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Aktuelle Termine

CEE IEH-ARCHIV

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#221, März 2015
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#228, November 2015
#229, Dezember 2015
#227, Oktober 2015

Aktuelles Heft

INHALT #227

Titelbild
Editorial
• das erste: Wenn Steine fliegen, Wasser geworfen wird und der Staat sich zu rechtfertigen versucht…
• inside out: 1.000 Jahre DisLikezig
20th Anniversary Of The Infamous Mobb Deep
49 m² – Kunst im Café im Monat Oktober mit Fotografien von Elisabeth Stiebritz
Agnostic Front, Old Firm Casuals, Coldside, Übergang
LIIMA (Efterklang & Tatu Rönkkö) + Islam Chipsy
KLUB: Electric Island w/ Gerd Janson, Miriam Schulte, Karete
Gewalt, Militanz und emanzipatorische Praxis - Machen die Richtigen alles falsch?
Klub: Sub.island
Perkele
Klub Sonntag
Chefket
Hell Nights Tour 2015
Schnipo Schranke
Sondaschule - "Schön Kaputt Tour"
Klub: Electric Island / Efdemin b2b Margaret Dygas AllNightLong
• position: Bericht über die Arbeit an einem Infoheft für Asylsuchende in Leipzig, bis zur Verhinderung der Auslegung der Broschüren in den Unterkünften angewiesen durch das Sozialamt.
• position: »Für immer Punk möchte ich sein...«
• review-corner event: Identitätsziel Deutschland
• review-corner buch: Mehr Lebensdienlichkeit, bitte!
• doku: Der schmale Grat der Hilfe
• doku: »Die Fronten sind klar«
Marx Expedition 2015/16: Krisen und soziale Bewegungen
Hollywood, Helden und was das mit Political Correctness zu tun hat

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Identitätsziel Deutschland

Wie Wind kommt das von den Rändern,
weht das in der Mitte,
ist da wo Platz für uns ist,
sogar auch Platz für die?
Das ich gewandert bin,
wusste ich nicht und nicht wohin,
jetzt warte ich in der Mitte,
und wann kommen sie?

Hier in der Mitte,
endlich zu Hause,
geschlagen und blind,
du sagst das ist kein Sturm,
nein das ist Wind da,
das zieht dich rüber,
zu unseren sicheren Orten
aus ostdeutschen Kleinstädten.

Die Charts – Jacken an

Unter dem Titel Migrationsziel Deutschland. Hoffnung, Furcht und Populismus veranstaltete die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kunst (HTWK) in diesem Sommersemester eine Ringvorlesung, bei der einige der geladenen Redner bereits im Voraus für Unmut unter dem Zielpublikum sorgten.


Nach einer Auftaktveranstaltung, bei der man sich unter Mithilfe von Leipziger Künstlern(1) „zuerst unserer eigenen Positionen bewusst werden“ wollte, bevor man den Blick auf andere wirft, durfte Sandra Münch von Bon Courage e.V. Borna über den deutschen Asylprozess und die Lebenssituation Geflüchteter in Leipzig berichten, um darüber zu „konkreten Aktionsmöglichkeiten“ zu gelangen, „die zur Verbesserung der Lebenssituation Asylsuchender in Deutschland beitragen können.“ Der Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz(2) versuchte sich „den vielfachen Problemen der Migration“ über die Migrationsgründe und die „politisch-sozialen Bedingungen des Aufnahmelandes“ anzunähern, wobei Oliver Decker Letzteres durch die Präsentation der aktuellen Leipziger Mitte-Studie „zur rechtsextremen Einstellung“ in Deutschland näher auszuleuchten versuchte. Auch Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) war zu Gast, um „Chancen und Herausforderungen sächsischer Integrationspolitik“ vorzustellen.


Empörung auf Seiten des Sturas und einigen Studierenden aber verursachte die Einladung des Dresdner Politikwissenschaftlers Werner Patzelt, welcher über Patriotismus in der Einwanderungsgesellschaft sprechen sollte. Während ein Aufruf des Sturas ausdrücklich nicht die Verhinderung der Veranstaltung, sondern seine „kritische Begleitung“ zum Ziel hatte, löste der anonyme Aufruf (indymedia), Patzelt „den Auftritt zu vermiesen“, (diesem zufolge) eine „Bedrohungswarnung“ des Verfassungsschutzes an die Hochschulleitung aus und rief sowohl die Polizei als auch den privaten Sicherheitsdienst der Hochschule auf den Plan. Als eine Art Bannzeichen hatten es sich die Veranstalter zudem nicht nehmen lassen, Rosa Luxemburgs so bekanntes wie stets verkürztes Zitat von der Freiheit als der Freiheit der anders Denkenden in Schönschrift an die Tafel der Vorlesungssaals zu schreiben.


Tatsächlich kam es zu keinerlei Störversuchen, sodass selbst Patzelt im Nachgang die Grundstimmung recht treffend als „höflich, interessiert, kritisch - und ein wenig enttäuscht darüber, dass sich da kein deutschnationaler Rechtsaußen mit rassistisch-faschistischen Äußerungen präsentiert hatte“, beschreiben und über eine anschließende Diskussion, die ihm - „da eine vorzügliche Mischung aus kritischem Hinterfragen und Höflichkeit - große Freude machte“, berichten konnte. Es war vor allem konstruktive Kritik, die vom Publikum vorgebracht wurde. Es fiel Patzelt deshalb später nicht schwer zu konstatieren, dass diese Kritik ihm „inhaltlich [...] nicht zusetzen“ konnte, „weil ja nichts von alledem, was vorab über mich in [...] 'kritischer Absicht' verbreitet worden war (und offenbar den Erwartungshorizont wenigstens eines Teils des Publikums prägte), mit dem übereinstimmt, was ich wirklich vertrete“ - man müsste korrigieren: vor Ort vertreten habe. Denn mit der Schwerpunktsetzung der Kritik auf Patzelts Verhältnis zu Pegida wurde im Vorfeld einer inhaltlichen Ausrichtung Vorschub geleistet, die angesichts des Vortragsthemas nicht nur leicht beiseite geschoben werden konnte, sondern Patzelt sogar die Inszenierung einer oppositionellen Haltung gegenüber Pegida ermöglichte.


