• Titelbild
• Editorial
• das erste: Thesen für kein »Allahuakbar«, sondern eine Todes-Fatwa
• 2cl Sommerkino auf Conne Island
• Klub: KANN Garden
• Klub: electric weekender 2014
• doku: Feuilleton vs Onkelz: Guter Pop, böser Pop
• inside out: Jahresbericht Projekt Verein e.V. 2013
• doku: Demagoge des Mainstreams
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• das letzte: ZWEI TAGE MIT MICHAEL
Die Böhsen Onkelz sind zurück: Zwei ausverkaufte Konzerte am Hockenheimring kommendes Wochenende (20./21. Juni) – mit geschätzt jeweils 90.000 Zuschauern - waren binnen Stunden ausverkauft, Ticketpreis gut 60 Euro. Das Feuilleton schlägt gemeinsam mit bürgerlichen Pop-Journalisten und linken Kritikern die Hände über dem Kopf zusammen. Get over it. Ein Debattenbeitrag.
Während in Vorstädten und Plattenbausiedlungen des Landes der Jubel groß ist, jaulen Feuilletonschreiber und Popkulturdemokraten bestürzt auf. Neben dem Empörungsdauerbrenner Frei.wild, die auch dieses Jahr wieder für den Echo nominiert wurden, hat Anfang des Jahres die Ankündigung der Böhsen Onkelz, diesen Monat am Hockenheim Ring ihr Comeback zu geben, für eine Flut überwiegend schlecht geschriebener Artikel gesorgt. Diese Artikel haben eines gemeinsam: Sie erzählen ziemlich wenig vom Phänomen Böhse Onkelz und ihren Fans, sagt dafür aber viel über die Selbstverortung der Autoren aus. Der Erkenntnisgewinn tendiert dementsprechend gegen Null.
Dabei ist die Sache halbwegs nüchtern betrachtet eigentlich recht einfach: Die Kids aus der Unterschicht, die Musik für andere benachteiligte (oder zumindest sich benachteiligt fühlende) Kids machen, haben in jungen Jahren phasenweise Musik mit rassistischen Texten gemacht oder sich an einer anderen Subkultur (Punks und Linke, damals gab es ja noch keine Antifa) abgearbeitet, diesen Pfad aber relativ schnell wieder verlassen. Das ist Teil ihrer Bandgeschichte und die Band bestreitet das auch nicht. Weder in der einzigen autorisierten Biographie »Danke für nichts«, noch in ihren sonstigen öffentlichen Auftritten leugnen die Böhsen Onkelz, dass sie, als sich in Deutschland die Skinheadszene Anfang der 80er Jahre nach rechts entwickelte, für eine gewisse Zeit ebenfalls rassistische, vor allem aber ziemlich stumpfe Provotexte sangen.
»Mit den Böhsen Onkelz ist eine berüchtigte und zugleich eine der wehleidigsten Bands der deutschen Popgeschichte zurück.«
Dieser Satz von Joachim Hentschel in der Süddeutschen Zeitung in einem Artikel zur Reunion der Böhsen Onkelz (Man muss sich das mal vorstellen: Ein Autor in der deutschen Tageszeitung, die auch im Jahr 2014 noch mit antisemitischen Karikaturen brilliert, entblödet sich nicht den Böhsen Onkelz vorzuwerfen, dass sie 1992, also zu einer Zeit als man sich schon lange von Rassismus und rechtem Gedankengut distanziert hatte(1), ein Konzert in Rostock zu spielen(2)), steht beispielhaft für die beschränkte Sicht auf die Band und den Sozialchauvinismus gegenüber einer weniger gebildeten und ausgebildeten Klasse, der in weiten Teilen der Feuilletons und dem deutschen Popbetrieb herrscht.
Wehleidigkeit artgerecht aufgearbeitet
Es gibt in dieser beschränkten Welt nur eine richtige Auseinandersetzung mit den Verhältnissen, nämlich die eigene und in dieser ist Wehleidigkeit nur gestattet, wenn sie von einem konsensuell positiv rezipierten Künstler artgerecht aufgearbeitet wird. Wer das ist, kann man in den Feuilletons und den noch verbliebenen Popblättern nachlesen.
Besonders irrsinnig und fast schon reaktionär wirkt der Vorwurf der Wehleidigkeit gegenüber einem Produzenten von Kulturgütern in Anbetracht der Tatsache, dass das Leiden an der Welt bzw. den Verhältnissen Triebfeder vieler bis aller großartiger Musiker ist – als seien das eigene Leid, die Implikationen des Coming Of Age oder die als ungerecht wahrgenommenen Verhältnisse Themen, die lediglich von den Böhsen Onkelz thematisiert würden. Doch scheinbar gilt auch hier wieder die Faustformel der elaborierten Freunde der Popmusik: beklagtes Leid im eigenen Milieu ist melancholisch, beklagtes Leid im Prollmilieu ist wehleidig.
