• Titelbild
• Editorial
• das erste: „Wir hatten sehr oft Recht und zeigten das auch gern nach außen“
• Electric Weekender
• 20 Jahre Little Sista Skatecup
• C L O S E R
• Sub.island presents Killawatt (Osiris Music, UK)
• Friska Viljor
• Electric Island: DJ Koze
• Welcome to Dillaville – A tribute to J Dilla!
• Nekromantix
• Drum‘n‘Bass 2000 Reloaded
• Audre Lorde und die Schwarze Frauenbewegung in Deutschland
• Being as an Ocean, The Elijah, Capsize
• Letlive
• electric island: DIAL w/ John Roberts, Lawrence
• doku: Nein Nein, das ist nicht der Feminismus
• doku: Keinen Cent für‘s NDC
• doku: Faust für Fortgeschrittene
• doku: Interview mit Thomas von Osten-Sacken
• doku: Das AZ verliert langsam die Geduld
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• das letzte: Wir alle sind Opfer
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20 Jahre Punk, Oi! und Hardcore. Von der Reaktion zum Eiskeller. Von DIY zu Kommerz. Linke Politik und Skinheads. Proll(un)kultur und Party. Von NY-Hardcore zu L.E.-Crew. Von AsketInnen zu HardlinerInnen. Von Propaganda zu Propagandhi. Von ausgezogenen Springerstiefeln zum Headwalk.
Der Anfang – „Wir wollten eigentlich alles selbst bestimmen.“
„Die Idee war, etwas Eigenes zu machen, überall, wo man damals auftauchte, musste man Kompromisse eingehen […]. Entweder hat einem die Musik nicht gefallen oder die Leute oder die Art und Weise, wie Einlass gemacht wurde, die Preise, usw.“ (Connie)
Aus dieser Idee entstand aus dem Umfeld des legendären Mockauer Kellers die Gruppe Reaktion, deren Konzerte bald nicht nur dort, sondern auch in der Nato, dem Grafikkeller und dem Kulturhaus Jürgen Schmidtchen stattfanden. Dies als Geburtsstunde der Leipziger Hardcore- und Punkszene zu bezeichnen, würde nicht ausreichen, denn Reaktionskonzerte verbanden musikalisches mit politischem Interesse. Als Eintrittskarte fungierte das so genannte „Reaktionsheftchen“. Dort wurde nicht nur über die auftretenden Bands informiert, es fand auch eine Sensibilisierung des Publikums für Themen wie z.B. Wehrdienstverweigerung statt.
„[…] wir haben z.B. Fraueneinlass gemacht. Dabei haben wir bewusst darauf verzichtet, vorne ein paar ‚Atzen‘ hinzustellen, sondern haben gerade bei größeren Konzerten Männer nur für den Fall als Rückhalt gehabt, wenn wir der Situation körperlich nicht gewachsen gewesen wären. Wir haben verschiedene Sachen thematisiert, z.B. das Stagediven mit den Füßen zuerst. Das kam vielleicht anfangs etwas hippiemäßig rüber, aber uns war wichtig, dass sich auch Frauen beteiligen können. […] Wir haben eine ‚Brutal-Pogo‘-Ecke gebaut, wo die Leute sehen konnten: Ok, hier könnte ich mich austoben! Das war vielleicht alles etwas peinlich, aber so haben sich die Typen vorher die Schuhe ausgezogen, bevor sie von der Bühne gesprungen sind.“ (Connie)
Die Organisation der Konzerte lief strukturell ähnlich ab wie später auch im Eiskeller. Getroffen wurde sich wöchentlich im Plenum, um die nächsten Veranstaltungen durchzusprechen. Allen Beteiligten war dabei wichtig, dass jede und jeder, egal ob die Person Einlass machte, die Bands auszahlte oder die Schnipsel geschnitten hatte(1), absolut gleichberechtigt war. Das Angebot an tourenden Bands war noch relativ überschaubar. Hauptkriterium bei der Auswahl war der DIY-Ansatz, wobei Hardcore natürlich dominierte. Aber auch Punkbands oder aufstrebende, noch bezahlbare MusikerInnen standen auf der Bühne. Mit dem Fall der Mauer und dem Umzug auf das Gelände des Eiskellers ergaben sich ungeahnte Möglichkeiten.
„Damals gab es die beiden großen Magazine Zap und TRUST, die die Szenelandschaft bestimmten. Letztere wollten eher die ‚intelligenteren‘ HC-Bands pushen, während das Zap eher für NYHC und ‚In-Your-Face‘ stand. Die Agentur M.A.D aus Berlin unterstützte dies und war schon damals sehr professionell. Um es auf den Punkt zu bringen: Die NYHC-Sache hat damals total den Nerv der Zeit getroffen. […] Die NYHC-Richtung war hier dann schon sehr dominant und brachte uns durchaus Kritik ein. Wir wären zu einseitig und würden Polit-HC-Bands vernachlässigen…“ (Sören)
Die Reaktionskonzerte und später der Eiskeller prägten die Szene, logischerweise durch die Vielzahl der Konzerte, nicht zuletzt aber auch durch inhaltliche Diskussionen mit und um die Bands.
