• Titelbild
• Editorial
• das erste: Der Darkroom als Black Box
• Antifa Gençlik. Eine Dokumentation (1988-1994)
• Der Letzte der Ungerechten
• Block Party im CI mit: Radio Love Love (Hulk Hodn, Twit One & Memyselfandi) Eloquent & Hulk Hodn (Sichtexot) Skor Rokswell & Rufus Grimes & Shape (VARY)
• The One — Unplugged
• DRUM AND BASS RELOADED 2000 Teil 3
• Rocko Schamoni & Tex M. Strzoda
• Sheer Terror + Lousy + The Detained
• Le Butcherettes
• Gespräch mit Peter Finkelgruen und Filmvorführung von «Unterwegs als sicherer Ort»
• Turnstile + Forced Order
• WORD! cypher
• Klub: Electric Island presents: KANN X GIEGLING X 24h
• Die Nerven
• „Zweimal nein heißt einmal ja“?
• Ryker´s, Scheiße Minelli und Risk it!
• OXO 86 + Support
• review-corner event: 1st Transnational Beyond Europe Camp: Solidarity Against the Exploitation of Life by Capital and State
• review-corner event: «Bildet Banden!» Für eine solidarische und diskriminierungskritische Kulturarbeit
• review-corner film: Pixels
• review-corner buch: „Gib auch uns ein Recht auf Leben!“
• doku: »Wir sind das Pack«: Von Hoyerswerda nach Heidenau
• doku: Schein der Freiheit
• Herbst
• das letzte: Vegetativ-Recherche von der Rückbank
Klar, die linke Szene ist im Gegensatz zur breiten Öffentlichkeit immer bemüht, aufgeklärt und reflektiert zu sein, was Diskriminierung angeht. Unsere Redakteurin Mandy Uhlig war auf einer Konferenz für Strategien und Visionen für eine diskriminierungskritische Kunst- und Kulturszene und musste feststellen: Da geht noch mehr!
Man sieht es in den Theatern, den Museen und Volkshochschulen, aber auch in den Musik- und Kunst(hoch)schulen, den Medien, im Fernsehen, auf Buchmessen, in den Clubs, Kneipen und kleinen Galerien: Diese Räume werden immer noch, in ganz Deutschland, dominiert von weißen, nicht-behinderten (meist männlichen) Menschen aus der Mittelschicht. Dabei sind sie Kulturräume, das heißt, sie bieten nicht nur die Möglichkeit dort unterhalten zu werden, das Leben zu verschönern oder sich individuell ästhetisch zu entwickeln, sondern darüber hinaus organisiert Kultur ein funktionsfähiges Gemeinschaftsleben.(1) Kultur schafft Meinungen, sie hat das Potential zu bilden und neue Fragen für die Gesellschaft aufzuwerfen, in dem sie (häufig) Wissen mit Emotionen verbindet. Dies gibt Kultur eine Daseinsberechtigung und erklärt die Notwendigkeit, warum jeder Mensch an Kultur partizipieren sollte. Jedoch ist das nicht Realität. Kultur, kulturelle Einrichtungen und das kulturelle Angebot hat Barrieren entwickelt, welche es einigen leichter macht diese Kulturräume zu betreten, als das anderen vergönnt ist. Dabei geht es jedoch nicht NUR um das Publikum, es geht auch um Organisator*innen und Förder*innen. Es geht um die Menschen, die in der Verwaltung sitzen und Entscheidungen zu Geld und Arbeitsstellen treffen, es geht um die Menschen, die sich um das schicke Marketing und damit wiederum um potentielles Publikum kümmern, es geht um die auf und hinter der Bühne und diejenigen, die Programm und Bühnenablauf planen. Es geht um Kulturschaffende und Kulturrezipienten und damit darum, wer unsere Kulturlandschaft prägen darf und wer nicht, und somit eben auch, wessen Lebenswirklichkeiten und Geschichten erzählt werden.
