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Bericht und Einschätzung
Vom 18. bis 25. August diesen Jahres fand bei Ierissos auf der Halbinsel Chalkidiki im Nordosten Griechenlands das erste transnationale Camp der antiautoritären Plattform Beyond Europe statt. Es sollte ein weiterer Schritt für die Vernetzung und den Austausch des antiautoritären und antikapitalistischen Widerstand in Europa sein. Neben der inhaltlichen Debatte zwischen Aktivisten aus verschiedenen Ländern war das Ziel auch gemeinsam aktiv zu werden, weshalb es gemeinsame Aktionen mit dem lokalen Widerstand gegen den Goldabbau in Chalkidiki geplant waren.
1. Beyond Europe
Beyond Europe entstand aus der Mobilisierung zum internationalen Aktionstag M31 am 31. März 2012, bei dem antikapitalistische und antiautoritäre Gruppen und Organisationen in 30 verschiedenen Ländern auf die Straße gingen. In Frankfurt (Main) waren es 6000 Menschen. Er sollte ein erster Schritt dahin sein, den Widerstand gegen die autoritäre Austeritätspolitik auch im Zentrum Europas zu beginnen. Dort war es bis dahin ruhig geblieben, während in den sogenannten Krisenstaaten Südeuropas die Leute sich mit Massendemonstrationen, Generalstreiks und Platzbesetzungen bereits versuchten gegen das Krisenregime und seine katastrophalen sozialen Folgen zu wehren. Es war klar geworden, dass der national begrenzte und isolierte Widerstand gegen die europäischen Institutionen erfolglos bleiben musste. Der Aktionstag war daher auch ein Versuch, die Proteste und die dahinter stehenden Menschen zusammenzubringen, um langfristig zu einem gemeinsamen europäischen Kampf zu kommen. Im Gegensatz zu linken Parteien und Blockupy(1) wendete sich M31 nicht nur gegen die aktuelle neoliberale Politik, sondern machte sich für eine Perspektive über den Kapitalismus hinaus stark. Waren am Aktionstag selbst zahlreiche Gruppen, Organisationen und Einzelpersonen in verschiedenen Ländern beteiligt, so wollten sich unter ihnen nur wenige an einem langfristigen Diskussionsprozess und einer kontinuierlichen Vernetzung beteiligen.
Diejenigen, die entschieden, eine neue internationale Plattform antikapitalistischer und antiautoritärer Gruppen aufzubauen, schlossen sich zu Beyond Europe zusammen. Grundlage war die Erkenntnis, dass es notwendig ist die bisherigen Grenzen und Unzulänglichkeiten der Organisierung zu überwinden, um eine andere Gesellschaftsordnung zu ermöglichen: «Only through co-ordinated international activity can a society beyond state, nation and capital be achieved»(2).
Aktuell besteht Beyond Europe aus Alpha Kappa (Antiauthoritarian Mouvement, Griechenland), Plan C (England), Syspirosi Atakon (Zypern) und ...ums Ganze! (Deutschland und Österreich). In dieser Konstellation beteiligte sich Beyond Europe an den Aktionen gegen die Eröffnung des EZB-Neubaus in Frankfurt a. M. am 18. März 2015. Mit anderen antiautoritären und antikapitalistischen Gruppen aus Deutschland wurde unter dem Label M18 und dem Motto »Face the Players, Fight the Game« dazu aufgerufen, der aktuellen Krisenpolitik und dem Kapitalismus im Allgemeinen eine Absage zu erteilen.(3) Zugleich war Beyond Europe über ...ums Ganze! in die allgemeine Planung von Blockupy eingebunden. Während Blockupy sich aber in erster Linie nur gegen Austeritätspolitik wandte und dagegen ein unbestimmtes «Demokratie und Solidarität von unten»(4) forderte, ging es Beyond Europe zusammen mit M18 darum, deutlich zu machen, dass die Antwort nur in einer Perspektive jenseits von Staat und Kapital liegen kann. Die Aktionen und die Demonstration am 18. März wurden sowohl innerhalb von Beyond Europe, als auch von Blockupy als ein starkes und deutliches Zeichen gegen das herrschende kapitalistische Regime in Europa gewertet.