„Viele Leute sind immer von sehr weit her gekommen. Nach der Wende hat das, was hier abging, vielen Leuten in der Provinz und in kleineren Orten einen mächtigen Ansporn gegeben.“ (Smiler)
Die Atmosphäre und die Attraktivität der Konzerte sprachen sich in der Szene schnell herum, Bands richteten sogar ihre Tourpläne so aus, um in Leipzig spielen zu können. Doch Anfang der neunziger Jahre entdeckte die Musikindustrie die „coole, rebellische“ Subkultur des Hardcore für sich. Stilmittel in Optik und Attitüde wurden teilweise zu Verkaufsargumenten, der DIY-Gedanke trat bei vielen Acts immer mehr in den Hintergrund. Jetzt wurde eben auch Geld verdient. Und hier musste sich das Conne Island entscheiden:
DIY-Attitüde versus Kommerzvorwurf
„Wenn die Leute schon Kommerz wollen, dann sollen sie auch dafür bezahlen.“(2)
Im Mai 1994 sorgte der Auftritt der New Yorker Crossover-Band Biohazard für hitzige Diskussionen. Die Umsetzung dieses Konzertes stellte eine Zäsur in Sachen Professionalität dar. Immerhin rollte erstmals ein Nightliner auf den Hof, in dem nicht nur die vier Musiker, sondern auch eine eigene Crew mit Köchen und Technikern saß, von der bis dato in dieser Höhe nie ausgezahlten Gage ganz zu schweigen:
„Die Produktionskosten waren entsprechend hoch, und das in einer Zeit, in der Konzerte im Conne Island maximal 8 DM Eintritt kosteten, Bands grundsätzlich in Privatwohnungen übernachteten und am Tresen keinerlei Hard-Alk angeboten wurde.“ (Grape)
Äußerst gegensätzliche Ansichten prallten aufeinander, sehr gut illustriert in einem aufschlussreichen Streitgespräch im hauseigenen Newsflyer:
„Wenn Biohazard spielen, damit der Laden Geld einspielt, welches dann in Projekte wie Skate-Ramps, das Café oder als Ausgleich für ‚Minus-Konzerte‘ fließt – dann würde ich sagen: ok! Aber letzteren Grund hat sich der Laden ja schon wieder genommen bei den ausgehandelten Konditionen.“(3)
„Wenn Biohazard im CI spielen, dann gibt es einfach nichts anderes mehr als nur noch Industrie.“(4)
„…
die Kids kommen hierher, weil sie Biohazard von MTV kennen […] und eine MTV-Band sehen wollen.“(5)
„Den Stempel des Kommerzschuppens hatten wir ab dann weg.“ (Grape)
„Im Nachhinein haben wir alles richtig gemacht, weil wir ‚Welt-Bands‘ hier nach Leipzig bekommen wollten und das ab dann auch geschafft haben.“ (Gag)
Die Empörung ob der Tatsache, dass eine solch große Produktion im bis dato DIY-Jugendclub über die Bühne ging, war groß und brachte dem Conne Island neben dem Vorwurf der Kommerzialisierung auch eine interne Diskussion über die „Aktualität“ von Hardcore und aufkommenden Begleiterscheinungen wie Sponsoren-Logos auf Flyern oder Plakaten ein. Ein Tanz auf Messers Schneide – es stellte sich die Frage: In welche Richtung soll sich der Laden in Zukunft entwickeln?
„Im Fall Biohazard zeigte man sich realistisch, denn alles andere hätte bedeutet, nur noch Low-Level-Konzerte bestimmter Sparten zu machen, was dem Musikgeschmack sowohl der MacherInnen als auch der BesucherInnen nicht mehr entsprach. Nur dadurch gelang es, den kulturellen Horizont des Ladens zu erweitern und später Bands wie Zion Train oder Chumbawamba anbieten zu können.“ (Philipp)
Die wegweisende Entscheidung, sich von der engen, selbst gesteckten Fessel des „totalen Anti-Kommerz“ zu lösen, kann man rückwirkend als richtig werten. Im Zuge dessen lernten auch verwöhnte Stars und Sternchen das Conne Island kennen und schätzen.
Eine linke Hochburg und die Skinhead-
Subkultur – ein Oxymoron?
„Wenn wir Oi! hier machen wollen, dann nur mit den Skinheads zusammen – und wenn wir das wollen, dann haben wir die am Laden und müssen die einbinden!“ (Sören)
In den Jahren 1993/94 wurde das Fundament für das für Außenstehende oftmals befremdliche Phänomen gelegt, dass das Conne Island seit nunmehr 18 Jahren europaweit auch als eine Oi!-Hochburg gilt.
„Und ich glaube, das ist wirklich einzigartig und nicht vergleichbar, das damalige Verhältnis der linken Szene zu den Skinheads und umgekehrt. Ich glaube, das gab es so nicht noch mal.“ (Connie)
Bereits zu Wendezeiten hatte sich in Leipzig eine antirassistische und antifaschistische Skinhead-Szene formiert. Leider dominierte in der Öffentlichkeit, auch und vor allem wegen der in dieser Zeit stattfindenden rassistischen Übergriffe von Rostock, Mölln und Hoyerswerda die Gleichsetzung von Skinhead = Nazi. Dass die Skinhead-Subkultur eine mit schwarzen Wurzeln ist, war teilweise gar nicht bekannt oder wurde geflissentlich ignoriert. Nicht so im Leipziger Süden: Aufgrund persönlicher Freundschaften und dem gemeinsamen Anti-Nazi-Konsens wagte die Conne-Island-Crew mit der ansässigen Szene 1993 den Schulterschluss und ging das Experiment „Oi!-Konzerte“ ein – bis heute eine beispiellose Erfolgsgeschichte:
„Wir mussten eben Kompromisse eingehen […] das ist ja auch aufgegangen, man hat z.B. in Leipzig eine ganz andere Skinheadsubkultur als woanders.“ (Connie)
„Wir zeigen es euch mal: Im tiefsten Sachsen findet ein Oi!-Konzert statt und ihr Nazis habt nichts zu melden.“ (Sören)
„Ich war damals noch Gast und im CI war es eben immer noch etwas anderes, zum Oi!-Konzert zu fahren als nach Dresden oder Berlin. In Leipzig gab‘s aufs Maul für die richtigen Leute, das wusste man, woanders konnte das schon wieder ganz anders aussehen.“ (Ecke)
Als erste Highlights müssen wohl die Konzerte der Kult-Bands Cock Sparrer und The Business genannt werden. Nicht nur der Connewitzer Kiez betrachtete die Herangehens- und Umgangsweise des „linken Ladens“ mit den bösen „unpolitischen“ Skinheads sehr kritisch, im Plenum, am Stammtisch und in anderen Projekten wurde heiß diskutiert, ob dieser Weg der richtige sei oder man nicht den falschen Leuten Haus und Tor öffne:
„Ich habe dann immer ganz gerne so argumentiert: Hey, ich will gar nicht meine Ruhe haben – ich will, dass die Nazis hierher kommen, ich will, dass die sehen, wie Skinhead-Sein funktioniert, ohne Nazi zu sein, ich will, dass sie ihre Identität am Einlass verleugnen müssen!“ (Sören)
Natürlich wurden die Sorgen der sich in ihrer heilen Welt gestört fühlenden ConnewitzerInnen ernst genommen: So wurde beispielsweise ein
Sicherheitskonzept entworfen, um andere Projekte vor potentiellen Übergriffen zu schützen, und szenenahe Ladenleute beruhigten die Gemüter in persönlichen Gesprächen.
