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Aktuelles Heft

INHALT #205

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Editorial
• das erste: A new one – Skate Island 2013
Roter Salon: Sozialrevolte oder Aufstand der Täterinnen?
Edo G & Reks
Phase 2 präsentiert: „Samstag ist der neue Montag“
KANN Garden
Mock, El Gos Binari, Argument.
• inside out: Jahresbericht Projekt Verein e.V. 2012
• politik: Amnesie im Raum.
• doku: Optimieren statt Überschreiten?
• doku: Wut & Bürger
• doku: Die Notwendigkeit einer kommunistischen Solidarität mit Israel
• doku: Mythos „Nakba“
• leserInnenbrief: Perfides Spektakel
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Perfides Spektakel

Offener Brief an die Redaktion des Conne Island-Newsflyers anlässlich des Abdrucks der „Letters from Aleppo“ von Boris Niehaus

Liebe Redaktion,

im CEE IEH 202, der Märzausgabe des Conne Island-Newsflyers, fand sich in der Rubrik „Das Erste“ ein Abdruck des ersten der vier „Letters from Aleppo“ des Berliner „Streetart-Fotografen“ Boris Niehaus alias „Just“. Niehaus, der im Dezember 2012 einige Tage in der Stadt Aleppo im Nordwesten Syriens zugebracht hat, erzählt darin in Form persönlicher Briefe an seinen Bekannten René Walter, Betreiber des Kuriositäten-Blogs Nerdcore, von seinen Erlebnissen im Bürgerkriegsgebiet. Nachdem Niehaus‘ Texte zunächst bei Nerdcore erschienen waren, wurden sie in der Märzausgabe des Schweizer Magazins Reportagen veröffentlicht und dort, wie wir meinen, sehr treffend angekündigt mit den Worten: „Ein Berliner Fotograf fährt aus Neugierde nach Syrien in den Bürgerkrieg. Fünf Tage im Chaos.“(1) Das ist allerdings mehr als nur eine treffende Ankündigung. Ebenso werden darin Charakter und Intention der Texte, in denen Niehaus seinen Syrientrip verwertet, schon auf den Punkt gebracht. Der Fakt, dass die CEE IEH-Redaktion diese Texte, die nichts anderes sind als von einem künstlerisch-unternehmerischen Selbst verbrochene Konfliktpornografie, freudestrahlend abdruckt, ist uns Anlass genug für eine öffentliche Kritik.

Das Entstehungsszenario, die Art und Weise der Veröffentlichung und der Inhalt jener Briefe aus Aleppo erscheinen, als ob sie einem absurden Theaterstück entnommen wären. Allein die Sätze, mit denen Nerdcore-Betreiber René Walter die Berichte seines hauseigenen Auslandskorrespondenten ankündigt, sind Ausdruck kaum fassbarer geistiger Umnachtung und einer nahezu völlig auf Verdinglichung eingestellten Schrumpfform des Denkens:

„Am Freitag traf ich mich mit Just (hier auf Facebook), den man eigentlich als bekannten Berliner Streetart-Fotografen kennt. Wir schmiedeten Pläne für die Zukunft und gingen danach zusammen in den Hobbit. An diesem Abend hatte er mir erzählt, dass er am Wochenende mit einem weiteren Fotografen über die Türkei versuchen wird, nach Syrien zu gelangen, um dort zu fotografieren. Angesichts der Nachrichtenlage (Chemiewaffen, Brandbomben und überhaupt) hab’ ich ihm dringend davon abgeraten, aber jetzt ist er dort und schickt mir immer wenn es passt Augenzeugenberichte und Eindrücke aus dem Bürgerkrieg. Ich werde die Texte hier unverändert veröffentlichen, auf Flickr sammle ich die Bilder (unbearbeitete Screenshots), die mir der Mann zu seinen Berichten schickt[.]“(2)

Nicht minder diffus als die von Walter geschilderte „Nachrichtenlage“ war scheinbar das Syrienbild von Boris Niehaus vor Eintritt ins Kriegsgeschehen:

„Ein Mix aus Bildern[,] die ich aus den Nachrichten kenne, Geschichten von in Deutschland lebenden syrischen Freunden, die den Geheimdienst fürchten und von unterirdischen Foltergefängnissen erzählen. Dazu Infos aus alten Reiseführern, die eine touri-freundliche Stadt [Aleppo] versichern.“(3)

