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Das Modewort Identität
Seit einiger Zeit ist zu beobachten, dass Veröffentlichungen von Nazis unter dem Label „identitär“ erscheinen(1). Zudem wird weitgehend auf die bekannte Symbolik und eindeutige Schlagworte verzichtet.
Das Thema „Identität“ bestimmt seit Jahren auch die Diskussionen von Ethnopluralist_innen und Kulturalist_innen, also von Vertreter_innen der sogenannten Neuen Rechten. Anfang Dezember gründete sich in Anlehnung an die Generation Identitaire in Frankreich, die Organisation Identitäre Bewegung Deutschland (IBD). Nach diversen Gruppen bei Facebook treten nach und nach auch in der Realität Leute in Erscheinung, die gelbe Fahnen mit einem Lambda schwenken(2). Entwickelt sich nun neben der vorwiegend publizistischen Tätigkeit auch eine politische Praxis der ‚Neuen Rechten‘?
In jüngerer Zeit erschienen vermehrt Berichte über Aktionen wie sog. Hardbass Attacks, nach einem Vorbild der Identitären aus Wien. Diese hatten eine Veranstaltung der Caritas gestört. Die zumeist als Youtube-Clips veröffentlichten Flash-Mob-Aktionen zeigen mit ruckeliger Kameraführung ungelenk umherhüpfende, Affen- und Schweinemaskentragende junge Männer. Auffällig ist dabei, dass unterschiedliche politische Spektren – ‚Nationale Sozialisten‘ bis ‚Neue Rechte‘ – das gleiche Thema besetzen sowie identische Symbole und Aktionsformen nutzen. Fast immer zu sehen ist das schwarze Lambda auf gelbem Grund, aber auch Pappschilder mit Aufschriften wie „Multikulti wegbassen“, „NS Jetzt“ aber auch „100% Identität 0% Rassismus“.
Die offenen Widersprüche scheinen jedoch bislang noch keinen Konflikt zu provozieren. Man ist sich im antimuslimischen Aktionismus einig gegen alle, die als nicht ethnisch deutsch identifiziert werden.
Volksgemeinschaft vs. Ethnopluralismus
Die ideologischen Widersprüche sind allerdings unübersehbar. Die JN Sachsen rief im vergangenen Jahr zur Kampagne „Identität Sachsen“ auf. Im dazu veröffentlichten programmatischen Text wird deutlich, was unter Identität zu verstehen sei: „Volksgemeinschaft: gemeinsames Fundament aller schaffenden Deutschen“(3). Auch die Flyer zur Kampagne werden dominiert von einer Blut & Boden Rhetorik(4).
Der NPD-nahe Verein Bildungswerk für Heimat und nationale Identität e.V. aus Dresden veranstaltete im Juni das passende Seminar unter dem Motto „Mut zur Identität: Das Eigene erkennen und verteidigen!“. Der Verein gibt auch die Zeitschrift Hier & Jetzt – radikal rechte zeitung heraus.
Ungeachtet der eigenen Definition von deutscher Identität als „Blutlinie“, veröffentlicht z.B. der Blog der JN ‚Heimattreues Geithain‘ auch Beiträge der Generation Identitaire aus Frankreich. Ebenso zeigt sich der Nazi mit Stadtratsmandat in Geithain, Manuel Tripp, durchaus offen für die ethnopluralistischen Parolen der Identitären. Ähnlich die Nationalen Sozialisten aus Rostock, die ihre völkischen und NS-verherrlichenden Parolen per „Hardbass gegen Demokraten“-Flashmob verbreiteten.
Auf dem Papier sind die Positionen ‚neurechter‘ Vertreter_innen der Identitären allerdings unvereinbar mit Nazis von NPD bis ‚Freie Kräfte‘. Durch ihre Internetaffinität deutlich überrepräsentiert vertreiben sie Slogans wie: „100% Identität 0% Rassismus“(5) oder „Nicht links nicht rechts – Identitär“(6). Die Grundsatzpositionen der Identitären Bewegung, die sich nun auch offiziell in der Realität als Organisation gegründet hat, sind noch weitaus deutlicher. Sie distanzieren sich klar von der NPD, von Nationalsozialismus und Antisemitismus. Auch wollen sie sich nicht als Nationalisten bezeichnen lassen und bejahen Europa. „Als echte Ethnopluralisten“ wie sie schreiben „erkennen wir das Lebensrecht aller Völker an und sehen sie als Teil der Völkerfamilie eines gemeinsamen Planeten“(7).