Das Rezept war so einfach wie unmissverständlich: Die Konzerte fanden in einem ganz klar antifaschistischen Umfeld statt, wodurch die echte Skinhead-Szene gestärkt wurde und eventuelle rechte MitläuferInnen, die sich ins Publikum verirrt hatten, gezwungen wurden, ihre Identität zu verleugnen. Dadurch erfuhren einige dieser Gestalten erst durch das Conne Island ihre „wahre“ Skinhead-Sozialisation – auch gerne mal durch eine aufgeplatzte Lippe, hauptsächlich jedoch, weil der Oi!-Ansatz um einiges attraktiver schien als Fackelzüge und Runenseminare:
„Die Idee war einfach, diese Konzerte nicht irgendwo, sondern eben im Conne Island zu machen […]. Viele Faschos haben ja damals noch diese Musik gehört und sind dann wirklich ins Conne Island gekommen, wo sie erstmal festgestellt haben, wie geil Skinhead ohne Nazi-Attitüde sein kann. […] Wir hatten den Anspruch zu sagen: Ok, ihr habt nochmal die Chance, euch umzuorientieren – und das ist dann auch vereinzelt passiert.“ (Connie)
Friede, Freude, Eierkuchen? Mitnichten, Mitte der neunziger Jahre lag ein Konflikt dann klar auf der Hand. Die Feierkultur der Skinheads und die mangelnde Distanz von Teilen der Szene zu Sexismus und Homophobie. Das „Augenzudrücken“ funktionierte eben nur bis zu einem gewissen Punkt. So schieden sich an Bands wie Die Kassierer oder Die Lokalmatadore die Geister, was die längst überfällige Debatte über und um Sexismus in der männerdominierten Welt von Hardcore und Oi! einleitete. Nach langwierigen Diskussionen im Plenum führte dies auch zu einer Konzertabsage an genannte Bands. Im CEE IEH stritt man noch ein halbes Jahr, bis feststand, auf solche „Kulturhighlights“ in Zukunft zu verzichten.
„…
ein Auge mehr zuzudrücken – gerade bei diesem Rumgeprolle […] das ging an diesem Punkt einfach nicht mehr.“ (Connie)
Die Fokussierung des Problems auf die Skinheads war dabei durchaus schwierig:
„Es war schon sehr verlogen und willkürlich. Denn bei Reggae und Dancehall oder auch beim Hip-Hop hat keiner so genau hingeschaut. Lokalmatadore waren über einer imaginären Grenze, innerhalb dieser bewegten sich dann Bands wie Springtoifel und Co.“ (Sören)
Von dieser Entscheidung unbeeindruckt, entwickelte sich das Conne Island aber zu einem Mekka gestandener Genregrößen. Bands wie Broilers, Stomper 98 oder Loikaemie standen im Conne Island zum ersten Mal vor größerem Publikum. Später fanden dann sogar Record-Release-Parties solcher Szene-Koryphäen vor beachtlicher Kulisse statt.
Die Feuertaufe vor größerem Publikum hatte Mitte der Neunziger auch eine Band, deren Mitglieder jahrelang die intensivste Zeit des Conne Island miterlebten und -gestalteten: Full Speed Ahead.
L.E.-Crew und Full Speed Ahead
Als Sprachrohr der Hardcore-Szene am Laden und darüber hinaus vertrat die Band das Conne Island und muss wohl in einem Atemzug mit der „L.E.-Crew“ und der Kampagne „Good Night, White Pride“(6) genannt werden.
„L.E.-Crew war DIY! L.E.-Crew stand für Leipzig-Hardcore, gegen Rassismus, Sexismus und Intoleranz!“ (Stefan)
1994 ins Leben gerufen und 1995 mit der Besetzung Maicus, Martin, Robert und Stefan komplettiert, nahm eine Geschichte ihren Lauf, die bis heute kaum eine andere Band mit dem Conne Island verbindet. Musikalisch dem NY-Hardcore verbunden, verfolgten die Vier bereits die frühen HC-Konzerte am Laden:
„Seit 1992 besuche ich Hardcore-Konzerte im Conne Island. Ich war zarte 15 Jahre alt und ‚durfte‘ mir Bands anschauen, die zunehmend mein Leben beeinflussten. Im Laden wurden regelmäßig Konzerte veranstaltet und ich wollte keines mehr verpassen.“ (Stefan)
„Musikalisch hatte ich damals viel mit Punk und so zu tun: Slime, Molotov Soda, Canal Terror etc., obwohl ich auch vorher schon Bands wie Spermbirds, Agnostic Front oder Upfront gehört hatte. Der Kick war jetzt nur, die ganzen Bands auch live sehen zu können.“ (Martin)
Insbesondere durch die stärkere Einbindung in das Konzertgeschehen wuchs die Verbundenheit und Identifikation mit dem Projekt Conne Island:
„Ich glaube, wir repräsentierten jahrelang den Laden, wie es zuvor und bisher keine andere Band getan hat.“ (Stefan)
„Für mich war das Conne Island der Ort, an dem ich alles vereinen konnte: Antifaschismus, politisches Querdenkertum und musikalische Subkultur, die auch über Hardcore hinausging.“ (Maicus)
Alsbald belegte die Band auch einen der im Haus befindlichen Proberäume. Insbesondere nach der Jahrtausendwende erlebten Full Speed Ahead ihre Blütezeit, bis sie im September 2009 ihre Abschiedsshow gaben. Aber nicht nur FSA und das Conne Island sind untrennbar miteinander verbunden, im selben Atemzug muss auch die legendäre L.E.-Crew genannt werden. Die neu gegründeten Bands hatten Namen wie Reflect, Denied Reality, Painscream oder eben Full Speed Ahead und bildeten das Fundament; die Crew bestand allerdings aus vielen Einzelpersonen der Leipziger HC-Subkultur. Das Conne Island als zentraler Treff, die Konzerte und gemeinsamen Touren schweißten zusammen. Neue Freundschaften entstanden und jedeR hatte das Anliegen, den Wunsch und die Energie, etwas zu bewegen:
„…
Durch die Band Judge, die in einem Song die ‚New York Crew‘ besang, kamen wir auf die Idee, unserer gemeinsamen Sache einen Namen zu geben. ‚Unity‘ sollte nicht nur ein Wort sein, das oft im Hardcore besungen wurde, wir wollten es leben – egal ob Straight Edge oder nicht, ob lange Haare oder kurze. Es zählte der gegenseitige Respekt.“ (Stefan)
Die vielbeschworene Unity war somit nicht nur eine leere Phrase, sie wurde gelebt: Im Leipziger Umland wurden gemeinsame Konzerte organisiert und mit dem FSA-Song „Friendship & Trust“ hatte man sogar eine eigene Hymne. Die L.E.-Crew war dabei kein geschlossener Kreis, sondern vielmehr ein Zusammenschluss vieler verschiedener Conne Island-naher Leute mit ähnlichem Lifestyle und Interessen, die mithalfen, den kulturellen Alltag über die Bühne zu bringen. So wurden Aufgaben wie Einlassdienste, Schnipseln, Bannermalen und viele andere Dinge übernommen. Unvergessen dabei die Parties in der Zeit, in der die heute noch existente Bühne gebaut wurde, und die Record-Release-Show zum Leipzig-Hardcore-Sampler „Someone strikes up and everybody sings along“. Dieser Spruch schmückte die Bühne bis ins Jahr 1997 und unterstrich die Verbundenheit der Crew zu ihrem Lieblingsladen. Noch heute prangt das Crew-Graffitti an der Eingangsmauer: „L.E.-Crew against racism“!
