• Titelbild
• Editorial
• das erste: Das Kulturverständnis des Islands
• ease up^ pres.: ruffhouse, madera, alza54 & concerta54
• Hellnights 2013: The Other Kitty in a Casket The Fright
• Tocotronic, Metal Ghost
• WORD! cypher / OPEN MIC.
• Marathonmann, Storyteller, Grey Gordon
• Mayer Hawthorne
• Electric Island: 24/5 KANN „24h – 5 Years of KANN Records“
• The Sounds, Viktor & The Blood
• Deez Nuts, Obey The Brave Stray From The Path, Heart In Hand, Relentless
• The Bones, US Bombs Auld Corn Brigade, Möped
• Edit pres.: Eddie C, HW Rhapsody, Neele
• „Kontroversen über Gesellschaftstheorie“
• Lali Puna, Dump + repeatbeat
• Agnostic Front, Isolated
• Eine Geschichte der Ultras.
• Mount Kimbie, Seams, Akkro
• Black Milk, Ugly Heroes, MC Melodee & Cookin' Soul
• Benefizdisco: U.W.E.L.O.V.E.D.I.S.C.O.
• Electric Island: The Black Madonna, Anna & Soussana, Sebastian Dubiel
• position: Communiqué eines linken Ladens:
• position: Linke Leipziger Zustände
• doku: Aufruhr im Gemüsebeet
• doku: Kitz als Kiezkiller
• doku: It never rains in Leipzig.
• leserInnenbrief: Kritik und Dank
• Anzeigen
• das letzte: Völkerschlacht reloaded
Zwei widersprüchliche Phrasen finden sich in vielen kulturpolitischen Texten des Conne Islands, in denen über die eigene Praxis reflektiert wird. „Das Politische bestimmt das Kulturelle“ lautet die eine. Die andere wird von den verschiedenen AutorInnen unterschiedlich ausformuliert und geht in etwa so: Seit Mainstream der Minderheiten(1) könne man nicht mehr am Subversionsmodell Popkultur festhalten, hätten die Subkulturen ihren kritischen Gehalt verloren, könne man den Versuch, mit Kultur politisch etwas bewirken zu wollen, zu Grabe tragen. Mit der ersten Feststellung unterscheide man sich vom „normalen“ Kulturbetrieb, dem unterstellt wird, über keine politischen Maßstäbe zu verfügen. Mit der zweiten wird sich von den „Schmuddelkindern der autonomen Subkultur“ abgegrenzt, denen man nachsagt, naiv den alten D.I.Y.-Revolutionsträumen nachzuhängen. Aber stimmt das Selbstbild des Conne Island überhaupt? Ist es nicht eher so, dass behauptet wird, „das Politische bestimmt das Kulturelle“, wenn mal wieder eine Bandabsage argumentativ untermauert werden muss; während die Trennung von Politik und Kultur postuliert wird, wenn man den Auftritt einer umstrittenen Band rechtfertigen will?
Ein Indiz für die Beliebigkeit und Willkürlichkeit der Diskussionen am Conne Island ist die Tatsache, dass Banddiskussionen nicht anhand klarer, vorab formulierter Kriterien geführt werden, sondern diese sich immer erst im konkreten Fall herauskristallisieren. Ein Bespiel: In den Anfangsjahren des Conne Island war Konzern-Sponsoring ein großes Tabuthema. Die Aufweichung des Tabus geschah nun nicht aufgrund politischer Diskussionen am Laden, in deren Folge man dann auch gesponserte Konzerte machen konnte. Sondern andersherum: viele Acts, die man am Laden haben wollte, waren nur im Paket mit verpönter Werbung, Tourpräsentatoren und Merchandise-Ständen zu haben. 2006 konnte sich dann sogar Motorola einkaufen und ein kostenloses Konzert im Conne Island anbieten, weil man auf Mocky nicht verzichten wollte.(2) Das Conne Island reagierte also lediglich auf die Entwicklungen in der Musikbranche und erweiterte aktiv sein kulturelles Angebot, was aber mit den politischen Grundüberzeugungen kollidierte. In den meisten Fällen siegte dann der Sachzwang und die Kultur über die Politik. Ehrlicher wäre es also davon zu sprechen, dass das Kulturelle das Politische bestimmt.(3) (Was dem Conne Island im Übrigen auch gut getan hat, schließlich ist es ja so stolz darauf, die kruden antiimperialistischen Politvorstellungen der Anfangsjahre erfolgreich überwunden zu haben. Genauso wie man von Glück sprechen kann, dass das Conne Island weniger – wie erhofft – sein Publikum politisiert hat, sondern vielmehr vom Publikum erfolgreich entpolitisiert wurde.)
