• Titelbild
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• das erste: Hallo liebste Bingo-Crew!
• inside out: Fußball statt Deutschland
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• Punk Matinée im Bowl
• 2cl Sommerkino
• review-corner buch: Berthold Seliger – »Das Geschäft der Musik«
• position: Maydan als Raum der Selbstbehauptung
• position: »Widerstand gegen sich selbst« — Konsumkritik als subversive Praxis oder kapitalistische Selbstoptimierung?
• doku: Verkürzte Kapitalismuskritik und die Ideologie der einfachen Warenproduktion
• review-corner event: Montagsdemos für den Frieden
• Neues vom Baum auf dem Freisitz
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• das letzte: Das Letzte
»Wer nur von Musik etwas versteht,
versteht auch davon nichts« – Hanns Eisler
Berthold Seliger liefert mit seinem Buch »Das Geschäft mit der Musik« eine
bestimmte und peinlich genaue Analyse des Musikgeschäfts ab, welche ihres-gleichen sucht. Seine Erfahrungen in sämtlichen Bereichen des Musikbusiness hat er als Tourneeveranstalter und Inhaber einer Konzertagentur mit Bands
wie Calexico, Patti Smith, Lambchop oder Lou Reed nach über 25 Jahren gesammelt. Sie sind Gegenstand dieses Buches.
Dieses versteht sich als eine Art Abgesang an die »Indie«-Musikindustrie, welche in den letzten zwanzig Jahren eine »Kommerzialisierung des Konzertgeschäfts« und »Industrialisierung des Konzertwesens« erfahren hat, deren Dimension in der Öffentlichkeit nur sehr wenig bis gar nicht wahrgenommen wird. Es soll als eine »Streitschrift für eine andere Kultur« verstanden werden.
Auch wenn Seligers Buch einen wirklichen Gegenentwurf für »eine andere Kultur« schuldig bleibt, gibt es doch einen minutiös aufgelisteten Einblick in die Funktion und Praxis des Musikbusiness, deren Dimensionen so weitreichend bleiben wie von vielen unverstanden, sodass es eigentlich genug Sprengstoff und Brisanz für längst überfällige Diskussionen liefern müsste.
Auch wenn sich Seliger mit seiner ideologiebehafteten Kritik an der Musikindus-trie immer wieder aufs Glatteis begibt und dadurch leider oftmals die Welt in ein einfaches ›Gut und Böse‹ einteilt – bspw. mit einer verklärten, romantisierten DiY-Szene, der es nur um die Liebe zur Musik ginge auf der einen, und der »Klasse der Kapitalisten« auf der anderen Seite – , so konnte ich bisher bei keiner anderen Publikation die vielen von ihm beschriebenen Prozesse und Ansätze so unterschreiben wie hier, weil dieses Buch eben gar nicht den Anspruch erhebt, alles in einen theoretischen Gesamtkontext einzuordnen, sondern die teilweise
absurde Praxis oftmals einfach nur nüchtern betrachtet und gezielte Verbesserungsvorschläge anbringt.
»Das Geschäft mit der Musik« zeigt die durch und durch kommerzialisierten Verfahrensweisen einer sich als ›independent‹ oder ›alternativ‹ generierenden Musikindustrie auf, die ihrem Handel mit kulturellen Waren oftmals einen subversiven Habitus verleiht, aber eben denselben Marktgesetzen und vor allem Abhängigkeiten von Konzernen in Form von Ticketanbietern, Agenturen und Spielstätten unterliegt, wie die Auto- oder Bockbierindustrie. Seliger stößt das übel auf, da er in den letzten Jahren oftmals mit Menschen zusammenarbeiten musste, die mit der Musik an sich nichts mehr gemein hatten und nur eigene (Wirtschafts-)Interessen verfolgten, was laut Seliger zu einer für ihn beängstigenden »Marktkonzentration der Konzertveranstalter und Ticketverkäufer« geführt hat, welche auf immer mehr Gleichmacherei und Konformität abzielt. Es ist heutzutage zum Beispiel kaum mehr vorstellbar, dass damals, im Jahr 1970, völlig abseitige Bands wie Kraftwerk oder Can im Öffentlich-Rechtlichen beim Rockpalast auftreten konnten.
Auch wenn es heute den Boiler Room gibt und die Relevanz öffentlich-rechtlicher Medien eine ganz andere ist als 1970, wird im Buch sehr gut veranschaulicht, dass es ab einem bestimmten Erfolgslevel eben solch einer Konformität bedarf, der man sich nicht wirklich entziehen kann, wenn man Konzerte vor mehreren tausend Menschen spielen will. Sowohl als Künstler*in als auch als Veranstalter*in kann man davor die Augen verschließen oder vielleicht »so tun als ob«, um den Anspruch von ›Indie‹ vor sich selbst zu legitimieren und seinen Fans ein gutes Gefühl vorzugaukeln, damit sich die völlig überteuerten Tickets, von deren Gewinn nur ein Bruchteil bei den Veranstaltern und Bands bleibt, trotzdem verkaufen.