Dennoch ist es offensichtlich, dass ein politisches Großevent wie in Frankfurt, als am Vormittag mehrere tausend Menschen die Innenstadt lahmlegten und am Nachmittag (unter der Woche) 25 000 Menschen demonstrierten, ein starkes, aber nur symbolisches Zeichen setzen kann. Notwendig war und ist der alltägliche Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung. Innerhalb von Beyond Europe reifte daher die Idee, mit einem Camp den Austausch und die Vernetzung voranzutreiben, um sowohl den alltäglichen, als auch den transnationalen Widerstand voranzutreiben. Laut dem Aufruf zum Camp mit dem Titel «The stakes are high, but still too low» ist das Ziel «to push organizing forward, deepen our networking and plan our mobilizations against Capitalism and its impositions all over Europe»(5). Dabei sollte die Teilnahme nicht auf die an Beyond Europe beteiligten Gruppen beschränkt sein, sondern die Einladung ging an das gesamte antikapitalistische und antiautoritäre Spektrum in Europa.
2. Der Ort
Von Anfang an war klar, dass das Camp keine Blase internationaler Aktivisten werden sollte, sondern in die Kämpfe vor Ort eingebunden werden muss. Daher wurde sich entschieden, es in Ierissos in Chalkidiki (Griechenland) stattfinden zu lassen, wo sich lokale Komitees und Initiativen seit Jahren gegen den Goldabbau des kanadischen Unternehmens Eldorado Gold wehren.(6) Dies bot sich auch an, da Alpha Kappa seit Jahren am Kampf beteiligt ist. So ergab sich die Gelegenheit in einen der wichtigsten Auseinandersetzungen der sozialen Bewegungen in Griechenland zu intervenieren. Ierissos liegt im Osten der Chalkidiki, zwei Busstunden von Thessaloniki entfernt und direkt am Meer. Das Campen am Strand, der beliebt bei Wildcampern ist, machte es zudem möglich, Urlaub und Politik optimal zu verbinden.
3. Das Camp
Letztendlich fanden sich bis zu 500 Teilnehmer auf dem Camp ein, darunter fast die Hälfte Deutsche, was den internationalen Charakter etwas schmälerte und von vielen bedauert wurde. Allerdings lässt sich das dadurch erklären, dass ...ums Ganze! am intensivsten mobilisiert hatte. Ansonsten waren Menschen unter anderem aus Frankreich, Italien, Schweden, England, Österreich, Schweiz, Bulgarien, Zypern und natürlich Griechenland vertreten. Aus Griechenland selbst waren aber nur relativ wenige gekommen. Zum Einen, weil die Krise in Europa für sie eine andere Bedeutung hat. Während viele Deutsche das Camp in ihren Sommerurlaub einbauen konnten, war für vielen Griechen schon die Anreise zu teuer. Zum Anderen ist die griechische Beyond Europe-Gruppe Alpha Kappa in der dortigen anarchistischen Szene nicht besonders wohlgelitten, was sicherlich auch ihre Fähigkeit beeinträchtigte, Leute zum Camp zu mobilisieren.
Das Camp war selbstorganisiert und musste sich auch die eigene Infrastruktur selbst bauen. Das galt für Duschen und Wasserstellen, die Küche sowie die Bar, während die Toiletten (Dixies) gemietet wurden. Organisiert wurde das Camp durch ein tägliches Plenum, auf dem Fragen wie Nachtwachen, Barschichten oder das Sammeln von Müll am verschmutzten Strand besprochen wurden. Zudem gab es einen Infopunkt, der von Beyond Europe betreut wurde. Während des Camps und in der Nachbereitung wurde jedoch eine gewisse Intransparenz der Strukturen bemängelt, was aus den Parallelstrukturen von Beyond Europe und Camp resultierte.
