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Ein Mann mit Hut und Mantel bekleidet steigt bei Dunkelheit aus einem Bus, läuft mit Taschenlampe eine öde Landstraße entlang. Ein Militärtransporter stoppt kurz, der Mann wird grob hineingezogen und die Lampe fällt zu Boden. Der Transporter verschwindet in der Nacht. Der Lichtkegel fällt auf die nun leere Straße. Die Eröffnungssequenz des Hannah-Arendt-Films von Margarethe von Trotta verrät zumindest eins: Informationen sind hier nicht das Wichtigste. Durch das Thema des Films lässt sich jedoch vermuten, dass es sich bei dem Mann um Adolf Eichmann handelt. Um den deutschen Bürokraten, der im nationalsozialistischen Regime maßgeblich die logistische Koordination der Deportation und Vernichtung der europäischen Jüd_innen übernommen hatte, der nach Argentinien geflüchtet war um seinem gerechten Urteil – was das bedeuten kann, wird auch die Grundfrage Arendts sein – zu entgehen und der 1960 vom Mossad nach Israel entführt wurde.
Szenenwechsel: Hannah Arendt sitzt mit ihrer Freundin Mary – auch hier wird wieder recht minimalistisch mit Hintergrundwissen umgegangen, es handelt sich um Mary McCarthy(1) - in ihrem Wohnzimmer und sie reden über potenziell fremdgehende (Ex-)Ehemänner. Arendt, die Frau mit ganz privaten Gedanken, mit alltäglichen Sorgen, aber auch die Starke, die weiß, dass ihr Mann zu ihr steht. So wird der Charakter der politischen Theoretikerin, der Autorin der Origins of Totalitarianism (1951), im Film eingeführt. Und auch hier zeigt sich die Programmatik des Films, es wird eine subjektive Perspektive verfolgt. Manchmal eventuell etwas zu subjektiv, können doch mitunter das Einfordern eines Abschiedsküsschens oder der Klaps auf den Hintern und derlei für die erzählte Geschichte auch abträglich sein – aber das mag den Präferenzen der einzelnen Zuschauer_innen überlassen bleiben. Der Blick im Film soll immer auch Arendts Blick sein. Diese Herangehensweise hat durchaus ihre Vorteile, es wird kein Anspruch erhoben, den Sachverhalt des Eichmannprozesses möglichst objektiv darzustellen. Arendts Position zu diesem und ihre Ängste und Nöte in dieser Zeit stehen im Vordergrund des Plots. Vorteile ja, aber zuerst für die Filmemacherin, da sich mit dieser Perspektive der Auseinandersetzung entzogen wird, die notwendig wäre, wenn sich der Thematik der Banalität des Bösen, wie Arendt es benannte, zugewandt wird.
Also auf Anfang. Um was geht es in dem Film jenseits des Films? Es geht um Hannah Arendts Prozessbericht Eichmann in Jerusalem, es geht um die Entstehung dieses Berichts und um die (öffentlichen) Reaktionen auf denselben. Aber was der Film nur am Rande erwähnt ist für den Gegenstand zentral: Hannah Arendt war eine deutsche Jüdin, die in den 1920er-Jahren Philosophie in Marburg studiert hatte und die sich in ihrem Werk zentral mit der conditio humana, also mit den Bedingungen, die den Menschen zum Menschen machen, auseinandersetzen sollte. Arendt emigrierte 1933 nach Paris und 1937 wurde sie staatenlos, 1940 heiratete sie Heinrich Blücher. Sie wurde im gleichen Jahr interniert, konnte aber entkommen. Arendt und Blücher gingen danach zusammen nach New York. Dort blieben sie auch nach 1945 und Arendt lehrte an der New School for Social Research. Anfang der 1960er Jahre wurde Adolf Eichmann in Jerusalem vor Gericht gestellt. Arendt entschloss sich nicht zuletzt vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen nach Israel zu fahren und einen Bericht für den New Yorker zu schreiben.(2) Der Prozess fand 1961 in Jerusalem statt und bewegte die israelische und internationale Öffentlichkeit.(3) Aber nicht das Todesurteil selbst sondern die Begründung sollte erst Arendts Stein des Anstoßes werden und später einer für die Anderen. Der Prozess gegen Adolf Eichmann als Schreibtischtäter verwies implizit auf die Frage nach dem Verhältnis von der Schuld der Einzelnen zur Kollektivschuld. Es war eine Auseinandersetzung mit der Täterschaft durch Mitarbeit in der Vernichtungsmaschinerie insgesamt. Mehr als die Anklage gegen eine Person. Als Arendt sich als Prozessbeobachterin nach Jerusalem begab ging es ihr um dieses Mehr, um das Verhältnis des Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu dem einen Angeklagten. Arendt war ernüchtert von der Normalität des deutschen Bürokraten, davon wie grau und unscheinbar er im Angesicht der Tat war. So sah sie sich in einer neuen Dimension vor das Problem gestellt, kollektive Tat und einzelne Täter_innen ins Verhältnis zu setzen. Dies führte