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Argumente prüfen und sich einleuchten lassen, sowie das Reden von ›Zwecken‹, ›Interessen‹, ›abstrakter Zugriffsmacht‹ und ›Tautologien‹, das am Ende immer souverän Recht behält, kennt man heute von der Nachfolgeorganisation der Marxistischen Gruppe: dem GegenStandpunkt. Dieser gibt vierteljährlich eine Zeitschrift heraus und veran-staltet Vorträge, Schulungen und Diskussionsrunden zu gefühlt allen Themen, ob Demokratie, Lohnarbeit, Dummheit, Psychoanalyse, Heidegger oder Kafka. An diesen Gegenständen wird die kapitalistische Gesellschaft und bürgerliches Denken kritisiert. Die Kritik zielt dabei immer inhaltlich darauf ab, die falschen Gedanken Anderer über den Kapitalismus zu korrigieren, indem die sich das vorgetragene Argument einleuchten lassen. Wenn man die Argumente verstanden hat, weiß man dann, woran man bei der jeweiligen Sache ist und was davon zu halten ist. Das macht die Anziehungskraft des GegenStandpunkts aus. Der vorliegende Text beschäftigt sich nicht primär mit dem Inhalt ihrer Kapitalismus- oder Staatskritik (bei der sich viel Vernünftiges lernen lässt!), sondern mit der Freiheit von Willen und Denken, die ihren Kritiken immer vorausgesetzt ist, über die aber nur selten explizit geredet wird. Hier wird gezeigt, dass sich Psychologie und auch eine kommunistische Kritik, die sich ihrer bedient, nicht konsequent an Widerspruchsfreiheit messen lassen sollte und selbst die Psychologie des GegenStandpunkts nicht ohne (unbemerkte) Widersprüche auskommt. Das Vertreten einer rationalisierten Psychologie, die keine Widersprüche gelten lässt, hat beim GegenStandpunkt Konsequenzen dafür, wie sie die kapitalistische Gesellschaft begreifen und kritisieren. Aus den theoretischen Fehlern ergeben sich Tendenzen, die ihrer Intention, die Schädigung der Individuen im Kapitalismus abzuschaffen, krass entgegenlaufen.
Ausgangspunkt von Kritik beim GegenStandpunkt
Ein erster Widerspruch beim GegenStandpunkt (GSP) zeigt sich im Verhältnis ihres Aufwandes und Engagements für Theoriearbeit und Agitation zu dem Zweck, den sie damit bewusst verfolgen:
Der Ausgangspunkt von Kritik beim GegenStandpunkt ist die Verletzung eigener Interessen (gutes Essen, schöne Wohnung, Freizeit usw.). Um diese Schädigung zu beenden, fragt man danach, wo sie ihre Ursache hat, damit man sie beseitigen kann. »Kritik besteht darin, die begriffene Sache am Interesse zu messen.«(1) Was man macht und wogegen hängt von dem theoretischen Urteil ab und nicht von dem Erfolg.(2) Diese Vorgehensweise scheint erstmal sehr vernünftig: die wirklichen Ursachen des eigenen Leidens zu kritisieren und trotz der eigenen Ohnmacht auf der Richtigkeit seiner Theorie zu beharren. Aber diese Art von Vernunft passt nicht mehr zum Ausgangspunkt der Kritik beim GSP: dem eigenen Interesse. Wenn Kritik ein Mittel für die eigenen Interessen sein soll, dann wäre gerade der praktische Erfolg ein relevanter Maßstab. Und wenn der immer wieder ausbleibt und die Revolution heute sehr weit entfernt scheint, wäre es nur zweckmäßig, zu versuchen sich einfach nur bestmöglich in den kapitalistischen Verhältnissen zu behaupten. Kommunistische Kritik ergibt heute nur noch Sinn, wenn ausgehend von eigenen Interessen und eigenem Leid Ziele hinzukommen, die über eine_n Selbst hinausgehen: der Wunsch Leiden in der Welt zu verringern und sie vernünftig und sinnvoll einzurichten. Ohne diese Motivation würde es auch keinen GSP und seine Sympathisant_innen geben. Gleichzeitig streiten sie diese aber als »gar nicht existente allgemeine Interessen, Werte und Ideale«(3) ab und verweisen auf nur eigene Bedürfnisse.
