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Rückblickend ließe sich sagen, es sei eine Frage der Zeit gewesen, bis Pegida zerfällt. Für ihr Auseinandergehen gaben die OrganisatorInnen verschiedene Gründe an, die je nach aktuellem Bedarf wechselten. Von »massiven Anfeindungen, Drohungen und beruflichen Nachteilen«(1) war dort die Rede. Dass zumindest die Sache mit den Drohungen nicht zieht, hatte Wolfgang Thierse (SPD) jedoch schon bei Günther Jauch durch den Verweis auf gegen ihn gerichtete Gewaltandrohungen von Pegida-AnhängerInnen deutlich gemacht. Von den öffentlich kaum zu Wort kommenden Menschen mit Migrationshintergrund ganz zu schweigen.
Mitaussteiger Rene Jahn hingegen erklärte die vorgebrachten Gründe für »gelogen«. Entscheidend sei eine Distanzierung »von den rechtsradikalen Äußerungen Bachmanns«(2) gewesen. Der Dresdner Politikwissenschaftsprofessor und Pegida-Versteher Werner Patzelt sieht darin einen Ausdruck mangelnder politischer Professionalisierung des Orga-Freundeskreises. Pegida habe Sachstreitigkeiten nicht von Personalstreitigkeiten trennen können und sich deshalb auch persönlich entzweit.(3) Die Schuld am Bruch verortet er deshalb bei den Abtrünnigen, denn »der AfD-Flügel ist vor den Rechten davongelaufen und hat einen großen Teil der Demonstranten im Stich gelassen.«(4)
Am Ende scheint am wahrscheinlichsten, dass das spaltende Geschoss aus der sächsischen Staatskanzlei kam. Noch am 19. Januar gewährte die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung (SLpB) den Pegida-SprecherInnen Lutz Bachmann und Katrin Oertel ihre Räumlichkeiten für eine Pressekonferenz, auf welcher sie für die nächsten Tage Gespräche mit nicht näher präzisierten »Vertretern der Politik« ankündigten. Einen Tag darauf wurden rassistische Beschimpfungen Bachmanns aus einer geschlossenen Facebook-Gruppe und ein Hitler-Selfie publik.
Das sächsische Innenministerium, das zu diesem Zeitpunkt schon länger die »gegenseitige Gesprächsbereitschaft und das Gesprächsformat«(5) mit Pegida sondierte, stellte daraufhin zur Bedingung, dass der vorgesehene Bachmann nicht an den Gesprächen teilnehme. Einen Tag nach dem Geheimtreffen gaben fünf Mitglieder des Organisationskreises, unter ihnen der für Bachmann eingesprungene Achim Exner (AfD), ihren Rücktritt bekannt.
Die Abtrünnigen wollen jedoch nicht aussteigen, sondern politisch umsatteln. Sie haben die Gründung eines neuen Vereins namens Direkte Demokratie für Europa (DDFE) angekündigt, der Deutschland (ohne Schleswig-Holstein) im Logo trägt und sich »bürgernah« und »konservativ [...] ganz klar rechts neben der CDU« positionieren will. Im Zentrum zukünftiger Politik stehe die Forderung nach »direkter Demokratie in Deutschland auf allen Ebenen« - wobei als gesichert gelten kann, dass der Bereich der Wirtschaft davon ausgenommen bleiben wird. Mit dem neuen Verein wolle man jedenfalls »von einer Protestbewegung in eine Reformbewegung übergehen«(6). Darüber könnte sich eigentlich auch Patzelt freuen, der davon überzeugt ist, durch seine »praktischen Handlungsratschläge« »einige politische Wirkung«(7) entfaltet zu haben. Die Ausrichtung des neuen Vereins nährt bei ihm allerdings die Befürchtung, dass der Pegida-Abspaltung der Massenzulauf abhanden kommt. Denn »ob man ohne Dasjenige, woran sich die Pegida-Demonstrationen entzündet haben, nämlich der Einwanderungspolitik und hier an erster Stelle der ja objektiv auch vorhandene Missbrauch des Asylrechts, ob ohne diese … äh … Zünd-, ohne diesen Zündfunken so viele Leute zusammenkommen werden, ob man für die eher abstrakte Idee direkter Demokratie … äh … Leute auf die Straße bewegt … äh … das bezweifle ich dann eher, denn die Asyl- und Einwanderungsthematik war schon so der emotionale Untergrund des ganzen Zusammenkommens.«(8)
