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Die heisse Phase der »Krimkrise« scheint vorbei. Alle Akteure, ob Russland, die USA, Europa oder die NATO haben versucht ihr Engagement als humanitäres Projekt gegen die eigentlichen Faschisten, Antidemokraten, oder Usurpatoren darzustellen. Viele Menschen fallen auf diesen Zirkus herein, reihen sich ein in den Marschblock, den ihre jeweilige Machtclique ihnen formiert hat, sie glauben, dass der Standpunkt Russlands oder der EU so etwas wie eine humane Allgemeinheit beanspruchen könne. Zwar ist es wahr, dass bürgerlich liberale Rechte im Westen zuverlässiger exekutiert werden als in Russland, doch ist der Grund für ein europäisches Engagement nicht der Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit, sondern die handfeste strategische Überlegung dem Kontrahenten im Osten ökonomisch, politisch, und militärisch zuvor zu kommen. In Anbetracht der Gefahr einer neuen Blockbildung zwischen imperialistischen Mächten und der tendenziösen medialen Des- oder Halbinformation, habe ich mich dazu entschlossen zwei russische Genossinnen zu interviewen, die aus ihrer Perspektive über die Ereignisse der letzten Woche sprechen. Meine Intention ist es Information von unten zu betreiben, Clichés zuvor zu kommen und Menschen die sich nicht für das jeweilige nationale oder supranationale Großmachtstreben einspannen lassen wollen, zu verbinden. Tanja aus Murmansk und Lena aus Moskau stehen mir hierbei Rede und Antwort.
Hallo Tanja und Lena, erzählt uns doch zunächst etwas über euch und eure politischen Aktivitäten.
Tanja: Hallo, dass ist immer eine schwierige Frage für mich, aber ich werde es versuchen. Ich bin Aktivistin auf verschiedenen Gebieten. Ich bin Anarchistin, Ökologin und Antifaschistin. Ich versuche mich innerhalb dieser thematischen Felder mit politischer und bildener Aktionskunst zu bewegen. Ich bediene mich also politischen Aktionen, politischer Bildung und anderer Formate. Im Moment ist die wichtigste Kampagne für mich»Free Rashkod«, wir unterstützen einen Aktivisten aus Murmansk, der zu Unrecht im Gefängnis sitzt.
Ich bin auch Mitglied einer Bürgerrechtskomission, was mir das Recht gibt Knäste zu besuchen und die dortige Wahrung der Menschenrechte zu überprüfen.
Lena: Früher war ich Teil einer lokalen marxistischen Organisation, aber mittlerweile bin ich strukturlos. Ich habe immer noch Verbindungen zu verschiedenen Gruppen und beteilige mich an Protestaktionen und Demos.
Wie habt ihr die letzten Tage und Wochen nach der Krimannexion erlebt, wie ist die Situation in Murmansk? Waren die Menschen enthusiastisch, gab es Demonstrationen für die Putin Administration? Wie geht es den Menschen mit dieser Situation?
Tanja: Zunächst war ich sehr schockiert von Putins Aktion.Es ist nicht einfach zu begreifen, dass das Land in dem man lebt einen Krieg anfängt und du kannst nichts daran ändern. Wir haben eine Protestaktion gemacht, aber die Menschen hörten uns einfach nicht zu.
Und Ja, es gab große pro- Putin Aktionen in Murmansk. Die größte wurde von Leuten die im Finanzressort arbeiten getragen. Also die meisten Leute die dort waren, wurden berufsmäßig dazu verpflichtet. Dazu muss ich dennoch sagen, dass die meisten Menschen so verblendet sind, dass sie die Annexion unterstützen. Sie fürchten sich vor ukrainischen Nazis, weil diese Angst im Fernsehen verbreitet wird, aber scheren sich nicht im Geringsten um russische ultra- Nationalisten.
Momentan werden alle die sich öffentlich gegen den Krieg aussprechen als Faschisten diffamiert. Hierzu reicht es schon den Slogan »No War« zu tragen. Das ist Wahnsinn!