Dadurch kann die Theorie nicht mehr sinnvoll auf ihre Ausgangspunkte bezogen werden, weder die bewussten eigenen Interessen, noch die unreflektierte Moral. Das ver-
Mittel (die Richtigkeit der Kritik und deren Verbreitung) verselbstständigt sich damit gegen den bewussten und den nicht bewussten Zweck.
Dadurch kann sich die dem GSP eigene Rationalität des Denkens ungehindert gegen die nicht rationale, unreflektierte Moral und auch andere Wünsche wenden. Die Fehler und Härten der Theorie, die sich dabei notwendig ergeben, sind im Folgenden ausgeführt.
Freier Wille oder Determinismus?
Zunächst gibt es auch beim GSP all das, womit sich andere Menschen herumschlagen: Grundbedürfnisse und Gefühle. Das Bedürfnis nach Essen und Trinken sei zum Teil einfach da. Gefühle seien hingegen Urteile des Verstandes, die »zur Gewohnheit geworden sind und sich in unmittelbarer Form, ohne die neuerliche Anstrengung des Gedankens betätigen«(4) Damit ist zum Beispiel das wohlige Gefühl beim Hören der Nationalhymne gemeint, das aus dem nationalistischen Urteil resultiere.(5) Mit diesem teils ungestümen Wesen des Fühlens sei es allerdings gänzlich vorbei, wenn sie es erstmal mit dem Willen zu tun bekommen würden. Weil der GSP den qualitativen Unterschied von Gefühl und Entschluss und deren möglichen Gegensatz bemerkt, gilt ihnen der Wille als vollkommen selbstständig. Er könne nicht von dem bestimmt sein, worauf er sich beziehe.(6) Was das Individuum dann tatsächlich wolle, sei nur abhängig davon, mit welchen Gründen und Urteilen es sich zu eigenen Gefühlen, Bedürfnissen und der Außenwelt stellt. Darin seien das Denken und der Wille frei. Soweit die Position des GSP.
Es gibt natürlich Gefühle, die sich auch durch bestimmte Urteile ergeben (z.B. nationale Ergriffenheit) und auf viele Gefühle kann man durch Gedanken und Urteile einwirken, aber es ist verkehrt anzunehmen, dass der Ausgangspunkt von jedem Gefühl ein bewusstes Urteil ist. Scham ist zum Beispiel nicht nur das Resultat einer freien Entscheidung des Kindes, das »moralische[] Forderungen als berechtigte anerkennt und sein Sträuben gegen sie aufgibt«(7) und genauso wenig könnte man sich als Erwachsener einfach völlig gegen Moral und das Schämen entscheiden. Umgekehrt lässt sich doch bei sozialisierten Menschen vielmehr beobachten, dass hier eher das Gefühl von Scham und Abscheu Ursprung von Urteilen ist. Daran zeigt sich auch, dass die strikte Trennung von Bedürfnissen und Gefühlen und einem sich auf sie beziehenden Willen die Wirklichkeit nicht trifft. Die Angst vor Scham oder auch z.B. der Wunsch nach Anerkennung und Liebe gehen nur zu oft einfach in Urteil und Wille über. Als bewusster Wille, der begrifflich reflektiert werden kann, unterscheiden sie sich qualitativ vom begriffslosen Wunsch. Auf diese Differenz von Gefühl, Wunsch und Bedürfnis auf der einen Seite und Wille, Denken und Urteil auf der anderen pocht der GSP. Diese Trennung ist aber primär eine analytische, in der Wirklichkeit ist der Übergang fließend.