4. Das Programm
Ursprünglich waren für jeden Tag zwei Workshopphasen am Nachmittag sowie einer Abendveranstaltung zu einem gemeinsamen Thema vorgesehen.(7) Wenig überraschend machten dieser optimistischen Planung die Organisation des Camps und das Bedürfnis nach Entspannung und Erholung einen Strich durch die Rechnung. Die Verschiebung des Zeitplans tat dem Willen und der Lust der Campteilnehmer zu diskutieren aber keinen Abbruch, weshalb die meisten Workshops gut besucht, zum Teil sogar überfüllt, waren. Hier kann nur ein grober Überblick über die Themen und Workshops gegeben werden. In Planung ist aber ein Reader, der alle Inputs der Workshops, sowie Diskussionsergebnisse, enthalten soll.
In den Workshops wurde sowohl über theoretische Einschätzungen der aktuellen Situation in Europa, als auch über Erfahrungen in den unterschiedlichsten Kämpfen diskutiert. In Runden zu sozialen Kämpfen wurde unter anderem über soziale Stadteilzentren, den Widerstand gegen Zwangsräumungen, die Arbeit in Solistreikbündnissen, die Selbstverwaltung der Fabrik Vio.Me oder des Fernsehsenders ERT3 und anderes diskutiert. Es gab Berichte und Austausch über öko-sozialen Widerstand in Chalkidiki gegen die Goldminen, gegen die Hochgeschwindigkeitsstrecke TAV in Italien, gegen das geplante Fracking in der Lausitz bei Dresden, sowie Berichte über die geplanten Aktivitäten gegen den Klimagipfel in Paris im Dezember 2015 (COP 21). Außerdem wurden Erfahrungen in antifaschistischen und antirassistischen, sowie antisexistischen Kämpfen in unterschiedlichen Ländern ausgetauscht und die Situation von Geflüchteten in Griechenland, Bulgarien und Mazedonien besprochen. Theoretische Diskussionen gab es zu Feminismus, zum deutschen Imperialismus sowie zum Zusammenhang von Nationalismus, Rassismus und Staatlichkeit im Kapitalismus. Und natürlich zu so manchem mehr, was hier nicht aufgeführt werden kann.
Neben den Workshops gab es einen Ausflug zu der in den nahen Bergen gelegenen Goldmine, an dem etwa 200 Leute teilnahmen. Dort konnte man sich ein Bild von der großflächigen Verwandlung von Wald in Abraumhalden machen. Ein lokaler Aktivist beschrieb die ökologischen und sozialen katastrophalen Folgen des Goldabbaus. Bereits der Spaziergang hatte nationales Fernsehen zur Mine gelockt, was genutzt wurde, um lautstark den Unmut über den Goldabbau auszudrücken. Für die lockere Aktionsform war ein massives Polizeiaufgebot aufgefahren worden – ein kleiner Vorgeschmack für den Sonntag, an dem eine große Demonstration geplant war. Hintergrund war, dass das Camp und die Demo bereits im Vorfeld in der regionalen Presse und darüber hinaus ein breites Echo hervorgerufen hatten.
Nach der Besichtigung der Mine wurde in Megali Panagia, dem der Mine nächstgelegenen Ort, gemeinsam gegessen. Eigentlich hätte dies eine Gelegenheit zum Austausch mit lokalen Bewohnern und Aktivisten sein sollen, insbesondere da das dortige Widerstandskomitee eher antiautoritär geprägt ist. Leider blieben die unterschiedlichen Gruppen unter sich und es blieb bei der Bewirtung gegen Geld. Anschließend fanden im Dorf ein Workshop zum Verhältnis von sozialen Bewegungen zum Linksreformismus(8) sowie einer zum Feminismus statt, die entgegen des Anspruchs leider so gut wie gar nicht von Leuten aus dem Ort besucht wurden. Danach gab es auf dem zentralen Dorfplatz eine Podiumsdiskussion, zu der neben Leuten aus dem Camp zahlreiche Anwohner erschienen waren, insgesamt um die 200 Personen. Den Anfang machte ein Vertreter von Alpha Kappa, der betonte, dass es wichtig sei, selbstverwaltete Strukturen aufzubauen statt Hoffnung in repräsentative Organe zu setzen, die, wie sich mit der Annahme des Spardiktats durch die Regierung unter Tsipras gezeigt hatte, nur enttäuscht werden kann. Anschließend berichteten Vertreter lokaler Initiativen über Alternativen zur Goldmine, wie den Plan einer Holzpelletsfabrik, die Ersatz für die Arbeitsplätze in der Mine bieten könnte, falls diese geschlossen werden sollte.