Seligers Kulturpessimismus ist aufs Schwärzeste eingefärbt. Doch wie kann man es ihm mit seinen Erfahrungen verübeln? Man muss ihm danken. Ich wünsche mir, dass durch Seligers Darstellung eine Debatte in Gang gesetzt wird, die auch das Conne Island beim ein oder anderen Konzert schon längst hätte führen müssen.
»I am not a business man, I am a business, man!« – Jay Z
Die aufgezeigten Entwicklungen der letzten 20 Jahre nehmen für Seliger ihren Ursprung – natürlich, wo auch sonst – in den »neoliberalen United States Of America«, genauer gesagt in deren Telecommunications Act of 1996(1). Der Telecommuniactions Act ist ein Bundesgesetz der USA, das einem Medienunternehmen erstmals erlaubte, zum Beispiel mehrere Fernsehsender, Radiostationen und Tageszeitungen gleichzeitig zu besitzen. Dies hatte zum Ziel, Wettbewerbsbeschränkungen aufzuheben und führte zu einer ungehemmten Marktkonzentration sämtlicher Ebenen der Kultur- und Medienlandschaft: »Hatte es 1983 noch fünfzig große Medienkonzerne in den USA gegeben, so war die Zahl 2005 auf ganze fünf gesunken.« Die technologischen und wirtschaftlichen Umbrüche, die zum gleichen Zeitpunkt mit der Verbreitung des eines allgemein verfügbaren Internets und mit ihm des mp3-Formats in Gang gesetzt wurden, muss Seliger in dieser Darstellung freilich außer Acht lassen.
In der Konzertbranche läuft es nicht anders: Der weltweit größte Veranstalter, Live Nation, ist mit dem größten Ticketverkäufer, Ticketmaster, fusioniert; zusammen kaufen diese auch Festivals, Konzertagenturen und Spielstätten auf der ganzen Welt ein.
Dies hat, laut Seliger, zu einer »Cross-ownership« weniger Konzerne geführt, deren Monopolisierung in anderen Wirtschaftszweigen jedes Kartellamt auf den Plan rufen würde!? Die Folgen solcher Fusionen kann sich jede*r ausmalen. Der Autor unterfüttert sie mit anschaulichen Beispielen wie dem Melt-Festival, welches sich gern mit einem alternativen Antlitz für elektronische Musik schmückt. Das Melt-Festival gehört der Hörstmann Unternehmensgruppe, welche aus dem Kostenlos-Magazin Intro hervorging und neben den Festivalguides und eigener Bookingagentur (Melt-Booking) auch die Fußballzeitschriften 11Freunde und Bolzen beherbergt. Auch das Berlin Festival und das HipHop-Festival Splash gehören seit geraumer Zeit zur Unternehmensgruppe. Man produziert das eigene Bier und betreut Veranstaltungsreihen in Kooperation mit ARTE oder auch mal mit dem Berghain. Ein Konzern eben, wie alle anderen auch.
Vor allem das Geschäft mit den Tickets und den massiv gestiegenen Preisen geht nicht allein auf den gern angeführten Umstand zurück, dass Musiker*innen heute auf diese Weise ihr Geld verdienen müssten, da sie allein vom Tonträgergeschäft nicht mehr leben könnten, sondern auf die »Monopolosierung« von Ticketanbietern wie zum Beispiel CTS Eventim in Deutschland, welche teilweise bis zu 44 Prozent Zusatzgebühren für Vorverkauf, Buchung, Zusendung bzw. Selbstausdrucken (!) veranschlagen. Man muss sich das mal vorstellen! Für einen rein elektronischen Vorgang, für den es keinerlei Risiko für die Veranstaltung gibt – denn das trägt der Veranstalter – beansprucht CTS Eventim fast die Hälfte des Ticketpreises für sich! Dem Konzertbesucher wird das Geld für keinerlei Gegenleistung regelrecht aus der Tasche gezogen. Dagegen wirkt jede Gema-und Kulturdiskussion realitätsfremd und kleinteilig, wie ich finde. Niemand redet darüber.
Wo ist die öffentliche Debatte?
Es ist quasi nicht mehr möglich, Konzerte auf einem bestimmten Niveau zu veranstalten, ohne dass genannte Ticketanbieter mit an Bord sind, da diese Zusammenarbeit von Agenturen diktiert werden.
»Ain’t singing for Pepsi, ain’t singing for Coke.
