• Titelbild
• Editorial
• das erste: Hallo liebste Bingo-Crew!
• inside out: Fußball statt Deutschland
• Motorpsycho, Grandloom
• Klub presents: ALL Crews
• Bingo Under Palms On The Island"® - Special
• Punk Matinée im Bowl
• 2cl Sommerkino
• review-corner buch: Berthold Seliger – »Das Geschäft der Musik«
• position: Maydan als Raum der Selbstbehauptung
• position: »Widerstand gegen sich selbst« — Konsumkritik als subversive Praxis oder kapitalistische Selbstoptimierung?
• doku: Verkürzte Kapitalismuskritik und die Ideologie der einfachen Warenproduktion
• review-corner event: Montagsdemos für den Frieden
• Neues vom Baum auf dem Freisitz
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• das letzte: Das Letzte
Nein sagen. Sich verweigern. Es anders wollen, es anders machen: Dissens als Motiv. Dissens aus Hoffnung auf Utopie. Dissens mit einem leeren Versprechen von Utopie - so vieles, und mehr, kann in einem Nein liegen. Aber jedes Nein, so radikal es sich auch gibt, verweist auch immer irgendwo auf ein Ja. Ein Ja zu sich selbst vielleicht. Ja zur Möglichkeit des Anderen. Ja aus festem Glauben an das Andere. Ja zum Ausprobieren.
In meinem Nein zu »Linken Leipziger Zuständen«(1) vor ein paar Monaten steckte ein bekennendes Ja. Ein Ja zu linker Praxis, verstanden als die »tägliche Ausrichtung des eigenen Handelns auf emanzipatorische Ziele hin: keine Diskriminierung im eigenen Umfeld dulden zu können, Mitbestimmung einzufordern … das Vor- und Ausleben von Solidarität und Autonomie, so weit das eben möglich ist.«(2) Ja zu linken Räumen, in welchen diese Praxis kultiviert wird, und zwar eben nicht allein in Form von »Hausprojekten, sozial verwalteten Strukturen, etc.«(3), wie es in der Replik auf mich hieß. Mir ging es in meinem Beitrag um die Blockupy Proteste, und um die Idee, öffentlichen Raum wiederzuerfinden. Ich kritisierte die exklusive Mentalität von sich als radikal links begreifenden Gruppen in Leipzig, wo Eschatologie und binärem Denken Vorzug vor linker Praxis gegeben wird.(4) Mein Vorschlag war und bleibt, sich Problemen in der Formulierung von Alternativen zu stellen, und nicht mit dem Verweis auf etwas ultimativ Anderes abzutun. Im Folgenden will ich diesen Gedanken etwas weiter spinnen, vielleicht über die Grenze machbarer linker Praxis hinaus. Vielleicht aber auch nur konsequent zu eben den Problemen führend, die es als Linke zu thematisieren gälte.
Was ich zu sagen habe, ist untrennbar verwickelt mit meinen Beobachtungen auf dem Maydan im endenden Januar. Linke hierzulande waren zu dem Zeitpunkt schon auf die populistischen und autoritären Gruppen auf dem Maydan versteift, von Solidaritätsbekundungen links von den Regierungsparteien war nicht viel zu hören.(5) Nun, wo der Hass die Menschen in der Ostukraine verzehrt, kann dies leicht als Bestätigung dieser früheren Abgrenzung gesehen werden. Doch die Gewalt in Odessa und Donezk ist nicht auf Kriegstreiberei der Übergangsregierung zu reduzieren. Es spricht aus ihr auch die Verzweiflung einer alleingelassenen Suche nach Alternativen. Hinzu kommt der Wahn eines Ponomajow, welcher mit der Propaganda eines vermeintlichen Antifaschismus in Slawjansk spielt. Allzu leicht scheint vergessen zu werden, dass es auf dem Maydan ein durchaus nachvollziehbares Nein gab. Ein Nein, von dem ich denke, dass es wichtig ist, es durch linke, kritische Praxis zu begleiten.