„Ist doch scheißegal, ob rechts oder links, Hauptsache, die Mugge ist cool“, so argumentierte ausgerechnet ein Besucher der großen „27 Jahre Hardcore“-Show im Conne Island im Jahr 2000. Diese Aussage direkt vor dem Full Speed Ahead-Auftritt, dazu die immer stärker werdenden Versuche der Nazi-Szene, in der Hardcore-Subkultur Fuß zu fassen und diese zu vereinnahmen, mündeten schließlich in der Gründung der Kampagne Good Night, White Pride. Schon kurze Zeit nach besagtem Konzert trafen sich ProtagonistInnen der Hardcore-Szene aus Leipzig, den umliegenden Landkreisen, Chemnitz und Riesa im Conne Island um zu beratschlagen, wie die Subkultur vor faschistischen Tendenzen geschützt werden könne. Nicht nur die stillschweigende Tolerierung von Nazis auf Hardcore-Shows waren ein Thema des Treffens, sondern auch das zunehmende rücksichtslose Tanzen und das überhandnehmende Machoverhalten der männlich dominierten HC-Szene.
„Die Idee, die hinter der Kampagne steckt, ist simpel und straight. Sie ist als ein Plädoyer für aktiven und direkten Aktionismus zu verstehen, der den Rassisten und Faschisten z.B. bei Konzerten deutlich macht, dass sie von den Ideen des Hardcore nicht toleriert werden!“(7)
„Es ging ja auch um dieses neue Verhalten im Moshpit: Da wurde Kickboxen von aufgepumpten Prolls gemacht, da wurde rücksichtslos getanzt, das waren oft männerdominierte Machoveranstaltungen und das wollten wir ändern.“ (Martin)
Die Kampagne begleitete der gleichnamige Song von Full Speed Ahead, ein unmissverständliches und klares Statement:
„Straight from the heart, loyal to the DIY, hardcore is more than music, hardcore is a lifestyle … Good night, white Pride.“ (Songtext Full Speed Ahead)
„Dieses Label (GNWP) sollte für alle zugänglich sein – für die Aktion meiner Meinung nach Segen und Fluch zugleich.“ (Maicus)
„Für mich und auch viele andere in meinem Alter war Full Speed Ahead der Abschied vom klassischen Punkrock und der Einstieg ins Hardcore-Hören. Und so blöd der ganze Kiezpatriotismus auch ist, war ‚04277 never sleeping‘ auch eine Art Hymne, auf die wir abgegangen sind. Auch war für uns der Aspekt und die Unterstützung der ‚Good Night, White Pride‘-Kampagne gut und wichtig. Wir waren alle Antifas und links und wollten auch beim Musikhören nicht darauf verzichten und erst recht nicht auf Konzerten neben Nazis stehen.“ (Menne)
Die Kampagne zog Kreise und eroberte nicht nur die HC-Szene, sondern auch andere Subkulturen. Nazis auf HC-Shows wurden nicht mehr schulterzuckend toleriert, eine neue Ebene der Auseinandersetzung mit der Problematik war gefunden. Die zunehmende Kommerzialisierung des Labels GNWP und der inflationäre Gebrauch des Logos ohne inhaltliche oder praktische Auseinandersetzung führten später leider wieder zu einem Abflauen der Kampagne.
Doch schon drei Jahre vor Gründung der GNWP-Kampagne hatte eine über Szenegrenzen hinaus diskutierte Debatte die bis dato so intakte Hardcore-Gemeinde gespalten: Die Rede ist von der Kontroverse um die Band Earth Crisis, um Straight Edge als Lebensentwurf und um Veganismus.
Earth Crisis, Straight Edge, Hardline und Veganismus
Die zu den ersten rein Vegan-Straight-Edge-Bands gehörende US-amerikanische Hardcore-Band und „Lichtgestalt“ der Szene, Earth Crisis, bot für KritikerInnen vor allem Angriffsfläche mit ihren Texten zum Thema Veganismus, Straight Edge, Pro Life sowie Earth First und galten damit als militante Hardliner, was neben Diskussionen zu Spaltungen auch außerhalb der Szene führte. Eine nicht unwesentliche Rolle in dieser Diskussion sollte dabei das Conne Island einnehmen.(8)
„Die Kritik der zumeist aus der Mittelschicht stammenden Jugendlichen entzündet sich an Elternhaus, Schule und Universität. Man kultivierte einen nonkonformistischen Lebensstil.“(9) Ein Standbein dieser Bewegung bildet der relativ aggressiv vorgetragene Vegetarismus/Veganismus mit der Kritik an der kapitalistischen Verwertung von Tieren.
Auf Grund dieser „Lebensschützerattitüde“ wurde auch Abtreibung als Mord am ungeborenen Leben verdammt. Nicht nur aus feministischer Sicht war dies ein dramatischer Backlash. Zudem sollte auf Alkohol, Tabak und andere Drogen sowie häufig „wechselnde GeschlechtspartnerInnen“ verzichtet werden.
„…
da habe ich ein Rock Hard-Interview gelesen und das ging gar nicht. Diese Aussagen und die Tendenzen der SxE-Szene, auch gegen Abtreibung zu hetzen. Das waren klare Fälle von Grenzüberschreitung.“ (Sören)
Der Unwille, die Situation differenziert zu betrachten, war dabei im Conne Island durchaus ausgeprägt:
„…
auf undifferenzierte Art und Weise wurden Earth Crisis zum Stellvertreter der gesamten Vegan-SxE-Szene stilisiert und damit ein Bild der SxE-Szene gezeichnet, das so nicht existierte.“ (Robert)
Im CEE IEH knallte man dann der Szene den Sozialdarwinismus und die Lebensschutzkonzepte von Earth Crisis vor den Latz. Die betroffenen Straight-Edger hingegen sahen sich dem Vorwurf ausgesetzt, faschistoide Tendenzen zu tolerieren. Das Conne Island versuchte bewusst, dem sich ausbreitenden Trend entgegenzuwirken. Das typische „Immer krasser als der andere sein“-Prinzip einer jeden Jugendsubkultur ging hier in eine sehr gefährliche Richtung.