Dass hier diskriminierende Strukturen sich etablieren, ist in den öffentlich geförderten Kultureinrichtungen(2) schon länger bekannt. Denn ein schwindendes, beziehungsweise im wahrsten Sinne des Wortes aussterbendes Publikum (die durchschnittliche Theaterbesuchende ist weiblich, Akademikerin, weiß und um die 50), führt zu den Fragen: wie kann neues Publikum akquirieren werden? Wer sitzt da eigentlich nicht, wer fehlt im Publikum und können potentielle Kund*innen gezogen werden? Um solche Fragen zu beantworten, setzten Vertreter*innen der „Hochkultur“(3) sich am 9. und 10. Januar 2014 im Deutschen Theater in Berlin zusammen unter dem Motto „Mind the Gap“ – „Denk an den Spalt“ und sprachen darüber, wie Zugangsbarrieren abgebaut und Kultur niedrigschwelliger gestaltet werden kann. Es überrascht wohl nicht, dass auf dieser Tagung sehr viele weiße privilegierte, nicht-behinderte Menschen vertreten waren, die sich nun gemeinsam über all die abwesenden Menschen im Kulturapparat unterhalten wollten. Nicht immer kann mensch reflektieren, dass er*sie in ihrem eigenen Sud schwimmt, weshalb es dann von Vorteil sein kann, wenn von außen darauf hingewiesen wird. Die Tagung im Januar wurde deshalb von dem Bündnis kritischer Kulturpraktiker*innen (BKK)(4) unterbrochen, um vorzuführen wer und was an diesem Tage fehlte. Die breite Diversität der Unsichtbaren im Kulturbereich stürmte die Bühne und machte nicht nur visuell die Schieflage der Veranstaltung deutlich, sondern formulierte auch in Worten wo die Probleme lagen:
«Sie haben uns nicht nur nicht eingeladen, wir sind trotzdem gekommen. Wir sind gekommen, um euch eine helfende Hand zu reichen und kostenlos Nachhilfe zu geben, man könnte es auch Entwicklungshilfe nennen.
Wir haben uns gewundert, dass es den Begriff Hochkultur noch gibt. Anscheinend sind einige Menschen, mit Ressourcen der sogenannten Hochkultur ausgestattet, so hoch geklettert, dass sie mittlerweile mit einem großen Abstand von oben herabblicken und dadurch in eine Kulturferne gerückt sind, aus der sie alleine nicht mehr zurückfinden. Wir haben uns gefragt, warum hier keine Menschen of Color referieren, keine Menschen, die aus der Praxis kommen, keine Menschen, die in der Praxis mit wenig Einkommen leben müssen, keine Expert_innen mit Behinderung etc. Schlichtweg sind hier keine [vom Ausschluss, Anm. M.U.]Betroffenen als Expert_innen eingeladen.»(5)
Bevor man die Veranstalter*innen zurück in ihre Parallelgesellschaft entlassen konnte, ließ mensch es sich nicht nehmen, zu der fiktiven Tagung «Mind the Trap» einzuladen, auf der die Umstände besser sein sollten. Und aus dieser Fiktion sollte am 10. und 11. Oktober 2015 Wirklichkeit werden. Unter dem Motto «Vernetzt euch! Strategien und Visionen für eine diskriminierungskritische Kunst- und Kulturszene» wurde zu einer interdisziplinären Konferenz eingeladen, die Diskriminierungen im Kunstkontext intersektional(6) betrachtet. Das Ziel war es einen Raum zu schaffen, damit sich künstlerische und aktivistische Selbstorganisationen austauschen und vernetzen können. Dafür sollte sich den tatsächlichen Ursachen von Ausschlüssen und Barrieren gewidmet werden, strukturelle Diskriminierung im Kulturbereich benannt und konkrete Strategien einer kritischen Kulturpraxis entwickelt werden. Dies scheint ein anspruchsvolles Vorhaben, welches bei erfolgreicher Durchführung jedoch ein genialer Zug im Kulturbetrieb wäre, um derzeitigen Fehlentwicklungen etwas entgegen zu stellen.
Ich verfolge die Arbeit des BKKs bereits seit längerer Zeit und war deshalb eklatant euphorisiert, als ich von der Konferenz erfuhr. Deshalb ließ ich es mir nicht nehmen, Samstag früh um sieben voller Vorfreude und mit dem Zug Richtung Berlin zu fahren, um mich mit der großen breiten Diversität von Kulturschaffenden darüber auseinanderzusetzen, wie Kultur machtkritisch verändert werden kann.