Die beiden Phrasen stehen aber auch in Bezug auf die Abgrenzung nach „oben“ und „unten“ auf tönernen Füßen. Denn weder kann man dem „normalen“ Kulturbetrieb unterstellen, über keine politischen Kriterien für die Kulturauswahl zu verfügen – auch wenn es andere und meist nicht so offensiv vor sich her getragene wie beim Conne Island sind. Noch ist viel Wahres an der Unterstellung, in den autonomen Läden, die nicht so professionell wie das Conne Island arbeiten, würde man sich größeren Illusionen über die Korrektheit und Wirksamkeit des eigenen Schaffens hingeben. Das Verharren in der Nische, welches man z.B. dem Zoro unterstellt, ist wohl eher eine Folge der Gewohnheit, des musikalischen Geschmacks, fehlender finanzieller Förderung und dem Bedienen einer bestimmten Sparte – und nicht politischer Überzeugung geschuldet. Am Ende sind doch Revolutionsträumereien eine Generationsfrage und somit die einen einfach jünger und die anderen älter als das Conne Island. Das Altern an sich, welches mit intellektueller Reifung, aber auch Resignation und Abfinden mit den Zuständen einhergeht, zu einer politischen Frage stilisieren und zum Distinktionsmerkmal erheben zu wollen, ist ziemlich albern.
Trotzdem gibt es Gründe, warum das Conne Island nicht das Zoro ist, aber auch nicht die moritzbastei. Und es gibt sehr wohl eine Spezifik bei den Banddiskussionen, die das Conne Island zu einem einmaligen Projekt machen. Um dem auf den Grund zu gehen, soll im Folgenden erklärt werden, wie Banddiskussionen heutzutage im Conne Island ablaufen.
Jeden Tag erreichen das Conne Island per Emailtelefonpost hunderte Bookinganfragen. 99 Prozent werden nicht mal zur Kenntnis genommen, sondern landen sofort im Spamfilter. Schließlich hat ein Jahr nur 365 Tage und das Conne Island nur einen Saal. Nach welchem Prinzip die BookerInnen aus dem einen Prozent der Anfragen, die sie überhaupt erreichen, die Perlen heraussuchen, ist mir ein Rätsel, welches hier nicht gelöst werden soll, schließlich ist dies unser bestgehütetes Betriebsgeheimnis. Klar ist, dass die BookerInnen ihre Auswahl anhand von finanziellen Erwägungen, musikalischen Interessen und politischen Maßgaben treffen. Alle drei Punkte sind aber nicht irgendwo fixiert, sondern können nur aus dem Bauch heraus entschieden werden. Die politischen Maßgaben spielen dabei nur eine sehr untergeordnete Rolle, was vor allem daran liegt, dass z.B. Nazibands uns ja gar nicht erst angeboten werden. In den meisten anderen Kultureinrichtungen würde es nun an diesem Punkt zum Booking, also dem Vertragsabschluss mit der Agentur, kommen (oder eben auch nicht).