Die per se nicht schlechte Philosophie vom asketischen Leben zog plötzlich überproportional viele Hardcore-JüngerInnen in ihren Bann, war aber in Auswüchsen wie der „Hardline“-Bewegung einfach nicht mehr zu akzeptieren. Was Helden wie Minor Threat oder Youth Of Today und einige andere in den achtziger Jahren angeschoben hatten, fand in den Neunzigern teilweise gruselige Erben.
„…
der Vorwurf an die (Vegan) Straight Edge Szene lautete, dass deren Kritik an der kapitalistischen Verwertung von Tieren mit Begriffen spiele, die den Holocaust relativieren…“ (Robert)
„Und noch weniger kannst du den Leuten hier unterstellen, dass sich alle, bloß weil sie SE sind, die Statements von einer Band wie Earth Crisis annehmen.“(10)
„Earth Crisis sind bekanntlich die Spitze des Eisberges einer esoterisch und sektenhaft veranlagten SE-Szene, die sich soweit von Minor Threat entfernt hat, dass es eigentlich bestraft werden müsste, wenn sich SxE-Kids von heute auf diese Band berufen.“(11)
Das Auseinanderleben von Conne Island und großen Teilen der Hardcore-Szene folgte fast folgerichtig:
„Szenefremde Menschen, die sich textlich angesprochen fühlten, wollten mir ihre Welt erklären, in der sie selbst nicht klar kamen.“ (Rico)
„Ab Earth Crisis war das Island für mich nicht mehr ‚Homebase‘ und Lichtpunkt in Sachen Hardcore.“ (Rico)
„Bereits während dieses frühen Stadiums der Diskussion zeichnete sich ab, was in ihrem weiteren Verlauf symptomatisch wurde: Das Conne Island agierte stark polemisch und differenzierte nicht ausreichend… Heute kann ich sagen, dass hinter dem Vorgehen des Conne Island sicherlich die besten Absichten standen … Zur damaligen Zeit war ich verärgert und genervt.“ (Robert)
Nach langen, hitzigen Diskussionen und Zerwürfnissen unter einzelnen Conne-Island-SympathisantInnen erließ das Plenum 1999 ein Verbot des Tragens und Verkaufens gängiger Merchandise-Artikel und damit einhergehend das Verbot weiterer Konzerte der besagten Band.
„Diese Entscheidung zog breite Kreise und führte dazu, dass sich Straight-Edge-Konzerte deutlich in Richtung Nordhausen, Saalfeld, Schleiz, Rosswein und Chemnitz verlagerten.“ (Robert)
„…Vermutlich sollten durch das T-Shirt-Verbot Denkprozesse innerhalb der Szene angestoßen werden. Rückblickend lässt sich sagen, dass dies weniger erfolgreich war.“ (Robert)
Die zwischenzeitliche Auflösung der Band Earth Crisis, aber natürlich auch die über die Jahre verlorengegangen Aktualität führten 2005 zur Aufhebung des besagten Verbotes und zum Abkühlen der erhitzten Gemüter.
Oi! The Meeting
„…
und irgendwie ist da ganz Europa angereist.“ (Ecke)
Weniger asketisch, dafür weit heftiger trieb es in dieser Zeit die bereits angesprochene Skinhead-Szene. Am Laden fanden regelmäßig größere Veranstaltungen wie der alljährliche Easter Ska Jam statt, und Helden wie Springtoifel, Cockney Rejects oder 4 Promille gaben sich die Instrumente in die Hand. Doch irgendwie schien der Enthusiasmus der Szene verflogen, außerhalb des Conne Island hatte eine starke „Verprollisierung“ der Szene eingesetzt und unter Teilen der Leipziger Skinhead-Crew war die Begeisterung der neunziger Jahre einer gewissen Ernüchterung gewichen.
„Die Freunde, die Gang, die wir mal waren, gibt es auch nicht mehr und die Leute, die jetzt da sind, sind hochkomische Leute. Ich habe gerade meine Probleme damit.“(12)
Seit Jahren spukte die Idee einer Wiederbelebung des legendären, „Oi! The Meeting“ genannten Zusammentreffens der Subkultur in den Köpfen einiger Leipziger Skinheads herum. Erstmals fanden diese Anfang der Neunziger in Lübeck und Rendsburg statt, aber schliefen seither einen Dornröschenschlaf. 2002 wollte man es dann noch einmal wissen: Teile der Leipziger Skins traten mit den Worten „Wir machen das jetzt hier“ an. Das Ergebnis war eines der größten, wenn nicht das größte subkulturelle Ereignis, das je am Conne Island stattfand. Noch heute spricht die Szene vom „Oi! The Meeting“ 2002, das wirklich eher den Charakter eines Treffens und weniger eines Zwei-Tages-Konzerts hatte. Atmosphäre und Organisation, Stimmung und eine nicht minder legendäre Aftershow-Party – an diesem Wochenende stimmte einfach alles, bis vielleicht auf die Tatsache, dass das im Rahmen des Festes ausgetragene Fußballturnier von einem Team aus Dresden gewonnen wurde.
Ob wegen des großen Erfolges oder aus Prestigegründen – auch 2005 und 2007 fand das „Oi! The Meeting“ erneut in Leipzig statt. Jedoch hat das seit zehn Jahren im Hardcore zu beobachtende Problem der Kommerzialisierung auch vor Oi! nicht halt gemacht. Eine weitere szeneinterne Kontroverse ergab sich vor dem zweiten „Oi! The Meeting“ im Jahre 2005 mit dem Auftritt der Band Perkele:
„Ich war da schon sehr skeptisch, als ‚unsere‘ Skinheads die Band ins Spiel gebracht haben […]. Dann habe ich ein Interview mit denen gemacht und ein bisschen auf den Zahn gefühlt, […] auch mit dem Sänger telefoniert und ab dem Punkt war für mich klar, dass die völlig korrekt sind.“ (Ecke)
Die Band hatte in ihrer Vergangenheit ein wenig blauäugig bei der Wahl ihres Plattenlabels agiert und war somit aufgrund ihrer musikalischen Fähigkeiten schnell zur Lieblingsband vieler Nazi-Skinheads geworden. Seit dem Auftritt im „Kommi-Laden“ Conne Island und einem Interview auf der beim „Oi! The Meeting“ aufgezeichneten DVD gilt die Band in der Bonehead-Szene als untragbar.