Dementsprechend war Niehaus seit der Entscheidung, nach Syrien zu reisen, auch von einem mulmigen Gefühl befallen, „irgendwas zwischen Spannung und Angst“. Sicher, so ein Bürgerkrieg kann überaus spannend sein und verständlicherweise auch etwas Angst machen. Aber aus dieser Mischung entspringen ja gerade der Lustgewinn an der selbstverschuldeten Geworfenheit ins „Krisengebiet“ und der Gebrauchswert der von „Just“ fabrizierten Erlebnisberichte.
Die ersten Kampfhandlungen, von denen Niehaus nach seiner Ankunft in Syrien erfährt, sind die Gefechte um eine Militärschule nördlich von Aleppo. Da die „Schlacht“ dort „jede Stunde ein Ende zugunsten der FSA finden“ soll, stürzt sich der engagierte Künstler dienstbereit ins Geschehen:
„Natürlich fahren wir sofort dort hin.“ Man will die Chance nicht missen, unmittelbar dabei zu sein, wenn noch geschossen wird. Als Niehaus und seine Begleiter noch unterwegs erfahren, dass die Schule wohl schon eingenommen wurde, macht sich erwartungsgemäß „Enttäuschung“ breit; darüber nämlich, dass man das Beste verpasst hat.

So muss sich die Reisegruppe nach ihrer Ankunft an der bereits eingenommenen Militärschule mit den Hinterlassenschaften des Geschehens begnügen und wird dabei abermals enttäuscht: „Wir unterhalten uns mit den Kämpfern, wollen die Leichen sehen und Fotos machen, aber wir werden nicht weiter ins Areal gelassen.“ Natürlich, was zählt sind die Leichen und nicht etwa die Frage nach Name und Bedeutung der eingenommenen Militärschule, nach der Einschätzung der Lage seitens der anwesenden FSA-Kämpfer, nach ihren konkreten Beweggründen für den bewaffneten Aufstand oder ihren Vorstellungen von einem Syrien ohne Bashar al‘Assad. Besonders pervers daran ist, dass dieses mit dem Schein kalter Professionalität daherkommende Verlangen nach der konkreten Leiche von jemandem formuliert wird, der kurz vorher „zum ersten mal [sic] in [seinem] Leben einen Gewehrschuss aus nächster Nähe“ gehört hat – denn er war „artiger Zivi“ – und zwei Seiten weiter beim Anblick erschossener Kühe feststellt: „Irgendwie habe ich keine Lust auf Leichen. Auch nicht auf die von erschossenen Kühen.“ Wirklich bedauerlich, dass man es sich als Abenteuertourist in einem Bürgerkrieg nicht aussuchen kann, an welchen Stellen wie viele Menschen- und Tierleichen hinterlegt werden. Wo bleiben da die individuellen Bedürfnisse?

Im Nachsatz zu jener Ansammlung erschossener Kühe, auf die man „keine Lust“ hat, heißt es dann:
„Alle von Assad-Leuten getötet, damit sie nicht den Rebellen in die Hände fallen (denke ich mir).“ Die Anmerkung, dass es sich mindestens beim letzten Teilsatz um bare Vermutung handelt, wird hier in einer Klammer hinterhergeschoben, die suggeriert: nicht so wichtig. Wichtig hingegen ist es, heldenhaft seiner eigenen Neigung zu entsagen, sich über seine eigene Unlust an Kuhleichen hinwegzusetzen und die ganze Szenerie abzulichten, um die Medienwelt oder irgendeine Berliner Galerie um ein authentisches Portrait toter Tiere auf einem Acker im Kriegsgebiet zu bereichern, die schätzungsweise „von Assad-Leuten getötet“ wurden, „damit sie nicht den Rebellen in die Hände fallen.“

Für die „Enttäuschung“ darüber, dass die umkämpfte Militärschule, zu der sie sich eilig begeben hatten, bei ihrer Ankunft bereits an die FSA gefallen war, sie also nicht unmittelbar am Geschehen teilhaben konnten und ihnen noch dazu das Ablichten „der Leichen“ verwehrt blieb, werden Niehaus und seine Begleiter allerdings noch während sie sich in dem frisch eingenommenen Areal bewegen, gebührend entschädigt durch einen Luftangriff, den Niehaus in seinem Bericht dramaturgisch bedacht ankündigt mit den Worten: „Dann passiert es“. Nachdem schließlich alle Beteiligten das prickelnde Erlebnis des folgenden Bombeneinschlags überlebt und wieder in den Minibus der Reisegruppe zurückgefunden haben, nachdem also noch einmal alles gut gegangen ist, macht sich Freude und Erleichterung breit: „Der Bus ist voll, alle liegen aufeinander und alle lachen!“ Später ist gar die Rede von Euphorie, die sich
„[n]ach dem Schreck“ breit macht.