Nicht so bei uns. Sollte sich die Person, die bei uns das Booking macht (es gibt derer drei festangestellte sowie diverse ehrenamtliche), unsicher sein, kann sie Feedback über diverse allgemeine oder spartenspezifische Mailinglisten oder im direkten Gespräch einfordern. Schließlich muss jede Veranstaltung im Montagsplenum angesprochen und beschlossen werden. Meist ist dies nur eine Formalität: Datum, Acts und Kalkulation der geplanten Veranstaltung werden genannt und durchgewunken. So werden im Minutentakt die meisten Bands abgehakt. Wenn Einwände gegen eine Veranstaltung geäußert werden, beziehen sich diese meist auf das finanzielle Risiko und nur selten auf ästhetische oder politische Kriterien. Leider scheuen sich unsere BookerInnen meist, problematische Punkte ihrer Veranstaltungen selbst anzusprechen. Im Schnitt einmal im Monat wird eine Veranstaltung, die von den BookerInnen vorgestellt wird, durch das Plenum abgelehnt. Aus politischen Gründen geschieht dies vielleicht nur zwei oder drei Mal im Jahr. Die Diskussionen im Plenum sind sehr oberflächlich: die meisten Anwesenden kennen die Bands nicht, die Zeit ist knapp bemessen und die Heterogenität des Plenums verunmöglicht ein gewisses Niveau. Politische Diskussionen im Plenum, die vor dem (Nicht-)Booking erfolgen, werden nur gelegentlich nach außen hin transparent gemacht. Das Plenum entschließt sich einen Text zu verfassen, wenn es glaubt, mit einer öffentlichen Bandabsage einen Diskussionsprozess in der Szene anschieben zu können – oder wenn es glaubt, sich für eine gebuchte Band rechtfertigen zu müssen. Politische Banddiskussionen erstrecken sich oft über mehrere Plena. Es wird u.a. anhand von Interviews, Liedtexten, vergangenen Auftritten und Veröffentlichungen über die Band diskutiert. Alle Diskussionen entzünden sich an Bands, die „Grauzone“ sind, bei denen es auf der Kippe steht, ob sie hier spielen können oder nicht, Bands, die hier schon gespielt haben oder zumindest gut ins Ladenprofil passen würden, aber umstrittene Äußerungen getätigt, politisch unkorrekte Liedtexte im Repertoire oder die falschen Freunde haben.(4) Denn Bands, die klar nicht ins Conne Island passen, werden ja gar nicht erst im Plenum angesprochen. Manchmal will das Conne Island dann mit einer Bandabsage ein Fanal setzen, um auf eine allgemeine Tendenz aufmerksam zu machen.(5) Es geht dann meist gar nicht darum, dass die eine Band an sich besonders schlimm wäre, sondern die Bandabsage ist nur ein Versuch, eine für gefährlich befundene Entwicklung – in den meisten Fällen: Nationalismus in der Popkultur – zu bremsen. Die Band hätte also genauso gut auch auftreten können. Man befürchtete aber, dass ein kritischer Text ohne Bandabsage wirkungslos verpuffen würde.
Der andere Fall ist der, dass man problematische Bands gern hier sehen will und auf den „Pfad der Tugend“ zurückführen. Die Bands werden dann mit unserer Kritik konfrontiert, aufgefordert, bestimmte Lieder nicht mehr zu spielen oder öffentlich zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen.(6) Je nach Reaktion können sie dann hier spielen oder eben auch nicht.
Es besteht im Conne Island kein Interesse daran, Bands nicht auftreten zu lassen. D.h. meist wird der Kontakt mit den Bands gesucht, Briefe geschrieben, Interviews geführt, mit der Agentur verhandelt, die Bands werden zum Plenum eingeladen etc. Selbst im Fall einer Bandabsage will das Conne Island dies weniger als Stigmatisierung verstanden wissen, sondern eher als erzwungenes Diskussionsangebot – immer in der Hoffnung, die Absage möge etwas verändern, um in Zukunft einen Auftritt zu ermöglichen.
