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• review-corner film: Marina Abramovic – Von der Arbeit, Kunst zu machen
• review-corner film: Blut muss fließen – Undercover unter Nazis
• doku: Kampf gegen Rassismus oder Beitrag zum Mythos Connewitz?
• position: It‘s a trap!
• doku: Redebeitrag 27.10.2012: »Rassismus tötet«-Demonstration
• leserInnenbrief: Zur Frage von Inhalt und Kritik
• Das Werk 3 hat zu.
• das letzte: Wer Juden hasst, bestimme ich
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Viel ist nicht mehr übrig vom ehemaligen Gelände der Firma Topf & Söhne in Erfurt. Lediglich eine Gedenkstätte im ehemaligen Verwaltungsgebäude erinnert an die Geschichtsträchtigkeit des Ortes, auf dem heute ein Parkplatz und ein paar Einkaufsoptionen angesiedelt sind. Während des Nationalsozialismus war die Firma Topf & Söhne verantwortlich für die Entwicklung und Installation von Krematoriumsöfen, die in den deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern zur Leichenbeseitigung eingesetzt wurden. Mit Topf & Söhne-Öfen verbrannten die Nazis unter anderem in Auschwitz, Buchenwald, Mauthausen und Dachau tausende ermordete Menschen – täglich. Wohlwissend um den Einsatz ihrer Anlagen in den Vernichtungslagern lieferte die Firma Krematoriumsöfen, ließ Ingenieure an der Leistungsoptimierung ihrer Öfen tüfteln und arbeitete mit dem Reichssicherheitshauptamt der SS eng zusammen. Auf diesem Weg trug Topf & Söhne einen bedeutenden Anteil zum Funktionieren des Holocaust bei. Wer die Gedenkstätte des ehemaligen KZs Buchenwald auf dem Ettersberg nahe Weimar besucht und dort im ehemaligen Krematorium vor den gut erhaltenen Öfen erstarrt, der schaut der Firma Topf & Söhne genau ins Gesicht. Dass heute in der Öffentlichkeit so viel über die Verwicklung der Erfurter Firma in den Holocaust bekannt ist, liegt nicht zuletzt an der zeitweisen Nutzung des ehemaligen Fabrikgeländes durch linksradikale HausbesetzerInnen zwischen 2001 und 2009.
Wir, eine Gruppe politisch engagierter Menschen aus Erfurt, haben heute am 12. April um 9:00 Uhr das ehemalige Firmengelände des Nazi-Betriebs Topf & Söhne besetzt. Mit diesen Worten wendeten sich 2001 nicht nur Erfurter HausbesetzerInnen an die Öffentlichkeit, sondern mit diesem Zitat beginnt auch das im Verlag Graswurzelrevolution erschienene Buch Topf & Söhne – Besetzung auf einem Täterort. Denn ohne diesen bedeutungsschweren Satz hätte es weder eines der bekanntesten linksradikalen Projekte in Deutschland noch den hier besprochenen Sammelband gegeben. Wenige Jahre nach der gewaltvollen Beendigung durch Justiz und Polizei schauen ehemalige NutzerInnen auf die Besetzung selbst, die NS-Historie des angeeigneten Areals und die heikle Verquickung von beidem zurück. Zwar möchte die Buchredaktion mit ihrer Publikation weniger zur nostalgischen Rückschau verleiten als Mut für neue Besetzungen machen, tatsächlich aber steht die Retrospektive auf acht Jahre Hausbesetzung im Vordergrund des knapp 200 Seiten langen Sammelbandes.
In einem einleitenden, vielleicht aber etwas zu detailreichen Artikel erfährt der/die LeserIn, welche Bemühungen es schon in den 1980er und 1990er Jahren in Erfurt gegeben hatte, um die Erschaffung von kulturellen und politischen Freiräumen oder auch
ganz einfach nur billigem Wohnraum herbeizuführen. Diesbezüglich spielte die Ostbiografie Erfurts eine entscheidende Rolle, denn wie bei so vielen Hausbesetzungen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR profitierten die BesetzerInnen von politischen und juristischen Unklarheiten im Rahmen der Wende. Die Parallelen zu den Besetzungsszenarien von Ost-Berlin, Leipzig oder Potsdam werden hier sehr deutlich und die Älteren unter uns dürften sich beim Lesen an die eigene Vergangenheit erinnert fühlen –
alle anderen an z.B. die Lektüre von Haare auf Krawall. Der einleitende Artikel des Buches endet im April 2001, in jenem Frühjahr also, in dem politisch engagierte Menschen aus Erfurt Teile des ehemaligen Fabrikgeländes der Firma Topf & Söhne besetzten. Bekannt wie besonders wurde das Besetzte Haus in Erfurt in den folgenden Jahren aus zwei Gründen. Zum einen okkupierten die BesetzerInnen eben ein Gelände, welches im Nationalsozialismus direkt an der industriellen Vernichtung von Menschenleben beteiligt war. Zum anderen trat das BetreiberInnen-Kollektiv des Hauses selbst als politische Kraft in Erscheinung und beschränkte sich nicht wie viele Hausbesetzungen auf ein passives Dasein als kultureller Resonanzraum. Eine reine Hausbesetzung mit Vokü und Partyprogramm verbot sich zumindest für Teile der BesetzerInnen ohnehin schon alleine auf Grund der historischen Last des Geländes. Ob aber tatsächlich die auch im Buch an vielen Stellen ausformulierte Prämisse, die Besetzung eines solchen Ortes müsse mit der Selbstverpflichtung einher gehen, sich mit der Geschichte des Holocaust zu befassen und eine angemessene städtische Erinnerungspolitik einzufordern, in den Augen aller BesetzerInnen essentiell war, darf