»Berüchtigt« hingegen sind die Onkelz noch immer wegen der rassistischen Texte des Albums »Der nette Mann«, in denen sich eine unreflektierte und falsche Weltsicht aus dem Erfahrungshorizont Großstadt mit all seinen Konflikten explizierte. Mit der zunehmenden Politisierung und versuchten Agitation rechter Parteien und Gruppen änderte sich auch die Haltung der Böhsen Onkelz und sie sangen fortan wieder ganz unpolitisch über die Themen des kleinen Mannes, die Mitgröhlmusik passend zum wochenendlichen Bierkonsum.
Stellvertreter für das Proletariat
Das Problem mit den Böhsen Onkelz war und ist jedoch nicht die temporär problematische politische Einstellung. Die Frankfurter Band diente und dient vielmehr als Stellvertreter für das Proletariat und dieses ist, wie der Bildungsbürger zu wissen meint, rassistisch, prollig und dumm. Gute Voraussetzungen also, um sozialchauvinistisch vom Leder ziehen zu können und mit den Böhsen Onkelz bzw. ihrer Anhängerschaft als Projektionsfläche den Hass auf das kulturlose Gesindel auszuleben. Übrigens ein Phänomen, das sich im linken Milieu öfter beobachten lässt. Gute (Pop-)kultur versus schlechte (Pop-)kultur, wir gegen die, der engagierte Student gegen den unpolitischen Arbeiter.
Die Konstruktion der Gegensätze und die tiefe Abscheu gegenüber einer unverständlichen Kultur waren und sind essentieller Teil der Onkelz-Rezeption in Deutschland. Die von der eigenen Lebenswelt abweichende »Prollkultur« wird der Band vom bildungsbürgertümlichen Popmilieu übel genommen, denn Widersprüchlichkeiten und biographische Brüche sind nur akzeptabel so lange sie den Koordinaten der eigenen Lebenswelt entsprechen. Ein kürzlich erschienener Artikel in der linken Wochenzeitung Jungle World, der sich mit dem neuen Album der aus der Hamburger Poststudentenwohlfühlband Superpunk hervorgegangenen Kombo Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen beschäftigt, kommt dementsprechend nicht ohne ein Zitat mit Verweis auf die Böhsen Onkelz und Frei.wild aus:
Bands wie Böhse Onkelz oder Freiwild sind natürlich noch grauenvoller als alles andere. Die sind eklig und gefährlich. In einem Land zu leben, in dem so etwas gekauft, gehört und gut gefunden wird, ist kein schönes Gefühl.
Die Böhsen Onkelz und Frei.wild sind also grauenvoller als alle anderen Musiker Deutschlands? (Schlimmer als Landser? Schlimmer als Heino? Wirklich?) und Symptom für die Schrecklichkeit dieses Landes. Sie lösen sogar solch ein Unbehagen aus, dass die Band sich ekelt. Die Beschreibung »eklig« ist, freilich ungewollt, ehrlich und aufschlussreich. Der menschenfeindliche Ekel vor den Ungebildeten, dem plebs, das als Onkelz- oder Frei.wild-Fanschar ganz real auftritt, im Gegensatz zur abstrakten Arbeiterschaft, die man von der Marxlektüre kennt und der natürlich alle Solidarität gilt, so lange sie sich nicht konkretisiert und Gefahr läuft den Paradigmen und Geschmäcklereien des eigenen Milieus zu widersprechen, dieser Ekel ist die hilflose wie gefühlige Antwort auf Verteilungs- und Grabenkämpfe.
Das Ende der großen Erzählung
In einer hyperausdifferenzierten Popwelt mit immer mehr Subgenres und immer absurder scheinenden Identitätskombinationen hat das Ende der großen Erzählung für einen einschneidenden Relevanzverlust gesorgt. Da sind die Onkelz wie auch Frei.wild mit ihren hohen Verkaufszahlen und ausverkauften Hallen samt Zusatzkonzerten Projektionsfläche und Sinnbild für alles schlechte, niveau- und kulturlose dieser Welt, Stellvertreter für ein sich nicht betont urban gebendes Milieu, ein Rettungsanker, der vor allem die Aufgabe der Selbstvergewisserung erfüllt.
Dabei ist die Biographie der Onkelz der ihrer zumeist studierten Kritiker aus dem Popkulturmilieu ähnlichen Alters vermutlich relativ ähnlich; genervt vom Mainstream und der Angepasstheit der Klassenkameraden im tristen bundesrepublikanischen Deutschland der 80er Jahre, entstand hier wie dort ein Interesse für vermeintlich unangepasste Musik und Subkultur. Platt gesprochen mit dem Unterschied, dass die einen die Hauptschule und die anderen das Gymnasium besuchten.