Ein für das Conne Island ärgerlicher Sonderfall ist die Banddiskussion nach erfolgtem Booking. Dies kann geschehen, weil nach Veröffentlichung der Veranstaltung Kritik von außen ins Plenum getragen wird oder auch Leute vom Conne Island erst nach dem Plenumsbeschluss auf problematische Sachverhalte aufmerksam wurden (was teilweise Schuld der konfliktscheuen und diskussionsmüden BookerInnen ist, die diese Sachverhalte lieber unter den Teppich kehren als damit beim Plenum offensiv mit umzugehen). Diese Diskussionen werden immer besonders heftig geführt; erschwerend kommt der Zeitdruck oder die drohende Vertragsstrafe bei Absage hinzu. Selbst in solchen Fällen hat das Conne Island das Konzert schon abgesagt und lieber die Vertragsstrafe gezahlt; die Diskussion tendiert aber natürlich viel stärker als vor erfolgtem Booking in Richtung Rettung und Rechtfertigung der geplanten Veranstaltung. Das Ergebnis einer solchen Diskussion wird immer veröffentlicht – meist als Plenumstext.(7)
Es kann also festgehalten werden: Im Alltagsgeschäft spielen politische Kriterien keine große Rolle (weil die Toleranz sehr groß ist und der Rahmen des Machbaren recht klar abgesteckt), kommt es aber mal zu einer Politdiskussion, wird diese zu einem wichtigen Thema, welches manchmal über Monate hinweg im Plenum, an den Stammtischen der Stadt und im Internet heiß diskutiert wird. Die Besonderheit des Conne Island besteht also darin, dass
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Bandentscheidungen nicht von einzelnen BookerInnen getroffen werden, sondern kollektiv im offenen Plenum,
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Kritik von Außenstehenden mehr oder weniger ernst genommen und ebenfalls diskutiert wird,
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es ein Umfeld gibt, welches das Conne Island an seinen politischen Maßstäben misst, und dem gegenüber sich das Conne Island rechtfertigen muss,
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umstrittene Bandentscheidungen mittels Veröffentlichung im Internet und CEE IEH-Newsflyer transparent gemacht werden,
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die politischen Kriterien als wichtig für die Bandauswahl hingestellt werden (dies im Unterschied zum normalen Konzertbetrieb),
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die Toleranz recht groß ist (dies im Unterschied zu anderen autonomen Kulturzentren),
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politische Interventionen nicht in erster Linie den Bands selbst dienen und damit dem eigenen „guten Gewissen“, sondern exemplarische Kritik an allgemeinen gesellschaftlichen Zuständen darstellen sollen,
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die Banddiskussionen in ein kulturpolitisches Gesamtkonzept eingebettet sind(8) (und nur ein kleiner Teil davon)
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der Mythos des politischen Gehalts ein wichtiges Identifikationsmoment für das Conne Island nach innen darstellt und die Strahlkraft nach außen verstärkt.
Nun aber zum Inhaltlichen. Nach welchen Kriterien wird entschieden? Wie schon angedeutet, gibt es diese nicht. Außer dem banalen, nichtssagenden Konsens aus den Gründungsjahren und der Vereinssatzung: „Gegen Faschismus, Rassismus und Sexismus“, später erweitert um Antisemitismus, Nationalismus (und teilweise: Homophobie, Antiamerikanismus usw.), liegt nichts vor. Die Begriffe sind inhaltlich nicht gefüllt, jede und jeder stellt sich darunter was anderes vor – oder hat noch nie darüber nachgedacht; einige teilen nicht einmal diese Grundessentials in Gänze. Alles sind Einzelfallentscheidungen. Es ist auch schwer vorstellbar, wie ein verbindlicher Kriterienkatalog für Banddiskussion aussehen könnte. Dieses Manko öffnet allerdings Tür und Tor für willkürliche Entscheidungen, absurde Begründungen und Politfehden zwischen verschiedenen ideologischen Strömungen auf dem Rücken des Conne Island. Gleichzeitig verhindert es fruchtlose Theoriedebatten, an denen sich die meisten des Conne Islands sowieso nicht beteiligen würden. Die Diskussion anhand konkreter Äußerungen von Bands senkt die Hemmschwelle, sich an dieser zu beteiligen. Allerdings führt dieses Verfahren (sich Liedtexte, Interviews, myspace-Freundschaften und dergleichen anzusehen) auch dazu, den Texten eine größere Wirkungsmacht einzuräumen, als sie gemeinhin besitzen. Die meisten Bands, auf problematische Textstellen angesprochen, kontern damit, dass es nur Ironie und oder nüchterne Beschreibung herrschender Zustände sei. Im Conne Island wird dann ergebnislos darüber diskutiert, ob das Publikum die Ironie versteht (und dadurch bestenfalls gar politisiert wird), sich indifferent verhält oder die schlechten Zustände affimiert. Die einen behaupten dann, beim Kassierer-Konzert(9) verhalte sich das Publikum aufgrund der sexistischen Texte auch dementsprechend, die anderen widersprechen dem. Aber meist wird so materialistisch gar nicht diskutiert. Das Verfahren, nur anhand von Texten zu entscheiden, widerspricht eigentlich der anti-poststrukturalistischen Grundstimmung im Conne Island. Es gibt auch wenig Anhaltspunkte für die Auswirkungen von Liedtexten auf die RezipientInnen. Der Mühe, sich einschlägige Publikationen zu diesem Thema wenigstens mal anzusehen, wurde sich nie unterzogen.
