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• das letzte: Rezension: Thomas Maul – Drei Studien zu Paulus.
Der Religion einigermaßen fremd habe ich – nachdem ich den einschlägigen Film von Pasolini gesehen habe und nicht unbeeinflusst von Mahlers 2. Sinfonie,
Johannes-Passion und natürlich der glorreichen Darstellung des wiederkehrenden Jesus in der sixtinischen Kapelle – dann doch mal die vier Testamente
Und obwohl natürlich die Weltliteratur seither einige Fortschritte gemacht hat, sind das eigentlich ganz passable Werke, gerade auch, weil man die eigentliche Geschichte aus diesen vier Geschichten nur ex negativo erschließen kann, als die vier Autoren eine Menge falsch deuten, vieles nicht verstehen, dafür aber einigermaßen offen sind und ihre eigenen Irrtümer oder schlimmer Rationalisierungen stets offen legen. Etwa wenn sie Jesus zitieren, wie er frustriert sagt, die zwölf Jünger würden kein Wort von dem verstehen, was er so predige. Und dann waren es
ürlich auch weit mehr als zwölf Anhänger und auch Frauen waren darunter. Also die Bibel ist insgesamt sehr gut, aber letztlich kann man im neuen Testament durchaus einen Fortschritt sehen. Andererseits sind die anderen jüdischen
ärchen auch oft witzig, lehrreich oder was auch immer und bei aller Knappheit der dortigen Darstellung – die schöne Geschichte von Sodom und Gomorra nimmt nur einen Abschnitt ein – regen sie doch die Phantasie an. Es gibt mindestens
öne Bearbeitungen: Sergio Leones Sodom und Gomorra, Thomas Manns Josephstetralogie, Arnold Schönbergs Tanz ums goldene Kalb usf. Jedenfalls hab ich dann das frisch angelesene in einen Essai verpackt und mich dabei hauptsächlich darüber gewundert, wie viel Schindluder mit dem Jesus getrieben wird.(1) Er sei
für unsere Sünden gestorben, Wiederauferstanden und dann gen Himmel gefahren etc. Also das scheint eher der Stoff für eine Religion, nicht für vernünftige Menschen gemacht. Jedenfalls nicht in der Form, die ich so grob von den Christen gehört hatte.
Dementsprechend frustriert war ich, das Thomas Maul im XS-Verlag drei Studien zu Paulus veröffentlicht hat. Hätte er nicht drei Studien zu Jesus schreiben können! Jetzt musste ich auch noch dem alten Aufklärerwort folgend, dass man besser die Quellen als die Sekundärliteratur liest, den Paulus mit all seinen zähen Briefen lesen und feststellen, dass man das besser unterlässt. Er hat nichts Neues beigetragen und alles was bei ihm gut ist – und soviel ist das nicht – findet sich besser bei den Evangelisten und noch viel besser bei Jesus selbst, nur dass der halt nicht geschrieben hat. Aber eines habe ich immerhin gelernt: Vieles vom populärchristlichen Müll kommt daher. Er ist wahrlich der Gründer der Kirche. Wäre er doch nie von seinem Esel gefallen und der Christenjäger Saulus geblieben.
Aber zum Glück habe ich mir vorgesetzt, Thomas Maul zu rezensieren und nicht diesen Paulus. Thomas Maul steht weit über Paulus und man kann sein Zeugs immerhin lesen. Er bleibt – anders als sonst und auch anders als die meisten seiner Sekte – sachlich und ist am Gegenstand interessiert. Insbesondere ist er relativ uninteressiert am sogenannten jüdisch-christlichen Gegensatz, indem er Jesus korrekt als Teil der Judentums begreift. Im Grunde ist er deutlich mehr am Gegenstand interessiert als ich und wer sich ernsthaft für Saulus interessiert, der soll hier abbrechen und sein Buch kaufen. Leider kann man die Flut seiner Gedanken nicht wiedergeben, aber einiges vielleicht doch.
Im Prinzip ist Thomas ein Mann der Mitte, vielleicht nicht gerade der goldenen Mitte, aber seine Methode ist die der Thesis und Antithesis und dann die der fehlenden Synthesis. (Anderswo nennt er das negative Dialektik.) Die Thesis, das ist Jesus selbst; die Antithesis die katholische Kirche. Dazwischen ist Paulus. Genauer: Jesus
mobilisiert eine gewisse Meute gegen die Römer und den sich mit denen arrangierenden jüdischen Klerus (Pharisäer und Sadduzäer). Die Idee ist, dass die
ihm nachfolge und dann Lamm neben Löwen wohnen könne. Die Menschheit solle versöhnt sein und zwar diesseitig. Aber bekanntlich ging das schief. Die Menschheit ist ihm nicht nachgefolgt. Nichtmal seine sogenannten Jünger.