„Wir haben ja Perkele eigentlich auch so ein bisschen freigeboxt aus dieser ganzen schummrigen Grauzone.“ (Ecke)
Doch während sich der Mikrokosmos Conne Island mit Bands wie Earth Crisis, Perkele oder auch Discipline beschäftigte, stürzten in New York zwei Türme ein…
Antiamerikanismus in der Popkultur
„Amerikanische Verhältnisse sind nicht deutsche Verhältnisse. Und das ist in diesem Fall der springende Punkt.“(13)
Mit den Anschlägen auf das World Trade Center in New York im Herbst 2001 und dem sich anbahnenden Dritten Golfkrieg änderte sich nicht nur die Weltpolitik, sondern verschärfte sich auch der kulturpolitische Ansatz des Conne Island. Mehr und mehr sahen sich VeranstalterInnen und Publikum mit KonzertbesucherInnen und Bands konfrontiert, denen Sprüche wie „Fuck the USA, Fuck Bush“ und „Yankees, verpisst euch“ leicht über die Lippen zu kommen schienen.
Solche Ausrufe sind und waren problematisch, da sie sehr verkürzte Bilder bedienen, die tiefere Ursachen für Krieg und Elend aufzeigen sollen, jedoch einzig und allein eine verzerrte Vereinfachung und personifizierende Schuldzuweisung darstellen. Denn wer glaubt, die USA seien Schuld an Gewalt und Unterdrückung in der Welt, geht einfach nur simplen antiamerikanischen Ressentiments auf den Leim: Profitstreben, Imperialismus und Ausbeutung sind nicht Eigenschaften Amerikas, sondern logische Folgen der überall existierenden kapitalistischen Verhältnisse.
Nicht nur weil sich das Conne Island seit Jahren positiv auf die anglo-amerikanische Tradition von Pop bezog, sondern vor allem, weil das antiamerikanische Ressentiment sich in dieser Zeit so „übergreifend“ Bahn brach, musste der Laden in dieser Zeit agieren:
„Früher war mir wichtig, dass Bands politische Statements geben […], aber im Zuge der Diskussion um den 11. September hat sich das geändert. Mir ging es oft so, dass ich dachte, wenn Bands sich dann politisch geäußert haben: Um Gottes Willen, hättest du das mal lieber sein gelassen – und das wurde dann immer stärker.“ (Lothi)
Den vorläufigen Höhepunkt erreichte die Diskussion mit dem 2001 stattfindenden Konzert der kanadischen Band Propagandhi. Den Stein brachte die Band mit ihrem aktuellen Tourplakat und Plattencover mit einer die Welt umschlingenden Flagge der Vereinigten Staaten ins Rollen. Außerdem sorgte die Textzeile „Fuck Zionism“ im Song „Haillie Sellasse, Up Your Ass“ aus dem Jahr 1993 für Kopfschütteln. Im Zuge dessen veröffentlichte das Conne Island ein Flugblatt, das Antizionismus und antiamerikanische Vorurteile kritisierte.(14) In der persönlichen Auseinandersetzung mit der Band stießen diese Kritikpunkte am Umgang mit dem politischen Weltgeschehen auf Unverständnis und Entsetzen bei der kanadischen Band. Die Musiker fühlten sich durch die „eigenen Leute“ schlimmer behandelt als durch die uns allen bekannten Autoritäten und standen kurz davor, das Konzert abzusagen. Ein klärendes Gespräch am Tag des Konzerts konnte die inhaltlichen Differenzen kaum glätten. Im Gegenteil, das Konzert stand auf der Kippe, konnte dann aber nach weiteren Diskussionen doch über die Bühne gebracht werden.
Der 11. September 2001 sorgte ziemlich schnell für einen Bruch innerhalb der deutschen Linken. PunkrockerInnen bzw. Hardcore-HörerInnen verstanden sich damals noch als passionierter Teil dieser. Die folgenden Diskussionen gewannen jedoch so schnell an Fahrt, dass man mit einem klassischen Antifa-Bewusstsein ins Hintertreffen geriet. Es war völlig neu, dass AntiimperialistInnen, AntirassistInnen und AntifaschistInnen mit ihren bis dato gültigen Ansichten so in die Kritik genommen wurden.
„[…] und ich fand dann oft, dass den falschen Leuten an den Karren gepisst wurde. […] Nach wie vor sind mir die politischen Bands lieber als die tätowierte Disco-Fraktion.“
(Biene)
2004 veröffentlichte die aus der legendären Deutsch-Punk-Band Slime hervorgegangene Nachfolgecombo Rubberslime die neugetextete Version ihres Songs „Yankees raus“, in dem die USA mit der „SA-SS“ verglichen werden. Dieser Song hatte mit dem uns bis dahin allen bekannten Bürgerschreck nicht mehr viel gemein, sodass sich selbst ehemalige Mitglieder der Band vom Nachfolgeprojekt und dessen Ansichten distanzierten. Das Conne Island veröffentlichte daraufhin erneut eine Stellungnahme zum Wandel vom Slime und bedauerte das Absagen des von vielen freudig erwarteten Konzerts der einstigen Ikonen:
„Wenn man merkt, dass man mit den eigenen Aussagen in die deutsche Öffentlichkeit eingemeindet wird, sollte man schnell die Notbremse ziehen und wieder übers hemmungslose Saufen, das Recht auf Arbeitslosigkeit und den Scheißstaat singen.“(15)
Auch für Teile des Publikums und des Umfeldes blieben die Erklärungen nicht folgenlos. Vor allem der Angriff auf die eigens aufgebaute politische Identität führte zu Unstimmigkeiten in der Szene. Leider folgte der Entrüstung keine inhaltliche Auseinandersetzung innerhalb der deutschen Punkbewegung, von vereinzelten Stammtisch-Diskussionen abgesehen.
Die Diskussion um Stomper 98 –
oder „Quo Vadis, Oi! im Conne Island?“
„Man muss sagen, es hat auch keiner Schönwetter geredet.“ (Gag)
Eine inhaltliche Auseinandersetzung ließen leider auch die Verfasser des „Roten Hetzpamphlets“, das dem Laden-Plenum 2008 zugespielt wurde, vermissen. Auf 80 Seiten wurde nicht nur versucht, den Auftritt der Band Stomper 98 zu verhindern, im selben Atemzug wurden ladennahe Mitarbeiter diffamiert und der Umgang des Conne Island mit der Oi!-Szene an sich in Frage gestellt. An Band und Laden wurde der Vorwurf der „Rechtsoffenheit“ und „Ignoranz“ herangetragen. Durch langwierige plenumsinterne Auseinandersetzungen, an denen sich teilweise auch die Musiker beteiligten, konnten diese Bedenken weitgehend ausgeräumt werden. In der Debatte wurde deutlich, dass der für szene-erfahrene VeteranInnen jahrelang gewohnte Umgang mit der Skinheadszene am Conne Island für viele, auch ladennahe SympathisantInnen eben nicht transparent genug war – ein nach wie vor aktuelles Thema.