So wählte er als Einstieg „einige Bemerkungen über den Wert einer Einwanderungsgesellschaft, und zwar gerade in Deutschland“, und sprach von Weltoffen-, Vielfalt- und Buntheit als naturgemäßen Voraussetzungen einer solchen. Statt „über die Risiken […] zu beratschlagen oder gar zu klagen, die natürlich auch einhergehen mit einer Einwanderungsgesellschaft“, schien es ihm besser, sich um „gute Voraussetzungen für die Nutzung der Chancen [...] zu kümmern.“ Denn „aufgrund unserer demographischen Entwicklung brauchen wir schlechterdings Einwanderung, […] wenn wir unsere gewerbliche Wirtschaft aufrecht erhalten wollen, unseren Dienstleistungssektor, insbesondere auch unsere Sozialstandards.“ (3)


Zu diesen Voraussetzungen zählt nach Patzelts Auffassung jedoch nicht die Veränderung der Rechtslage. Wie der eine Woche darauf zur Ringvorlesung eingeladene Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung (SLpB) Frank Richter gab sich dessen Kuratoriumsmitglied Patzelt davon überzeugt, dass unser „bestens strukturiertes Gemeinwesen“ (Richter) mit seinem Aufenthaltsrecht „gottlob […] im Grunde, freilich nicht immer in der Praxis, solche notwendige Einwanderung in unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem ziemlich leicht erlaubt.“ Doch eine „gute Gesellschaftsordnung“ meinte schon Richter, macht „freilich […] noch keine gute Gesellschaft.“


Bei seiner Forschung zu Pegida hielt es Patzelt für „besonders brisant“, dass sich „der soziale Konflikt mit einem kulturellen Konflikt verbindet, seit es neue nennenswerte Zuwanderung aus dem islamischen Kulturkreis gibt.“ Um diesem soziokulturellen Konflikt entgegenzuwirken schlussfolgerte er, ist es „nicht damit getan, bloß für Einwanderung offen zu sein[, …] sondern es ist auch notwendig, für eine aufrichtige, nicht vorgeblendete [...] Willkommenskultur zu sorgen“. „Aber“, schränkte er ein, „auch das reicht noch nicht.“ Denn „wir müssen anschließend dafür sorgen, dass die Gesellschaft, die immer mehr Einwanderer aufnimmt, weiterhin zusammenhält.“


Schließlich vernimmt Patzelt „Spannungen, die einesteils zwischen schon Ansässigen und Einwanderern entstehen, und von denen leider Gottes so manche Zeitung zu berichten weiß“ - die er an dieser Stelle gottlob jedoch opfer- und täterlos anonymisieren kann - „aber auch [...] Spannungen, die unter Asylbewerbern und Bürgerkriegsflüchtlingen immer wieder entstehen, weil ja sie sehr häufig aus Gruppen kommen, die in ihren Ländern“ nicht selten unter Zuhilfenahme deutscher Exportwaffen oder angeheizt durch geostrategische Interessen „selbst untereinander Spannungen auszutragen haben.“


„So eine Gesellschaft“, in die Einwanderer Spannungen hineinbringen, „muss zusammengehalten werden,“ weiß Patzelt, „und das ist nichts, was sich von selbst tut,“ sondern „etwas, das unserer steten Fürsorge, unseres ständigen Einsatzes bedarf.“ Dieser ethisierte Ruf nach Fürsorge bringt jedoch mit der gewendeten Forderung nach einer „gut überlegte[n] und wirkungsvolle[n] Integrationspolitik“ ebenjene Autorität ins Spiel, die im lateinischen prō-cūrāre bereits angelegt ist. Ich werde später darauf zurückkommen, zumal Patzelt mit der Beteuerung, Integrationspolitik sei „nicht zu verstehen als Assimilationspolitik“ zunächst einen Schritt zurückweicht, um mit Anlauf zum Sprung anzusetzen: Integrationspolitik sei zu verstehen „als Politik, die sich das Ziel setzt, für gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sorgen. Und genau an dieser Stelle kommt der Patriotismus ins Spiel.“


Nun geht es Patzelt bei alledem jedoch „nicht um Patriotismus schlechthin, sondern um den auf die Nation bezogenen Patriotismus“. Auch kennt er die Bedenken der Nationalismusdebatte, dass, wie er es euphemistisch und mit kindlicher Unschuld versehen formuliert, „diesbezüglich gebrannte Kinder wie die Deutschen […] das Feuer [besser] scheuen“ und „sich ernsthaft die Frage stellen“ sollten, „ob es ohne Patriotismus nicht auch gehen könne.“ Doch welch eine Provokation, deren Widernatürlichkeit im Vergleich mit anderen europäischen Nationen schnell vorgeführt wird und in der tautologischen Schlussfolgerung mündet: „Die Frage, ob es ihn brauche, stellt sich in gewisser Weise gar nicht: Es gibt ihn einfach.“(4)


