• Titelbild
• Editorial
• das erste: Der Darkroom als Black Box
• Antifa Gençlik. Eine Dokumentation (1988-1994)
• Der Letzte der Ungerechten
• Block Party im CI mit: Radio Love Love (Hulk Hodn, Twit One & Memyselfandi) Eloquent & Hulk Hodn (Sichtexot) Skor Rokswell & Rufus Grimes & Shape (VARY)
• The One — Unplugged
• DRUM AND BASS RELOADED 2000 Teil 3
• Rocko Schamoni & Tex M. Strzoda
• Sheer Terror + Lousy + The Detained
• Le Butcherettes
• Gespräch mit Peter Finkelgruen und Filmvorführung von «Unterwegs als sicherer Ort»
• Turnstile + Forced Order
• WORD! cypher
• Klub: Electric Island presents: KANN X GIEGLING X 24h
• Die Nerven
• „Zweimal nein heißt einmal ja“?
• Ryker´s, Scheiße Minelli und Risk it!
• OXO 86 + Support
• review-corner event: 1st Transnational Beyond Europe Camp: Solidarity Against the Exploitation of Life by Capital and State
• review-corner event: «Bildet Banden!» Für eine solidarische und diskriminierungskritische Kulturarbeit
• review-corner film: Pixels
• review-corner buch: „Gib auch uns ein Recht auf Leben!“
• doku: »Wir sind das Pack«: Von Hoyerswerda nach Heidenau
• doku: Schein der Freiheit
• Herbst
• das letzte: Vegetativ-Recherche von der Rückbank
Es gibt eine Art von Reportagen, die sich zur Aufgabe gemacht haben, der sogenannten mittleren Mittelschicht die Unterschicht vorzuführen.(1) So etwa, wenn das Filmteam einen Zeitungs- und Prospektausträger auf seiner Route begleitet und dabei dessen ökonomische Irrationalität dokumentiert, weil er einen nicht geringen Teil seiner schmalen Entlohnung lieber im Café einer Bäckerei für Kaffee und ein belegtes Brötchen ausgibt, anstatt zuvor selbstgeschmierte Schnitten und einen Kaffee aus der Thermoskanne am Stromverteiler um die Ecke zu verzehren.
Wenn das Sommerloch gähnt, greift auch schon mal das politische Nachrichtenmagazin des MDR, Exakt (Facebook-Kürzel: mdrinvestigativ), darauf zurück. Unter dem Titel Luxus Taxifahren im Problemviertel berichtete Thomas Kasper Anfang Juni über das «Taxi-Wunder im Leipziger Osten [...], wenn 100 Meter neben dem [Taxi-]Haltepunkt, an der Post, Renten und Sozialleistungen ausgezahlt werden.»
Zuvor gibt es jedoch einiges zu entdecken: Im Einkaufszentrum gegenüber «brummt das Geschäft», und auch der kleine Park mit «Sitzmöbeln für durstige Anwohner» - da lacht der gesittete Biergartengast(2) - ist «gut besucht.» Es werde «viel gefeiert in diesen Tagen», weiß der Off-Sprecher, selbst wenn sich der anschließend gezeigte Einkauf für die Party am Wochenende als Geburtstagsfeier herausstellt.
Es folgt die nächste Überraschung: «Weit fährt die Kundschaft nicht - fast alle Touren sind Kurzfahrten». An den «Beuteltagen» eigentlich kein Wunder, wer will schon gern mit dem Wocheneinkauf Bus oder Straßenbahn fahren? Das betont auch Ivette, eine alleinerziehende junge Mutter, die sich und ihre drei Kinder mit 500-600 Euro Hartz IV durch den Monat bringen muss. «Selten» fahre sie Taxi, aber sei bei Großeinkäufen «manchmal […] darauf angewiesen», weil sie kein eigenes Auto habe. Armut, die ärmer macht. Damit es aber für die Zuschauer unterhaltsam bleibt, wird dem Off-Sprecher die notwendige Wahl schnell zur «bequemen Heimfahrt». Und die suchen noch ganz andere.
Ein älterer Herr wollte «heute […] mal was erleben» und hat deshalb die neue Sportsbar in der Nachbarschaft besucht. Der Abstecher war erfolgreich, habe er sie doch «alle kennengelernt, die da in der Gaststätte waren.» Nun geht es die 500 Meter mit dem Taxi heimwärts. Angesichts der «Gleichgewichtsprobleme» (Off-Ton) des 69-Jährigen vielleicht nicht die schlechteste Idee. «Du hast es mitgekriegt, weshalb ich überhaupt Taxi fahre», wendet er sich etwas peinlich berührt an den Fahrer. Beim Blick ins Portemonnaie entfährt ihm ein «Oh, hier ist mickrig», doch nach geselliger Runde sicher zuhause angekommen, verabschiedet er sich mit einem «Tschüss. War trotzdem schön.» Er hält es wie Taxi-Fahrgast Mandy, die momentan von 305 Euro im Monat lebt und auf eine Gehhilfe angewiesen ist. «Hartz IV-Empfänger hin oder her», sagt sie, «aber man kann ja nicht nur immer jeden Tag auf den Groschen gucken. Was wir ja eh schon machen.»
Zum Glück gibt es in dem Fernsehbeitrag auch die nüchternen O-Töne der drei Taxi-Fahrer Jens G., Gerald L. und Jens L.. «Wir fahren die genauso gerne», erklärt Jens G., «das ist unser Umsatz», und setzt nach: «Die Erfahrung ist ja die, dass man mit solchen Leuten eigentlich weniger Probleme mit dem Bezahlen hat, als wie mit anderen, denen man es eigentlich nicht ansieht.» Sein Kollege Jens L. weist darauf hin, dass diese Fahrgäste ihnen sogar etwas mehr Trinkgeld gäben, «als manche betuchte Leute.» So pragmatisch sieht es auch Gerald L.: «Wir haben es [erst] gegeben, mit unseren Steuern, die kriegen das, weil sie in einer Notlage sind [...]. Und am Ende kriegen wir es wieder und dann müssen wir die Hälfte von dem Fahrpreis oder einen guten Teil davon [...] wieder als Steuer zurück an den Staat [abführen], damit sie den Leuten wieder Geld geben können. Damit ist der Kreislauf wieder geschlossen. Ist doch logisch.»
Immerhin: Die Ticket-Preise der öffentlichen Verkehrsmittel für vergleichbare Strecken sind in den letzten fünf Jahren um mehr als ein Viertel gestiegen. Hätten sich etwa Ivette und ihr Schwiegersohn trotz Großeinkauf in Bus oder Bahn gezwängt, wären für sie auch zwischen 3,60 Euro und 5 Euro an Fahrkosten angefallen.(3) Von Reporter Kasper befragt, konnten auch alle gezeigten Fahrgäste sofort die Anzahl ihrer Taxi-Fahrten pro Monat nennen. Anstatt Luxus scheint es drängendere Probleme im Viertel zu geben.