Während der formale Rahmen für Bandentscheidungen (das Plenum diskutiert, entscheidet und schafft Transparenz) seit 20 Jahren nahezu unverändert besteht(10), hat sich der inhaltliche Rahmen in der gleichen Zeit massiv verschoben. In den Anfangsjahren dominierte die Hardcore-Szene, eng verbandelt mit den Autonomen, das Conne Island. Alle einte konkrete Antifa-Arbeit, war dies doch überlebensnotwendig beim alltäglichen Naziterror. Darüber hinaus gab es recht rigide Vorstellungen von Politik und korrekter Lebensweise (Kleidungsstil, Sprechverhalten, Ernährung, Arbeit, Musikgeschmack). Politik und Kultur wurden – dies ein Relikt aus DDR-Zeiten, wo sich Dissidenz nur in kulturellen Nischen ausdrücken konnte – als eine Einheit betrachtet. Bands mussten den subkulturellen Codes entsprechen und durften nicht dem Kommerz verfallen sein, d.h. sie sollten nur der Sache wegen Musik machen.(11) Man fühlte sich dem eigenen Kiez gegenüber verpflichtet und in diesem verankert. Werbung der bösen Wirtschaft war strengstens verboten. Selbst betrieb man die Kultur aber nicht als Selbstzweck, sondern um wie der Rattenfänger von Hameln die „Kids von der Straße“ politisch zu indoktrinieren. Folglich sorgte biertrinkendes Publikum bei einem Hardcore-Konzert für Naserümpfen im ersten CEE IEH und Hartalk wurde gar nicht erst ausgeschenkt; der Zigarettenautomat fiel einer Drogenbefreiungsaktion zum Opfer.(12) Die „Systemmedien“, zu denen auch die alternative Presselandschaft zählte, unterlagen einem absoluten Boykott; sie durften weder Veranstaltungen ankündigen noch besprechen (im eigenen Größenwahn bekam man nicht mal mit, dass die Zeiten der DDR-Pressezensur zum Glück überwunden waren). Der maximale Eintrittspreis betrug 8 DM, jede Preiserhöhung in den Folgejahren führte zu heftigen Debatten und umständlichen Rechtfertigungsversuchen seitens des Conne Islands.(13)
Recht schnell emanzipierte sich allerdings das Conne Island von bestimmten Vorstellungen, erweiterte das musikalische Repertoire und polemisierte um so heftiger gegen Relikte der eigenen Herkunft (z.B. Hippies(14), Straight Edge, Antiimperialismus). Inzwischen stellt das Conne Island in vielen Dingen das absolute Gegenteil von dem dar, was es vor 20 Jahren war. Diese Entwicklung, sich von regressiven Tendenzen der autonomen Subkultur oder geschichtlich obsolet gewordenen Vorstellungen der DDR-Opposition beizeiten zu lösen (und dies nicht im Zuge einer Entpolitisierung, sondern einer Politisierung, die sich offensiv gegen die Regression richtet), ist ein seltener Glücksfall, der nicht genug gewürdigt werden kann. Leider ging diese Entwicklung mit einer extremen Arroganz einher, die die eigene Herkunft leugnete und oft in einen aus heutiger Sicht absurden Verbalradikalismus mündete.(15) Diese Überheblichkeit verschreckte im Umfeld wohl mehr Leute als sie zu überzeugen vermochte. Ohne zu benennen (oder wenigstens zu reflektieren), dass die einen, die man mit vernichtender Kritik überzog, die waren, zu denen man gerade eben noch gehörte, und die anderen, die ebenfalls nicht vor ätzender Polemik verschont wurden, die sind, zu denen man bald gehören würde, tat man immer so, als wäre die gerade aktuelle Position, obwohl sie sich dauernd veränderte, das Nonplusultra, der Weisheit letzter Schluss. In diese Zeit fällt das Auftrittsverbot der Band Earth Crisis, welches später um ein Verbot, T-Shirts der Band zu tragen, erweitert wurde.(16) Parallel dazu wurde das Durchführen von Skinhead-Konzerten gegen massive Widerstände im Szenekiez Connewitz verteidigt.(17)