Wie der GSP erkennt, gibt es auch die Möglichkeit sich gegen einen Wunsch zu entscheiden, aber solche Entscheidungen setzen voraus, dass man den Wunsch reflektiert, und brauchen außerdem eine bestimmte Kraft, umso größer, je größer der zu unterdrückende Wunsch ist. Diese Kraft muss dabei selbst durch andere Wünsche unterstützt werden und ist nicht einfach frei. Die teilweise Unabhängigkeit und Freiheit des Willens, die ihm zweifellos zukommen, entspringt nämlich in ihrer Entstehung selbst nur dem Wunsch, Unlust zu reduzieren und Lust zu erleben. Daher kann sich der Wille auch praktisch nicht völlig von seinem Vater – dem Wunsch – frei machen. Es müsste einen andernfalls geradezu wundern, dass sich nicht die Hälfte der Menschen pauschal für und die andere pauschal gegen das Leiden entscheidet, zumal es ja weder dafür noch dagegen irgendeinen Grund gäbe.
Dass Gefühle nicht nur Resultat, sondern auch Ursache von Urteilen sein können, zeigt sich nun auch in psychologischen Untersuchungen. Personen lassen sich eher von einer Meinung überzeugen, wenn sie dabei leckeres Essen bekommen(8), sie sind eher geneigt Botschaften eines Folk-Songs zu zustimmen, wenn dieser von Gitarrenmusik begleitet wird(9) und noch einiges mehr.(10) All diese Vorgänge vollziehen sich in der Regel ohne das Bewusstsein, obwohl es bei den genannten Beispielen noch denkbar wäre, dies zu reflektieren. Es gibt jedoch auch Wünsche und Ängste, die nicht einfach bewusst gemacht werden können. An dem Beispiel der posthypnotischen Suggestion lässt sich ihre Wirkung aber exemplarisch veranschaulichen: Personen wird in Hypnose z.B. der Auftrag erteilt, nach der Hypnose eine Vase auf dem Tisch zu verrücken. Nach der Hypnose können sie sich nicht mehr an den Auftrag erinnern, führen ihn aber gleichwohl aus und geben dafür auf Nachfrage eine Rationalisierung an: »Ich wollte, dass die Vase in der Mitte des Tisches steht.« Hier und bei den vorherigen Beispielen zeigt sich, dass unreflektierte Wünsche, Stimmungen oder Motive sich nicht trotz, sondern gerade durch den bewussten Inhalt der Gedanken durchsetzen können.
Somit ist der Wille bedingt durch Wünsche und Stimmungen und als bedingter Wille nicht frei. Indem die bürgerliche Psychologie darauf hinweist, widerlegt sie den GSP. Andererseits können menschliche Entscheidung und Wille das Resultat von inhaltlicher Überlegung, Reflexion und dem Abwägen von Möglichkeiten sein. Insofern kommt
es auf den Inhalt des Willens und seiner Gründe an und diese sind nicht bedingt und damit frei. Indem der GegenStandpunkt auf diese Freiheit hinweist, widerlegt er den psychologischen Determinismus. Der GSP und die Psychologie widersprechen sich und behalten darin beide gegeneinander Recht. Der Widerspruch zwischen Nichtbedingtheit und Bedingtheit des Willens, zwischen Freiheit und Unfreiheit liegt in der Wirklichkeit des Willens, der beide Momente hat. Weil der GSP auf der Widerspruchsfreiheit der Theorie beharrt, kann er diesen Widerspruch in der Wirklichkeit nicht theoretisch fassen. Daraus ergeben sich die beschriebenen Unstimmigkeiten bei der Einordnung der Wirklichkeit in ihre Theorie.