Was aber versteht Patzelt unter Patriotismus? Es geht ihm um „das Vaterland, das Mutterland, die Heimat. Dort wächst man auf, dort schlägt man Wurzeln, dort fühlt man sich zugehörig.“ Das gilt auch für jene, die nicht an diesem Ort geboren wurden, sondern ein- oder wie Patzelt stets in bestem CDU-Sprech formuliert: zugewandert sind. Denn „wie auch immer die Beziehung zu so einer patria zustande kommt, wer eine solche patria besitzt, der möchte dort meistens auch ein gutes Gemeinwesen bestehen sehen und nicht selten will man zu so einem guten Gemeinwesen auch selbst beitragen. Und genau das meint Patriotismus.“(5)


Diese Definition brachte ihm in der Diskussion den Vorwurf der begrifflichen Leere ein. Ein kritisch gemeinter Kommentar etwa hielt die von Patzelt vorgebrachten Ziele „eher mit Humanismus und Menschenliebe erreichbar“, wobei dieser selbst bereits den Patriotismus in seinem Vortrag als ein „fruchtbares und überaus humanes Prinzip für eine Einwanderungsgesellschaft“ bezeichnet hatte. Deshalb führte Patzelt als Beispiele für seinen aufgeklärten Patriotismus (neben seiner eigenen Person) auch „Hunderttausende“ an, die sich beruflich oder ehrenamtlich täglich um eine Willkommenskultur in Deutschland bemühen. Diesen politischen Schritt Richtung NoPegida hatten wohl die Wenigsten erwartet, wenngleich ganz Ähnliches schon von anderen Pegida-Verstehern zu hören war. Patzelt nahm den zugespielten Ball gerne auf: „Nennen Sie das Kind wie Sie wollen; Hauptsache Sie begreifen, worum es geht. Nämlich um eine Haltung, und zwar eine Haltung, bei der man nicht auf die Herkunft von Menschen achtet, sondern auf die gemeinsame Zukunft und jedem die Möglichkeit gibt, mitzuwirken daran, dass dort, wo man mit den Anderen lebt, eine gute Gesellschaft entsteht und gutes Leben möglich ist.“ Fast schon sozialdemokratisch wurde es, nachdem ein Diskussionsteilnehmer ihn auf das Fehlen von Interessengegensätzen „beispielsweise zwischen Staaten, beispielsweise innerhalb von Gesellschaften“ in seinem Konzept hinwies. Nun wurde der Patriotismus glatt zum „Bemühen, die ganz legitimen Interessenskonflikte zwischen konkreten Leuten auf einem konkreten Fleck der Welt so zu regeln, dass sich am Ende nicht die Stärkeren gegen die Schwächeren durchsetzen“ und so ein Gemeinwohl entstehen kann.


Vor dem Hintergrund des zweifachen Griffs nach der Weltmacht, aber auch des von Patzelt angeführten Umstands, dass der im 19. Jahrhundert wurzelnde deutsche Patriotismus „meist mit dem Obrigkeitsstaat verbunden“ war, „eine über den Nationalstaat hinausweisende internationale Orientierung hingegen oft mit dessen demokratischer Kritik“, kurz: ein „vergiftete[r] Zusammenhang von Nation und Patriotismus“ bestand, behalfen sich linksliberale Denker in der frühen Bundesrepublik mit der „Aushilfskonstruktion“ Verfassungspatriotismus. Ebenso wie sein DDR-Pendant einer sozialistischen Nation stellte dieser zumindest in Aussicht, „wirklich alle Volksgruppen, Minderheiten und Zuwanderer zu einer postnationalen multikulturellen Bevölkerung zu integrieren.“


Doch der von den Verfechtern des Verfassungspatriotismus unterstellte gesellschaftliche Konsens nach 1945 war gegenüber der faschistischen Erbschaft von Beginn an fiktiv und machte es, einmal auf das Terrain des politischen Gegners gewechselt, diesem nicht schwer, den falschen Schein für inszenierte Tabubrüche zu nutzen. Auch Patzelt wies darauf hin, dass „dieser normative Bezugsrahmen von Patriotismus nicht mit jenem faktischen Bezugsrahmen identisch ist, der sowohl von den lange schon Ansässigen, als auch von den Zuwanderern tatsächlich verwendet wird.“ Zwar sei der Verfassungspatriotismus „ethisch und intellektuell höchst attraktiv“, doch fehle „seinem Empfindungsspektrum […] jene emotionale Bindung an die Leute im Land, die für zusammenhaltenden Gemeinsinn so wichtig ist.“ Obendrein erkennt Patzelt in ihm die Möglichkeit einer „Ausgrenzungsdoktrin […], wenn etliche seiner Prinzipien wichtigen Gruppen von Zuwanderern als unvereinbar mit jener Kultur gelten, in der sie nun einmal den Kern ihrer Identität finden und von welcher sie auch im neuen Heimatland nicht lassen wollen.“(6) Er beobachtet deshalb auch vollkommen zutreffend, dass „gemeinsame Verfassungsprinzipien und Sprache […] nicht ersetzen [können], was an sozialer und kultureller Integration nun einmal fehlt.“ Doch geht er diesen Schritt nur, um mit einem weiteren beide Ebenen letztlich gegeneinander auszuspielen. So könne „soziale und kulturelle Integration selbst dort konfliktentschärfend wirken, wo es an innerer Bindung an gemeinsame Verfassungsprinzipien noch mangelt.“