Bei meiner Ankunft in Kiew im Februar hielten die Menschen den zentralen Platz in der Innenstadt bereits seit 10 Wochen besetzt.(6) Der erste Eindruck beim Verlassen der U-Bahn Station: Eine verblüffende Normalität. Innerlich war ich wohl auf eine Ausnahmesituation eingestellt gewesen, eventuell auf Anfeindungen von Seiten der Maydana. Doch anstatt faschistoider Horden, die mich über den Maydan jagen würden, blickte ich als erstes auf eine provisorische Tischtennisplatte. Um diese herum liefen junge Menschen, manche mit Dreads, andere im Anzug, sich den Ball zuspielend. Um sie eine weite Zeltstadt, deren Ende kaum auszumachen war. Mein Weg führte vorbei an der Platte über mehrere Barrikaden, wo dann jene martialisch wirkenden Männer standen, von denen die Presse in Deutschland die Tage zuvor berichtet hatte. Sie präsentierten ihre ganz offensichtlich benutzten Knüppel wie Trophäen. Interesse hatten sie aber keines für mich. Ein paar Meter hinter einer größeren Barrikade kreuzte eine Gruppe älterer Frauen in Pelzmänteln meinen Weg. Sie schäkerten auf russisch, halfen sich gegenseitig über die Eissäcke, scherzten, und ließen sich nicht vom Spektakel im Umfeld beeindrucken. Diese ersten Eindrücke begleiteten mich auf mein gemietetes Zimmer im Hostel. Von meinem Bett aus konnte ich den Maydan sehen und hören, ja sogar riechen.
Der Geruch der Revolution, so sagten sie auf dem Maydan, sei der nach verkohltem Holz. Zusammen mit weißem Rauch stieg er aus den Rohren, welche durch die alten Militärzelte stachen, und bedeckte den Platz wie die Kleidung all Jener, die sich auf ihm bewegten. Mit den besseren Öfen in den dunkelgrünen Zelten konnte auch Wasser für Tee gekocht werden, andere waren während der kältesten Tage eher provisorisch zusammengeschweißt worden. Ohne die Öfen wäre kein Aushalten gewesen, bei Temperaturen von bis zu -27°; und das über mehrere Tage hinweg. Um den Maydan in dieser Kälte und gegen die Regierung unter Janukovych zu halten, brauchte es gute Organisation. Jeden Morgen wurden neue Holzpflöcke für die wärmenden Feuer angefahren. Freiwillige entluden sie, zerhackten oder zersägten das Holz, und verteilten es dann auf die Zelte. Auch die Leute am Steuer der Autos waren Freiwillige. Sie transportieren nicht nur das Holz, sondern auch Kleidung, und Essen, sogar bis hin zu den alten Reifen für die Barrikaden. Dabei nahmen sie große Risiken auf sich. In der Nacht wurden ihre Autos auch noch fernab des Maydan in Brand gesetzt, und das war noch der bessere Fall. Im schlechteren war es nicht das Auto, welches den Protesten auf dem Maydan gewaltsam genommen wurde. Der Begründer des »Automaydan«, also der Gruppe, die sich um die Koordination der Transporte kümmerte, war die Woche vor meiner Ankunft verschwunden. Er tauchte während meiner Zeit in Kiew wieder auf, allerdings blutig geprügelt, und nur im Fernsehen. Der Folter entkommen, war er nun auf der Flucht. In seiner Angst vor dem Sicherheitsapparat unter Janukovych war er nicht allein. Wer sich entschied, sein Nein auf dem Maydan zu formulieren, brachte sich in spürbare Gefahr. Sich auf den Maydan zu stellen, bedeutete sich gegen einen korrumpierten und zynischen Staat zu stellen, ohne wissen zu können, wohin dieser Protest führen würde.