Der nächste Streit ist also schon vorprogrammiert. Denn hatte Jahn noch dem MDR erklärt, beim neuen Verein solle das Thema Asyl keine Rolle mehr spielen(9), kündigte Oertel kurze Zeit später auf einer Pressekonferenz an, auch Asyl und Einwanderung würden »auf jeden Fall« ihren Weg ins Positionspapier des neuen Vereins finden.(10) Auf der ersten eigenen Kundgebung hieß es denn auch, man wolle festhalten, »dass zwar die Ziele [...] die gleichen« wie die von Pegida seien, »aber der Weg und die Mittel diese Ziele zu erreichen, nicht mehr die selben sind.«(11) Auch Demonstrationen will man organisieren. Doch ohne den offenen Rassismus von Pegida à la Bachmann und Siegfried Däbritz - zieht das? Braucht es nicht das Zündeln am emotionalen Untergrund? Patzelt gibt sich besorgt: »Da werden jetzt sehr viele enttäuscht darüber sein, dass man ihnen keine Demonstration mit großem Gemeinschaftserlebnis mehr organisiert, und viele werden sich fragen … äh … wo denn jetzt die Wucht herkommen soll, … äh … um den Wunsch nach Veränderung in Deutschland durchzusetzen.«(12)
Diese Fragen der Vielen aber sind durchaus auch seine eigenen. Patzelt hatte die Arbeitsteilung innerhalb Pegidas zwischen dem politiktauglichen gemäßigten und dem mobilisierenden radikaleren Flügel beobachtet, und war – klassischer konservativer Fehler (siehe 1933) – davon ausgegangen, dass der gemäßigte Flügel die Oberhand behalten würde. Während er öffentlich für diesen Flügel geeignete Ratschläge erteilte, sprach er privat mit Ministerpräsident Stanislaw Tillich und Innenminister Markus Ulbig und riet ihnen, »den rechten Rand einzubinden, damit wir uns anschließend nicht mit rechtspopulistischen Parteien herumschlagen müssen«(13). Das scheint nur halb gelungen.
Die Wucht aber, um die auch von ihm gewünschten Veränderungen durchzusetzen, sie verbleibt beim übrig gebliebenen, gesellschaftlich marginalisierten radikalen Pegida-Flügel. Dabei hätte alles so schön sein können, hatte Patzelt doch schon ein »1968 von rechts gesehen.«(14) Denn für »besonders brisant« hielt er das Phänomen Pegida, »weil sich hier der soziale Konflikt mit einem kulturellen Konflikt verbindet, seit es neue nennenswerte Zuwanderung aus dem islamischen Kulturkreis gibt.« Doch von welchem sozialen Konflikt redet der Professor? »Da stößt man schnell auf einen Verteilungskonflikt: Solange das Neuverschuldungsgebot gilt, müssen nämlich die Ausgaben für Flüchtlinge aus jenen Staatseinnahmen entnommen werden, die sich zwar alle zu teilen haben, die aber nicht von allen gleichermaßen aufgebracht werden.«
Das sollte jetzt nicht falsch verstanden werden. Es ist nicht so, als ob Politikwissenschaftler Patzelt die Pogromstimmung der frühen 90er Jahre nicht kennen würde und deshalb den Rassismus der Pegida-AnhängerInnen mit dem in Sachsen seit vorigem Jahr wirksamen, de facto schon seit 2006 praktizierten Neuverschuldungsverbot rationalisieren müsste. Vielmehr wird dieser Rassismus einfach wegphänomenologisiert: »Was als Fremdenfeindlichkeit daherkommt,« so Patzelt, »entpuppt sich so als sozialer Konflikt.«(15)