Noch größere Probleme bedeutet es für eine widerspruchsfreie Theorie des freien Willens Bewusstseinsvorgänge zu erklären, die dem Individuum als fremd und auf-
gezwungen erscheinen und damit auf Triebe, Wünsche und Ängste außerhalb des bewussten Teils der Psyche verweisen. Im Folgenden wird kurz das Verständnis des GSP zu Phobien dargestellt:
Statt sich die objektiven Gründe für ihr Scheitern im Kapitalismus zu erklären, würden sich Phobiker_innen subjektive Gründe suchen, um ihr Scheitern vor sich und anderen zu entschuldigen. Sie würden sich dann entscheiden, Angst vor Mäusen oder Spinnen zu haben und könnten sich so als unfähig entschuldigen. Damit man sich das selbst glauben könne, müsse man aber diesen Willen anschließend vergessen.(11) So erkläre es sich auch, dass sie anschließend berichteten, sie wüssten nicht, woher die Angst komme. Soweit der GSP.
Im Alltag können viele Menschen meist noch irgendeinen Grund dafür angeben, warum sie irgendetwas tun, auch wenn dies mitunter nur Rationalisierungen anderer Motive sind. Den Entschluss Phobiker_in zu werden und die Gründe, die laut dem GSP zu dieser Entscheidung führen, kann hier aber niemand angeben. Damit Phobien trotzdem als Willensakte gedacht werden können, muss der GSP so verfahren, wie er es der Psychologie sonst vorwerfen würde: er muss den freien Willen hinter dem Fühlen und Denken der Menschen konstruieren. Was er als Gründe dafür anführt ist nun weder plausibel, noch deckt es sich mit der Erfahrung der Betroffenen. Auch bei dem Versuch dem Willen dabei Freiheit zu unterschieben, resultiert aus ihrer Erklärung am Ende doch wieder Unfreiheit: Wenn ein Wille vergessen würde, wäre er dem bewussten Denken und Wollen entzogen und damit nicht mehr Wille (i.S.d. GSP). Der bewusste Wille könnte diesen vergessenen »Willen« dann nicht mehr korrigieren, würde aber trotzdem von seiner Wirkung als Angst und Zwang beherrscht und wäre damit unfrei.
Alltägliches Fühlen, Wünschen und Wollen fügt sich beim GSP noch mit einiger Gewalt und Rationalisierung in die Theorie vom freien Willen ein. Bei Phobien (vgl. auch bei Psychosen) kann das nicht mehr gelingen und führt zu Widersprüchen in der Theorie selbst.
Rationalität und Härte
Da sie Fühlen und Wünschen nicht als dem Denken auch vorgelagert akzeptieren und es schlicht zu dem Produkt von Verstandesurteilen reduzieren, gehen sie bei sich und anderen auch nicht anders damit um, als man es mit anderen Gedanken tut: man prüft und kritisiert. »Bürgerliche« Liebe erscheint dann einfach als Zumutung an die andere Person, weil das Individuum hier als ganzes für alle Eigenschaften geliebt werden will.(13) Die Handlungen und Gedanken des liebenden Individuums werden dann auch schlicht an ihrem Wahrheitsgehalt blamiert: Das liebende Individuum »führt sich allen Ernstes und im Widerspruch zu allem Augenschein so auf, als ob sein ganzes Leben von der Erfüllung abhinge, die ihm sein Gspusi [bayr: Verhältnis] zuteil werden lässt bzw. vorenthält.«(14) Ähnlich ergeht es dem Bedürfnis nach Anerkennung, Sinn, Moral oder auch dem Glück.
Die Härte, einer inhaltichen Kritik an dem, was nicht einfach nur Inhalt eines Gedankens ist, zeigt sich dann besonders deutlich am Abhandeln von psychischen Problemen durch den GSP: »[D]ie ›Defekte‹, welche bürgerliche Individuen sich anerfinden« sind für den GSP nur bürgerliche Heuchelei, die bestenfalls erreichen soll, dass andere »einen als exquisiten Problemfall würdigen und mit ins Bett nehmen«.(15) Deswegen sollte man den leidenden Menschen einfach »eines idiotischen Umgangs mit seinen Rechten und Pflichten beschuldigen« und ihn nicht therapeutisch »dafür entschuldigen, daß er so bescheuert durch die Welt tigert.«(16) Von Phobie über Psychose bis hin zum Suizid wird abgeleitet und immer nur die »moralische[] Spinnerei des bürgerlichen Individuums«(17) entdeckt.