Und so hat er sich frustriert ans Kreuz schlagen lassen, nicht ohne alle zu beschimpfen. Sogar seinen Vater. Dieses ursprüngliche Anrennen gegen die falsche Welt, das ist eben das Eine. Das andere ist dann die daraus entstandene Kirche, die nach Maul gerade deshalb nötig wurde, weil die reale Erlösung ausblieb. Die Kirche
hätte dabei den ursprünglichen Messianismus getilgt und obwohl sie doch das Vater unser im Himmel kannten, doch die Erlösung auf nach den Tod verschoben. In der Welt selbst herrscht aber wieder das Gesetz, das Jesus eigentlich abschaffen wollte. Im Grunde hätte die Kirche sich auflösen und die Christen zum Judentum zurückkehren können. (Thomas Maul fasst das alles wohl etwas differenzierter und sogar katholischer.) Paulus nun ist eben die Mitte. Einerseits hat er anzuerkennen, dass die unmittelbare Erlösung nicht statt hat, andererseits ist die Erwartung derselben noch sehr lebendig; Paulus selbst glaubt an die Wiederkehr des Jesus in naher Zukunft. Er ist damit der lebendige Widerspruch zwischen Erlösungsanspruch und realer Unerlöstheit und hat daher die ganze Jesusgeschichte auf die einfache Formel gebracht: 1. Gott schickt seinen Sohn, um die Welt zu erlösen. Er nimmt die Sünden aller auf sich und opfert sich für alle. 2. Nachdem er weg ist, beginnen alle ihm nachzufolgen, bis dann 3. Jesus wiederkehrt und sich alles zum Guten wendet sprich der eigentlich schon unter 1. gefasste Plan der Versöhnung setzt sich doch noch durch. Wir nun stecken in 2. fest und das ist eben auch, was Paulus reflektiert, der einerseits recht pragmatisch seine Gemeinden bei Stange hält, ihnen lange
Briefe schickt, voller Ermutigungen, einigem Tadel und vielen Lebens-, bzw. Gemeindepraktischen Tipps. Allerdings ohne eine Lösung dieses Dilemmas zu wissen.
In ihm kommt so die »Doppeldeutigkeit einer Welt« zum Ausdruck, »die bereits erlöst ist aber dennoch der Erlösung harrt.« (Maul zitiert hier Scheit, dem er aber dann vorwirft, genau diese Erkenntnis wieder zu verwerfen.) Diese Doppeldeu-
keit solle man aushalten, statt wahlweise gegen das Gesetz zu rebellieren oder
den Staat zu bejahen. Man solle die Ambivalenz ertragen. Paulus ist nicht die posi-tive Synthesis sondern ihr negatives Substitut.
So jedenfalls verstehe ich das ganze Anliegen. Die beiden Abweichungen dann wiederum macht Maul in zwei zeitgenössischen Autoren dingfest. Gerhard Scheit auf der einen Seite würde den Staat letztlich affirmieren und Christoph Türcke würde letztlich einen Amoklauf gegen den Staat propagieren. (Wobei Thomas Maul selbst eine starke Angst vor Regression zu haben scheint und im Zweifel schlägt er sich jederzeit auf die Seite des Gesetzes, des Staates) Und wenn es auch geschmäcklerisch klingen mag: Alle seine Angriffe auf Gerhard Scheit sind gut. Dieser Autor hat sich in einigen kleineren Kreisen viel zu lange breit gesetzt und unglaublich viel Unfug über allerlei Themen von Bach über Mahler zu Schönberg, über Shakespeare, über so ziemlich alle Philosophen, über Marx und Adorno, Freud und sogar über Carl Schmidt in die Welt gesetzt. Umgekehrt sind seine Invektiven gegen Türcke schwach. Dieser Mann ist zum einen mitnichten der Rebell, als den ihn Thomas Maul darstellt, sondern eigentlich ein recht braver Professor mit inzwischen recht weißem Haar (Stand 2001). Seine Gedanken sind im wesentlichen aber wirklich durchdacht und ich würde an Mauls Stelle nicht so über ihn geurteilt haben. Könnte ja sein, dass er sich die Finger verbrennt.