„Die Frage des ‚Wie‘ in der Diskussion war das Problem. Das hat halt einen Graben gerissen und meiner Meinung nach viel mehr Schaden hinterlassen.“ (Ecke)
Noch während der laufenden Diskussion veröffentlichten Stomper 98 auf ihrer Website ein umfassendes Statement und bezogen zu sämtlichen Vorwürfen Stellung. Seither gilt die Band in Bonehead-Kreisen als Verräter, die Konsequenz, mit der das Statement einherging, nötigte aber auch vielen KritikerInnen der Oi!-Szene Respekt ab.
„Zuallererst und grundsätzlich ist Stomper 98 ganz einfach eine Skinhead-Rock‘n‘Roll-Band. Mit dieser Selbsteinschätzung verbinden wir, jeder einzelne von uns, dass wir uns als Teil einer Szene betrachten, die über die Grenzen von Ländern, Kontinenten, Staatszugehörigkeiten und Hautfarben ein Lebensgefühl, ein oft beschworener Way of Life verbindet.
Diese Tatsache beinhaltet die Grundeinstellung, dass Rassismus, Nationalismus und überhaupt jede Art von Diskriminierung das genaue Gegenteil von diesem, von unserem Way of Life, darstellen. Um es klar zu sagen: Stomper 98 waren immer und sind eine antirassistische Band.“
Schlussendlich fand das Konzert statt, was dem Conne Island in besonders emsigen Kreisen den an Albernheit kaum zu überbietenden Ruf eines „Grauzonen-Ladens“ einbrachte.
„Mit etwas Abstand muss man sagen, dass es ein Riesenfehler gewesen wäre, so eine Band nicht zu machen. Egal was vorher war, die Jungs sind völlig in unsere Richtung gelaufen.“ (Gag)
Generationswechsel, Jugendsubkultur und Hardcore im Jahre 2011
„Plötzlich waren wir es, die im Zoro die Schnipsel gemacht und Banner für die Bands gemalt haben. Manchmal auch einen Ankündigungstext für den Newsflyer.“ (Pierre)
20 Jahre sind eine lange Zeit und selbstverständlich fand und findet auch im Eiskeller ein stetiger Personalwechsel statt. Neue Leute kommen und bringen ihre Erfahrungen ein, andere „Crews“ bilden sich heraus, gehen dann wieder in nachfolgenden auf, engagierte Leute etablieren sich und führen die Arbeit der ersten und zweiten Generation von Conne-Island-MitarbeiterInnen weiter. Vor allem um die Jahrtausendwende herum verjüngte sich die Hardcore-Crew am Laden merklich, aber trotzdem blieb vieles beim Alten.
Auch wenn die Diskussionen um Bands oder Entwicklungen in der Szene vielleicht nicht mehr so stark polarisierten, wie sie es etwa noch beim Streit um Earth Crisis getan hatten, war vereinzelt immer wieder der zaghafte Versuch zu verspüren, Missstände zu thematisieren oder gar zu verändern. So kamen aus dem Conne-Island-Umfeld maßgebliche Impulse, die etwas zur Floskel verkommene Kampagne „Good Night, White Pride“ neu zu beleben – und damit vielleicht auch noch ein paar Schritte weiter zu gehen.
Absage des Konzertes d
Auch wenn der Versuch aus heutiger Sicht weit hinter seinen Ansprüchen zurück geblieben ist, die Kampagne unter dem neuen Namen Let’s Fight White Pride neu und anders zu aktivieren(16), gelang es dennoch, auch Themen fernab von der leider immer noch aktuellen Naziproblematik in den Fokus zu rücken. Stellvertretend sei hier das immer weiter ausufernde „Violent Dancing“ bei Hardcore-Shows, die komplette Entpolitisierung von Hardcore hin zu einer gigantischen Merchandising-Maschinerie oder auch Sexismus innerhalb der Szene genannt.
„…
für mich völlig unverständlich, wenn Leute auf die Shows fahren und es nur noch um Merch und Selbstdarstellung geht. […] Musik, Subkultur und Politik gehört zusammen. Auch und vor allem beim Hardcore. Ich trage auch gerne mal ein buntes, stylisches Shirt und Air Max, aber gerade das, was auf den Metalcore-Shows abgeht, ist für mich unklar. Fünfzig Euro für Shirts ausgeben und sich dann gegenseitig in die Fresse hauen, um auf dem Hof Heldenstories erzählen zu können – das ist nicht mein Ding und sollte auch nicht der Anspruch des Conne Island sein.“ (Menne)
Hardcore scheint schon lange „More than Music“ zu sein, allerdings nicht im ursprünglich gedachten Sinne: Hardcore steht heute immer mehr als verkaufsförderndes Label für sämtliche Modeartikel. Aus Konzerten wurden „Shows“, aus FreundInnen „Dudes“, aus gemeinsamen Erlebnissen austauschbare Performances.
„Hinzu kommt, dass heute Konzerte oft nur noch Verkaufsstände mit musikalischer Untermalung sind […]. Bands haben nichts mehr zu sagen, es geht darum möglichst attraktiv zu wirken, damit Kids T-Shirts kaufen.“ (Lothi)
Wie nicht anders zu erwarten, stießen diese Versuche szeneintern teilweise auf Unverständnis, was in Anbetracht einer inzwischen nahezu völlig entpolitisierten Hardcore-Szene nicht sonderlich verwunderlich ist. Besonders die Verbindung von Gewalt vor der Bühne und dem Rollenbild, welches Frauen dabei zugeschrieben wird, sorgte für viel Unbehagen. Dass es dabei nie um dogmatisches Umsetzen irgendwelcher „gewünschter“ Verhaltensweisen ging, sondern die Leute eher zu ein klein wenig mehr Selbstreflexion bewegt werden sollten, wurde leider nie so richtig verstanden.
„Die Kritik am Tanzverhalten, Headwalks usw. brachten uns abermals den Ruf ein, der Szene Vorschriften zu machen. Unserem Anspruch nach sollte es allen möglich sein, aktiv am Konzert teilzunehmen und so viel Spaß wie möglich zu haben. Dabei ging es lediglich darum, einfach ein wenig Rücksicht zu nehmen, da natürlich niemand Bock auf Ellenbogen und Fußtritte im Gesicht hat. Ich bin der Meinung, dass eben dieses Zurschaustellen von Härte viele Gäste davon abhält, ihre Lieblingsbands abzufeiern.“ (Pierre)
Stellvertretend dafür steht wohl die „Headwalk-Diskussion“. Headwalken gilt als Inbegriff für rücksichtsloses Verhalten auf Konzerten und wird deswegen im Conne Island geächtet. Leider fand die Debatte nur sehr unsachlich in Internetforen und maximal via Szenetratsch statt. Beim Headwalking wird versucht, mit möglichst schnellen Schritten von der Bühne über das Publikum zu „laufen“, wobei die Köpfe, Schultern und Hände der anderen KonzertbesucherInnen als Trittfläche verwendet werden. Hauptkritikpunkt an dieser Form der Selbstdarstellung ist vor allem ein hohes Verletzungsrisiko für alle Beteiligten. „Violent Dancing“ beschreibt eine besonders brutale Art des „Moshings“ oder „Slamdances“.