Mitte der neunziger Jahre wurde die Antinationale Gruppe Leipzig (ANG) gegründet, die u.a. aufgrund personeller Überschneidungen großen Einfluss auf das Conne Island ausübte. Durch die ANG wurde das Conne Island zum antinationalen, später antideutschen Laden; das CEE IEH mauserte sich bundesweit zu einem wichtigen Medium der Antideutschen. Veranstaltungsankündigungen wurden von den CEE IEH-AutorInnen als Aufhänger genommen, um über völlig andere Dinge, besser gesagt: über das immer gleiche Thema, zu schreiben. Die meisten Bandabsagen aus dieser Zeit kreisten dementsprechend um den Vorwurf des Nationalismus oder Anti-Amerikanismus. Auch wurde das Tragen das Palituches im Conne Island verboten. Das Conne Island intervenierte mit dem Vorwurf des Nationalismus in die Veranstaltungspolitik anderer Läden(18) und setzte den Verkauf zweier linker Szenezeitschriften aus Leipzig aus.(19) (Die beiden anderen Schlagworte des Conne Island-Selbstverständnisses, der Antirassismus und der Antisexismus, erlangten nie eine solche Hegemonie am Laden, so dass nur wenige Bandabsagen zu finden sind, die entsprechend begründet wurden. Und selbst wenn, wie im Fall des Sexismus, dann waren diese Absagen immer viel mehr umstritten, wurden öffentlich von Conne Island-Leuten in Frage gestellt und wenig bis gar nicht nach außen und innen verteidigt. Auch fällt auf, dass die Sexismusdiskussionen fast nur bei HipHop-Bands zu Absagen führte, während bei Oi!-Bands meist versucht wurde, den Sexismus klein zu reden oder zu rechtfertigen – und andere Sparten gar nichts erst ins Kreuzfeuer der Kritik gerieten. Dies hängt wohl damit zusammen, dass es leichter fiel, Sexismus bei einer Subkultur zu kritisieren, die sowieso nicht so viele AnhängerInnen und FürsprecherInnen hatte.(20))
In den letzten fünf Jahren kam es zu einer Entpolitisierung der Kultur am Conne Island, die nicht einmal mehr den Verweis auf das Buch Mainstream der Minderheiten zur Rechtfertigung benötigte. Die Ankündigungstexte im CEE IEH sind vollkommen inhaltslos, oft werden nur die Promotexte nachgedruckt.(21) Es gibt kaum noch Vorbehalte gegen alle Spielarten der Pop- und Subkultur, bei Benefizdiskos wird der Anlass bewusst verschwiegen. Mit der Einstellung der Leipziger Szenezeitschrift Klarofix und dem Nachfolgeprojekt Incipito ist auch jegliche kritisch-publizistische Begleitung des Conne Island von außen weggebrochen. Im gleichen Zeitraum gab es mehr Banddiskussionen und Plenumsstellungnahmen als je zuvor, die aber die allgemeine Entpolitisierung nur schlecht zu kaschieren vermögen. Vielleicht äußerte sich darin der verzweifelte Versuch der „letzten Mohikaner“ der Politfraktion am Laden, verlorengegangenes Terrain zurückzuerobern. Diese Entwicklung ist allerdings keine gesetzmäßige gewesen, die allein von außen aufoktroyiert worden wäre (à la die Zwänge der Kulturindustrie, die Gesetze des Markes, die Auswirkungen des Neoliberalismus, die Folgen von Web 2.0). An vielen Punkten spiegelte die Entwicklung des Conne Island einfach die individuelle Entwicklung der MacherInnen wider – und neue Leute sorgen wieder für andere Schwerpunktsetzungen, neue Träume und Illusionen, für mehr Politisierung oder mehr Kommerzialisierung.