Patzelt widmet sich dabei stets ausschließlich der kulturellen Integration.(7) Denn während „die Deutschen“ in seinen Augen „ihren Zuwanderern materiell oft Ansehnliches bieten“(8) - Internierung, Gutscheinsystem, Residenzpflicht, faktisches Arbeitsverbot – eröffnen sie ihnen „ideell ein höchst dürftiges Angebot […]: Keinerlei Kulturinhalte werden aufgewiesen, mit deren Aneignung die Perspektive auf ein wirkliches und nicht nur formales Dazugehören verbunden wäre – oder gar irgendwelche Hoffnungen auf ein Stolzseindürfen!“ Das sei umso wichtiger, als die Einwanderer auch „Teil[e] ihres kulturellen Erbes“ mitbringen und insbesondere „viele Schwierigkeiten mit der Integration bewusst islamischer Minderheiten“ zeigen, „dass Kultur nun wirklich keine private Allüre ohne Bedeutung für den gemeinsamen öffentlichen Raum ist, und dass gerade Religion eben keinen Atavismus darstellt, der im westlichen Milieu wie von selbst auf rein private Praxen zusammenschmelzen würde.“(9)


Es zeigt sich schnell, dass die Kritik an der „Zurückweisung kultureller Integrationswünsche“ von Einwanderern(10) durch den Verfassungspatriotismus in erster Linie die Lanze für eine deutsche „Leitkultur“ brechen soll. Gegen mögliche Einwände malt Patzelt deshalb sogleich das Schreckgespenst „jene[r] Sackgassen von Parallelgesellschaftlichkeit“ an die Wand, „in die so viele Zuwanderer immer wieder das Angebot lockt, in unserer Mitte unter Ausblendung von deutscher Kultur und von kulturell vermittelter Gefühlsbindung an Land und Leute leben zu können.“ Stattdessen bedürfe es unter den Deutschen der „Verbundenheit mit ihrer jeweiligen Heimatregion, d[er] innere[n] Bindung an deren Mundart, Landschaft und Bräuche“, die unter den Einwanderern zwar „auf lange Zeit die innere Bindung an ihre Herkunftsländer einschließen“, jedoch „hoffentlich mehr und mehr die neue Heimat einschließen wird“. Des Weiteren verwehrt er sich deutscher Innerlichkeit: Zum Patriotismus gehöre außerdem „eine nicht nur tatkräftig ins Werk gesetzte, sondern immer wieder auch in ganz selbstverständlicher Weise bekundete Zuneigung zum eigenen Land und zu dessen Leuten, zu Deutschlands Kultur und zu seinen Geltungsansprüchen“.


Diese patriotische Praxis kann etwa darin bestehen, „gut über das eigene Land und seine Bevölkerung zu sprechen“ oder Nationalsymbole zu verwenden (Patzelt-Sprech: zu pflegen), aber auch „Trauer darüber“ zu bekunden, „wie Deutsche und ihre provozierten [sic!] Gegner unser Land“ im Zweiten Weltkrieg „zugerichtet haben“. Denn daraus könne „Mitleid erwachsen – und dann auch Zuneigung“.(11)


Doch hat Patzelt bei alledem ein Problem diagnostiziert, das wohl auch seine Sympathie für Pegida mitbegründet hat. Denn deutscher Patriotismus, so meint er, zerfalle „entlang der Milieuübergänge zwischen den ˏeinfachen Leutenˊ und den Gebildeten oder Intellektuellen.“ Zwar existiere ein „ziemlich ungebrochener alltagspraktischer Patriotismus“, der vom „Lob deutscher Wertarbeit“ bis zur Freude am Erfolg von Nationalsportlern reiche und „selbst unter Intellektuellen wenig riskant“[?!] sei, aber fehle diesem gerade eben „seine intellektuelle Abrundung und integrierende Repräsentation.“


Darum fühle sich „Deutschlands Bevölkerung […] von ihren Eliten oft dort im Stich gelassen, wo diese die Inhalte und Geltungsansprüche der in unserem Land gelebten Kultur verständlich formulieren, klar erkennbar vor Augen führen und in redlicher Wertschätzung halten könnten.“ Doch geht Patzelt noch weiter. So fühlten sich „die einfachen Leute von den […] Eliten nicht nur im Stich gelassen, sondern oft sogar provoziert, wenn es um den Wunsch geht, sich arglos mit ihrem Land und seinen Leistungen zu identifizieren und auf das alles Stolz sein zu dürfen.“


Patriotismus aber will, wie Detlev Claussen feststellte, die „Sehnsucht der Menschen nach Geborgenheit in einer bedrohlichen Welt aus[beuten].“ Die Zugehörigkeit zur Nation soll dabei den „Mangel an Souveränität kompensieren, unter dem der einzelne in der modernen Welt leidet.“ Der Patriotismus spiele die „Sicherheit falscher Gefühle gegen die Unsicherheit einer widerspruchsvollen Wahrnehmung der Wirklichkeit aus.“ Er gewähre dem Menschen einen „konformistischen Schutz, der ihm das Gefühl gibt, Teil eines „Wir“ zu sein.“(12) So sorge er schließlich für ein „Gefühl von Legitimität; denn ohne Nation gibt es keine Vergesellschaftung in der modernen Welt. Die Sprache des „Wir“ scheint realitätsangemessen.“ Und diese nationale Wahrnehmung kann jene Einheit stiften, „die als emotionaler Prozeß in der Lage ist, soziologische Wunder zu vollbringen. Sie spricht die Ambivalenz gegenüber der Autorität an. Sie vermittelt eine spontane Antwort auf die Frage Wer sind wir?: Die nationale Zugehörigkeit garantiert dem Individuum das rational unmögliche, nämlich Mitglied einer Elite und der Mehrheit zugleich zu sein.“


Dieser Anspruch lässt sich auch bei Patzelt finden. Immerfort sucht er nach der „einenden Kraft“, die alle „zum gemeinsamen Handeln im Dienst des Gemeinwohls“ zusammenbringen soll: einfache Leute und Elite, Konservative und Linke, deutsche Mehrheitsbevölkerung und Zuwanderer.


