zerstörungskraft, die dem 80-fachen der Bombe entspricht, die die USA 1945 auf die japanische Stadt Hiroshima abgeworfen haben. Folgerichtig ist laut BAKS denn auch die »nukleare Rüstungskontrolle« dem Ausbau des westlichen Atomwaffenarsenals »eindeutig nachgeordnet«: »Es ist nicht der primäre Daseinszweck einer Nuklearwaffe, abgerüstet zu werden.«(4)
Den Atomkrieg üben
Analog zur BAKS äußerte sich kürzlich die regierungsnahe Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). »Denkbar« sei etwa eine »engere Einbindung von Kernwaffen« in die Planungen der NATO, »indem konventionelle und nukleare Fähigkeiten stärker verknüpft werden«, heißt es. Zudem könnten »nuklearwaffenfähige Systeme in Übungsszenarien einbezogen« sowie »häufigere und realitätsnähere Manöver abgehalten« werden. Darüber hinaus bestehe die Möglichkeit, den Zeitraum deutlich zu verkürzen, »innerhalb dessen die in Europa stationierten US-Atomwaffen einsatzbereit sind«. Wie die BAKS spart auch die SWP dabei nicht mit eindeutigen Schuldzuweisungen: Die genannten Maßnahmen folgten lediglich dem »russischen Beispiel«, erklärt der Think-Tank.(5)
Nukleare Allianz
Besonderes Augenmerk widmet die SWP einer von den UN eingerichteten Arbeitsgruppe, die sich zum Ziel gesetzt hat, die internationale Ächtung von Atomwaffen noch im laufenden Jahr in Form eines »Verbotsvertrages« maßgeblich voranzutreiben. Eine deutsche Beteiligung an der besagten »Open-ended Working Group« (OEWG) sei »nicht ohne Risiko«, heißt es - bestehe doch die Möglichkeit, »dass Deutschland von den Befürwortern eines Verbotsvertrags vereinnahmt wird«. Damit würde Berlin »von Partnern und Verbündeten isoliert«, da jede Regelung, die die »atomare Abschreckung« in Frage stelle, im »Widerspruch zur Rolle der NATO als 'nukleare Allianz'« stehe.(5) Die Bundesregierung hat sich an diesem Punkt indes bereits eindeutig festgelegt: Vom Verteidigungsministerium mit der Erstellung eines neuen »Weißbuchs« beauftragte Expertengremien forderten schon Mitte vergangenen Jahres die NATO auf, ihre im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion entwickelte Doktrin der atomaren »Abschreckung« neu zu beleben - zwecks Abwehr der vermeintlich von Russland ausgehenden »Bedrohungen im Osten« (german-foreign-policy.com berichtete [8])(6).
Der richtige Mix
Entsprechend haben sich mittlerweile auch führende deutsche Militärs und Hochschullehrer geäußert. In einem zum Jahreswechsel erschienenen Interview mit der deutschen Presse erklärte etwa der Bundeswehrgeneral Hans-Lothar Domröse, Oberbefehlshaber der NATO-Kommandozentrale im niederländischen Brunssum, die Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin bereite ihm »große Sorgen»: »Wir müssen jetzt sehr genau beobachten, ob wir, die NATO, nicht zu klein werden und er zu groß. Wenn das Verhältnis zueinander nicht mehr stimmt, besteht die Gefahr, dass Abschreckung ins Wanken kommt.« Nuklearwaffen wiederum gehörten »zur Abschreckung dazu«.(7) Fast zeitgleich bekannte sich Carlo Masala, Professor für Politologie an der Bundeswehruniversität München, in einem Medienbeitrag zur Strategie der atomaren »Abschreckung« gegenüber Russland. Diese müsse allerdings von »Kooperationsangeboten« flankiert werden, erklärte der Wissenschaftler - entscheidend sei der »richtige Mix«.(8)
Akzeptanz verändern
Wie die von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) publizierte Zeitschrift »Internationale Politik« in ihrer aktuellen Ausgabe schreibt, müsse die deutsche Staatsführung die »nuklearen Elemente« der »Abschreckung« gegen Russland in der »Kommunikation« mit der Bevölkerung »wieder sichtbarer« werden lassen. Dies gelte insbesondere, da viele Deutsche der »Nuklearoption« äußerst »skeptisch« gegenüber stünden: »Die Regierung kann zwar Rüstungsvorhaben beschließen, weil sie diese als notwendig zur glaubwürdigen Abschreckung erachtet. Das heißt aber nicht, dass die Bevölkerung solche Vorhaben auch als Beitrag zur eigenen Sicherheit ansieht; sie kann sie auch als gefährliche Eskalation ablehnen.« Um die beschriebene Haltung zu kontern, empfehlen die Autoren Claudia Major und Christian Mölling, eine entsprechende »sicherheitspolitische Debatte« zu lancieren. Die auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 begonnene Diskussion über die »deutsche Verantwortung« für weltweite westliche Kriegsoperationen etwa zeige, dass man die »öffentliche Akzeptanz verändern« könne, heißt es. Vorgeschlagen wird darüber hinaus, auch die »semantische Dimension« zu berücksichtigen: »Abschreckung ist militärisch konnotiert, steht für konfrontative Debatten aus dem Kalten Krieg und 'alte' Sicherheitspolitik. Hilfreich wären neue Begriffe wie 'Entmutigung' oder 'abhalten'.«(9)