So borniert und einfältig die frühen Verlautbarungen aus dem Conne Island waren, so repräsentativ scheinen sie für den gesamten Laden gewesen zu sein (zumindest drängt sich dieser Eindruck beim Lesen der alten Texte auf(22)). Bei allen Hierarchien und Unterschieden, die es damals schon gab (und die mutmaßlich in der Anfangszeit sogar stärker ausgeprägt waren als heute) – in gewissen Dingen war man sich einfach einig. Dies ist inzwischen nicht mehr der Fall. Das Conne Island ist zu einer großen Spielwiese geworden, auf der alle – ohne große Vermittlung untereinander – tun und lassen können, was sie wollen. Die politische Klammer existiert schon lange nicht mehr, sie wird aber gern als Mythos vor sich hergetragen; man schmückt sich damit, weil man ein wenig auf dieses vermeintliche Alleinstellungsmerkmal stolz ist. Die politischen Gruppen und Einzelpersonen machen einfach ihr Ding, wie alle anderen auch – übernehmen aber aufgrund ihres Missionierungsdranges und ihres rhetorischen Geschicks die Außendarstellung des Ladens (mittels CEE IEH, sonstiger Veröffentlichungen, Veranstaltungen etc.) und dominieren teilweise das Plenum. Beredetes Zeugnis davon legt die Broschüre zum 15-jährigen Geburtstag(23) ab. Man hätte statt der vorliegenden Textsammlung auch ein Fotoalbum mit den 15 schönsten Graffitis oder den 15 gewagtesten Stage divings herausbringen können – beides wäre genauso repräsentativ für das Conne Island gewesen. Aber nein, in der Broschüre kommen bis auf die beiden Autoren des einzigen reinen Kulturtextes (Seiten der Wichtigsten) keine MitarbeiterInnen aus dem engeren Umfeld zu Wort, dafür drei Referenten, die man sich zum Event eingeladen hat und die sich alle zu den Kulturindustrie-Thesen auslassen dürfen. Gewiss ist dies spannender als Graffiti und Stage diving (zumindest für MacherInnen der Broschüre), jedoch wer nun glaubt, die Kulturindustrie-Thesen wären jemals Thema im Plenum gewesen oder seien gar handlungsleitend für die Kulturpolitik des Conne Island (oder würden zumindest von fünf Prozent des Ladens gelesen worden seien), wurde erfolgreich auf den Holzweg geführt: nichts davon ist der Fall.(24)
Es handelt sich also beim Spruch „Das Politische bestimmt das Kulturelle“ inzwischen nicht mehr um ein basisdemokratisches Konzept der Conne Island-Leute, sondern zum Teil um die politische Hegemonie einer Minderheit am Laden(25), andererseits um einen Mythos, der wie ein Nationalismus im Kleinen funktioniert: er schweißt den Laden zusammen – nie herrscht so viel Einigkeit und Identifikation mit dem Laden wie während der heftigen Banddiskussionen, wo es von außen betrachtet immer so aussieht, als würde gleich alles auseinander fliegen – und schafft die Motivation, sich weiterhin ehrenamtlich zu engagieren. Der Verweis auf die eigene Ernüchterung bezüglich der alten Subkultur-Ideale hingegen ist der Freibrief dafür, sich die politischen Ver- und Gebote nach Belieben den kulturellen Wünschen und Sachzwängen anzupassen. Da aber das Conne Island nur aufgrund der starken Identifikation seiner BetreiberInnen und seines Umfeld erkämpft und über 20 Jahre hinweg so erfolgreich betrieben werden konnte – und eine Welt ohne Conne Island, so viel ist schon mal gewiss, eine schlechtere Welt wäre –, fällt es schwer, irgendwelche Einwände gegen solche Legendenbildung vorzubringen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass der Erfolg des Modells zwar schlecht abzuschätzen ist, aber man immer mal wieder raunen hört, dass andere Kulturzentren, Teile des Publikums oder verschiedener Szenen die Entscheidungen des Conne Island wahrnehmen, diskutieren oder gar zum Maßstab des eigenen Handelns nehmen.
Was wäre also dem Conne Island in Bezug auf die Banddiskussion für die Zukunft zu wünschen?
1.
Da alles andere schlechter wäre, sollte an dem Modell, alle Veranstaltungen durchs Plenum absegnen zu lassen und Bands auch politisch zu bewerten, festgehalten werden.
2.
Im Wissen um die eigene Unzulänglichkeit, die eigene Geschichte und die Sachzwänge, denen man selbst und denen auch alle anderen unterworfen sind, sollten alle Verlautbarungen zwar inhaltlich klar, aber gleichzeitig auch undogmatischer, weniger besserwisserisch und solidarischer als in der Vergangenheit abgefasst werden. (Auch Einzelpersonen, die sich im Namen des Conne Islands äußern, z.B. als AutorInnen im CEE IEH, sollten dies möglichst berücksichtigen.)
3.
Es ist auch in Zukunft darauf zu achten, dass ein Auftrittsverbot nur das letzte Mittel ist. Die Mittel der Wahl sollten eher kritische Auseinandersetzung, Interviews und Diskussionen mit den Bands sein.
4.