Angesichts des „Einwanderungsdrucks“ und des „Wandels unseres Landes zu einer multikulturellen Einwanderungsgesellschaft“ läd Patzelt sein (leit)kulturell dominiertes Konzept eines nationalen Patriotismus zumindest vordergründig nicht ethnisch auf. Vielmehr sei sie „unter Beteiligung der Ansässigen, der Zuwanderer, der Durchreisenden und derer, die aus der Ferne vorbildhaft wirken“, entstanden und werde „durch die Dynamik vorhandener und durch den Eintrag neuer Kulturelemente auch veränder[t]“. „Zum Patrioten“, bekennt er offen, „kann ein jeder Einwanderer werden, denn beim Patriotismus kommt es niemals auf die Herkunft an, sondern immer nur auf die Zukunft.“ An anderer Stelle scheint er sich gar von einem ethnischen Nationsverständnis abzugrenzen. Eine Nation könne, so meint er, „auch mehr sein als ein Abstammungsverband: nämlich eine kulturelle Gemeinschaft, der man nicht nur durch Geburt, sondern außerdem kraft eigenen Wunsches angehören kann“. Das entspricht vollkommen den derzeitigen innenpolitischen Anforderungen Deutschlands als neuem „Hegemon wider Willen“ (The Economist) in Europa.


Doch „Franzosesein“, forderte schon der mittlerweile von seiner Tochter politisch entsorgte französische Radau-Antisemit Jean-Marie Le Pen, „das muss man sich verdienen“. Und so schrieb auch Patzelt in der Zeitschrift Die politische Meinung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) über Patrioten, sie würden sich „gewiss um ihre Heimat“ kümmern, „doch […] sehen sie es gern, wenn sich auch andere um ihre Heimat kümmern.“(13) Kurz: Es geht um „Loyalitätsbindungen“, die eine „bestandsfähige, zusammenhaltende […] politische Ordnung“ zum „dauerhaften Bestand“ des Vaterlandes garantieren können. Und darum geht es auch Patzelt in seinen KAS-Instruktionen zu „Herausforderungen politischer Elitenkommunikation“. Eingespannt werden soll dafür unbedingt der kulturindustrielle Staatsapparat. Die Verbindung von Heimatliebe und Patriotismus sei „allein kommunikativ zu schaffen und in Geltung zu halten“, meint Patzelt, „aufgeschichtet von der Alltagskommunikation über die in den Massenmedien umlaufenden Narrationen […] bis hin zu den ihrerseits auf massenmediale Vermittlung angewiesenen Beiträgen von Deutungseliten aller Art.“(14) Doch sieht er in Deutschland eine Art „kulturelle[n] Guerillakrieg“ im Gange, der von linken Nestbeschmutzern geschürt werde. So fragte Patzelt Mitte Dezember bei MDR Fakt ist … rhetorisch: „Wollen wir unsere kulturelle Identität überhaupt aufgeben?“ Und schloss an: „Als [...] die Debatte um die Leitkultur kam, ist sie nicht in diesem Sinne wahrgenommen worden, dass es eine gemeinsame Kultur geben solle, in die hinein wir andere integrieren, sondern das sei ein Vorschreiben von deutscher Identität, [...] das heißt, die ganze Debatte ist hoffnungslos vergiftet gewesen.“


Doch die Abgrenzung vom ethnischen Nationalismus vollzieht Patzelt nur vordergründig. Gänzlich abstrakt wirkt seine Kritik an der Formalität des Verfassungspatriotismus, die Heimat „nicht geographisch [zu] definier[en ...], nicht bezogen [...] auf ein bestimmtes Volk, auf dessen Siedlungsgebiet, auf dessen kulturelle Besonderheiten,“ sondern sich „allein oder allenfalls auf gemeinsame politische und rechtliche Grundsätze“ festlegen zu wollen, „unter denen auf dem gleichen Gebiet zusammenleben sollte, wer immer diese Grundsätze zu akzeptieren bereit war.“ Gemessen an diesen Maßgaben hätte die Bonner Republik ohne Weiteres auch seine Patriotismus-Anforderungen erfüllt. Ihm aber geht es um das Zusammenbringen von „Deutschtum und Demokratie“, und dafür wird ihm die sogenannte Wiedervereinigung zum Schlüsselmoment(15). Denn auch wenn jetzt der „Blick auf die Landkarte [...] das kleinste Deutschland zeigt, das es je gab“, gibt es doch immerhin „wieder einen gemeinsamen Staat der Deutschen“. Ohnehin umfasst für Patzelt die deutsche Kultur wie bereits für Ludwig I. von Bayern nach der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation („Teutschlands tiefster Schmach“) alle Gebiete „teutscher Zunge“. Und so nimmt Patzelt ausgerechnet den „jüdischen Deutschen Marcel Reich-Ranicki“ zum Ausweis dieses sprachgebundenen Patriotismus. Denn zwar konnten ihn „die Nationalsozialisten […] von der Berliner Universität fernhalten, ins Warschauer Ghetto sperren“, seine Eltern vergasen und ihm „nach dem Leben trachten. Doch hörte er nie auf, die deutsche Sprache und Literatur als seine ‚transportable Heimat‘ zu lieben“.(16)


