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Ganze sieben Wochen nach der Fishbowldiskussion möchten wir euch nun endlich unsere Eindrücke und Schlussfolgerungen schildern.
Wir wurden das erste Mal zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Für uns stand im Vorfeld zur Überlegung: (Warum) Machen wir das überhaupt? (Warum) Setzen wir uns mit Menschen, die anscheinend kein bisschen Feingefühl besitzen, was Shoah und NS betrifft, gemeinsam auf ein Podium? Würden wir uns mit allen möglichen Menschen auf ein Podium setzen? Machen wir dies nur, weil sie auch das Label Feminismus für sich in Anspruch nehmen? Solche Fragen sollten sich auch Veranstalter*innen ganz intensiv stellen: Wem wollen wir ein Podium bieten?
Wir wollten unsere Kritik noch mal öffentlich kundtun, „mit Gesicht“ und auch für Leute, die weniger auf Blogs unterwegs sind, und verhindern, dass Femen die Möglichkeit bekommen, ihre Aussagen unkritisiert darzustellen. Nun hätten wir alternativ einfach die Veranstaltung stören können, jedoch hören viele Leute Störer*innen nicht zu – wir hoffen nun, dass uns auf diesem Wege irgendwer zugehört hat. Im Nachhinein ist immer noch die Frage, ob das die richtige Vorgehensweise war.
Die Diskussion war schnell emotional sehr geladen und drehte sich vorrangig um den Konflikt zwischen Femen Germany und uns bzw. um deren Aktion am 25.01.13 in Hamburg und nicht, wie eigentlich geplant, um „feministische Protestkultur heute“ im Allgemeinen. Das war eine sinnvolle Diskussionsentwicklung, denn es müsste dem Feminismus ja zuallererst um Ziele gehen, nicht nur um Mittel oder Strategien. Wozu sollten wir uns über Aktionsformen unterhalten, wenn keine andere gemeinsame Basis außer dem Feminismus-Label vorhanden ist?
Femen sahen keinen Grund, Abstand von der „Sexindustrie“-Aktion zu nehmen und konnten auch die Kritik an dieser Aktion sowie an ihrer Gruppe nicht nachvollziehen. Die mit Deutschlandlogo-Shirts und Blumenkränzchen geschmückten Femen entschieden sich, die bei der Aktion in Hamburg getätigten Aussagen nicht etwa zu revidieren, sondern zu wiederholen und zu bekräftigen. Prostitution sei ja schließlich schlimm und deshalb müsse mensch sie auch mit anderem Schlimmen vergleichen/gleichsetzen. Es herrschten dabei nun mal teilweise auch Zustände wie in KZs. Außerdem sei so eine Provokation eben nötig, gerade in Deutschland, wo Themen wie der NS und Faschismus tabuisiert würden (dies wurde auch aus dem Publikum geäußert). Dass nach erneuten Relativierungen (immer und immer wieder) die Diskussion nicht sofort beendet wurde, war ein riesiges Zugeständnis, dessen Berechtigung fraglich ist.
Einige weitere Anekdoten in Stichpunkten:
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Menschen im Publikum, die keinen Bock mehr hatten, sich weiter Bilder mit hitlergrußzeigenden Halbnackten anzugucken, wurde nahegelegt, doch den Raum zu verlassen, wenn sie so was nicht aushalten könnten.
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Femen, angesprochen auf ihren Nationalismus, wiesen die Zuhörer*innen darauf hin, sie seien doch schließlich auch eine Nation, sie seien Deutschland.
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Femen werden dem Patriarchat als „Soldatinnen“ „an vorderster Front“ den Garaus machen.
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Diejenigen, die freiwilliger Sexarbeit nachgingen, bräuchten sich von ihrer Aktion einfach nicht angesprochen fühlen. (Ebenso wie sich Menschen ohne Brust oder auch mit nicht gängigen Schönheitsidealen entsprechenden Körpern einfach nicht ausgeschlossen fühlen bräuchten.)
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Femen erklärten, sie müssten ihre Aussagen vereinfachen, denn – völlig klar – mehr als drei Wörter passten nun mal nicht auf einen Körper.
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„Wir müssen uns von keiner Aktion distanzieren“, ebenso nicht von der White-Power-Bewegung nahestehenden Mitgliedern.
Was sich durch das ganze Gespräch zog, war ein plattes Gegeneinander-Ausspielen von Theorie und Praxis. Wir reden, sie machen. Wir erreichen ganz wenige Leute, sie ganz viele. Mit welchem Inhalt diese eigentlich erreicht werden sollen, scheint zweitrangig.
Wenn es gar nicht mehr weiterging, kam sinngemäß folgendes Totschlagargument: „Das ist eure Meinung, wir haben eben eine andere.“ Gratulation! Wer rationelle Einwände konsequent als persönliche Meinung abtut, immunisiert sich gegen jegliche Kritik.