bezweifelt werden. Allein die Tatsache, dass im Buch die meisten Textbeiträge zur NS-Geschichte des Areals und zur Firma Topf & Söhne von ein und der selben Person verfasst sind, drängt dem/der LeserIn die Vermutung auf, dass die Sensibilität für das Gelände nicht bei allen gegeben war. Bestärkt wird diese Vermutung beispielsweise auch in einem Text über das Autonome Bildungswerk, welches als Institution der Arbeitsteilung innerhalb der Besetzung gesehen werden könne und zum Ziel hatte dem Anspruch der BesetzerInnen, sich mit der Vergangenheit des Objektes auseinanderzusetzten, zu genügen. Unkritisch hinterfragt und problematisch bleibt an dieser Stelle, inwiefern die Auseinandersetzung mit dem Holocaust tatsächlich im Rahmen von Arbeitsteilung gesehen werden kann. Auch bleibt die Frage offen, ob bezüglich der historisch-moralischen Selbstverpflichtung nicht auch Dinge kräftig schiefgegangen sind. Dem Buch hätte hier ein Artikel gut getan, der eine explizit kritische Sicht auf die historische Dimension der Besetzung, auf möglicherweise misslungene erinnerungspolitische Ansätze oder auf das Desinteresse von Partygästen gegenüber dem Areal geworfen hätte. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang z.B. – wie zwei BauwagenbewohnerInnen in einem Interview andeuten – dass die Besetzung durchaus auch zum Verfall des Geländes beigetragen habe.
Grundsätzlich aber lässt sich festhalten, dass es der Buchredaktion sehr gut gelungen ist, den Lesenden darzulegen, dass der unmittelbare Bezug zum Holocaust die Besetzung stetig begleitete. Ob in Form von selbst organisierter Wissensaneignung, in Form von Geländerundgängen für BesucherInnen, Schulklassen und gastierende Bands, in Form von öffentlichen Diskussionsveranstaltungen oder via der Teilnahme an Filmprojekten, die Bemühungen um die Erinnerung an den Täterort sind gut zusammengetragen.
Als zweiten großen Punkt nähern sich die Textbeiträge des Buches der alltäglichen Organisierung des Chaos im Rahmen der Besetzung. Die Artikel erzählen, wie könnte es anders sein, von klassisch linken Problemen. Von hierarchischen Diskussions- und Handlungsmustern, von schlecht besuchten Plenas (Mittwochs ist doch Plenum!), von negativer Darstellung durch die Presse oder von der ständigen Bedrohung des Projektes durch Behörden der Stadt Erfurt. Zum Glück verfängt sich das Buch aber nicht im Klein-Klein des Alltags, sondern betrachtet das Projekt Besetztes Haus auch in seiner Ganzheitlichkeit. So kann ein Interview mit drei Ex-BesetzerInnen zur Politik im Besetzten Haus als einer der Kern-Beiträge des Buches angesehen werden. Das Besetzte Haus war bekanntermaßen nicht nur ein besetztes Haus, sondern auch ein politisch agierender Zusammenhang, der über den selbstverständlichen Anti-Nazi-Konsens hinaus reichte. Ob Kapitalismuskritik, Freiraum-Debatten, Feminismus oder Israelsolidarität, unterschiedliche Themenbereiche fanden ihren Ausdruck im Haus und finden ihren Ausdruck folglich im Buch. Meist sind die Hintergründe politischer Reibungspunkte oder emotionalgeführter Debatten im und ums Haus gut erläutert. Im Zweifelsfall hat sich die Buchredaktion ganz einfach dafür entschieden, per Interview/Gespräch verschiedene Fraktionen zu Wort kommen zu lassen. So werden z.B. im Zusammenhang mit der nach 9/11 aufkommenden Israelsolidarität die Kämpfe um Deutungshoheit im Besetzten Haus mit Vertretern beider Seiten nachträglich betrachtet. Ebenfalls kommen im Fall eines Angriffs auf eine im Haus aufgehängte Stars-and-Stripes-Fahne beide Protagonisten des Fahnenstreits zu Wort. Lediglich ein Text zum ewigen linken Streitpunkt Definitionsrecht gibt eine einseitige Sicht auf einen der großen politischen Diskussionspunkte innerhalb des Projektes wider. Der Artikel ist zwar mit Definitionsmacht oder Bürgerlicher Staat ausgewogen übertitelt, tatsächlich aber geht es der Autorin darum ihre Position, die Verteidigung des Definitionsrechts, niederzuschreiben – und zwar in einem engstirnig-moralisierenden Ton, der eher nach verspätetem Privatkrieg als nach Sachdebatte klingt. Alle Probleme und Kritikpunkte am Konzept des Definitionsrechtes, die unter Umständen auch in den Diskussionen im Besetzten Haus geäußert wurden, sind im Text einseitig entkräftet. Eine Gegenposition fehlt im Buch.