Auch über Sport sollte der Kontakt zur Umgebung des Camps hergestellt werden. Daher spielte am Freitag Team Beyond Europe gegen eine lokale Fußballmannschaft, was mit einer Niederlage endete. Am Abend gab es im Dorfzentrum von Ierissos eine weitere Podiumsdiskussion, die Alpha Kappa organisiert hatte. Auch dieser wohnten neben Leuten aus dem Camp zahlreiche Anwohner bei. Problematisch war hier, dass es nur eine sogenannte Flüsterübersetzung gab. Daher war es für Leute schwer der Diskussion zu folgen, die des Griechischen nicht mächtig waren. Der Vertreter von Antarsya(9) sprach davon, dass wer jetzt (nach Annahme des Memorandums durch Syriza trotz des deutlichen „Nein“ beim Referendum) noch bei Syriza ist, ein Feind sei. Es sei eine Illusion zu denken, dass die Europäische Union reformiert werden könne. Stattdessen müsste Griechenland aus der Eurozone ausscheiden und den Aufbau des Sozialismus vorantreiben. Der Vertreter von Alpha Kappa unterstrich erneut, dass es von Anfang an ein Fehler gewesen sei, auf Wahlen zu setzen. Syriza sei der Illusion über die Demokratie in Europa aufgesessen. In der EU herrsche der Totalitarismus des Marktes und die Politik sei durch Technokratie ersetzt worden. Statt auf die staatliche Politik zu hoffen und einen neuen Sozialismus zu wagen, sei es notwendig, sich selbst zu organisieren und eigene Strukturen aufzubauen. Der dritte Sprecher war aus der lokalen Syriza-Basisgruppe und als Anwalt für die sozialen Bewegungen aktiv. Er sprach davon, dass Partei und soziale Bewegungen zusammengehörten, Syriza aber Verrat begangen hätte, weshalb er austreten werde.
5. Vernetzung und Austausch
Neben dem offiziellen Programm bot das Camp natürlich die Möglichkeit, sich informell zu vernetzen, auszutauschen und zu diskutieren – an der Bar, am Strand oder beim gemütlichen Herumsitzen auf selbst gebauten Sitzgelegenheiten. Bei den verschiedenen vertretenen Spektren war das einer der wichtigsten Aspekte eines solchen Camps. Auf dem Eröffnungsplenum hatte der Vertreter von Beyond Europe noch einmal die Ziele benannt und betont, dass Beyond Europe »nicht die neue Internationale« werden soll, sondern eine dauerhafte Plattform für den antikapitalistischen, antinationalen und antiautoritären Widerstand in Europa ist. Zwar bleibt abzuwarten, inwieweit das Camp dazu beitragen konnte, diese und damit die transnationale Organisierung zu stärken und zu verbreitern. Auf alle Fälle wurden zahlreiche neue Kontakte geknüpft, auch mit an der Mitarbeit bei Beyond Europe interessierten Gruppierungen. Das Camp schuf einen Raum, in dem sich auch jenseits von festen Strukturen kennengelernt und ausgetauscht werden konnte. Es bot somit die Möglichkeit, die Probleme internationaler Vernetzung ein Stück weit zu beheben. Denn bei dieser bleiben der Austausch und die Diskussion ansonsten oftmals auf wenige Einzelne beschränkt. Für die Etablierung einer transnationalen Bewegung sind Orte wie das Camp unverzichtbare Momente, können aber verbindliche und kontinuierliche Organisierungsprozesse nicht ersetzen. Persönliche Kontakte und Freundschaften sowie der gemeinsame Diskussionsprozess können dazu aber einen wichtigen Beitrag liefern.