Die Diskriminierungskritik fand von Anfang an praktische Umsetzung. Der Veranstaltungsort, die Hochschule der Künste Berlin, wurde so ausgesucht, dass sie barrierefrei erreichbar ist, es gab Übersetzungen in Gebärdensprache und die Möglichkeit, die Vorträge und Workshops in diverse weitere Sprachen übersetzen zu lassen. Nicht nur im Programmheft, sondern zusätzlich auch in zwei Sensibilisierungsimpulsen zu Beginn wurde darauf hingewiesen, wie ein respektvolles Miteinander aussehen kann, worauf sprachlich, aber eben auch körperlich geachtet werden soll. Es wurde die vorgegebene Geschlechtsbinärität der öffentlichen Einrichtung «Hochschule» für diesen Tag aufgehoben und «all gender» – Toiletten eingerichtet. Es gab Gebetsräume und Kinderbetreuung. Generell wurde sehr schnell deutlich, dass durch Organisierende und Veranstaltende ein sehr breites Verständnis von Diskriminierung vermittelt werden sollte. Diese räumliche und organisatorische Achtsamkeit setzte sich auf der Bühne fort. In Beiträgen von Hengameh Yaghoobifarah (Autorin u.a. fürs Missy Magazin, http://maedchenmannschaft.net, http://teariffic.de/) und Rebecca Maskos (Autorin u.a. für die jungle world, Mondkalb, Zeitschrift für Inklusion) wurde ein Überblick zu «diskriminierungsärmeren sprach_handeln» und dem Diskurs um Behinderung gegeben.
Aussagekräftig und deshalb lange nachhallend war in diesem Zusammenhang der Satz: «Wir haben es satt, nur aus Mittel zum Zweck für eure Freakshow herzuhalten». Denn dieser Vergleich zu den damaligen Wanderzirkussen, in denen das Fremde zur Belustigung und für jegliche Sensationsgier herhalten musste, liegt nahe, schaut man sich die heutigen klinisch reinen Bühnen der Kultur an,(7) auf denen sich «schön gewachsene», den binären und heteronormativen Vorstellungen von Geschlecht entsprechenden Cis(8)-Menschen tummeln. Hier werden Erzählungen von Norm geschaffen, in denen Menschen mit Migrationshintergrund, PoC’s, behinderte und/oder queere Menschen immer noch als das Andere, das Fremde, das Unnatürliche dargestellt werden. Immer noch begegnen uns Phänomene wie das Blackfacing(9), das Darstellen von Behinderungen durch Nicht-Behinderte-Menschen und eine damit einhergehende Stereotypisierung von Behinderungen als das Monströse (Die Hakenhand oder das Holzbein des Piraten, der Glöckner von Notre Dame, das Phantom der Oper), die Weisheit (der Blinde) oder der Narr. Denn auch Neurodiversität(10) wird in Kunst und Kultur selten in einer respektvollen und unterstützenden Weise bearbeitet, sondern als etwas (Ab-)Sonderliches, was in Nischenprojekten thematisiert werden darf oder zur Belustigung der Masse herzuhalten hat. Die stereotype Darstellung von einer an sich vielfältigen heterogenen Gesellschaft und das damit einhergehende Abwerten von Minderheiten wird in diesem Maße zwar vor allem auf Bühnen, in Filmen und im Fernsehen deutlich, die Abwesenheit von Diversität ist darüber hinaus auch in jeder Kneipe, auf jeder Party und in allen Clubs zu beobachten.
Nach den Sensibilisierungsimpulsen wurden in sechs Workshops unterschiedliche Projekte und Einzelpersonen vorgestellt, denen allen gemein war, dass sie bereits Strategien für eine diskriminierungskritische Kulturarbeit entwickeln konnten und somit Ideen und Überlegungen konkretisierten, indem sie eine praxisbezogene Perspektive aufzeigten.
Darunter war zum Beispiel die Autorin, Musikerin, Aktivistin, Medienkritikerin, Produzentin und Künstlerin Noah Sow, welche durch die Veröffentlichungen u.a. von «Wie Rassismus aus Wörtern spricht», «Deutschland Schwarz Weiß» und «Deutscher Humor» den öffentlichen Diskurs über Rassismus in den letzten Jahren maßgeblich mitbestimmt hat. In ihren Büchern, aber auch in ihren Auftritten und ihrem medialen Engagement schafft sie es, mit bitterbösen Humor den Finger auf die deutsche Rassist*innenwunde zu legen und deckt kolonialistische Überbleibsel in deutscher Sprache, Wissenschaft und Denkmustern auf. Dass dies auch Auswirkungen auf Veranstaltungsplanung und Ausstellungskonzeption oder das Gestalten von Uniseminaren haben kann, thematisierte sie in ihrem Workshop.