Wo also ist für Patzelt der konkrete Bezugsrahmen deutscher Nationalität und Kultur und wo liegen deren Grenzen? Bereits in seiner Kritik an Martin Walsers umjubelten Rede in der Frankfurter Paulskirche hatte Claussen den Quell des ganzen Ärgers entdeckt: „Das neue Deutschland, das nicht neu, sondern wiedervereinigt sein will, braucht die Vergangenheit mehr denn je.“ Die leere Rede von der nationalen Identität wecke das Bedürfnis nach Inhalt, der sich in einer ziellosen Gesellschaft nur aus der Vergangenheit ziehen lasse. Um an den gekränkten kollektiven Narzissmus anschließen zu können, sei wiederum eine neue Vergangenheitspolitik vonnöten, „in der die Deutschen wieder Herr im Hause ihrer eigenen Geschichte sein wollen.“(17)


Bei Patzelt äußert sich dieses Verlangen in der Forderung, die bundesdeutsche Geschichtsschreibung aus der „Engführung“ auf das zu kurz geratene tausendjährige Reich hin zur tausendjährigen „Geschichte unserer Nation und ihrer Vorgängervölkerschaften“ zu führen. Das scheint ihm umso leichter, als dass der gescheiterte zweite Griff nach der Weltmacht „unser Land und seine Kultur wieder auf jenen Umfang zurück[drängte], der vor knapp tausend Jahren schon einmal erreicht war.“ Zwar steht der bruchlosen Kontinuität und überzeitlichen Identität „der Blick auf die Stadtbilder“ entgegen, an „denen sich die Zerstörung des alten Deutschland durch den Bombenkrieg jederzeit ansehen lässt“, Doch ist dieses Deutschland „immer noch eines der wirklich großen Länder Europas mit der zahlenstärksten Bevölkerung“, und „die Zerstörung seiner Städte und gleichsam eines Großteils seiner Seele“, der „endgültige Verlust eines Viertels seines Siedlungsgebiets und der dort einst lebendigen deutschen Kultur“ ist seit dem Ende der „verlänger[ten...] Diktatur der Nationalsozialisten durch die der Kommunisten“ in der DDR der „Rückgewinnung deutschen Selbstbewußtseins“ gewichen. „Vordergründig-aufgesetzt“ sei dies in der Außenpolitik der rot-grünen Koalition gewesen, „viel länger schon in den deutschen Städten und ihrer Architektur, und seit der Wiedervereinigung auch in der geschichtlichen Erinnerung und politischen Kultur. Die Härte so vieler Deutscher gegen die eigene Nation beginnt sich zu mildern,“ frohlockt er, und hofft: „vielleicht auch die Selbstgerechtigkeit und Fühllosigkeit der Nachgeborenen.“


Es zeigt sich: Patzelts Patriotismus ist alles andere als etwas einleitend postuliert natürlich Gegebenes. Er selbst scheint dies zu berücksichtigen, wenn er betont, dass der deutsche Patriotismus „nie wieder so flach sein [wird] dürfen, wie er früher einmal war oder wie der Patriotismus in anderen, selbst unzweifelhaft freiheitlichen Staaten heute noch zu sein pflegt.“ Daher seine Interventionen in „mentalitätstherapeutischer Absicht“.


Im Rahmen der HTWK-Ringvorlesung versuchte er die aktuelle Einwanderungswelle produktiv zu deuten, weil Immigration das in eine „demographische Krise geratene“ Deutschland „stark halten“ könne. Zwar spricht er im Ankündigungstext seines Vortrags explizit davon, dass „gerade eine multikulturelle Gesellschaft [...] viel Kitt“ benötige, „um nicht auseinanderzufallen.“ Die einheitsstiftende Vorstellung findet sich aber, wie wir gesehen haben, auch jenseits der Thematisierung von Einwanderung. So heißt es etwa an anderer Stelle, Patriotismus sei „besonders wichtig in Zeiten, da längst nicht alle Probleme gesellschaftlichen Zusammenhalts und sozialer Gerechtigkeit gelöst oder wenigstens im Griff sind – und somit im Normalfall.“


Wenn Patzelt aber auf Interessenkonflikte innerhalb der deutschen Gesellschaft zu sprechen kommt, sind es stets solche zwischen Kulturkreisen (deutsche Mehrheitsgesellschaft vs. immigrierte Minderheiten) oder Loyalitäts- und Repräsentationskonflikte zwischen politisch Herrschenden und Beherrschten (einfaches Volk vs. politische Klasse). Selbst gesellschaftliche Verteilungskämpfe werden allein zwischen ethnisch weitestgehend homogen vorgestellten EinwohnerInnen und heterogenen EinwanderInnen befürchtet. Dass Deutschland eine Klassengesellschaft mit entsprechend strukturell in Widerspruch stehenden Interessen ist, kommt schlicht nicht vor. Vorstellbar sind ihm unterschiedliche „Kriterien dafür, was ein gutes Gemeinwesen wäre,“ nur „zwischen den Kulturen“ oder zwischen verschiedenen historischen Gesellschaftsformationen (Wandel „im Lauf der Jahrhunderte“).