Dass die Härten der GSP-Rationalität beim GSP selbst nicht als Härte gegen sich und andere wahrgenommen werden, sondern ihnen selbstverständlich vorkommen, hat psychologische und rationale Gründe. Es setzt einmal voraus, dass ihr Ich die äußerste Festigkeit erlangt hat und die Subsumtion unter Denken und Wille gelingt. Vorher musste das Ich, um den Anforderungen der Außenwelt zu entsprechen, mühsam lernen, eigenes Triebleben und eigene Wünsche zu beherrschen und sich als Wille von ihnen abzutrennen. So wie diese Anforderungen gesellschaftlich bestimmt sind, ist auch das Verhältnis von Wünschen zu eigenem Willen und Denken durch Gesellschaft bestimmt. Das Resultat erscheint ihnen jedoch nun als Unmittelbarkeit des eigenen Bewusstseins nicht mehr als gesellschaftlich Vermitteltes, sondern als überhistorisch.
Einmal geworden und beim GSP gänzlich zum System verfestigt kann sich dieses Denken nicht mehr als Gewordenes erkennen. Durch eigenes, Wahrheit erkennendes Denken dieses Denken an Gesellschaft zu relativieren ist ein Widerspruch, den sich der GSP nicht leistet. Außerdem kann auch keine Entwicklung des freien Willens und Denkens gedacht werden, denn selbst, wenn das Subjekt am Ende seiner Entwicklung völlige Autonomie erlangte, lässt sich auch diese nicht ohne Widerspruch denken, denn zumindest für den Zeitraum der Veränderung müsste es eine Gleichzeitigkeit von Freiheit und Unfreiheit geben. Selbst die Übernahme der elterlichen Moral durch Kinder erscheint ihnen daher rückblickend schon als freier Entschluss (vgl. oben). An Vernunft, der Trennung von Wille und Wunsch sowie der von Subjekt und Objekt können sie Gesellschaft nicht mehr erkennen. Gewalt, die sich nicht physisch zeigt und ableiten lässt, kennen sie nicht einmal mehr in ihrer gröbsten Form: »Warum soll man denn einen anderen Menschen nicht anschreien? Da tut man ihm doch nichts.«(18) Herrschaft und Gewalt erscheinen beim GSP dem Subjekt nur äußerlich: »Der Genuss der Lektüre [GSP] ist keiner des ‘Selbst’; immerhin aber garantieren wir: das schöne Gefühl zu wissen, dass der Feind von außen kommt und nicht von innen!«(19)
Dabei entgeht ihnen, dass der eigene Blick auf die Welt, dem des »Feindes« nicht ganz unähnlich, auch immer schon ein wenig auf Verwertung schielt. Wie für die Benutzung durchs Kapitals muss die Welt beim GSP auf ihre rational fassbaren Gesetzmäßigkeiten reduziert werden. Sie wird gänzlich den Kategorien des Subjekts unterworfen. »Wo man das noch nicht kann, da merkt man: es fehlt Wissen.«(20) Alles, was sich am Objekt der rationalen Erkenntnis entzieht, wird von ihr eingeebnet. Damit das Subjekt frei über es als bloß äußeres Ding verfügen kann, muss es aber auch scharf von ihm geschieden sein. Damit diese Trennung und die Benutzung gelingen kann, muss sich auch das Verhältnis vom Willen zu eigenen Wünschen zu einem von Trennung und Verfügung umformen, damit es der zweckrationalen Erkenntnis und Handlung nicht in die Quere kommt.
