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• Border Weeks - Electric Island: James Holden, Wesley Matsell, Steffen Bennemann
• Lesung: Antiziganistische Zustände 2
• Lesung: "Ein repressiver Kreuzzug im Namen bestehender Verhältnisse"
• Lesung: Was tun mit Kommunismus? Zur linken Kritik an Bolschewismus und Realsozialismus.
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• review-corner film: Hannah Arendt und ihr Urteil
• review-corner film: Und es gibt Brandenburg!
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Nachdem Vizebundestagspräsident Wolfgang Thierse die Hatz auf Schwaben eröffnet hat und danach völlig zu Recht als Spießer, Rassist, Nazi und Arschloch bezeichnet wurde, will dieser Beitrag einige argumenti pro schwabi liefern, die sich dem grassierenden Schwabenhass entgegenstellen. Obwohl Schwaben nicht mit Baden-Württemberg gleichzusetzen sind, wollen wir diese weit verbreitete Verallgemeinerung zur Vereinfachung im Text beibehalten.
1. Erfolgreich und unabhängig
Der Anti-Schwabist (v.a. in Berlin) hasst den Schwaben, weil er denkt, der Schwabe sei ein Spätzle verschlingendes Alien, das Kraft seiner Brieftasche Kieze kolonialisiert, gentrifiziert und anschließend immer dann die Polizei ruft, wenn die Musik zu laut wird. In den Augen der Anti-Schwabisten hat der Schwabe eine Macht, die es gar nicht gibt. Und doch: Der Hass auf Schwaben ist der Hass auf Erfolg und Unabhängigkeit. Besonders in Städten wie Berlin, in denen Armut und Not zum städtischen Chic verklärt wurden, wird der Schwabe zum Feindbild von Gruppierungen, die stolz darauf sind, ihre monatliche Armutspauschale von einem Staat zu beziehen, den sie doch angeblich hassen. Nirgendwo in Deutschland ist die Armutsgefährdungsquote niedriger als in Baden-Württemberg, nirgendwo gibt es weniger Insolvenzen, nirgends muss man weniger Angst haben, Hunger zu leiden. Adorno, der sich in seinem unvergesslichen Aphorismus Sur l`eau gegen die konkrete Vorstellung einer befreiten Gesellschaft aussprach, formulierte: Zart wäre einzig das Gröbste: dass keiner mehr hungern soll. Die Schwaben hätten den Adorno-Preis im vergangen Jahr wohl mehr verdient gehabt als die Preisträgerin Judith Butler.
2. Schwäbische Freundlichkeit gegen Berliner Schnauze
In einem Interview konstatierte Schriftsteller Daniel Kehlmann: In Berlin ist es nicht mehr möglich, eine einfache Dienstleistung in Anspruch zu nehmen, ohne dabei angeschrien zu werden. Und in der Tat: Berlin ist hart und unherzlich. Wahrscheinlich könnten ganze Abende mit Anekdoten von der Berliner Unfreundlichkeit gefüllt werden. Fälschlicherweise wird diese von vielen immer noch zu euphemistisch als Berliner Schnauze bezeichnet. Sie ist das Gegenteil von höflicher Distanz und Aufmerksamkeit. Sollte man jemandem vorführen müssen, was Berliner Schnauze bedeutet, empfehle ich einen Berliner Supermarkt zu besuchen und eine Verkäuferin nach einer Flasche Reserva zu fragen. Mit der Antwort: Ick arbeite hier nur, sie ham doch selba Oogen im Kopp, ist man noch gut bedient. Die Freundlichkeit im Ländle ist hingegen legendär und erinnert an die Aussagen Adornos über die simple people in Amerika. Deren Freundlichkeit kompensierte für den Musikliebhaber sogar die falsche Aussprache von Komponisten wie Bach und Beethoven.
3. Bier versus Wein
Jede/r, der nur die geringste Ahnung von Alkohol hat, weiß, dass eine korkige Flasche Lemberger/Trollinger besser schmeckt als ein frisch gezapftes Berliner Kindl. Der ausgefuchste Ur-Schwabe vermochte sich seiner Umgebung anzupassen und die Landschaft mit bestem Wein zu bewirtschaften. Indes sind die Bier-Verhältnisse in Berlin auf einem solch unfassbar niedrigem Niveau, dass die meisten Berliner ihr Heil in einem Bräu suchen, dass selbst für armutsgeplagte Ostler aus der Provinz schwer herunterzuschütten ist: Sternburg Export.
4. Rebellion gegen Staatstreue
Großbauprojekte wie Stuttgart 21 führten zu Ausschreitungen in der sonst so harmlosen Stadt Stuttgart. Die Schwaben waren nicht länger bereit, die Herrschaft einer korrupten Landesregierung hinzunehmen, die für ihre schmutzigen Geschäfte nicht davor zurückschreckte, die schwäbische Hausfrau zu verunglimpfen.(1) Revolte in Berlin? Undenkbar! In der Hauptstadt freut man sich noch immer über einen Bürgermeister, der sechs Partys in einer Nacht besuchen kann, aber nicht fähig ist ein Flughafenprojekt zu stemmen. Dieses Unvermögen wird Wowereit mit politischer Passivität gedankt und das in einer Stadt, die sonst gegen absolut alles Aktion macht. Vielleicht ist diese Passivität die Treue gegenüber der Hand, die einen füttert.
5. Verwandtschaften
Die Schnittmenge zwischen Schwaben und Berliner Anti-Schwabisten drückt sich im Begriff des Schwabenalters aus. Er besagt, dass der Schwabe eine Entwicklung durchläuft, die ihm erst nach dem vierzigsten Lebensjahr befähigt, seine vollen geistigen Kapazitäten abzurufen. Bei einigen linken Anti-Schwabisten tritt ein ähnlicher Prozess ein, der sich dadurch äußern kann, dass der Anti-Schwabist plötzlich darauf verzichtet, Minderheiten die Schuld zuzuweisen oder er den Abschluss seines Studiums ins Auge fasst.
Ben Romeo Rolf