Ihr Kampf gälte der Erhaltung ihrer „ethnokulturellen Identität“, der kulturellen und ethnischen „Substanz“, die seit Jahrtausenden die Deutschen ausmachen würde(8). Und schnell wird deutlich, dass sie – ob sie wollen oder nicht – dem völkischen Ideal der ‚Nationalen Sozialisten‘ inhaltlich sehr nahe kommen. So schreiben sie von der „organischen Gemeinschaft“(9) des ethno-kulturell verbundenen deutschen Volkes. Und natürlich erkennen Die Identitären „das Nationale, von rassistischer Perversion und chauvinistischem Nationalismus befreit, als unanfechtbaren und ewigen politischen Faktor an“(10). Rassistische Diskriminierung gehe ihren Verlautbarungen nach vor allem „von migrantischen Banden gegen Deutsche aus“(11). Auch das ‘neurechte’ Institut für Staatspolitik macht deutlich gegen wen sich die Identitären richten, wenn sie von „Jugendbanden in den Metropolen“ und von „ethnischen Brückenköpfen“(12) schreiben. Sehr beliebt ist auch die Metapher, wonach die Deutschen die neuen Indianer wären und in absehbarer Zeit in Reservaten leben müssten (vgl. Abb.: 1). Der Kampf gegen die angebliche muslimische Invasion in Europa und die sog. Multikulti-Ideologie bestimmt die Agenda der Identitären.
Wohl aufgrund der Fähigkeit, inhaltliche Widersprüche zu ignorieren, wird der offensichtliche, ideologische Konflikt zwischen den Identitären und Nazis bislang noch nicht ausgetragen. Einen kleinen Vorgeschmack auf die Empfindlichkeiten gab es jüngst, als der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages Ruprecht Polenz (CDU) die Identitären als rechtsradikal titulierte. Darauf reagierte man im ‚neurechten‘ und rechtspopulistischen Lager doch recht pikiert.
An den genannten Beispielen zeigt es sich, dass Volksgemeinschaft und Ethnopluralismus die gleiche Funktion erfüllen. Sie geben geschlossenen neonazistischen bis ‚neurechten‘ Weltbildern einen ideologischen Rahmen. Beide Ansätze proklamieren eine „organische Gemeinschaft“ und die „ethno-kulturelle“ Homogenität der Völker. Das Wort „identitär“ ist ohne Zweifel zum Modewort von Rassisten und Kulturalisten geworden. Es eröffnet ihnen die Anschlussfähigkeit an gesellschaftlich breit geführte, antimuslimische Diskurse. Zugleich ermöglicht es ihnen den ideologischen Anschluss an rechte Bewegungen in anderen europäischen Staaten. Als Katalysator dient dabei die antimuslimische Stimmungsmache und die Hetze gegen alle, die sie als Migranten_innen ausmachen.
Auf eine ausführliche inhaltliche Dekonstruktion der ideologischen Grundlagen von völkischen Nazis und Ethnopluralisten soll an dieser Stelle verzichtet werden. Das ist an anderen Stellen wesentlich kompetenter geschehen. So entpuppt sich auch in dieser Auseinandersetzung Benedikt Andersons Buch „Die Erfindung der Nation“ erneut als wahres Gegengift. Es belegt die Konstruktion homogener Gemeinschaften, Sprachen und Geschichtsbilder im Namen des Nationalismus. Zur Auseinandersetzung mit antimuslimischen Ressentiments sei das Buch „Mythos Überfremdung“ empfohlen. Kurzweilig entkräftet der kanadische Journalist Doug Saunders die Mythen über Muslime in Europa und Nordamerika. Nüchtern widerlegt er z.B. das Märchen von der „demografischen Kriegsführung gegen die organischen Völker Europas“.
Damit entzieht er gleichermaßen Nazis, der ‚Neuen Rechten‘, Sarrazin und sog. Rechtspopulisten die argumentative Grundlage. Eine sehr aufschlussreiche Diskussion zum Verhältnis der Linken und Kulturalismus wurde im Jahr 2010 u.a. von Pascal Bruckner auf Perlentaucher.de angestoßen(13). Damals veröffentlichten Jens-Martin Eriksen und Frederik Stjernfelt ein Buch auf Dänisch, dass 2012 auf Englisch unter dem Titel „The Democratic Contradictions of Multiculturalism“ erschien.
Marvin Alster