Heraus kommt nach alldem das vermeintlich völlig autonome Subjekt, dass zwar von der eigenen gesellschaftlichen Ohnmacht weiß, sich darüber aber mit der Allmacht im eigenen Bewusstsein trösten kann. Nichts Fremdes, was sich seinem Denken nicht einfügt, kann mehr von außen an das Subjekt herankommen. Aber in seiner gedanklichen Verfügung über sich und die Welt verarmt es. Es schrumpft zum Punkt der urteilenden Vernunft.
Gerade die Erfahrung von Wahrheit, Sinn oder Glück, in der sich das Subjekt aufgibt und ans Objekt verliert, muss dem GSP also besonders verdächtig erscheinen. (Wahrheit habe man, wenn man die Sache erklärt wie sie ist und das Argument gelernt hat. Sinn vertrage sich nicht mit den harten Fakten, da er grundlos dahinter will. Glück gebe es nicht, da es Befriedigung überhaupt und abstrakt wolle.) Ihr politisches Programm bleibt damit auch auf das Interesse nach mehr äußerlichen, isolierten und zusammenhanglosen Befriedigungsakten beschränkt, die im Kapitalismus einer großen Zahl in den Zentren seiner Entwicklung auch zunehmend zu teil wurden. Damit wird die heute in der kapitalistischen Wirklichkeit hergestellte Verarmung und Gewalt der Subjekte gegen sich und andere in der Theorie absolut gesetzt und verewigt.
Ändern sollen sich schließlich auch nur die Zwecke in den Beziehungen der Menschen zu einander, ihre Struktur soll unberührt bleiben: Sie waren Mittel zum Zweck und sollen es bleiben.(21) Dieses Aufgehen der Zwecke als Folge der vernünftigen gegenseitigen Benutzung kann dann natürlich nicht in der Form unmittelbarer Beziehungen zwischen Menschen existieren, sondern eben in einem Meer von Dingen. Das hat natürlich nichts mit Warenproduktion und -tausch zu tun, so sei es eben. »Frauen argwöhnen immer, dass sie um ihrer Schönheit willen geliebt werden oder um des Sex willen. Da möchte man immer sagen: ›Ja was denn sonst?‹«(22)
Eindenken des Wunsches
Die Fehler und die Härten, die sich durch die Kritik des GSP ziehen sind Ausdruck einer Rationalität, die sich ausgehend von Widerspruchsfreiheit zum geschlossenen System entwickelt. Alles, was ihm fremd ist und sich ihm entzieht, versucht es sich mit Härte einzuordnen: »Mach mal ein Argument draus!«. Der Wunsch nach Unmittelbarkeit, Sinn, Glück oder dem Ende des unnötigen Leids (i.S.v. Moral) fallen diesem Denken als bloß gedanklicher Unsinn zum Opfer. Von diesen Wünschen geht dabei ihre Kritik aber notwendig aus, denn um weniger zu arbeiten und mehr zu konsumieren wird auch beim GSP niemand Kommunist_in. Da sie aber nicht reflektiert werden und in ihrem Denken auch nicht reflektiert werden können, muss sich der GSP gegen die nicht rationalen Gründe seiner Kritik wenden.
Um dieser Tendenz entgegen zu wirken, müsste sich vernünftiges Denken auf seinen Ursprung: die ihm fremden Wünsche besinnen, ohne sie selbst an seinem eignen Prinzip zu messen. An bloß rationaler Vernunft würde sich noch jeder moralische Impuls und der Wunsch nach mehr, als dem Immergleichen – nach Glück, Sinn oder Versöhnung – als unvernünftig und leer blamieren, aber ohne diese Wünsche wird schließlich auch Vernunft unvernünftig und leer, weil sie sich damit ihrer Zwecke entledigt.
Beim GSP werden als Wünsche nur noch die isolierten, eigenen Interessen gelten gelassen, die dann im Kapitalismus wirklich erstmal zweckmäßiger untergebracht wären. Dieser letzten Konsequenz scheint jedoch immerhin beim GSP eine psychologische Schranke gesetzt zu sein. Diese müsste bewusst werden.
[Konrad Ess]