6. Der Kampf gegen die Goldmine und das Camp
Die Chalkidiki ist seit gut 2000 Jahren ein Bergbaugebiet, allerdings bringt der moderne Bergbau ein höheres Maß an Zerstörung mit sich. Seit 2006 gibt es Widerstand gegen den geplanten Goldabbau im Wald von Skouries, der zum Teil sehr militante Formen wie die Zerstörung von Maschinen annimmt, worauf der Staat mit massiver Repression antwortet(10). Das Bergbauprojekt des kanadischen Unternehmens Eldorado Gold ist neben der Debatte um das Spardiktat eines der umstrittensten Themen in Griechenland. Die Ablehnung speist sich vor allem aus den ökologischen Folgen und Gefahren, aber auch sozialen und wirtschaftlichen Begleiterscheinungen. Der Abbau soll als Tagebau erfolgen, was bedeutet, dass große Gebiete des Waldes gerodet werden müssen, was zum Teil bereits geschah. Zudem wird eine Absenkung und Verseuchung des größten Grundwasserreservoirs Griechenlands befürchtet. Denn bei der Auslösung des Goldes werden Chemikalien eingesetzt, die vor allem aufgrund der absehbaren mangelhaften Lagerung der ausgehobenen Erde ins Wasser sickern könnten. Die ökologischen Gefahren bedrohen auch die beiden Haupteinkommensquellen der lokalen Bevölkerung, die von den Gewinnen des Goldabbaus nichts abbekommt: Tourismus und Landwirtschaft. Da der Goldabbau mittlerweile aber 2000 Arbeitsplätze (darunter viele im Sicherheitsbereich) geschaffen hat, scheiden sich die Dorfbevölkerungen zum Teil in Unterstützer und Gegner, die so verfeindet sind, dass sie nicht mehr miteinander sprechen.
Bereits beim Eröffnungsplenum des Camps berichtete ein Vertreter des lokalen Komitees vom Widerstand gegen die Goldmine. Er berichtete von der Resignation, die sich in der Bewegung «gegen die größte ökologische Katastrophe in der Geschichte Griechenlands» breit gemacht hatte, nachdem ihre Hoffnung, die sie in die repräsentative Politik gesetzt hatten, enttäuscht worden waren. Schließlich hatte Syriza entgegen ihrer Wahlversprechen den Bau der Mine nicht gestoppt, da sie die Jobs der Beschäftigten nicht gefährden wollten und Schadensersatzklagen des Betreibers befürchteten. Das Beyond Europe Camp käme genau im richtigen Augenblick, um ein Wiederaufleben des Widerstands anzustoßen. Ins gleiche Horn stieß am folgenden Abend auch ein anderer lokaler Aktivist, der nicht an Pathos sparte: Das Beyond Europe Camp fände genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit den richtigen Leuten statt: «History has begun». Darin drückt sich die Bedeutung des Kampfes und der Bedrohung durch die Mine für die lokale Bevölkerung aus. Wenige Tage vor dem Camp hatte es zwar bereits ein zehntägiges Aktionscamp lokaler Aktivisten direkt vor der Zufahrt zur Goldmine gegeben. Dieses hatte allerdings keine große Medienaufmerksamkeit zur Folge gehabt. Aus diesem Grund setzten sie große Hoffnungen in das Camp und die Demonstration.
Noch bevor diese stattgefunden hatte, schien ihre Ankündigung bereits Wirkung zu zeigen: Am zweiten Tag wurde bekannt, dass die Regierung einen einstweiligen Stopp der Bauarbeiten in der Mine veranlasst hatte. Dieser sollte so lange gelten, bis Umweltauflagen erfüllt werden, die noch der ehemalige Umweltminister (und aktuelle Chef der Syriza-Abspaltung Laïkí Enótita) Panagiotis Lafazanis erlassen hatte, aber bis zum Camp keinerlei Folgen gehabt hatten. Von lokalen Aktivisten und Mitgliedern von Alpha Kappa wurde dies als taktisches Manöver in Hinblick auf die Demonstration und die anstehenden Wahlen am 20. September gewertet. Auf den Charakter der Aktion sollte die Maßnahme der Regierung keine Auswirkung haben.