I don’t sing for nobody, makes me look like a joke« – Neil Young
Wie schon gesagt, seziert Seliger sämtliche Ebenen der Musikwelt: Von den Kosten einer Tournee oder einer LP-Aufnahme, über das Geschäft der großen und kleineren Indie-Plattenfirmen, bis hin zum allseits verteufelten Streaming-Geschäft, welches heutzutage entgegen aller Mutmaßungen mehr Geld abwirft als jeder Radioplay; dadurch zeigt er auch, in welcher Gänze und Selbstverständlichkeit sich (einige) Künstler*innen heutzutage vom Sponsoring vereinnahmen lassen.
Kleine Ausflüge in fernere Gefilde leistet sich der Autor, wenn er zum Beispiel über seine Überzeugung, »dass große Musik seit über 200 Jahren im wesentlichen durch Dissidenz geprägt sei«, sinniert. Als Bauchlinker möchte man ihm Recht geben; zum Erschaffen neuer, noch nicht dagewesener Musik bzw. Kunst braucht es doch sicher einen Konflikt mit den bestehenden Verhältnissen. Allerdings sagt dies wohl mehr über Seligers ideologische Weltanschauung und seinem daraus resultierenden Musikgeschmack aus als über den zu betrachtenden Gegenstand an sich.(2)
Die Forderung nach der Notwendigkeit einer Reformierung des Urheberrechts und das Kapitel »Gema« sind vielleicht das Beste, was es zu diesen Themen bislang zu lesen gibt. Radikal wird hier aufgezeigt, dass es keine Alternative zur Abschaffung der Gema in ihrer jetzigen Konstitution gibt. Man kann lapidar zwar, aber getrost von einer «Verbrecherbande” sprechen, deren Ziel es in keinster Weise ist, die Rechte von Künstler*innen wahrzunehmen. Zu konstatieren ist dagegen aber auch, dass es sich alle Clubs und »Lobby«-Organisationen wieder in ihren Nestern gemütlich machen, nachdem die Gema mit ihren Maximalforderungen einer teilweise 200- 400%igen Tarifsteigerung für Clubs, die für eine breite öffentliche Entrüstung gesorgt hatte, zurückgerudert ist: »Das mit der Gema ist zwar irgendwie blöd«, aber am Ende geht es »doch schon irgendwie in Ordnung«. Auch wenn es utopisch anmutet, müssten auch hier Clubs oder Projekte, welche sich eher subversiv konstituieren, wie der Pudel in Hamburg, das about blank in Berlin, das IFZ oder eben das Conne Island in Leipzig eigentlich für sich einstehen, indem sie sich der Machenschaften der Gema konsequent verweigern. Eigentlich.
So viel müsste, sollte, könnte noch getan werden. Vielleicht lieber das gleiche Gegenstück: Pepsi - oder lieber richtig, die Anti-Imp-Brause Afri-Cola anstatt Coke am Tresen verkaufen!? Und vielleicht doch lieber den lokalen Magenbitter als den Platzhirsch aus der grünen Flasche!? Lieber die feministische Feist als Beyonce gut finden!? Oder beides als irrelevant brandmarken, da von Major-Labels verwertet!? Hier wie da muss man sich umschauen und abgrenzen, damit man mit »Denen da Oben« nichts gemein hat, um sein Subkultur-Süppchen auch weiterhin ohne Widersprüche (?!) brauen zu können.
Eben durch mancherlei Doppelmoral kommt Seligers Buch wie auch seine Lesungen, in denen er verschiedene Rollen zwischen ehrenwertem Musikhaber einerseits – was nicht in Abrede gestellt werden soll – und Besitzer einer Konzertagentur andererseits, etwas selbstgefällig daher. Denn seine Ware zu limitieren, sie nonkonform zu machen, langfristig zu denken und sich mit subversivem Gestus zu generieren, oder eben einfach nur deepe melancholische Experimental-Musik zu spielen anstatt den »Happy« Pharrell zu geben, all dies sind am Ende lediglich andere Strategien, um sich im selben System zu vermarkten und unterschiedliche Nischen zu besetzen, um so das Interesse einer bestimmten Liebhaber-/Käuferschicht auf sich zu ziehen. Nur leider passiert dies häufig mehr schlecht als recht.
Wenn dies aber aus voller Überzeugung und Liebe zur Musik passiert, umso besser, wie alles im Leben. Dann sollte selbiges aber auch anderen Strategien nicht kategorisch abgesprochen werden.
Trotz dieser Kritik kann ich das Buch und Herrn Seligers Schaffen nicht genug loben. Es steht mir gar nicht zu und übersteigt sicher auch meine Kompetenzen, damit so kritisch umzugehen, aber das ist, beziehungsweise war, der Auftrag. Und es steht außer Frage, dass jede*r, der sich ernsthaft mit Musik beschäftigt, dieses Buch gelesen haben sollte.
Ein weiterer lesenswerter Text Seligers ist zum Beispiel »Der Boykott Blues – Wie internationale Stars von Auftritten in Israel abgehalten werden sollen«, der in der Jüdischen Allgemeinen veröffentlicht wurde; dieser findet sich auf seiner Seite hyperlink.
[miles b.]