zu dem widersinnigen Untertitel Ein Bericht von der Banalität des Bösen, ist doch das Böse per definitionem gerade nicht banal. Der Abstand zwischen der Tat, der Vernichtung, als dem Bösen und den Täter_innen, die normal und banal wirkten, irritierte Arendt. Ihre Begründung für das Todesurteil bezog sich so auch nicht nur auf die einzelne Person Eichmann, sondern auf die Täter_innen im Verhältnis zur Menschheit, wenn sie am Ende ihres Berichts resümierte: „Keinem Angehörigen des Menschengeschlechts kann zugemutet werden, mit denen [die meinen entscheiden zu können, wer die Erde bewohnen soll und wer nicht], die solches wollen und in die Tat umsetzen, die Erde zusammen zu bewohnen. Dies ist der Grund, der einzige Grund, daß sie sterben müssen.”(4) Zentral war für sie nicht die Strafe selbst sondern die Frage, wie nach menschlichen Maßstäben etwas Unmenschliches wie der Holocaust – der seinen Namen im kollektiven Gedächtnis allerdings erst später bekommen sollte –(5) zu beurteilen ist. Sie wollte etwas verstehen, das an Grausamkeit die menschliche Vorstellung übersteigt. Ein Dilemma, das ihr Denken prägte seit der Zeit des Nationalsozialismus, seit sie im Exil von der Vernichtung erfahren hatte. Die Frage nach der menschlichen Urteilskraft blieb bis zu ihrem Tod im Jahr 1975 ihr zentrales Thema. So verstarb sie kurz bevor sie den dritten Teil von Vom Leben des Geistes abfassen konnte, der den Titel Das Urteilen tragen sollte.(6)
Bevor wieder auf den Film eingegangen wird – der diese verschiedenen Ebenen nicht hinreichend thematisiert – ist es sinnvoll aus der geöffneten Perspektive einen etwas genaueren Blick auf Arendts Urteil über Eichmann und die Reaktionen zu werfen, da sich durch diesen manche Probleme des Films zeigen. Sie veröffentlichte 1963 ihren Prozessbericht nicht im unmittelbaren Kontext ihrer anderen Arbeiten, sondern im New Yorker – mithin in einer von ihr nicht genug berücksichtigten anderen Form der Öffentlichkeit. Zumindest stießen ihre Ausführungen auf völliges Unverständnis und Abwehr in einer Intensität, die Arendt überraschte. Insbesondere zwei Punkte waren es, die ihr nicht ganz unbegründet vorgehalten wurden: ihre Einordnung der sogenannten Judenräte und ihr Urteil über die Person Adolf Eichmann. Sie konstatierte über die Judenräte: „Diese Rolle der jüdischen Führer bei der Zerstörung ihres eigenen Volkes ist für Juden zweifellos das dunkelste Kapitel in der ganzen dunklen Geschichte.”(7) Dass ein solches Verdikt auf eine brüskierte Öffentlichkeit traf ist nicht weiter verwunderlich und soll an dieser Stelle auch nicht gerechtfertigt werden. Vermutlich ging es Arendt jedoch um so etwas wie eine persönliche Fassungslosigkeit, dass ein paar der Verfolgten in ihrer Sicht an ihrer eigenen Verfolgung mitgewirkt haben. In Kontrast zur öffentlichen Wahrnehmung ihres Urteils über Eichmann, das fast einem Freispruch von der Verantwortung gleich kam, ist ihre Einschätzung der Judenräte tatsächlich nicht unmittelbar nachvollziehbar. War Eichmann für Arendt doch lediglich – so die verbreitete Meinung – eine Person, die nicht denken konnte, der jegliche Vorstellungskraft abhanden gekommen sei. Dass dieser Einschätzung im Rahmen von Arendts Denken eine ganz andere Bedeutung zukommt als die breite Öffentlichkeit einsehen konnte, wird dabei ignoriert und ist zugleich der springende Punkt. Arendt ging es um die Frage, was den Menschen als solchen ausmacht. In diesem Rahmen spricht sie auch von einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit, also gegen das was einen Menschen als Menschen charakterisiert. Arendt geht davon aus, dass das Denken und die Vorstellungskraft intrinsische Bestandteile dessen sind, was einen Menschen menschlich sein lässt und entsprechend ist ihr Urteil über Eichmann, dass er diese Fähigkeiten eingebüßt hat, gerade kein Freispruch. Es ist nicht nur ein Urteil über Eichmann, sondern über all die Menschen, die die Vernichtungsmaschinerie am Laufen hielten und es sagt schlicht, dass ihre Taten unmenschlich waren. Das Kapitel Eichmann kann als eines der am schwierigsten nachvollziehbaren in Arendts intellektueller Biographie gesehen werden, da es verkürzt formuliert in einer Mischung aus persönlicher Erfahrung und ihrer philosophischen Reflexion auf den Menschen in Zeiten der Unmenschlichkeit gründet. Es mag nicht zuletzt aus dieser Notwendigkeit der Kontextualisierung etwas voreilig von Arendt gewesen sein, sich öffentlich zu äußern und sich dann auch gleich einem solch breiten Publikum zuzuwenden.