7. Die Demo
Am 23. August liefen etwa 300 Personen vom Camp als Demonstration nach Ierissos und wurden unterwegs zum Teil von Anwohnern beklatscht. Im Dorf wurde ihnen beim Einkauf von Verpflegung Mut und Erfolg gewünscht. Vom Dorf aus ging es mit Bussen und Autos in die Nähe von Megali Panagia, wo man mit von Aktivisten aus der Umgebung und anderen Teilen Griechenlands traf. Gemeinsam ging es im Fahrzeugkonvoi in Richtung Mine. Etwa einen halben Kilometer vor dem Eingang stiegen die insgesamt etwa 2000 Menschen aus und sammelten sich. Gemeinsam ging es Richtung Mine, wo es zu massiven Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. Diese dauerten insgesamt um die zwei Stunden. Auf Seiten der Demonstranten wurden Steine, Molotowcocktails, Schleudern sowie Zwillen und auf Seiten der Polizei Tränengas und Schlagstöcke eingesetzt. Gegen das Tränengas trugen viele Gasmasken oder versuchten sich gegen die Wirkung des Tränengas mit Schwimmbrillen, Tüchern und dem Einschmieren mit Maaloxan zu schützen. Vier Polizisten sollen verletzt worden sein. Eine Demonstrantin wurde schwer verletzt, als sie aus einem Bus gezerrt wurde und sich dabei ein Bein brach. Zahllose wurden durch Tränengaskartuschen oder Gas verletzt. 74 Menschen wurden festgenommen, viele von ihnen, die in einen Bus gestiegen waren, der sie aus der Gefahrenzone bringen sollte, aber aufgrund des durch die vielen Autos und Busse verursachten Staus nicht schnell genug weg kam. Sie wurden in die Polizeistation in Polygyros gebracht, das etwa 60 km von Ierissos entfernt liegt. Sofort versammelten sich dort erst Angehörige des lokalen Komitees, zu denen sich später Aktivisten aus dem Camp gesellten, um die Gefangenen nicht alleine zu lassen und ihnen Essen und Getränke ins Gefängnis zu bringen. Fast alle kamen gegen die Abgabe von Fingerabdrücken und einer Entschuldigung bis zum nächsten Morgen frei. Zwei deutsche Aktivistinnen, die sich weigerten ihre Identität preiszugeben, wurden festgehalten und nach langem Hin und Her, zwei Wochen später nach Deutschland abgeschoben. Sie sind auf Kaution frei und müssen auf ihr Berufungsverfahren warten, da sie in erster Instanz zu zwei Jahren Haft verurteilt wurden.
Die militante Demonstration wurde unter dem Titel «Die Schlacht von Skouries» zum zweitwichtigsten Thema in den griechischen Medien. Im Gegensatz zu Deutschland wurde die Militanz kaum kriminalisiert und zum Teil kritisierten sogar konservative Zeitungen die Gewalt der Polizei. Nicht nur aufgrund dieser Wirkung nach Außen, sondern auch nach Innen, wurde die Aktion sowohl von Beyond Europe, als auch von den lokalen Initiativen als sehr erfolgreich bewertet. Das Komitee gegen die Goldmine aus Ierissios hielt ihr Treffen auf dem Camp ab, wozu aber kaum Campteilnehmer erschienen. Sie bedankten sich überschwänglich für die Unterstützung und einige meinten, dass die Aktion ohne das Camp niemals so erfolgreich gewesen wäre. Für so manchen deutschen Aktivisten war es wohl ungewohnt nach einer selbst für griechische Verhältnisse sehr militanten Aktion von lokalen Initiativen Dank und Lob zu erfahren. In den nächsten Tagen machten einige die Erfahrung, dass ihnen der Einkauf in Ierissos geschenkt wurde, Restaurantbesitzer beim Essen eine Runde ausgaben oder Anwohner Leuten vom Camp anboten sie im Auto mit ins Dorf zu nehmen.
Das war eine Erfahrung, wie man sie in Deutschland wahrscheinlich maximal im Wendland machen kann. Die offensive Militanz war in Skouries das richtige Mittel, um die Schärfe des Konflikts deutlich zu machen und Druck auf Syriza auszuüben. Klar ist aber auch, dass die Frage nach Militanz als politischem Mittel situativ beantwortet werden muss und die erwartbaren Effekte auf die lokalen Strukturen mit berücksichtigt werden müssen. In Chalkidiki führte sie nicht nur zu einer massiven medialen Aufmerksamkeit, sondern wurde auch für die dortigen Initiativen als Energieschub und neuer Antrieb erlebt. Zudem erfuhren sie die Auseinandersetzungen als gemeinsamen Kampf mit politischen Aktivisten aus dem antiautoritären Spektrum, dass ihnen so noch näher gebracht wurde. Das in Deutschland spätestens seit Heiligendamm 2007 beliebte 'Umfließen' von Polizeiketten mit dem Ziel Straßen oder Gelände zu besetzen, wäre in Skouries bereits am unwegsamen Gelände und höchstwahrscheinlich auch am Tränengas der Polizei gescheitert.