Patzelt war mit dieser Vorstellung eines sich „nicht selbstsüchtig[en] Ein[...]bringen[s]“ für das bestehende Gemeinwesen jedoch nicht der Exot in dieser Vorlesungsreihe. Bereits im Ankündigungstext der Ringvorlesung heißt es: „so grundverschieden die Positionen von „Abendspaziergängern“ und Gegendemonstranten waren – gemeinsam ist ihnen, dass sie jeweils für eine – aus ihrer Sicht – allgemein wünschenswerte deutsche Identität eintreten.“


An einer Leipziger Hochschule, die der emeritierte Extremismusforscher Eckhard Jesse wenige Wochen zuvor gegenüber der Leipziger Volkszeitung als Magnet für Linksextremisten charakterisiert hatte, wäre angesichts solch einer provokativen Ankündigung einiges an Gegenprotest zu erwarten gewesen. Doch die überwiegend kritischen Stimmen aus dem Publikum verwehrten sich zwar der patriotischen Vereinnahmung, blieben weiterhin jedoch ausnahmslos konstruktiv. Die in die richtige Richtung weisende Frage, weshalb diese Gesellschaft überhaupt einen so großen Bedarf an Kitt hervorbringt, wurde nicht gestellt. Dabei liegt im Begriff selbst schon die Funktion des Verkleisterns gesellschaftlicher Verhältnisse offen zutage.


Vielleicht lag die ausbleibende destruktive Kritik an der ebenfalls von Jesse diagnostizierten Schwäche der Antideutschen in Leipzig. Noch im April hatte Patzelt in einer Folge des russischen Auslandspropagandasenders RT Deutsch die Antideutschen als eine „sehr, sehr merkwürdige Bewegung“ bezeichnet, „die sich nur verstehen lässt, aus einer tiefgreifenden Verstörung von Deutschen über ihr eigenes Land und seine eigene Kultur“. Und RT Deutsch-Reporter Nicolaj Gericke fasste daraufhin zusammen: „Wenn es nach den Zielen der Antideutschen gegangen wär', dann hätten wir überhaupt gar keine Wiedervereinigung in Deutschland gehabt, also all das, an das wir uns hier schon längst gewöhnt haben“.


So aber mussten und müssen wir uns an einiges gewönnen. Dazu gehört neben der vorwiegend auf distinktionale Abgrenzung zielenden individualistischen Kritik am Patriotismus anscheinend, dass der Veranstaltungsorganisator und Leiter des Hochschulzentrums für überfachliche Bildung, Martin Schubert, sich nach solch einer Veranstaltung unwidersprochen für das „typisch deutsche“, „sehr disziplinierte“ Verhalten der Diskussionsteilnehmer bedanken darf.



von shadab

Anmerkungen

(1) Angekündigt war auch die HTWK-Studentin und Poetry-Slammerin Nhi Le, die zwei Wochen zuvor mit einem Videobeitrag an der Standortkampagne So geht sächsisch. mitgewirkt hatte.


(2) Zu Maazens Ansichten über die „politisch-sozialen Bedingungen des Aufnahmelandes“ siehe auch Der hilflose Antirassismus. Pegida und die Folgen, in: CEE IEH #223, S. 55.


(3) Deutlich pessimistischer fiel später eine Wortmeldung Patzelts bei Facebook aus: „Deutschland ist keine Art Paradies, wo jedem nach seinen Bedürfnissen gegeben wird. Im allerbesten Fall winkt ein gelingendes Berufsleben, wie es so viele Deutsche haben. Doch im üblichen Fall wartet harte Arbeit ganz ohne sonderlichen Aufstieg, den erst die Kinder machen werden – falls sie sich nicht in Sonderkulturen eingekapselt, sondern in unser Land integriert haben. Und sehr viele der Migranten werden wohl auf Dauer nicht mehr als eine Existenz auf Hartz IV-Niveau führen können, weil sie es nicht schaffen werden, die für den ihnen zugänglichen Arbeitsmarkt nötigen Qualifikationen oder überhaupt die erforderlichen Sprachkenntnisse zu erwerben.“


(4) In einem älteren Text, von dem sich jedoch viele Passagen auch in seinem HTWK-Vortrag wiederfanden, naturalisierte Patzelt Patriotismus noch weiter: Die Frage nach seiner Notwendigkeit stelle sich „ebenso wenig wie die Frage, ob die Phasen des Mondes oder die einander abwechselnden Jahreszeiten verzichtbar wären: Es gibt das alles einfach.“ Der Text erschien 2006 als Teil des Sammelbandes Einigkeit und Recht und Freiheit. Deutscher Patriotismus in Europa der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung und wurde vom heutigen Präsidenten des Sächsischen Landtags, Matthias Rößler (CDU), herausgegeben.


(5) Patzelts Vortrag basierte zu wesentlichen Teilen auf einer Festrede, die er zum Deutschen Burschentag 2006 auf der Wartburg unter dem Titel Deutscher Patriotismus und sein Wert hielt. In der damaligen Variante kam allerdings die Möglichkeit des Patriotismus der Eingewanderten, obwohl sie bereits Bestandteil älterer Erörterungen (vgl. Fußnote 4) war, nur rudimentär vor.


(6) Als institutionalisierten Ausdruck dieses Verfassungspatriotismus begreift Patzelt auch den sog. Einbürgerungstest. Als „diskriminierend“ gilt ihm in diesem Zusammenhang das Ansinnen, „nur von Zuwanderern ein Bekenntnis zu unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu verlangen – unter den Deutschen aber nur von jenen, die in den öffentlichen Dienst eintreten wollen.“ Denn „nicht einmal das Grundgesetz fordert von den Deutschen ein positives Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung, sondern nur den Verzicht darauf, sie zu bekämpfen. Warum soll man von Zuwanderern dann mehr verlangen?“ Zum eigentlichen Kern von Patzelts Kritik siehe Fußnote 9.


(7) Dass der sozialen Integration gerade von AsylbewerberInnen das Vorenthalten der Bürgerrechte wie auch die Unterwerfung unter eine Sondergesetzgebung entgegenstehen, wird von Patzelt an keiner Stelle thematisiert.