Über diese Zitiererei der Sekundärliteratur geht leider ein wenig die manchmal im Ansatz betriebene Textexegese verloren und es wäre gar nicht so schlecht gewesen, wenn die vier Evangelisten mehr zu Wort gekommen wären und zwar genau jene Stellen, bei denen sie die theologischen Punkte von Paulus darstellen: Die Idee, er hätte sich für unsere Sünden geopfert und sei physisch wiederauferstanden.
Hier nur kurz. Welches sind die Sünden, für die er sich geopfert habe? Die Gretchenfrage ist die nach der zu entrichtenden Steuer an die Römer. Natürlich hat Jesus gegen die Zahlung dieser Steuern agitiert und als die Pharisäer ihn danach mit der
fragen, ihn ans Messer zu liefern, merkt er ihre »Arglist« (Lk 20, 23), »Heuchelei« (Mt 12, 15) und »Bosheit« (Mt 22, 18) und antwortet, wenn auch sophistischer ausgedrückt: »Ja, gebt diesen Römern ihre blöden Münzen, mit ihrem Kaiser drauf geprägt.« Aber das war eine Taktik, die wirklichen Ziele zu verbergen. Diese Taktik wird später von Paulus dazu missbraucht, die weltliche Herrschaft zu rechtfertigen, zugunsten einer christlichen Innerlichkeit, die bei Jesus und freilich in Ansätzen auch noch bei Paulus immer nur als innere Sammlungsbewegung für dann äußere Kämpfe dient, niemals als wirkliche Affirmation. Aber man muss festhalten: Jesus Wirken ging zunächst gegen die römische Herrschaft – Monty Python fasst das gut auf – und das im Rahmen einer universellen Befreiung – Monty Python fasst das weniger gut auf. Dementsprechend sind die Pharisäer in Furcht, weil Jesus doch recht viel Erfolg in seiner Wanderagitation hat. Sie waren nicht blöd und wussten, wie die Römer mit organisiertem Unmut umgehen würden und die Geschichte des von Flavius Josephus aufgeschriebenen jüdischen Krieges zeigt, dass sie recht hatten. Jedenfalls dachten sie sich: »Lassen wir ihn, dann werden sie alle an ihn glauben, und dann kommen die Römer und nehmen uns Land und Leute.« (Jh 11, 48) Daher schließen sie, »es sei besser, ein Mensch sterbe für sein Volk, als das ganze Volk verderbe.« (Jh 11, 49) Die Sünde besteht im Wunsch nach Rebellion gegen die Macht und das Opfer einfach darin, dass man ihn stellvertretend ausliefert, in der trügerischen Hoffnung, die Römer würden sie dann in Ruhe lassen. Er starb also für unsere Sünde, dass wir es mit der Macht aufnehmen wollen, aber aus Angst vor Repression davor zurückschrecken. Seine Jünger wiederum waren zunächst weniger ängstlich, aber Jesus vertraut ihnen wenig, weder was ihre Vernunft oder auch nur Intelligenz angeht, noch was ihren Mut angeht. Und so sagt er zum Abschied: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden darum kämpfen, daß ich nicht den Juden überantwortet würde.« Die Sünde besteht also von dieser Seite ausgedrückt darin, dass seine Anhänger ihm gerade nicht nachgefolgt sind und sein Reich ist auch nur deshalb nicht von dieser Welt, weil dessen Bewohner, nicht einmal seine Jünger dieses Reich nicht in der Welt errichten wollten/konnten. Aber er ist Milde, nimmt diese Sünde auf sich und zieht mit allen Konsequenzen nach Jerusalem. Die Geschichte mit der Auferstehung und dem heiligen Geist ist dabei nur Trost. In beiden Varianten ist es lächerlich, dieses die Sünden auf sich nehmen anzubeten. Man muss schon Christ sein, wenn man die Sache so verdreht, wie es dann in Nachfolge von Paulus gemacht worden ist. Auch Thomas Maul folgt der Verdrehung, da er Jesus – stellvertreten durch den Professor Türcke – abwehren muss. Aber das ist in seinem Fall ja auch stark politisch motiviert und nicht zu kritisieren, zumal er immerhin deutlich macht, dass das Himmelreich auf Erden errichtet werden muß.
Thomas Maul: Drei Studien zu Paulus. Über den Zusammenhang von Gesetz, Erlösung und Antisemitismus im Christentum. XS-Verlag 2014.