Trotz der Vielzahl ganz unterschiedlicher politischer Debatten verspürt der/die LeserIn, dass über alldem der Themenbereich Geschichtspolitk/Deutsche Vergangenheit/Antisemitismus stand. Eine wichtige Rolle spielte in diesem Zusammenhang auch das kritisch-produktive Verhältnis zwischen der linksradikal geprägten Besetzung und dem eher bürgerlich geprägtem Förderkreis Geschichtsort Topf & Söhne. Lange Zeit pflegten beide Gruppen aufgrund gemeinsamer Teilziele einen loyalen Umgang miteinander. In dem Moment, in dem die Räumung des Areals allerdings konkret zu werden drohte, entsolidarisierte sich der Förderkreis von den BesetzerInnen und forderte deren Abzug vom Gelände. Heute betreibt der Förderkreis auf dem ehemaligen Topf & Söhne-Areal den 2011 eröffneten Erinnerungsort Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz. Dass die BesetzerInnen vom Förderkreis und dem Erinnerungsort mit keiner Silbe erwähnt werden und dass es z.B. das hier besprochene Buch nicht über den Erinnerungsort zu erwerben gibt, ist bezeichnend. Sicher, es ist nur ein (wenn auch schöner) Mythos, dass sich die Besetzung aus der Motivation heraus etabliert hätte, das Topf & Söhne-Gelände vor dem Verfall zu retten. Dennoch wäre es für den Erinnerungsort das Allermindeste gewesen, die Rolle der Besetzung für das öffentliche Bewusstsein um die NS-Verstrickung von Topf & Söhne herauszustellen.
Im April 2009 beendete ein martialisches Polizeiaufgebot die Besetzung und nur kurze Zeit später walzten Bulldozer große Teile des Geländes platt. Gar nicht schnell genug konnte es dem Eigentümer gehen, den frei gewordenen Platz zum Gewerbegebiet zu transformieren. Mehrere Beiträge widmen sich im letzten Abschnitt des Buches der Hoffnung, die absehbare Räumung zu verhindern, dem kaputten Charme der letzten Tage, dem Vollzug der Räumung, der dabei angewendeten brutalen Polizeigewalt, als auch den bisher erfolglosen Versuchen in Erfurt ein neues selbstverwaltetes Zentrum zu besetzen. So endet das Buch mit der illusorischen Hoffnung, dass was nicht sei, ja noch werden könne und kommt zum Schluss zumindest ein Stück weit seiner Prämisse nach, Mut für neue Besetzungen zu machen.
Ursprünglich hätte das Buch eher eine kleine Broschüre werden sollen, da aber dem redaktionellen Call for Papers so viele Zuschriften folgten, wurde kurzerhand aus der geplanten Broschüre ein ganzer Sammelband. Durch den redaktionellen Ansatz, den
Charakter des Buches auf Basis von Zuschriften entstehen zu lassen, bildete sich folglich eine sehr heterogene Melange aus Artikeln. Die bereits erwähnten längeren Texte zur Geschichte des Areals sowie zur Struktur der Besetzung werden von vielen
kleinen Anekdoten gut ergänzt. Der/die LeserIn erfährt z.B. über die ersten Autonomenolympix oder über die Entführung von Bernd dem Brot(1). Großartig ist auch der Abdruck eines gut gemeinten aber völlig verhunzten spiegel online-Artikels über das Besetzte Haus (Hunde, Haarfilz, Hausbesetzer)(2)sowie die dazugehörige Gegendarstellung(3). Einige der persönlichen Texte, ein Gedicht, ein Text über die Küche für alle (Küfa), oder ein Lied mit Notation (Dort, wo unser Haus stand) geben dem Buch zwar einen hippiehaften Anstrich, aber sie machen es auch ehrlich. Denn im Gegensatz zu so manch anderer Projekt-Publikation schultern das Buch nicht ein paar ausgewählte Viel-Schreiberlinge, die das Projekt gar nicht voll repräsentieren, sondern viele Personen, die sonst wohl weniger schreiben, am Haus aber lange aktiv waren. Dadurch gewinnt das Buch gewissermaßen einen autobiografischen Stil, der die Heterogenität des Projektes gut widerzuspiegeln scheint. Ebenfalls zum biografischen Charakter trägt eine Fakten- und Bilderchronik am Ende des Buches bei. Abschließend sei erwähnt, dass nicht nur die Bilderchronik, sondern das ganze Buch hervorragend gelayoutet sind (wirklich, lieber Pit). Denn besonders bei einem so vielseitigen Buch, wie hier vorliegend, ist ein wohl durchdachtes – nämlich sehr ruhiges und raumgebendes – Layout ganz einfach Gold wert.
Bruno