Lena: Als wir von Putins Aktion hörten sind wir sofort vor das Außenministerium gezogen und hielten dort eine Mahnwache ab. Am gleichen Tag sind viele Menschen ohne Absprache vor das Verteidigungsministerium gezogen. Etwa 300 Menschen wurden von der Polizei verhaften, inklusive ich selbst. Jetzt können wir erkennen, dass diejenigen die die Annexion ablehnen zu wenige sind. Es ist eine patriotische Hysterie gesamtgesellschaftlich erkennbar. Putin ist wieder sehr beliebt. In allen möglichen Regionen Russlands, demonstrieren Menschen für die Politik Putins. Ich weis, dass sehr viele Menschen erfreut über den Anschluss der Krim sind. Die meisten Menschen auf der Krim sind auch dafür, weil sie sich von Russland Halt und Investitionen in die marode Infrastruktur erhoffen.
Wie wurden die Riots die in der ganzen Ukraine stattgefunden haben und schlussendlich zum Sturz der Janukowitsch- Regierung führten in den russischen Mainstreammedien kommentiert? Wie wurde die Maidanbewegung und die Neuwahlen kommentiert? Welche Rolle wurde den westlichen Ländern, den USA, oder der EU hierin zugesprochen?
Tanja: Allgemein stellten die Mainstreammedien die Ukraine als krisengeschütteltes und von Neonazis geplagtes Land dar. Russischsprachige Menschen würden dort diskrimminiert und die neue Regierung sei illegal. Zudem wurde medial verbreitet die meisten Ukrainer seien gegen die Maidanbewegung und Letztere sei von den USA und der EU gekauft worden, um Natostationen auf der Krim errichten zu können.
Lena: Wenn ich über die Informationen spreche die mich erreicht haben, dann muss gesagt werden, dass im lokalen Fernsehen in letzter Zeit viel über Angriffe auf die Polizei berichtet wurde. Eine russische Einmischung wurde dementiert.Die Hauptthemen waren die ukrainische Mobilmachung und die Usurpation der Macht durch Faschisten.
In wie weit wurde pro-russische, nationalistische Gewalt, welche etwa auf der Krim oder in Donezk stattgefunden hat, in den Mainstreammedien erwähnt?
Tanja: Dazu gab es keine Informationen.
Lena: ...
In den westlichen Medien gibt es Spekulationen über eine russische Inva-sion in die Ostukraine, wo viele russischsprachige Menschen Leben. Gibt es hierzu auch eine Debatte in Russland? Was haltet du von diesen Spekulationen?
Tanja: Manche Menschen sprechen darüber, dass dies der nächste Konflikt sein könnte. Ich hörte im Radio, dass es die Idee gibt in der Ostukraine ein Referendum gegen die Maidanbeschlüsse abzuhalten. Die Medien zeigen immerzu Kundgebungen aus ostukrainischen Städten, auf denen russischsprachige Menschen darüber klagen, wie wenig Autonomie sie hätten und dass Russisch nicht die zweite Amtsprache ist. Die meisten Menschen in Russland gehen davon aus, dass die
Ukraine in verschiedene Teile zergliedert werden wird.
Lena: Nein aktuell gibt es keine politische Debatte dazu. Ich denke diese Intervention in die Ostukraine ist nicht möglich. Im Fall der Krim entsprach es in gewissem Sinne der Logik der regionalen Gegebenheiten dies politisch rechtfertigen zu können. In der Ostukraine ist das wirklich weniger so. Wie sollte man das vor dem Westen rechtfertigen? Seit der Annektion der Krim gibt es den populären Witz, man könne aus der selben Logik heraus auch Alaska annektieren.
Gab es Antikriegskundgebungen? Wer waren die Protestierenden? Welche Rolle spielte hiern die (radikale) Linke?
Tanja: Direkt nach der Parlamentsentscheidung, die das Vorrücken der Putinschen Armee auf die Krim legalisierte, gabe es in ganz Russland Aktionen. Etwas später gab es einen Friedensmarsch in Moskau. Dort waren viele Menschen. Manche Quellen sprachen von etwa 50.000 Demonstranten.
Es handelt sich hierbei um sehr verschiedene Leute. Studenten, Intellektuelle, Bürgerrechtler, viele Menschen mit Kindern. Natürlich ist auch ein anarchistischer Block in diesen Protesten vertreten. Allerdings kann ich nicht sagen, was dessen spezielle Rolle darin ist.
