• Titelbild
• Editorial
• das erste: Zur Frage der Verhältnismäßigkeit von Anlass, Auftreten und Absicht
• Stomper 98
• Sub.island pres. Sub Sickness
• Film: This Ain't California
• Murs & Fashawn, Diamond D, Ugly Duckling
• Converge, Touché Amoré
• Springtoifel
• Erobique /live
• Jingle Bells
• Tischtenniscup
• Bingo & Karaoke
• Silvester-Disco
• Edit
• The Ghost Inside, Deez Nuts
• We have Band
• Studio Braun: Fraktus
• Veranstaltungsanzeigen
• Nicht quatschen – handeln!
• Die goldene Brücke zum Romantizismus
• Aufruf zur Gründung der Wochenzeitung Jungle World
• Ficken!!!
• Widerruf und Bekräftigung: Oekonux-Konferenz
• No Volksmusik! No Antiamerikanismus!
• Eintracht Zwietracht
• Krise und Kritik – mitten im Eiskeller
• Strafe statt Sühne...
• Clement attackiert Verfassungsschützer
• Anzeigen
ENDE Oktober beteiligten sich im Rahmen der Kampagne „Rassismus Tötet“ über 1.000 Menschen an einer Demonstration, die zum einen an Kamal sowie die weiteren von Nazis in Leipzig ermordeten Menschen erinnern und zum zweiten die gesellschaftlichen Hintergründe, auf denen Rassismus gedeiht, thematisieren und kritisieren sollte. Im Aufruf als auch in den vorgetragenen Redebeiträgen wurden dementsprechend u.a. die Jährung der Nachwende-Anschläge von Hoyerswerda und den anderen Drecksnestern, die deutsche Abschiebepraxis, die sich in jüngster Zeit in Leipzig und andern Orts formierte Volksfront gegen Flüchtlinge, sowie das (bewusste) Versagen deutscher Behörden im Umgang mit den NSU-Morden aufgegriffen. Wie man also nicht nur am Namen der Kampagne „Rassismus Tötet“ ablesen kann, geht es dieser darum, Alltagsrassismus und Nazimorde als eng verknüpfte Phänomene zu behandeln. Obwohl im Aufruf zur Demonstration zwar sehr unterschiedliche Aspekte zu Rassismus etwas wild zusammengewürfelt wurden, gelang es der Kampagne, die Nähe zwischen geistiger Brandstiftung und deren praktischen Konsequenzen darzulegen. So gut jedoch der Aufruf zur Demonstration gewesen sein mag, so grauenhaft war meiner Meinung nach die Demonstration selbst.
Für den öffentlichen Diskurs zu Rassismus war die Demonstration ganz einfach sinnlos. Nicht etwa weil es zu wenig streitbare Redebeiträge gab oder an aussagekräftigen Bannern gemangelt hätte, sondern weil das klassisch-linksradikale und aggressive Erscheinungsbild der Demo unpassend war. Denn wenn man sich bei einer Demonstration für einen ermordeten Menschen, die darüber hinaus auch noch inhaltliche Kritik vermitteln sollte (wollte?), dumpfer Autonomenromantik und aggressiver Lauti-Rhetorik hingibt (als hätte man die Bullenwache stürmen oder Karstadt entglasen wollen), dann hat man sich in den Mitteln vergriffen. Gewiss, die Verwischung personeller Identitäten via schwarzer Bekleidung und den dazu gehörigen Tools erfährt ihre Notwendigkeit in der Bedrohung durch staatliche Repressionen und/oder Nazis. Gewiss, eine aggressive Rhetorik der Lautsprecherbesatzung und Demo-Spitze puscht die Dynamik der Veranstaltung. Und sicher, die mentale Konfrontation gegenüber den zuschauenden Bürgerinnen(1) steigert den Demo-Spaßfaktor und kann bei entsprechender Thematik sehr gut passen. Aber Auftreten und Anliegen müssen schon in Verhältnismäßigkeit zueinander stehen, denn für Rassismus sensibilisieren kann man auf diese Art und Weise sicher niemanden, zumindest nicht außerhalb der eigenen Reihen. Vielmehr ging es den Teilnehmern ganz offensichtlich darum Macht zu demonstrieren, wie sich bei Erreichen der Innenstadt deutlich zeigte. So wurde die dort automatisch erhöhte Aufmerksamkeit nicht etwa dazu genutzt, um die Positionen der Kampagne den Zuschauenden, über deren politische Ansichten man ja erst mal selbst nichts weiß (obwohl man es natürlich glaubt zu wissen), sinnvoll mitzuteilen. Stattdessen wurde das Gegenteil forciert und ein identitätsstiftender Dualismus à la Wir—Ihr, Linke—gaffende Bürgerinnen, Gut—Böse aufgebaut. Die Banner wurden noch ein wenig höher gezogen, die Tonlage der Sprechchöre in eine deutlich aggressivere Richtung korrigiert und Böller läuteten die heiße Demo-Phase ein. Dazu die engen Innenstadtstraßen und der Einbruch der Dunkelheit – Guido Knopp hätte die Situation wohl nicht besser inszenieren können. Dass die Staatsmacht dem Ganzen dann noch die Krone aufsetzte und die Demo per behelmtem Polizeispalier begleitete, sei hier nicht verschwiegen, war aber nur die letzte Stufe des Szenarios und weniger, wie von der Kampagne später behauptet, der Ausgangsgrund für die schlechte Meinungsvermittlung der Demonstration.