Nirgendwo war der Trotz, verbündet mit einem triumphierenden Hass des gelingenden Widerstands gegen die Staatsgewalt so deutlich wie auf Hrushevskoho. Ein dunkler Ort. Schwarze Schlacke von verbrannten Reifen bedeckte den Boden, und ich watete durch den klebrigen Moder der Barrikadenkämpfe vom 18. und 19. Januar. Die Straße war völlig zerrüttet, ihre Steine als Wurfgeschosse herausgerissen. An den mehrstöckigen Häusern ringsum klebte der Ruß tagelanger Brände. Kaum wiedererkennbare Karossen, vom Feuer verrostet und mit Schutt und Reifen gefüllt, reihten sich von der einen Straßenseite zur Anderen. Vor ihnen segneten Priester die Barrikaden, auf dass sie standhielten. Oben, auf den Barrikaden, erkennbar erschöpfte Männer(7), ihre Gesichter und Blicke so schwarz, wie der Ort, den sie geschaffen hatten. Ich stellte mich neben sie, einer von ihnen drückt mir wortlos ein Fernglas in die Hand. Mein Blick hindurch holt die nur einen Steinwurf entfernt stehende ukrainische riot police ganz nah. Da stand sie, die Berkut. Zwischen ihnen und mir ein Friedhof. 94 Kreuze steckten im Eis vor den Barrikaden; für jede vermisste Person vom Maydan eins. Für vier Andere war Hrushevskoho zu ihrem eigenen, nicht nur angedeuteten Friedhof geworden. Zwei von ihnen starben durch Schüsse von Scharfschützen auf den Dächern der umliegenden Häuser. Dass es nur wenige Tage später so viele mehr werden würden, konnte hier niemand erahnen. Wie weit Menschen auf dem Maydan aber bereit waren zu gehen, das wurde mir dort, wo ich stand, nur all zu klar.
Die apokalyptische Vision auf Hrushevskoho war aber nur eins der Potentiale, die sich zu diesem Zeitpunkt auf und um den Maydan formuliert hatten. Barrikaden, welche noch vor Weihnachten errichtet worden waren, sprachen eine ganz andere Sprache. Sie waren bunt verziert, und vor ihnen standen Fässer in Geschenkpapier; Ironie in der Gestaltung von Selbstbehauptung. Unterhaltungsprogramm aus der Konserve berieselte den Platz von der großen Bühne aus, welche von den Oppositionsparteien finanziert und aufgestellt worden war. Jeden Abend um acht versammelte sich eine Traube von Menschen davor, um gemeinsam Nachrichten auf den großen Bildschirmen zu schauen. Nur Sonntags kamen die Massen, 70.000 allein an jenem Wochenende, an dem ich in Kiew war. Die Menschen kleideten sich oft in Blau, Teil der ukrainischen Nationalfarben, aber auch Farbe von jenem politischen Versprechen, von welchem sich Besserung für die Zukunft erhofft wurde: Europa. Und zwar genau jenes Europa, welches den privaten Konsum als großes Glück anpries, indem über so viele Grenzen hinweg gereist werden konnte, in welchem Bürokratie und Recht sich nicht völlig der Willkür politischer Eliten zu ergeben schien. Passend zu diesen Hoffnungen öffneten die Geschäfte um den Maydan nach wie vor jeden Tag, es gab keine Plünderungen oder Drohungen. Im Gegenteil, vom Straßenkampf zerbrochene Scheiben wurden umsichtig ersetzt. Ein McDonalds war gut besucht, und zugleich als Teil einer Barrikade in den Raum des Protests mit verbaut. Das Ja, welches hier von der großen Zahl der Menschen formuliert wurde, war ein durch und durch pragmatisches, ein Hoffen auf Teilhabe in politischen Wegentscheidungen, und auf die glitzernde Welt von Konsumkultur. Das Ja im Nein auf dem Maydan war noch nicht einmal der Versuch eines großen Wurfes in die neue heile Welt, aber ein mir nachvollziehbares, nüchternes(8). Ein Ja, was ich, und so viele Andere um mich, zweifeln lässt, und doch tagtäglich als gegebenes Privileg hingenommen wird.
Eben in dieser fehlenden ideologischen Untermalung des Protests verstanden es populistische und autoritäre Gruppen wie Svoboda nur zu gut, sich als richtungsgebende Führung zu präsentieren. Sie nahmen gern repräsentative Posten am Maydan ein, erzählten ausführlich der Presse von ihrem Selbstbild und der bestimmenden Rolle, die sie hier hätten. Doch das Bild, das Svoboda und der Pravyj Sektor von sich zeichneten, und jetzt im Wahlkampf natürlich aufrecht halten wollen, ist, das sollte wenig überraschen, sehr verzerrt.