Eine Veranstaltungsabsage sollte nur erfolgen, wenn sich das Plenum darin einig ist. Bei Uneinigkeit sollte die Darstellung des Dissens bei gleichzeitiger Durchführung der Veranstaltung den Vorrang erhalten.
5.
Konzertabsagen sollten immer kommuniziert werden. Ab und zu findet sich niemand, die oder der nach einer getroffenen Entscheidung diese auch zeitnah schriftlich begründet. Dies ist das Conne Island aber dem Publikum und der Band in jedem Fall schuldig.
6.
Selbst zu den Bands, die im Plenum keine Diskussionen hervorrufen, ließe sich in den CEE IEH-Ankündigungen mehr sagen, als dies durch reine Promotexte geschieht. Dies nicht zu tun, ist ausschließlich Folge der eigenen Faulheit und hat nichts damit zu tun, dass die Kultur also solche unpolitischer geworden wäre.
7.
Es darf sich auch gern mal an Bands abgearbeitet werden, die nicht zum eigenen Umfeld gehören: damit die „Feindbestimmung“ wieder ein wenig zurechtgerückt wird.
8.
Das Conne Island sollte zumindest ansatzweise versuchen, die Schlagworte „Antinationalismus, Antisexismus, Antirassismus usw.“ inhaltlich zu füllen. Dies wird während des Montagsplenums nicht machbar sein, aber eventuell auf dem jährlichen Arbeitswochenende.
9.
Ähnlich wie der schriftliche Leitfaden für die Stellendiskussionen könnte ein ähnlicher für Banddiskussionen hitzige Debatten versachlichen und ein angenehmes Diskussionsklima schaffen.
10.
Bevor das Conne Island mit einer angeblich von allen geteilten Plenumsmeinung nach außen tritt, sollte sich mehr Mühe um die Vermittlung nach innen gegeben werden. Es macht wenig Sinn, ein Palituchverbot zu verhängen, wenn es der Einlassdienst am Abend albern findet oder nicht begründen kann.
11.
Da Plenumsverlautbarungen aufgrund der Heterogenität des Ladens immer platt und nichtssagend sein werden – der kleinste gemeinsame Nenner im Conne Island schrammt grenzwertig am Nullpunkt vorbei – oder aber nicht wirklich die Meinung des Plenums widergeben, sollte überlegt werden, eher Einzel- oder Gruppenmeinungen stark zu machen und zu publizieren.
12.
Mit Kritik von außen sollte souveräner umgegangen werden. Selbst wenn man klüger ist oder sich zumindest klüger dünkt, sollte versucht werden, entgegenkommender mit dieser umzugehen.
13.
Zu guter Letzt wäre dem Conne Island ein Publikum zu wünschen, welches die inneren Widersprüche am Laden wahrnimmt und daraus folgende Entscheidungen des Conne Island nicht hämisch oder wie die beleidigte Leberwurst kommentiert: „Wieso dürfen die nicht auftreten, wenn die und die und die, die alle viel schlimmer sind, schon bei euch auf der Bühne standen“, sondern Plenumsverlautbarungen lediglich als Denkanstoß versteht oder einfach nicht ganz ernst nimmt. Und neben diesem kleinen Teil des Publikums, welches sich immer über das Conne Island aufregt, wäre zu wünschen, dass die restlichen 90 Prozent des Publikums, für die das Conne Island ein Laden ist wie jeder andere auch, irgendwann mal merken, dass sie nur zu 90 Prozent recht haben – und zehn Prozent am Conne Island schon besonders sind.
Andreas
Entdeckte auf seinem ersten Reaktions-Konzert 1990 in der nato, dass er mit Subkultur nichts am Hut hat. Hielt sich seit 20 Jahren aufgrund der eigenen Unkenntnis bewusst aus allen Kulturdebatten und Banddiskussionen heraus. Fand 1995 dann trotzdem Unterschlupf am Conne Island – in einer bibliophilen Nische. Seit 1999 dort sogar festangestellt. Bis 2005 Kassenwart der Politfraktion am Laden, ab 2011 Kloputzer der Kulturfraktion. Ehrenamtlich seit 2007 Trainer des CEE IEH-gesponserten Teams für den Giro d’Italia.
Der hier abgedruckte Text erschien in gekürzter
Fassung im 20yrs Conne Island Buch 2011.