Einer anderen Seite der Formen von Diskriminierung nähert sich der Architekt Van Bo Le-Mentzel: Er arbeitet sich vermehrt an Themen wie Konsum und Teilhabe ab. So entwickelte er beispielsweise sogenannte «Hartz-IV-Designermöbel» zum Selbstbauen und veranstaltete Anfang des Jahres die dclass-Konferenz, wo inspirierende Köpfe der New Economy auf Vordenker*innen aus dem Bildungssektor trafen, um Lehren und Lernen kapitalismuskritisch zu denken.(11)
Eine weitere Form der Diskriminierung und verschiedene Formen der Auswirkungen dieser zeigten die Gruppen rund um den Refugee Club Impulse e.V. und das Grandhotel Cosmopolis Augsburg e.V. auf. Klar ist, dass Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigungen und/oder mit sprachlichen Hürden ganz anders bzw. nicht an kulturellen Ereignissen teilhaben können. Dies ist in weiten Kreisen bekannt. Weniger Bewusstsein herrscht vielerorts für die Möglichkeiten der tatsächlichen Mitgestaltung und selbstorganisierten Kulturarbeit durch Geflüchtete. Thematisiert wurden deshalb vor allem paternalistische Strukturen. Sicherlich ist sich ein großer Teil von Kulturschaffenden, gerade in der linken Szene, einig, dass sie weder bevormundend noch in irgendeiner Art und Weise aneignend wirken wollen. Dennoch erfordert dies ein hohes Maß an Selbstreflexion, welches ermöglicht, Gruppen in dem zu stärken, was ihre eigenen Wünsche und Ziele sind und entsprechenden Support bereit zu stellen, ohne Ansprüche geltend machen zu wollen. Darüber hinaus sehen sich Kulturprojekte und Gruppen von Geflüchteten im Kulturbereich vermehrt Problemen der Finanzierung gegenüber gestellt (Menschen ohne Staatsbürgerschaft sind mit erschwerten Bedingungen in der Kulturförderung konfrontiert) oder arbeiten öfters diskontinuierlicher, da Gruppenmitglieder immer wieder Wohnorte wechseln müssen.
In der Arbeit von und mit Geflüchteten wird ebenfalls sehr schnell klar, dass Sprache eins der entscheidenden Ausschlusskriterien sein kann (keine Panik – hier folgt kein abgenudelter Monolog getreu dem Motto «Integration kann nur durch Sprache erfolgen»). Inwiefern bin ich, als Produzierende*r von Kunst, Musik, Kultur etc. bereit mein Produkt für so viele wie möglich verständlich zu machen. Möchte ich das überhaupt? Vielleicht ist es in unserer Welt durchaus von Vorteil ein Theaterstück lediglich in Arabisch zu zeigen. Wie offen sind unsere Gruppentreffen, Vorträge, Plenen gestaltet, sodass eine Verständigung ermöglicht wird? Was ist mit Druckerzeugnissen und sozialen Medien? Und hierbei spreche ich nicht nur von Nationalsprachen, sondern auch von Sprachniveaus, denn auch durch einen akademischen Duktus (welcher in linkspolitischen Kreisen sehr gerne und häufig Anwendung findet) werden Gruppen ausgeschlossen. Damit werden Menschen an einer möglichen Partizipation gehindert, weil sie beispielsweise Gespräche und Beweggründe nicht verstehen. Dies kann gewollt oder ungewollt passieren. Und es gibt auch die Möglichkeit des Unvermögens. Dennoch sollte sich ständig gefragt werden, wer an welchen Veranstaltungen warum teilnehmen soll und inwiefern dies gefördert oder behindert wird. Sich dann Hilfe hinzuziehen ist förderlich. Deshalb braucht es heterogene Organisation, denn oftmals können Betroffene weitaus besser beurteilen, ob sie etwas anspricht. Und ganz nebenbei wird die Kulturlandschaft vielleicht sogar vielfältiger. Diese Möglichkeit unterstreicht beispielsweise das Projekt Shut-Up and Sign_Speak, welches taube und hörende Performer*innen zusammenbringt, um eine Show rund um HipHop, Spoken Words und Gebärdensprache zu initiieren. Die Gruppe steht gerade am Anfang. Es gibt kaum Informationen und Videos dazu im Netz. Solche Formen von Kultur sind bisher kaum etabliert. Da ist also noch eine Menge Platz nach oben, wenn es darum geht, Bühne oder Ausstellungsräume für Kulturprodukte von und für behinderte Menschen abzugeben.