Da wundert es nicht, wenn SLpB-Direktor Frank Richter beispringt und meint, es wüssten »wohl alle, dass Rauschgiftkriminalität oft mit Flüchtlingsbewegungen einhergeht. Wenn man dies anspricht, ist man noch lange kein Ausländerfeind und ignoriert nicht automatisch, dass Kriminalität auch [sic!] von Deutschen ausgeht.« Bei soviel Wissen um Verteilungskonflikte in der Kriminalstatistik entdeckt man schnell »einen erheblichen Bedarf an politischem Wissen in der Bevölkerung.« Denn »viele Wortmeldungen offenbaren« für Richter »ein Unverständnis unseres Staatssystems und eine Distanz gegenüber der repräsentativen Demokratie.« Dabei ist das völlig unnötig, haben wir doch ein »bestens strukturiertes Gemeinwesen.« Nur – leider – »eine gute Gesellschaftsordnung freilich macht noch keine gute Gesellschaft.«(16)
Die in dieser Aussage steckende Auffassung von einer wehrhaften Demokratie entspricht nicht nur der politischen Entwicklung, wie sie über das Gebiet der ehemaligen DDR kam, sondern enthält auch die Erfahrungen der Gründungsbedingungen der BRD. Hier zeigt sich (erneut) der gemeinsame historisch-gesellschaftliche Bezugsrahmen von SLpB und Pegida. In seiner Beschreibung dieses »bestens strukturierten Gemeinwesens« schwärmt Richter in einer Weise, die eher an die Restauration und Nachkriegsprosperität in der BRD der 50er Jahre als ein politisches System erinnert: »Alle Umgehungsstraßen sind gebaut, alle Stadtkerne saniert …«, da »können wir sagen: Schaut her auf dieses Sachsen.« Doch es fehlt an einer guten Gesellschaft. Denn »gleichzeitig treibt viele das Gefühl« auf die gut ausgebauten Straßen, »nicht mitgenommen worden zu sein und in den Abläufen dieser Gesellschaft nicht vorzukommen.«(17)
Von dieser Position aus ist natürlich von vornherein klar, auf wessen Seite das Problem liegt. Und so wandte sich Ministerpräsident Stanislaw Tillich jenen »Tausenden« zu, die in Dresden »ihrem Ärger Luft machen, weil sie meinen, dass »die da oben« »die da unten« nicht mehr verstehen«, und forderte – zunächst symbolisch - »ein Zeichen der Versöhnung und der Verständigung«(18) mit der guten Gesellschaftsordnung ein. Um dem ein Format zu geben, nahmen Staatskanzlei und Stadt das von der SLpB erprobte Format des Bürgerdialogs auf, blieben jedoch schon nach dem ersten Gesprächskreis hinter dem zuvor angekündigten Turnus zurück. Und nun, da ihnen die Nachfrage nach diesen Dialogforen abhanden zu kommen droht,(19) will DDfE das bewährte Format nutzen und selbst »Gesprächsrunden nach [dem] Vorbild der Landeszentrale für politische Bildung ins Leben [...] rufen«.(20)
Die auf dem bisher einzigen Dialogforum vom 21. Januar erlangten Ergebnisse zeugen von der bereits im letzten CEE IEH thematisierten ökonomischen und soziokulturellen Doppelbedrohung der Alltagsreligion der Pegida-AnhängerInnen.(21) Dort findet sich etwa die (in Deutschland von jeher gesetzlich vorgeschriebene, deshalb jedoch nicht minder oft erhobene) Forderung, »dass erst einmal die eigene Jugend und Bevölkerung eine Perspektive« haben müsse. Dabei ist man nicht blauäugig. Man wisse, dass »die Zuwanderung weiter zunimmt« und das durchaus nicht nur negativ ist, weil »wir als Staat eine Zukunftsperspektive brauchen.« Es brauche eine »Willkommenskultur auf beiden Seiten« und man müsse deshalb zu allererst dafür sorgen, dass die Einwanderung »viel differenzierter beurteilt wird.« Wie aber könnte so eine Differenzierung aussehen? Es steht in Klammern direkt dahinter: »Integrationswillige fördern, Zurückweisung Integrationsunwilliger«(22).