Lena: Im Fernsehen werden die Protestierenden immer als verrückte Feinde Russlands dargestellt. Viele Menschen glauben das. Jetzt stehen die wenigen Protestierenden einem starken politischen System gegenüber. Die Antikriegsproteste waren nur in ihrer ersten Wirkung relevant. Danach konnte der Apparat Putin die Menschen glauben machen, es handle sich nur um ein Manöver und die Krim wäre völlig freiwillig beigetreten. Die öffentliche Meinung geht davon aus ein Teil der Ukraine sei vor der Nato und Faschisten gerettet worden.
Folgten repressive Maßnahmen auf die Proteste? Gab es Verhaftungen? Wie sieht es mit Zensur aus?
Tanja: Während dieser Proteste wurden ca. 1000 Menschen verhaftet. Natürlich widerrechtlich. Sie alle können eine Strafe von 400- 600€(1) bekommen. Wie du in auf den Videoaufnahmen sehen kannst die so kursieren, waren die Verhaftungen oft sehr brutal. Vor ein paar Wochen wurden mehrere Protestseiten im Internet ohne Ankündigung gesperrt. Die Sperrung wurde folgendermaßen gerechtfertigt: »Diese Seiten rufen zur Teilnahme an unerlaubten Aktionen auf«. Das ist doch Zensur, oder nicht?
Putin versuchte den alten sovjetischen Antifaschismus für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Er selbst steht in gewissem Sinne für einen wider erstarkten panslavischen Nationalismus. In wieweit nahm die Linke, in etwa die alte kommunistische Partei, Putins zweifelhaften Antifaschismus ernst?
Tanja: Die Altkommunisten unterstützen Putin in dieser Aktion. Ich denke sie träumen von der Wiederkehr der Sovjetunion mit ihrem alten Territorium. Sie nutzen ebenfalls diese Antifaschistische Rhetorik. Ich weis nicht wie ernst sie das meinen. Besonders sichtbar sind sie während all dieser Prozesse jedenfalls nicht.
Lena: Viele Linke Organisationen erzählen das gleiche: Faschisten haben die Ukraine besetzt. Wir wissen, dass in der Ukraine linke Aktivisten und Mitglieder der Kommunistischen Partei verprügelt wurden. Das Motto ist: Ukraine ohne Banderas(2) – Anhänger und Oligarchen! Viele glauben die Revolution sei durch die USA bezahlt worden.
Gibt es Verbindungen zwischen dem Kreml und Ultranationalisten, Antisemiten, oder Neofaschisten?
Tanja: Ja, es gibt definitiv bekannte Fälle in denen der Kreml rechtsradikale Organisationen wie »Russky Obraz« unterstützt hat. Natürlich unterstützt eine nationalistische Staatlichkeit nationalistische Gruppen, aber sie hält das in Maßen, schließlich will sie sich keine Konkurrenz aufbauen.
Lena: Ich denke nicht. Die russische Inlandsbehörde kontrolliert die Gruppierungen, aber schützt sie nicht. Der radikale Nationalismus wird immer populärer und kann auch den Kreml gefährden. Das ist ein zu gefährliches Spiel. Der Kreml setzt auf seine eigene Ideologie und fürchtet den Nationalismus.
Putin und seine Regierung hatten in den letzten Monaten und Jahren großen Probleme mit Unzufriedenheit innerhalb der Bevölkerung und starken Protestbewegungen. Denkst du durch diese Aktion konnte Putin vormalige Gegner für sich gewinnen? Glaubst du diese Aktion ermöglicht es dem Apparat Putin innere Konflikte zu verdecken, die kämpfenden Klassen unter seiner Regierung zu vereinen?
Tanja: Ich denke das war eines seiner Hauptziele. Man kann beobachten wie stetig Putins Beliebtheit wieder steigt.Unglaublich. Und er hat wirklich Unterstützung von alten Gegnern geerntet. Er lenkt die Aufmerksamkeit von inneren Prozessen auf die Krimfrage und vereint die Menschen (auch durch die Gebaren auf der Olympiade) gegen die alten Feinde, also die USA, Westeuropa und die Nato.Überall, wenn ich nicht gerade Musik durch meinen Player höre, wird man mit Nachrichten zur Ukraine beschallt.... und ich merke, dass diese Gehirnwäsche funktioniert. Es gibt quasi keine Kritik und viel xenophobische Ablehnung gegenüber Ukrainern. Protestierende werden als Störenfriede gebrandmarkt die die Stabilität gefährden und Protest als soziale Lebensform wird diffamiert.
Vielen Dank Tanja und Lena für das Gespräch.
[Jacques Blum]