Dass all diese Projekte und Beteiligten deshalb bereits seit Jahren und Jahrzehnten Kämpfe an unterschiedlichsten Ecken führen, geht häufig unter. Wie oft passiert es, dass ein Kulturzentrum, ein Theaterprojekt, eine Band anfängt und nach kurzer oder längerer Zeit wieder verschwindet? Unbeachtet. Dass dies häufig an diskriminierenden Strukturen im Kulturbereich liegt, wird dann nicht mehr registriert, denn die Projekte haben häufig an Einfluss und Mitsprachemöglichkeiten verloren - wenn sie diese je innehatten. In Form eines Vortrags machte deshalb Azadeh Sharifi die «marginalisierten Kämpfe im Kulturbereich» sichtbar und versuchte am Beispiel des Arkadas-Theaters in Köln zu verdeutlichen, dass nachhaltige Strukturen kulturpolitische Wurzeln haben. Ein großer Teil des Erfolgs und des Bestehens von Kultureinrichtungen und –projekten, die gegen Formen der Diskriminierung anarbeiten, liegt in der finanziellen Förderung begründet. Welche Gelder werden welchen Formaten und Ideen zugesprochen? Inwiefern sind bereits in Paragraphen und Kulturplänen etc. solche Förderungen vorgesehen? Bei genauerem Hinsehen werden Projekte mit behinderten Menschen, Migrant*innen oder Refugees eher als politische bzw. soziale Projekte finanziert, selten als künstlerische Projekte. Das ist insofern problematisch, dass nicht jedes Kunstprojekt politisch motiviert ist. Möchten also Menschen mit Migrationshintergrund Geld für ihr Kunstprojekt haben, bekommen sie das häufig nur (aus anderen Geldtöpfen) dafür, dass sie ihr «Anders-Sein» thematisieren, nicht dafür, dass man ihnen kreativ-künstlerisches Potential zuspricht. Dies führt u.a. zu den weitverbreiteten Erfahrungen, von denen Sharifi nicht nur in Bezug auf das Arkadas-Theater zu berichten weiß, sondern auch auf eigene Erfahrungen zurückgreift: «So lange du der nette Ausländer bist, wirst du geduldet und akzeptiert. Wenn du allerdings in den professionellen Kunstmarkt einsteigst und kritisch wirst, kriegst du Gegenwind und Neid ab.» Unterstützt wird Sharifi in diesem Punkt auch von Journalist*innen und Regisseur*innen aus dem Publikum, die ähnliche Erfahrungen teilen. Wird mensch also unbequem, kann daraus unter Umständen das Streichen von Fördermitteln folgen.(12) Dies führt automatisch dazu, dass ohne die entsprechende Förderung diverse Projekte auf dem Kulturmarkt kaum bestehen können. Gerade kulturelle Riesen, wie die öffentlich geförderten Institutionen oder kommerziell ausgerichtete Entertainmenteinrichtungen (Kinos, Festivals etc.) sind Konkurrent*innen auf dem freien Markt, gegen die nicht anzukommen ist. Und so schön es auch wäre, gerade Kunst und Kultur unabhängig von kapitalistischen Strukturen zu organisieren und zu ermöglichen,(13) so sind es häufig Kunstschaffende, die bereits am Rande des Existenzminimums leben bzw. ihre Kunst ohne eine Gegenleistung zur Verfügung stellen und dadurch wiederum eingeschränkt sind, in dem, was sie wie mitteilen wollen.