„Das Hauptargument der Headwalk- und Violent Dancing-Befürworter ist ja, dass es eben zum HC ‚dazugehört‘ und ‚schon immer so war‘. Aber genau das heißt ja nicht, dass es so gut ist bzw. war. […] Und wenn dann noch mit dem dümmsten Argument aufgefahren wird, dass HC eben ‚Männermusik‘ sei, zeigt sich daran der begrenzte Horizont, den viele in der Szene haben, was sich eben auch in der Entpolitisierung widerspiegelt.“ (Marika)
„Deswegen bin ich froh, dass es im Island eben weitestgehend klar ist, was geht und was nicht – wer sich nicht dran hält, muss eben gehen.“ (Menne)
„Naja, ich habe ein wenig resigniert, was die Hardcore-Szene angeht. Zwar ist es möglich, Uniformität und Mackertum zu kritisieren, aber wie viel kommt wirklich bei den Leuten an? Es würde und wird wahrscheinlich als PC-Scheiß abgetan.“ (Pierre)
Zwei der emotionalsten sowie dramatischsten kulturpolitischen Diskussion der letzten Jahre beschäftigte sich 2010 mit vermeintlich nachgesagten Verstrickungen verschiedenster Bandmitglieder in die Naziszene. Die Absage des Konzertes der Band Maroon(17) blieb weitgehend unkommentiert, was szeneintern vielleicht als Zustimmung gedeutet werden kann. Der Frontmann der Band redete sich in einem Interview zu seinen Verstrickungen in die rechte Neofolk-Szene um Kopf und Kragen. Die Konsequenz war, dass ein Auftritt im Conne Island in den Bereich der Unmöglichkeit rückte. Die Absage des Auftritts war nicht im Wirken und Schaffen der Band selbst begründet, sondern bezog sich auf das Handeln des Sängers, vor allem seinem offensichtlichen Mitwirken an Konzerten, u.a. mit den fragwürdigen Neofolk-Bands Von Thronstahl und Der Blutharsch. Zwar konnten in Gesprächen „antifaschistische Bekenntnisse“ abgerungen werden, ein Verständnis darüber, das der Gebrauch nationalsozialistischer Ästhetik – insbesondere der Neofolkszene – auch etwas über deren ideologische Präferenzen und deren Denken preisgibt, wurde allerdings nicht erreicht.(18)
Etwas anders verlief die Diskussion um den Frontmann der eigentlich als Support angetretenen Newcomerband Suffer Survive.(19) Diese Debatte schaffte es, das Conne Island selbst über den subkulturellen Tellerrand hinaus zu spalten. Nach wochenlanger Diskussion wurde sich schlussendlich dazu durchgerungen, die Band spielen zu lassen, da die objektiven und vorgebrachten Vorwürfe gegen ihren Sänger im Plenum zwar ausgeräumt werden konnten, einige PlenumsteilnehmerInnen diese Entscheidung aber mit mehr als nur erheblichen „Bauchschmerzen“ mittrugen. Ein langjähriger Conne-Island-Mitarbeiter kehrte seinem bis dato Lieblingsladen bedauerlicherweise sogar den Rücken.
Weniger in Bezug auf Diskussionen, aber in der Erscheinung des Conne Islands, lässt sich über die letzten fünf bis zehn Jahre feststellen, dass sich das Conne Island immer weiter von klassischer Subkultur wegentwickelt – größere und professionellere Produktionen geben immer mehr den Ton an. Dass dabei natürlich viel auf Entwicklungen im Musikbusiness reagiert wird und werden muss, ist klar.
„…
mit dem Wandel innerhalb des Conne Island und innerhalb des HC/Punk ist es (musikalisch) ein Anbieter von vielen geworden; sicherlich auch den finanziellen Zwängen geschuldet.“ (Rico)
Seine exponierte Stellung als Institution innerhalb der Szene hat der Laden dennoch nicht verloren. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass sich im Conne Island in den letzten 20 Jahren nie vor unbequemen Diskussionen gedrückt wurde, man bereit war und ist, untragbare Bands abzusagen, ebensolche Leute rauszuschmeißen und sich dabei für kein Fettnäpfchen zu schade ist.
„So weit, so gut, sonst wird’s ein Roman.“
Es war und ist fast ein Ding der Unmöglichkeit, die Geschehnisse aus 20 Jahren der von uns liebevoll „Abteilung Stromgitarre“ getauften Sparte aus Punk-, Hardcore- und Oi!-Musik in einen doch recht kurzen Text zusammen zu fassen.
Zu viele Erinnerungen beständiger und ehemaliger MitarbeiterInnen des Ladens konnten leider nur angeschnitten, wichtige Diskussionen nur kurz angerissen und viele Ereignisse nur knapp auf den Punkt gebracht werden.
Auch wenn es manchen LeserInnen so vorkommen mag, dass das Conne Island viele Dinge „totdiskutiert hat“, die gelaufenen Debatten waren allesamt wichtig und für viele Leute – und nicht zuletzt die jeweiligen (Sub-)Szenen – prägend! Schade ist, dass die Ergebnisse einiger dieser Debatten aber auch dazu führten, dass langjährige MitarbeiterInnen des Conne Island ihre Konsequenzen zogen und dem Projekt enttäuscht den Rücken kehrten.
„Es gab viele wichtige und richtige, aber auch überflüssige Diskussionen.“ (Rico)
Abseits aller Theorie sind wir jedoch seit 20 Jahren ein verschworener Haufen, der es hervorragend versteht, den Tanz auf Messers Schneide bis tief in die Nacht von Connewitz zu vollführen: Spaß, Lebensfreude und pure Musik-Liebhaberei auf der einen Seite, Aufzeigen von Grenzen und das Thematisieren von Missständen auf der anderen Seite.
Kurzum:
„Conne-Island-Partys sind die besten Partys!“ (Elli, M.A.D Tourbooking Berlin)
Abteilung „Stromgitarre“