In einem besetzten Gebäude zwischen Maydan und Hrushevskoho, dem »Ukrainian House«, wurde darüber hitzig diskutiert. Schon seit einigen Tagen wurden dort Vorträge und Diskussionen organisiert, eine freie Universität war gegründet worden, Menschen brachten Bücher für eine offene Bibliothek. Zufällig stolperte ich in eine Podiumsdiskussion, die kurz ins Englische sprang. Ein Mann fragte, vermutlich Journalist, warum sich die Proteste nicht klar von den Ultranationalisten und Populisten dissoziierten. Auf brechendem englisch erwiderte ein Anderer vom Podium aus, dass das Thema ein leidiges wäre, ob denn den Menschen im Ausland nicht bewusst wäre, dass sich die Menschen hier versuchten gegen eine drückende Tyrannei von Seiten des Staates zu wehren. Die Erwiderung darauf kam auf ukrainisch, harsch im Tonfall, aber ich verstand das Gesagte nicht mehr. Abseits der Podiumsdiskussion erzählte mir ein junger Student, er helfe einen landesweiten Studierendenstreik zu organisieren. Er sagte, Wenige würden das wissen, aber hier auf dem Maydan seien viele Anarchos aktiv. Er sei einer davon. Im Laufe des Gespräches erzählte er mir, dass das, was ich auf Hrushevskoho gesehen hätte, nicht das Werk von Svoboda und auch nicht vom Pravj Sektor gewesen sei. Die, die es mit der Berkut aufnehmen könnten, das seien die Veteranen aus dem sowjetischen Krieg in Afghanistan. Sie seien damals im Dezember auf den Maydan gekommen, als die Bilder von wehrlosen Studenten die Runde machten, wie sie von der Berkut am frühen Morgen vom Maydan geprügelt wurden. Sie seien gekommen, und hätten gleich die »Maydan Selbstverteidigungseinheit« gegründet. Um »ihre Kinder« zu beschützen. Sie würden sich als unpolitisch begreifen, aber gekämpft hätten sie gleich, als gäbe es für sie nichts zu verlieren. Erst viel später habe ich erfahren, dass die alten Veteranen aus Afghanistan in der Ukraine unter einem starken Stigma gestanden hatten. Dann, nur ein paar Monate vor den Protesten, hatte Janukovych ihnen den Sold gestrichen. Ich fragte den bekennenden Anarchisten, ob er denn keine Probleme mit der Militanz und dem Nationalismus hier auf dem Maydan hätte. Doch, sagte er. Deswegen sei er ja hier. Er könnte den Maydan nicht den Idioten von Svoboda überlassen. Ich nickte.
Mir geht es hier nicht um eine zwingende Notwendigkeit neuer Bündnisse, auch nicht darum, alles und Jede_n auf dem Maydan rückhaltlos zu unterstützen. Worum es mir geht, ist die Bereitschaft sich einzumischen, mitzugestalten, Möglichkeiten der Solidarität auszuloten. So dystopisch die kollektive Selbstbehauptung in Kiew auch anmutete, es ist ein nachvollziehbares, konkretes Nein darin. Ein Nicht-hinnehmen-wollen von politischer Bevormundung und Einschüchterung. Das Ablehnen von ökonomischer Perspektivlosigkeit. Selbstbehauptung gegenüber einem Staat, in dem die Interessen ganz Weniger weit über jenen der Bevölkerung standen. Sich zu diesem Nein solidarisch zu positionieren, muss möglich sein. Auch denke ich, dass Kritik, die von einer solidarischen Anerkennung dieses Neins in Kiew ausgeht, die wertvolleren Impulse gegen rechte Gruppierungen in der Ukraine geben kann. Nein zum allzu abstrakten Abstrafen von Praxis. Ja zur konkreten Kritik. Nicht einfach aus »Respekt« vor dem Geschehen, sondern aus dem Motiv heraus, ein konkretes Nein in seinem drängen nach einem Ja mitgestalten zu können. Nein zum selbstgefälligen Rückzug ins »linksradikale« Biotop. Ja zum Courage zeigen, da draußen.
[Daniel Palm]