Auf diesen systeminhärenten Widerspruch machte u.a. auch eine kleine Performance aufmerksam, welche später am Abend noch aufgeführt wurde. Um sich der Frage zu nähern, wie man mit den prekären Zuständen im Kunst- und Kulturbereich umgehen kann, beamte man sich zu einer Utopie im Jahre 2030. Umgeben von großartigen Neuerungen, wie einer Kultursteuer oder einem Outreach–Team, welches für jeden Menschen das ganz eigene persönliche Kulturinteresse erforscht, solang dies noch nicht bekannt ist, wurde an den historischen Kunststreik im Jahre 2017 erinnert: Für mehrere Tage wurde jegliches kulturelle Produkt entfernt. Es gab keine Bilder mehr, keine Fotos im Internet, keine Musik im Radio, Kneipen blieben still, Graffitis wurden verhangen, Clubs, Theater, Kinos geschlossen. Man konnte sich keine Musik oder Filme herunterladen. Diese Dystopie führte wunderbar vor Augen, wie allgegenwärtig und selbstverständlich Kunst und Kultur für uns geworden sind. Kunst und Kultur haben schon immer versucht, Barrieren zu überwinden, indem z.B. nichtsprachliche Elemente zur Kommunikation genutzt wurden und Wissen auf spielerische Weise vermittelt wurde. Somit ist es dem kulturellen Schaffen zu eigen, dass es fortschrittlich, wegweisend Grenzen aufbricht und Tabus hinterfragt. Umso tragischer ist es, dass dies strukturell und auch inhaltlich auf so wenigen Ebenen passiert!
Entsprechend sollte diesen Missständen entgegen gewirkt werden. Vor allem die Kulturpolitik kann hier nachhaltig etwas verändern. Als Vorbild kann diesbezüglich beispielsweise die Britische Filmförderung (BFI) herhalten, welche den Anspruch formuliert, Diversität (a) «on screen», (b) «off screen» und (c) in Bezug auf «einen verbesserten Zugang zu Karrieremöglichkeiten» zu schaffen. Können also Filmemacher*innen nachweisen, dass sowohl die Figuren des Films selbst, als auch die Mitglieder der Produktion (Regisseur*innen, Schnittassistenz, Drehbuchautor*innen, Maske etc.) eine entsprechende Diversität in Bezug auf Geschlecht, sexuelle Orientierung, Ethnie, Behinderungen, Klasse etc. spiegeln, werden die Filmprojekte finanziell belohnt. Mit dieser finanziellen Unterstützung soll in Folge erneut eine Stelle geschaffen werden, welche zur Diversität der Produktion beiträgt.
Es ist sicherlich deutlich geworden, dass vor allem strukturell sich einiges ändern muss. Wie andere Bereiche baut auch der Kulturbereich auf diskriminierenden Strukturen auf. Das ist oft frustrierend und entmutigend, was niemanden davon abhalten sollte, diese Missstände öffentlich anzuklagen und andere darauf aufmerksam zu machen. Das heißt in erster Linie, dass darüber geredet werden muss. Dass Kulturschaffende und –produzierende miteinander daran arbeiten, diskriminierende Muster aufzudecken und Ausgrenzungsmechanismen zu unterbinden. Dazu gehört auch, dass es einen Austausch darüber gibt, wie zunehmend mehr Menschen mit unterschiedlichen Diskriminierungserfahrungen erreicht werden können. Hierbei kann Vernetzung ein hilfreiches und sinnvolles Werkzeug sein. Nicht jedes kulturelle Projekt muss oder will alle Menschen erreichen. In der Vernetzung liegt allerdings die Möglichkeit, sich auszutauschen und voneinander zu lernen. Solidarität und Unterstützung in den oftmals recht unterschiedlichen Belangen von Gruppen mit Diskriminierungserfahrungen kann dazu führen, dass mensch sich bereits erprobter Strategien bedienen kann bzw. diese gemeinsam weiterentwickelt werden können. Wo sind bereits Plattformen, um eine Vernetzung gerade in Leipzig voranzutreiben? Wo können weitere Räume für einen möglichen Austausch geschaffen werden? Dies sind Fragen, die mich auf meinem Rückweg nach Leipzig begleiteten. Denn selbst wenn in dieser Stadt bereits an vielen Ecken diskriminierungskritisch gearbeitet wird, sollte das Ziel immer die Utopie bleiben. Das beinhaltet die eigene Arbeit immer wieder auf blinde Flecken hin zu überprüfen, sie zur Diskussion zu stellen und Raum für Kritik zu ermöglichen, um Kunst und Kultur so vielfältig zu zeigen, wie es Menschen nun einmal sind. Was sich für Proteste und politische Aktionen vor allem in linken Kreisen also bereits etabliert hat, kommt in Kunst und Kultur bisher noch zu kurz: Das System ist diskriminierend und dagegen hilft vor allem Solidarität, Vernetzung und Aktion.