(8) Erst jüngst gab Bundesinnenminister Thomas de Maizière bekannt, die Leistungen für AsylbewerberInnen kürzen zu wollen. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass auch diese mit nicht weniger als dem als „menschenwürdiges Existenzminimum“ geltenden HartzIV-Satz abgespeist werden dürfen, „aber wir können“, stellte der Minister erleichtert fest, wieder „mehr Sachleistungen machen, wir können uns das Taschengeld genauer anschauen“.


(9) Dem widersprechen freilich die Ergebnisse der 2009 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und der Deutschen Islamkonferenz veröffentlichten Studie Muslimisches Leben in Deutschland. Nichtsdestotrotz hegt Patzelt gegenüber dem Einbürgerungstest den Verdacht, ein „von kulturellen Selbstverständlichkeiten überhaupt nicht unterfangenes Lippenbekenntnis“ zu sein.


(10) So hieß es im HTWK-Vortrag: „Ihrerseits wollen sie meist ebenfalls nicht nur die bundesdeutschen Verfassungsprinzipien und die deutsche Sprache zum Angelpunkt ihres kulturellen Selbstverständnisses machen. Mehr aber bekommen sie an verbindenden Gemeinsamkeiten von Verfassungspatrioten nicht angeboten.“


(11) Bereits 1988 hatte Detlev Claussen in seinem Aufsatz Über die Entstehung einer neuen deutschen Ideologie festgestellt, dass in der Debatte um eine nationale Identität in Deutschland „an die Stelle fehlenden Mitleids mit den Opfern [...] Selbstmitleid“ trete, und dieses Phänomen als Fortsetzung und Wiederkehr der Schuldabwehr während der restaurativen 50er Jahre in der Bundesrepublik gedeutet, wie sie bereits von Hannah Arendt beobachtet worden war. So wird denn der Nationalsozialismus bei Patzelt auch zur „Katastrophe unseres Volkes“.


(12) Diese Einsicht findet sich schon bei Max Weber, der sich in seinen Erörterungen zum Nationalgefühl schließlich darauf zurückgeworfen sah, dass man beim Begriff der Nation „immer wieder zu politischen Macht hingewiesen“ werde, „und offenbar […] „national“ – wenn überhaupt etwas Einheitliches – dann eine spezifische Art von Pathos“ sei, „welches sich in einer durch Sprach-, Konfessions-, Sitten- oder Schicksalsgemeinschaft verbundenen Menschengruppe mit dem Gedanken einer ihr eigenen, schon bestehenden oder von ihr ersehnten politischen Machtgebilderorganisation verbindet, und zwar je mehr der Nachdruck auf „Macht“ gelegt wird, desto spezifischer.“


(13) Zu den Folgen dieser Erwartungshaltung siehe auch den in diesem Heft dokumentierten Text Der Schmale Grat der Hilfe. Den Beleg erbrachte mittlerweile die ehemalige Familienministerin Kristina Schröder (CDU) in einem Gastbeitrag der Zeitung für Deutschland (FAZ): Diejenigen Flüchtlinge, die nicht sofort im ersten Arbeitsmarkt unterkommen, aber länger bleiben dürfen, „sollten als Bundesfreiwilligendienstler die Chance haben, dem Land, das ihnen Schutz bietet, etwas zurückzugeben,“ und „ihren Dienst an der Gemeinschaft [...] in Behinderteneinrichtungen und Seniorenheimen, Schulen und Krankenhäusern, kulturellen Einrichtungen und Entwicklungshilfeorganisationen“ antreten. Denn die Flüchtenden werden „besonders als Freiwillige in den sozialen Berufen benötigt […], vor allem aber: Sie sitzen [dann] nicht herum, sondern sie leisten etwas“.


(14) Zu dieser Art Umformung politischer Ideologie in Alltagsreligion hatte Detlev Claussen bereits festgestellt, dass „international bekannte Codewörter wie „nationale Identität“ das Bedürfnis nach gesellschaftlicher Kontinuität [befriedigen], ohne jedoch den Sprecher als hoffnungslos antiquiert erscheinen zu lassen. Die Sprache des Jargons wird nach dem Muster der Werbung geformt; die Sache existiert nur in der Form ihrer Präsentation. Die kommunikative Realität verselbstständigt sich.“


(15) Im Begriff der Wiedervereinigung selbst steckt bereits das Verständnis von einer Rückkehr in die Normalität.


(16) Nach der Flucht aus dem Warschauer Ghetto versteckten der arbeitslose polnische Schriftsetzer Bolek Gawin und seine Ehefrau Genia die Eheleute Reich-Ranicki vor den Nazis. In seiner späteren Autobiografie schilderte Reich-Ranicki sein Verhältnis zur deutschen Sprache weniger heimelig. Um die Gunst der armen Familie Gawin nicht zu verlieren, erzählte er jeden Abend deutsche und europäische Romane nach. In Anlehnung an die persischen Erzählungen von Tausendundeine Nacht nannte er dieses Um-sein-Leben-Erzählen selbst als Scheherazade-Motiv. Er sah sich somit mit dem Paradoxon konfrontiert, sich nur durch die deutsche Literatur vor Deportation und Vernichtung durch Deutsche schützen zu können. Patzelt aber schreibt von Reich-Ranickis „portablen geistigen Heimat“ der deutschen Literatur, „aus der man ihn selbst im Warschauer Ghetto nicht ausweisen konnte!“[sic!]


(17) Patzelt bedauert folglich, dass Deutschland „heute keine gemeinsamen Gründungsmythen mehr kennt und auch – abseits der Erinnerung an Nationalsozialismus und Holocaust – keine kollektiv verbindlichen [!] Geschichtserzählungen mehr pflegt.“

21.08.2016
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