Innenpolitische Zumutungen
Analog äußert sich der Leiter des NATO-Referats für »Energiesicherheit«, Michael Rühle, in der aktuellen Ausgabe der »Internationalen Politik«. Seiner Aufassung nach ist die »Rückkehr« zu einer Strategie der atomaren »Abschreckung« gegen Russland zwar »unausweichlich«, nur sähen sich die Vertreter dieses Ansatzes mit dem Problem der »innenpolitischen Durchsetzungsfähigkeit« konfrontiert: »Die sogenannte Nachrüstungsdebatte der frühen achtziger Jahre hat den westlichen Demokratien vor Augen geführt, dass nicht jede Rüstungsmaßnahme, die der Aufrechterhaltung der Abschreckung dient, von der Bevölkerung als Beitrag zur eigenen Sicherheit wahrgenommen wird.« Während die seinerzeitige Stationierung neuer US-Atomwaffen auf westdeutschem Territorium einerseits »konsequent« im Sinne der »Abschreckungslogik« gewesen sei, habe sie andererseits bei vielen Menschen »Ängste« ausgelöst, »die sich in Massenprotesten der Friedensbewegung niederschlugen«. Hierin komme ein klassisches »Dilemma« der westlichen Militärpolitik zum Ausdruck, erklärt Rühle: Die Regierungen der NATO-Staaten könnten sich nicht ausschließlich daran orientieren, was sie für »militärisch notwendig« halten, sondern müssten auch berücksichtigen, »was innenpolitisch zumutbar ist«.(10)
Intellektueller Kollateralschaden
Die in Deutschland weit verbreitete generelle Ablehnung von Atomwaffen führt Rühle auf das Wirken nicht näher spezifizierter »sicherheitspolitische(r) Eliten« und mit ihnen verbundener Wissenschaftler zurück. Wie der NATO-Funktionär ausführt, hätten sich die genannten Gruppen ganz der »bewussten Desavouierung« des Konzept der »Abschreckung« gewidmet und bei jeder Gelegenheit das »Credo« von der »Abschaffung aller Atomwaffen« vor sich her getragen. Ihr Ziel sei es letztlich gewesen, »Abschreckung als Mythos zu entlarven«, um so »der nuklearen Abrüstung analytisch den Weg zu ebnen«. Daher sehe sich die deutsche Regierung mit einem enormen »intellektuelle(n) Kollateralschaden« konfrontiert: »Selbst in den politischen Führungseliten des Westens vertrat man noch bis vor Kurzem die Überzeugung, man lebe inzwischen in einem neuen Zeitalter, in dem nukleare Abschreckung obsolet geworden sei.« Angesichts der »militärischen Provokationen Russlands« habe nun allerdings ein »mühevolles Rückzugsgefecht« begonnen, schreibt Rühle: »Dazu zählt beispielsweise der untaugliche Versuch, die neuartigen Abschreckungserfordernisse des Westens ausschließlich im konventionellen Bereich zu verorten und die nukleare Dimension der Abschreckung im Sinne der eigenen Abrüstungspräferenzen weiterhin zu ignorieren.«(10)
Zermürbungsstrategie
Gleichzeitig spricht sich Rühle für eine »Symbiose zwischen Abschreckung und Dialog« im Umgang mit Russland aus. Wie im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion müsse »Abschreckung« dabei die »militärische Veränderung des Status quo« verhindern, um den »politisch-sozialen Kräften« die Zeit zu geben, die russische Staatsführung zu »zermürben«.(10) Analog äußern sich die Autoren Claudia Major und Christian Mölling. Ausgehend von einer »Basis militärischer Stärke« müsse die NATO »ständige Dialogangebote« an Russland richten, heißt es: »Militärische Sicherheit und eine Politik der Entspannung bilden keinen Widerspruch, sondern eine notwendige Ergänzung.« Letztlich gehe es darum, dass »nukleare, konventionelle und zivile Komponenten« möglichst reibungslos »zusammenspielen«.(11)
Alle Optionen nutzen
Entscheidend für den Erfolg der favorisierten antirussischen Strategie ist laut Major und Mölling allerdings die »Glaubwürdigkeit« der atomaren »Abschreckung«. Diese erfülle ihren Zweck nur, wenn Moskau davon überzeugt sei, dass die NATO im Kriegsfall »tatsächlich Nuklearwaffen einsetzen würde«, erklären die Autoren.(11) Die USA wiederum haben einen solchen Einsatz seit dem Ende des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion zumindest einmal ernsthaft erwogen, wie die deutsche Presse im vergangenen Jahr berichtete. Demzufolge zog die US-Administration unter Präsident George W. Bush nach den islamistischen Terroranschlägen in New York und Washington Anfang September 2001 Atomwaffenangriffe auf Ziele in Afghanistan in Betracht. Laut dem damaligen außenpolitischen Berater des deutschen Bundeskanzlers, Michael Steiner, wurden »alle Möglichkeiten durchgespielt«.(12)