Mit dem Ende des fordistischen Wachstumskapitalismus aber haben die modernen westlichen Gesellschaften ihr »universales Integrationsmittel« eingebüßt: »das System gesellschaftlicher Arbeitsteilung.«(23) Die damit einhergehende Verschiebung der Einwanderungsdebatte vom ökonomischen auf den kulturellen Bereich kann in Deutschland an eine lange, aus Zeiten der europäischen Nationalstaatsgründungen stammende Tradition anknüpfen, und wurde so auch im Dialogforum an prominenter Stelle festgehalten: »Sprache ist der Schlüssel zur Integration.«(24)
Dass das Erlernen der deutschen Sprache gefordert wird, damit die Eingewanderten auch verstehen, wenn die Pegida-AnhängerInnen montags auf dem Heimweg ihnen gegenüber wieder einmal »Worte gewählt« haben, von denen Bachmann »sicher sei[n]« kann, » dass jeder, wirklich jeder von uns sie schon einmal am Stammtisch benutzt hat«(25) (»Viehzeug«, »Dreckspack«, »Gelumpe«), mag aus Sicht der Pegida-SympathisantInnen durchaus wünschenswert sein. Dass sie jedoch kein »Schlüssel zur Integration« ist, weil sie, wie wir bereits sahen, kein Garant für gesellschaftliche Teilhabe ist, lässt eine an anderer Stelle aufgelistete These vermuten. Dort ist von der Notwendigkeit eines (nicht näher präzisierten) »sozialen Ausgleich[s]« die Rede, »weil die soziale Schere und eine breite Armutsschicht zu Unmut gegenüber Asylbewerbern und anderen Migranten führt.«(26) Um das angeschlagene Herrschaftsgefüge wieder zu stabilisieren, setzt Landtagspräsident Matthias Rößler (CDU) am politischen Tauschgeschäft von Schutz und Ausbeutung(27) an. »Im Kern«, stellt er fest, »sagen die Pegida-Leute vor allem eins: Staat, du musst deine Schutzfunktion erfüllen. Das ist die Klammer für die meisten Fragen zu Asyl, Zuwanderung, Integration sowie innerer Sicherheit, Renten, dem Schutz von Erspartem in Krisen und der Anerkennung von Lebensleistung. Selbst die Forderung nach Einbindung Russlands in eine europäische Friedensordnung betrifft das.«(28)
Innenminister Markus Ulbig hat sich nicht nur deshalb von Beginn an dialogbereit gezeigt. Anfang Juni möchte er gern zum neuen Oberbürgermeister Dresdens gewählt werden. Damit das möglich wird, muss er Pegida-AnhängerInnen und -SympathisantInnen auf seine Seite ziehen.(29) Dazu hatte er bereits Ende November angesetzt und eine Sondereinheit der Polizei für ausländische Mehrfachstraftäter angekündigt.(30) Inzwischen haben der Pegida-Rest und die Abspaltung DDfE jeweils einen eigenen Kandidaten für die OB-Wahl angekündigt. Gute Aussichten dürfte keiner von beiden haben. Stattdessen würden die beiden Kandidaturen das rechte WählerInnenlager weiter zersplittern – ein weiterer Grund für Ulbig, auf Pegida zuzugehen.
Ginge es tatsächlich in der Hauptsache um mehr direkte Demokratie, wäre ein Zugeständnis der Landesregierung an Pegida gar nicht so schwer. Auf Druck des Koalitionspartners SPD hat es eine Passage in den Koalitionsvertrag geschafft, dernach die Regierung »prüfen« werde, »ob wir mehr Möglichkeiten der direkten Demokratie schaffen können«(31). In diesem Punkt wäre eine Zusammenarbeit mit der AfD-nahen DDfE möglich, durch welche die sächsische CDU auch das vom Bundesverband ausgegebene Koalitionsverbot mit der AfD unterlaufen könnte. Allerdings schwindet die AnhängerInnenschaft der Pegida-Abspaltung noch schneller als die des Rest-Vereins.