Von der Euphorie eines nach einem langen erlebnisreichen Tag im Ferienlager zufriedengestellt in den Schlafsack sinkenden Pfadfinders ist schließlich auch der Schlussteil des Textes durchzogen, in dem Niehaus außerdem darüber sinniert, ob er eventuell vor dem Rückflug nach Deutschland noch kurz in der Türkei, „in irgendeinem Hotel zum Chillen“ weilen will. Es ist der reinste Hohn auf das Kriegsgeschehen in Syrien und Boris Niehaus überführt sich damit endgültig selbst als Schaulustiger im syrischen Bürgerkrieg.

Nun ist es sicher nicht so, dass die Berichte dieses Typen gar keine Fakten enthalten, die etwas zum Bild der Lage in Syrien beitragen. Das hat allerdings den alleinigen Grund, dass selbst in einem Text, dessen Conclusio sich quasi in der nichtssagenden Floskel „is schon krass“ erschöpft, nun einmal irgendetwas drinstehen muss. Von einer Kritik der Zustände, überhaupt von dem Anspruch, die Zusammenhänge zu erhellen oder auch nur irgendetwas in Erfahrung zu bringen, außer Live- Gefechten, dem Anblick von zerschossenen Stadtvierteln, vernachlässigten psychisch Kranken, Leichen verschiedener Art sowie zahlreicher, um Mutmaßungen ergänzter, Trivialitäten, ist da keine Spur. Es geht nicht im Geringsten um den Versuch, irgendetwas an der Lage in Syrien zu begreifen, sondern lediglich um eine möglichst plastische Elendsschau, die ganz dem Primat der Erfahrung verpflichtet ist.

Die Form des Erlebnisberichts im persönlichen Brief ist dabei sicherlich nicht zufällig gewählt. Schließlich lässt sie sich wunderbar als Freifahrtschein zur Beurlaubung von jeglichem vernunftmäßigen und moralischen Anspruch sowie jeglicher kritischen Reflexion missbrauchen und erlaubt durch den Verzicht auf reflexive Distanz zum Erlebten noch besonders viel Authentizität und Unmittelbarkeit zu transportieren.

Was dieser Berliner Kreativspinner und journalistische Scharlatan ohne gesellschaftskritischen Sachverstand in Syrien sucht, ist eben nichts als jene „Story“, wegen der „[j]eder Journalist“ kommt. Bei Niehaus reduziert sich die ganze Sache allerdings auf das reine Abschöpfen einer vermarktbaren unmittelbaren Erfahrung des Ausnahmezustands in einem medial ohnehin recht präsenten Krieg. Er ist ganz offensichtlich primär mit der Verwertung seiner selbst als authentischer Künstler beschäftigt. Dass Niehaus‘ Syrientrip inklusive der dazugehörigen Fotostorys nur Inzidenz eines geistlosen, nach Unmittelbarkeit und Authentizität lechzenden Kunstbetriebs ist, macht neben der erwähnten Ankündigung des ganzen Theaters auf Nerdcore schließlich auch ein Eintrag auf seiner eigenen Webseite deutlich, in dem es heißt: „The Release of REPORATGEN [sic] got celebrated with an Exhibition/Installation at Stattbad in Berlin (curated by openwalls-Gallery).“(4) Worum es diesem „Streetart-Fotografen“ einzig geht, das ist die Schaffung einer vermarktbaren Identität – der Marke „Just“.

Erschreckend ist, dass ein solches Machwerk der CEE IEH-Redaktion nicht hinreichend verächtlich erscheint, um es nicht abzudrucken. Im Gegenteil: Man hat sich offenbar sogar besonders darum bemüht, die Sache abdrucken zu dürfen und dankt Boris Niehaus und dem Magazin Reportagen ausdrücklich für „die gute Zusammenarbeit“.