Unverfängliche Heimatliebe
Ein bisschen komplizierter stellt sich die Gemengelage bei Frei.wild dar: Frontmann Burger spielte bei den Kaiserjägern, zweifellos eine widerliche Rechtsrockkombo und hat seine Mitgliedschaft bei den Freiheitlichen erst aufgegeben, als der öffentliche Druck zu groß wurde und zukünftige finanzielle Einbußen absehbar waren. Um das Wachstum des Firmengeflechts Frei.wild, das aus eigenem Label, Merchimperium mit Shop in Brixen und dem Kerngeschäft Tonträgerverkauf und Konzertauftritte besteht, in der Zukunft nicht zu gefährden, war es notwendig die Geschichte der Läuterung zu schreiben. Der aggressive Nationalismus der Kaiserjägertage wurde durch einen mainstreamkompatiblen Patriotismus und unverfängliche Heimatliebe ersetzt.
Frontmann Philipp Burger und seine Truppe haben erkannt, dass sich der große Erfolg, also das Füllen großer Hallen, das Erspielen einer treuen Anhängerschaft, das Ausfüllen der Lücke, die die Böhsen Onkelz hinterlassen haben, nur durch braves Staatsbürgertum und die Anerkennung demokratischer Grundwerte zu erreichen ist. Es ist eigentlich eine schöne Erfolgsgeschichte der Demokratie, die Frei.wild und im Speziellen ihr Frontmann schreiben. Burger revidiert seine Meinung, lehnt fortan jegliche Art von Extremismus ab und machte so den Weg frei zum Startum.
Volksmusik 2.0
Stellt sich die Frage wieso ausgerechnet Frei.wild solch einen Wirbel erzeugen, wieso eine Südtiroler Band, die eingängigen Deutschrock mit regionaler Folklore würzt, soviel Aufmerksamkeit erfährt? In Sachen Heimatverbundenheit und Co unterscheiden sie sich jedenfalls nicht großartig von den Inhalten von Schlagern und Volksmusik. Da genügt es Samstagabends einfach mal den Fernseher anzuschalten und sich die Feste der Volksmusik oder das Musikantenstadl anschauen, damit klar wird: Frei.wild machen Volksmusik 2.0. Mit Gitarren und Rebellengestus statt mit Akkordeon und Lederhose. Nicht mehr und nicht weniger.
In Anbetracht dessen erscheint vor allem die beständig wiederholte und empirisch nie überprüfte Mär der Scharnierfunktion, die die vermeintliche Gefährlichkeit von Frei.wild aufzeigen soll, wie ein maues Mantra dessen stetiges Runterbeten auch nichts an der Tatsache ändert, dass durch Frei.wild sicherlich keine Horden heimattümmelnder Nachwuchspimpfe herangezüchtet wird, sondern Frei.wild einfach nur den Soundtrack zum eigenen Mikrokosmos liefert, der zwischen Schützenfest, tiefergelegtem Golf und Großraumdisko selbst den stinknormalsten Stinos die Illusion von Dissidenz und vor allem Distinktion zu irgendwelchen anderen Stinos liefert.
Symptom, nicht Problem
Die Böhsen Onkelz und Frei.wild sind also nicht wirklich das Problem, sondern eher Symptom ausdifferenzierter gesellschaftlicher Verhältnisse, die sich dennoch in einem demokratischen Rahmen bewegen. Das Problem ist die kreuzbiedere deutsche Pop- und Kulturkritik, die kaum in der Lage ist über den eigenen Tellerrand zu schauen, Analyse durch Stilkritik ersetzt und keine Empathie mit der Arbeiterklasse aufbringen will, denn dann müsste sie den Sozialchauvinismus und die Ausgrenzungsmechanismen des eigenen Milieus reflektieren.
Die Böhsen Onkelz nicht zu mögen, ist der Nobrainer unter den Haltungen und in seiner Konsenshaftigkeit in etwa vergleichbar mit dem Ablehnen des Babyrobbenschlachtens. Die Böhsen Onkelz – und seit ein paar Jahren Frei.wild – erfüllen dabei eine wichtige Funktion: Sie helfen einer ganzen Menge an Schreibern, sich distanzierender Bands, Labelbetreibern und sonstigen Dampfplauderern in Sachen Selbstvergewisserung, Geschmäcklertum und Identitätsbildung weiter. Dabei hat sich eine dauerhafte Win-win-Situation etabliert: Die Bands können sich als Rebellen vermarkten, als von Gutmenschen an den Rand der Gesellschaft gedrängten Außenseiter, die sich nicht unterkriegen lassen und die Mitsänger des bildungsbürgertümlichen Empörungs-Kanons versachlichen ihre Abscheu gegenüber einem wenig distinguierten Musikstil.
Dabei würde es sich lohnen doch mal ein wenig genauer hinzuschauen und sowohl Frei.wild als auch die Böhsen Onkelz ohne den emotionalisierten Furor des betrübten Bildungsbürgers zu betrachten, der seine subkulturelle Nische gegen den Plebs mit allen Mitteln der Wortwahl verteidigt.
[Jonas Gempp]