Der chaotische Zerfallsprozess von Pegida bestätigt eine Beobachtung Lenins, die dieser in seiner im Sommer 1917 verfassten Schrift Über Verfassungsillusionen festhielt. Darin gelangte er zu dem Schluss, dass das Kleinbürgertum »in seiner [...] ökonomischen Lage, seine[n] Lebensbedingungen [...,] nicht umhin kann, sich selbst zu täuschen«. »Sein Vorurteil« treibe es »zur Bourgeoisie«, denn eine »selbständige [politische] »Linie«« könne es »ökonomisch gesehen nicht haben.«(32) Deshalb werden die erfolgreicheren politischen Vertretungen des Kleinbürgertums (CDU/CSU, AfD) von der Bourgeoisie (oder zumindest eines Teils) organisiert.
Im Falle Pegidas stellten die OrganisatorInnen ihre politische Krämernatur sogar recht schnell offen zur Schau. Das reicht vom Größenwahn eines Franchise-Unternehmens - »Pegida ist eine Marke«(33) (Bachmann) – bis zur Selbstbedienung an den gesammelten Spendengeldern.(34) Selbst die neu aufgesetzten 10 Thesen richtete Bachmann - im 21. Jahrhundert! - nicht an eine parlamentarische Vertretung, sondern klebte sie an die Pforte der Dresdner Kreuzkirche, die in ihrer Gründungsgestalt als Nikolaikirche dem Schutzpatron der Händler und Kaufleute geweiht war.
Mit dem Zerfall Pegidas ist die politische Gefahr einer rechten Sammlungsbewegung nur in die Latenz verbannt. Für Menschen mit Migrationshintergrund hat sie sich längst als existenzielle manifestiert. AnwohnerInnenproteste gegen neu geplante Asylunterkünfte wird es wie auch in den letzten Jahren weiterhin geben. Der besonders mobilisierende Umstand in Deutschlands »konservativster Großstadt« (Eckhard Jesse) war neben dem gesellschaftlichen Potenzial die Gleichzeitigkeit der zu schaffenden Einrichtungen. So hatte BILD kurz bevor Dresdens Sozialbürgermeister Martin Seidel die Öffentlichkeit informieren wollte groß von einem »geheimen Rathaus-Plan« gekündet, im gleichen Zuge eine Liste mit den Standorten der zwölf künftigen, »wie ein Staatsgeheimnis«(35) gehüteten Übergangsunterkünfte veröffentlicht und so das städtische Ziel einer vollständigen dezentralen Unterbringung mutwillig sabotiert. In der Adventszeit beriefen sich dann Pegida-Redner mehrfach auf (Falsch-)Informationen der BILD-Zeitung.(36) Weil aber selbst der beste Brandstifter irgendwann eitel wird, titelte sie nach dem Fernsehauftritt Kartin Oertels bei Günther Jauch »Von wegen, Frau Pegida!« und »entlarvt[e]« die angeblichen Pegida-Tabubrüche als ihr originäres Hauptgeschäft. Zuvor war sie jedoch auf Nummer sicher gegangen: »inzwischen überwiegt die Teilnehmerzahl der Anti-Pegida-Demos«(37).
Auf den Pegida-Demonstrationen beherrschen gefährliche Verschwörungstheorien und Gerüchte das Meinungsbild. Schon bei den rassistischen Pogromen der 90er Jahre legitimierten Gerüchte die realen Taten. »Damit das Gerücht greift,« verdeutlichte Detlev Claussen am Beispiel des Antisemitismus, »müssen die Opfer designiert werden.« Dem »modernen Vorurteil« ist ein »materielles Urteil der Herrschaft vorausgegangen, dass die Verurteilten gezeichnet hat.«(38) Hier hat antirassistische Praxis anzusetzen. Ostdeutschland böte günstige Umstände, sodass sich das »Magma von Unzufriedenheit genau hier in dieser Vulkaneruption ergossen hat«, frohlockt Patzelt. Auch wenn der Professor mit dem Hang zu bildhaften Vergleichen »jetzt […] nur noch Asche«(39) regnen sieht, gewinnt auch die irgendwann wieder Boden unter den Füßen. Erinnert sei deshalb an eine Warnung Brechts: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch!
shadab