Dies zu entscheiden, dafür ist hier jedoch nicht der Ort, denn es geht um den Film. Er erzählt die Geschichte von Arendts Urteil über Eichmann, aber er erzählt sie aus einer persönlichen Perspektive, die zugleich authentisch sein soll. Der Film ist insgesamt in gedeckten Farben gehalten. Die ersten zentralen Schauplätze sind neben Arendts Wohnung der Gerichtssaal und das Prozessbüro. Es werden auch Originalaufnahmen und -ton des Prozesses eingespielt. Und gerade hier findet das wahrscheinlich fragwürdigste ästhetische Mittel des Films Verwendung: die Kamera schweift vom Originalbild ins nachgestellte Publikum. Dieser evozierte Authentizitätscharakter ist nicht nur schwer anzusehen, sondern auch problematisch, stellt der Film doch gerade nicht die „objektive” Geschichte dar, oder will er das etwa doch? Weitere zentrale Orte in Jerusalem sind ein Café, wo Arendt mit Kurt (Blumenfeld)(8) über ihre Eindrücke debattiert und dessen Wohnung, wo auch seine Familie Arendts Position widerspricht. Kurts Enttäuschung über den Bericht geht soweit, dass er sich selbst auf dem Sterbebett nicht dazu hinreißen lassen kann, Arendt zu verzeihen. Kurt und seine Familie sind hier auch als Stimme der jungen israelischen Nation zu sehen. Selbst der Mossad nimmt an ihrem Bericht Anstoß. Da aber die Message des Films ist, dass Arendt aufrichtig ist und damit irgendwie Recht hat, wird so auch impliziert, dass diese Unrecht haben. Wichtigster Raum für die Rechtfertigung Arendts ist jedoch die New School. Dort stellt sie sich der Verantwortung sich öffentlich zu erklären und begegnet ihrem alten Freund Hans Jonas wieder, der ebenfalls wegen des Berichts den Kontakt abgebrochen hatte und der ihr auch nach ihrer Erklärung nicht verzeihen konnte. Unterstützung erfährt Arendt durch die nächste Generation, die jungen Student_innen. Zugespitzt formuliert sagt dies auch: Die jungen Menschen haben einen freien Blick auf die Geschichte, denn sie werden nicht von den Schatten der Vergangenheit in einem Korsett des Redeverbots gehalten. Der Film erzählt also von Arendts persönlichen Beweggründen nach Israel zu fahren, von der Empörung der Öffentlichkeit und Arendts Unverständnis darüber und er handelt von ihrer Standhaftigkeit, als sich selbst enge Freunde von ihr abwendeten. Aber warum erzählt er genau diesen Abschnitt ihres Lebens? Warum ausschließlich aus ihrer Perspektive? Im Film wird zwar kontextualisiert aber die Auswahl ist speziell. Nachnamen werden nur selten erwähnt, die einzigen Rückblenden, die es gibt, zeigen Arendts Vergangenheit mit Martin Heidegger, andere für ihre Biographie wichtige Informationen werden von Arendt selbst erzählt, bleiben dadurch aber auch in einer größeren Distanz. Warum werden nicht ihre Exilerfahrung, ihr Erleben der Staatenlosigkeit oder die Zeit der Internierung in Frankreich den Zuschauer_innen näher gebracht? Bilden sie doch einen relevanteren Hintergrund für ihr Interesse am Eichmannprozess. Was Heidegger mit diesem zu tun haben soll, erschließt sich zumindest nicht unmittelbar. Arendts Urteil über Eichmann, das vielleicht nicht ganz an der Zeit war, als zentrales Motiv eines deutschen Films zu setzen ist unglücklich gewählt. Denn wenn es so kontextlos und aus persönlicher Perspektive dargestellt wird, entstehen problematische Implikationen. Arendt ist im Film diejenige, die Recht hat, aber damit wird durch die Hintertür ihre Einordnung der Judenräte und auch eine Entpersonalisierung der deutschen Schuld positiv transportiert. Das im Land der Täter_innen mitunter das Bedürfnis besteht, die Juden als die eigentlich Schuldigen hinzustellen, hat bereits im Topos des sekundären Antisemitismus seinen prägnanten Ausdruck gefunden. Der Film selbst argumentiert zwar nicht unmittelbar in diesem Sinn, aber er liefert Anknüpfungspunkte. Im Gesamtbild wird so leider ein fragwürdiges Schlaglicht auf eine wichtige Denkerin des 20. Jahrhunderts geworfen. Aber nun gibt es den Film einmal und vielleicht ist es günstig sich ein eigenes Bild zu machen, denn die im Film sehr zahlreichen offenen Stellen können auch dazu anregen sich mit der Thematik kritisch auseinanderzusetzen.
Theresa Schneider