Spätestens an diesem Punkt wurde klar, dass man heute nur für sich selbst demonstriert und auf die Meinungsvermittlung scheißt. Grundsätzlich ist gegen pure Machtdemonstration ja überhaupt nichts einzuwenden und sie erfüllt ihren Zweck, wenn sich z.B. die Linke Szene gegen ihre Kriminalisierung wehrt, wenn man auf Polizeirazzien reagieren muss, wenn man nach Wurzen, Delitzsch oder Anger-Crottendorf fährt und den Nazis demonstriert „Wir hauen euch auch aufs Maul, falls nötig“ oder wenn man auf Horst Wawrzynskis Wahl zum OBM reagieren müsste. In diesen Fällen geht oder ginge es notwendigerweise um die Demonstration von Macht und zwar ausgeübt in Form von mindestens mentaler Konfrontation. Und dann wären schwarze Uniformierung, gebrüllte und sich überschlagende Lautsprecherdurchsagen sowie Böller nützlich als auch nötig. Falls man aber mit einer Demo tatsächlich inhaltlich intervenieren möchte oder Opfern von Nazis gedenken will, ist dann das aggressive und einschüchternde Erscheinungsbild linksautonomer Meinungsäußerung nicht ganz einfach fehl am Platz? Vergibt man sich damit nicht die Chance, seine Positionen in die Öffentlichkeit zu heben? Und marginalisiert man sich damit nicht unnötigerweise selbst? Nein, das soll ganz sicher kein Plädoyer für zahnlose Lichterketten, Friedensgebete und falsche Bündnisse sein. Die Linke Szene aber täte gut daran die eitle Annahme abzulegen, nur man selbst hätte Rassismus durchblickt und alle Personen, die außerhalb einer solchen Demo stehen, wären automatisch Teil des Rechten Konsens und somit sinnbildlich oder wörtlich anzuschreien. Denn was bleibt für die notwendige Kritik an rassistischen Zuständen von einem diffus krakeelenden Aufzug durch Leipzigs Straßen übrig, der zu allem Überfluss auch noch final vor das Nazi-Zentrum in der Odermannstraße zog? Schon klar, auf das Erscheinungsbild einer Demonstration haben die Organisatoren natürlich nur bedingt Einfluss, tatsächlich aber höchst paradox und von der Kampagne selbst verbockt war die Route oder vielmehr das Ziel der Demo. Wie um alles in der Welt kann man eine Demonstration zu rassistischen Zuständen, in deren Aufruf und Redebeiträgen völlig richtigerweise daraufhin gewiesen wurde, dass Rassismus ein breites gesellschaftliches und staatliches Phänomen darstellt, am Nazi-Zentrum in der Odermannstraße enden lassen? Effektiver kann man die eigene inhaltliche Analyse wohl kaum untergraben. Denn auch wenn nicht intendiert, ist das sich dadurch für Außenstehende ergebende Bild fatal. Eine linke Demonstration gegen Rassismus zieht zu Leipzigs größtem Nazi-Zentrum. Die Analyse vom Extremismus der Mitte wirft man so bildlich über den Haufen und spielt einer bürgerlichen Sicht auf Rassismus und Ränder-Extremismus in die Karten. Eckhard Jesse und den Sächsischen Verfassungsschutz wird’s sicher freuen. Als würde das Problem Odermannstraße 8 heißen.
Bruno