Das Publikum war hauptsächlich unseren Argumenten wohlgesonnen und konfrontierte Femen mit vielen kritischen Fragen oder Vorwürfen. Zudem gab es zwischenzeitlich Lautäußerungen (zumeist Unmutsbekundungen) zum Beispiel von Leuten, die schockiert waren von unsensiblem Sprachgebrauch oder die nicht als „Deutschland“ bezeichnet werden wollten. Einige Teilnehmer*innen (inkl. Moderatorin und EMMA-Journalistin) gaben uns das Feedback, die Diskussion sei unfair abgelaufen. Tatsächlich sind wir nicht angereist, um mal nett zu plauschen, uns auszutauschen, voneinander zu lernen, unsere Ideen sich gegenseitig befruchten zu lassen usw., was einige vielleicht unter „fair“ verstanden hätten. Die Kritik war berechtigt und auf Fehltritte dieser Dimension sollte nicht mit vorsichtigem Nachfragen reagiert werden.
Einschub 1:
Einen kompletten Audio-Mitschnitt der Veranstaltung (ca. 3h) gibt es unter:
http://www.mixcloud.com/evibes/podiumsdiskussi-on-mit-femen-deutschland-evibes-5-marz-2013/
Einschub 2:
Zwangsprostitution und Menschenhandel sind schlimm, aber:
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das rechtfertigt keine Gleichsetzung der Zustände in Bordellen und denen in KZs
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sie sind von freiwilliger Sexarbeit („so freiwillig wie Lohnarbeit im kapitalistischen System nun mal sein kann“)(1) zu unterscheiden
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menschenunwürdigen Zuständen bzw. Arbeitsbedingungen ist nicht durch eine weitreichende Illegalisierung von Prostitution zu begegnen, sondern durch Entstigmatisierung, Arbeitskämpfe etc.. Indem Femen alle Sexarbeiterinnen zu Opfern machen, arbeiten sie einer Verbesserung der Zustände entgegen.
Fazit:
Zusammenfassend hat sich unser Bild von Femen und Femen Germany weder innerhalb der letzten Wochen noch im Speziellen während der Diskussion verbessert. Im Gegenteil, unser Eindruck wurde zunehmend schlechter. Aus unserer Sicht handelt es sich hier nicht um eine feministisch-emanzipatorische Gruppe, sondern um eine straff hierarchisch organisierte Gruppierung, die dem Zweck, möglichst viele Menschen zu erreichen, alles unterordnet. Es wird schrankenlos „provoziert“, unabhängig davon, welche Auswirkungen dies auf Sexarbeiter*innen, Muslima* oder andere hat, in deren Namen uni(n)formiert, undifferenziert, vereinnahmend und verdammt laut gesprochen wird. Für Medienaufmerksamkeit ist jedes Mittel recht – Begriffe können bunt durcheinandergewürfelt werden, die Shoah stellt hierbei kein Hindernis dar. Im Gegensatz zu Femen Germany gibt es für uns Dinge, die falsch sind, die gefährlich sind und die nicht toleriert werden können. Das ist keine Frage der subjektiven Meinung. Wir prangern nicht an, dass Femen keine Inhalte hätten, sondern ihre Inhalte – aufspürbar in Selbstverständnis, Interviews, Aussagen, Sprüchen, Symbolik und Ästhetik der Aktionen – sind das Problem.
Femen, die eine wachsende Fangemeinde vorweisen können, befeuern Diskriminierung, Geschichtsrevisionismus und was auch immer ihnen gerade opportun erscheint. Darin besteht ihre Relevanz und Gefährlichkeit. Für die bestehenden Geschlechterverhältnisse sind sie ungefährlich.
Es gibt bei den einzelnen Femen-Mitgliedern zu einigen Punkten verschiedene Ansichten, die aber gar nicht oder nicht zu Ende diskutiert werden. Stattdessen wird sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner oder die Anweisungen der Leaderinnen geeinigt. Interne Heterogenität kommt nicht zum Tragen, zumal sie sich nach außen nicht ausdrückt, sondern stattdessen Einigkeit und Stärke demonstriert wird.
Entgegen dem Korpsgeist von Femen und EMMA stellen wir fest: Feminist*innen müssen NICHT zusammenhalten, denn sie wollen nicht alle dasselbe. Stehen sich Ansichten grundsätzlich entgegen, wäre es absurd, stets solidarisch, nett und zuvorkommend zu sein.
Wir lehnen auch in Zukunft jedwede Zusammenarbeit mit Femen und Femen Germany ab und rufen hiermit alle Gruppen und Einzelpersonen, denen etwas an einer Gesellschaft freier Individuen und der Aufhebung hierarchischer Geschlechterverhältnisse liegt, auf, Abstand von Femen zu nehmen, ihre Aktivitäten nicht zu unterstützen, Kritik zu üben und wenn nötig und möglich, Aktionen zu unterbinden. Dabei ist der Spagat auszuhalten zwischen dem Anspruch, dass Kritik fundiert und differenziert sein muss, und der Tatsache, dass in den heutigen Zuständen einfache, platte Aussagen in der Öffentlichkeit immer „gewinnen“.
Wir hoffen, dass einzelne Femen-Mitglieder für sich einen anderen Weg finden – Femen sind nicht der Feminismus.
e*vibes – für eine emanzipatorische praxis