Dabei wird das ekelhafte Movens jener Syrien-Aktion vom Autor doch mehrmals unverhohlen ausgesprochen; beispielsweise in Teil 3 der „Letters from Aleppo“, wo es heißt:

„Eigentlich will ich hier mal allein durch die Straßen und ein paar Bilder vom Leben, wie es sich jetzt organisiert, machen. Den Menschen, den improvisierten Tankstellen, den kleinen Zigaretten- und Obständen [sic], dem Schutt und dem Müll auf den Straßen und all den unzähligen Dingen, die sich noch ergeben. Ich will auch ein paar Bilder von zerbombten Häusern und generell von allem. Ich bin zum ersten mal [sic] in Aleppo und zum ersten mal [sic] in einem Krisengebiet. Meine Story sind alle Eindrücke und Erfahrungen, die ich kriegen kann. Aber neben dem habe ich mir tatsächlich noch ein paar Geschichten überlegt und recherchiere später deren Umsetzung.“(5)

Ebenso deutlich werden die Beweggründe des Berliner „Streetart-Fotografen“ im vierten Teil, als er konstatiert:

„Das Feeling hier ist mies, ich werde angeschaut und auch FSA-Kämpfer stehen überall rum. Die Menschen sehen arm und fertig aus und alle treibt der Hunger an diesen Ort. Ich brauche die Bilder und setze die Kamera an. Klick – und schon kommen 3 nicht sehr freundlich aussehende FSAs auf mich zu.“(6)

Im weiteren Verlauf von Teil 4 der „Letters from Aleppo“ finden sich schließlich Aussagen, die eindeutiger nicht sein könnten:

„Wir gehen wieder vorbei an den klagenden Menschen und rein ins Auto. Für eine Schule sei es jetzt zu spät, erklärt mir Mahmoud, und auch für den Markt sei heute kein guter Tag. Ich denke über Alternativen nach, schließlich zahle ich 50 Dollar für den Tag im Auto. Mir fällt etwas ein und eher zaghaft frage ich, ob es so etwas wie ein Gefängniss [sic] gibt. Mein Fixer nickt und wir fahren los. Ein von der FSA improvisierter Knast. […] Ich bin sehr zufrieden mit den Tag, habe viel von der Stadt gesehen und zwischendurch oft zum Anhalten angewiesen und Häuser oder ausgebrannte Panzer fotografiert.“(7)

Wer Texte wie die von Boris Niehaus auch noch als Titelstory im eigenen Heft platziert, hat sie nicht mehr alle. Man müsste sich, sofern man an einer soliden Kritik der Zustände interessiert ist, vielmehr daran beteiligen, derartigen Erlebnisbrei aus dem Verkehr zu ziehen und Leuten, wie diesem bewusstlos im eigenen Auftrag engagierten Idioten eine grundsätzliche Absage erteilen. Die CEE IEH-Redaktion hingegen betätigt sich als williger Müllverwerter von Texten, die es in ein halbwegs vernünftiges Magazin aus gutem Grund niemals geschafft hätten.

Der Gipfel der Perfidie ist schließlich die halbseitige Werbeanzeige auf Seite 40 für ein „Poster and Interview from Streetart Photograph [sic] Just“, die selbstsicher mit den Worten „inside Syria“ überschrieben ist, was wohl suggerieren soll, dass es sich um gut recherchierte Hintergrundberichterstattung handle. Angeboten werden dann aber doch nur „Stories from Syria and many fotos [sic]“. Zusätzlich lockt man mit dem verwegenen Charme zerschossener und halb zerfallener Wohnblocks im „Krisengebiet“.

Wir fordern die Redaktion des Conne Island-Newsflyers nachdrücklich dazu auf, den Abdruck der folgenden Teile dieses dummdreisten, geschmacklosen, infantilen und noch dazu schlecht geschriebenen Bürgerkriegspornos sowie jeglicher Werbung dafür zu unterlassen. Wer den Schwachsinn von „Just“ in Gänze nachlesen will, findet ihn ohnehin bei Nerdcore oder auf der Webseite der Zeitschrift Reportagen.


Arbeitskreis Ideologiekritische Intervention
Leipzig, März 2013

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Anmerkungen

(1) CEE IEH 202, S. 4.
(2) www.crackajack.de/2012/12/17/inside-syria-letters-from-aleppo-1, 24.03.2013. Die Textteile „Just“, „hier auf Facebook“ sowie „auf Flickr sammle ich die Bilder“ sind jeweils Links zu den entsprechenden Stellen.
(3) CEE IEH 202, S. 5. Alle folgenden Zitate entstammen, sofern nicht anders gekennzeichnet, dem selben Text.
(4) 1just.de, 06.03.2013.
(5) www.crackajack.de/2012/12/19/the-asylum-letters-from-aleppo-3, 06.03.2013.
(6) www.crackajack.de/2012/12/21/the-security-office-of-the-revolution-letters-from-aleppo-4, 06.03.2013, unsere Hervorhebung.
(7) www.crackajack.de/2012/12/21/the-security-office-of-the-revolution-letters-from-aleppo-4, 06.03.2013.

13.06.2013
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