Auch wenn die Demonstration von allen als erfolgreich bewertet wurde, waren die vielen Festnahmen ein großer Wermutstropfen. Es war sicherlich eine gute Idee, das Camp mit einer größeren politischen Aktion zu verbinden, allerdings hätte ihr dort mehr Vorbereitungszeit eingeräumt werden müssen. Insbesondere, wenn der Schauplatz in einem für viele Beteiligten fremden Land ist und ein militanter Charakter zu erwarten ist, ist es unabdinglich, die Leute entsprechend darauf vorzubereiten. Zum Teil lag das vielleicht auch daran, dass die Demo bei Planung des Camps nicht den Stellenwert hatte, wie sie ihn hätte haben müssen. Am Tag danach holte sie sich diesen aber selbst, als das ganze Programm umgeworfen wurde, um in Kleingruppen die Aktion und die gemachten Erfahrungen zu besprechen. Nicht nur die technischen und organisatorischen Aspekte der Aktion wurden im Vorfeld ungenügend besprochen, sondern auch die inhaltlichen. Gefehlt hat eine breite Diskussion zum Thema Ökologie und soziale Kämpfe, nicht nur auf dem Camp, sondern auch mit den lokalen Aktivisten oder innerhalb von Beyond Europe. Eine Bewegung, für die die Überwindung des Kapitalismus nicht mit einem technologischen Rückschritt einhergeht, kann sich schließlich nicht generell gegen Bergbau wenden. Der Goldabbau in Chalkidiki mag unter besonders katastrophalen Umständen erfolgen. Zu diskutieren ist aber, wie und ob ein ökologisch verträglicher Goldabbau aussehen könnte oder man auf Gold als Rohstoff verzichten kann. Offen bleibt auch, welche Alternative man (neben der Holzpelletsfabrik) den Arbeitern in der Mine angesichts der grassierenden Arbeitslosigkeit in Griechenland bieten kann.
8. Ausblick
Mit vielen der Teilnehmenden und Organisierenden kann man darin übereinstimmen, dass das Camp ein Erfolg war, auch wenn nicht alles glatt lief. Es war schließlich das erste Camp von Beyond Europe. Obendrein war die Idee dazu relativ spontan entstanden. Aus den Fehlern kann für die Zukunft gelernt werden. Leute, die nicht Teil von Beyond Europe sind, sollten stärker in die Selbstorganisation des Camps eingebunden werden, um eine bessere Transparenz zu schaffen. Zu klären bleibt auch, wie praktische Solidarität weiter entwickelt werden kann, damit auch Leute teilnehmen können, die sich die Anreise nicht leisten können. Auch über die Dominanz von Männern bei öffentlichen Plena und vor allem bei der Besetzung der Podien der öffentlichen Veranstaltungen muss mehr als nur diskutiert werden.
Insgesamt war das Camp ein wichtiger, weiterer Schritt, um die Debatte und Vernetzung in Beyond Europe und darüber hinaus fortzuführen. Allerdings bleibt hier noch viel zu tun, schließlich bedeutet transnationale Organisierung mehr als jährliche Camps am Strand mit Diskussionen oder die ein oder andere große Aktion oder Demo, bei der den herrschenden Verhältnissen ein «Nein!» entgegen geschleudert wird. Wichtig wird es sein, die Kontakte, Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Camp zu nutzen, um weitere Schritte auf dem Weg zu einem gemeinsamen und schlagkräftigen Vorgehen gegen Staat und Kapital zu tun. Notwendig ist es auch, auf andere antikapitalistische und antiautoritäre Ansätze und Strukturen zuzugehen und zu versuchen sie mit einzubeziehen.
Auf das nächste Mal!