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Die Stadt Frankfurt ehrt Judith Butler mit dem Theodor-W.-Adorno-Preis
des Jahres 2012 als eine der maßgeblichen Denkerinnen unserer
Zeit. Für Fragen über Identität und Körper, so das
Kuratorium in seiner Begründung, sind ihre Schriften
maßgeblich und werden weltweit rezipiert. Als Vordenkerin eines neuen
Verständnisses von Kategorien wie Geschlecht und Subjekt, aber auch der
Moral, ist sie immer dem Paradigma der kritischen Autonomie verpflichtet.
Spurenelemente von Butlers Theoriegebäude finden sich in Werken der
zeitgenössischen Literatur, dem Film, dem Theater und der Bildenden
Kunst. Auch wenn die aus ökotrophologischer Sicht gewiss interessante
Frage, wie man Spurenelemente von Theoriegebäuden in Kunstwerken ausfindig
macht (und ob dies ein Argument für Butlers Theorie oder ein Zeichen
für die Ungenießbarkeit zeitgenössischer Kunst ist),
unbeantwortet bleibt dass der dekonstruktivistische Jargon auch in der
Kulturpolitik angekommen ist, hat das Kuratorium mit seiner Lobhudelei
bewiesen.(2)
Dass Butler mit dem Adorno-Preis bedacht wird, ist, nachdem in den Jahren zuvor
bereits Godard und Derrida diesen Preis entgegennehmen durften und Butler 2002
im Rahmen der Adorno-Vorlesungen referieren konnte, keineswegs verwunderlich,
deshalb jedoch nicht weniger unverschämt. Eine Denkerin, deren
Geschäft darin besteht, Natur im Diskurs aufzulösen und den
ubiquitären Antizionismus und Antiamerikanismus moralphilosophisch zu
veredeln, mit dem Adorno-Preis zu würdigen, zeugt nicht nur von der
Ahnungslosigkeit, mit der Adorno immer wieder zum prä-postmodernen
Differenzphilosophen stilisiert wird, sondern auch vom instrumentellen Umgang,
den man in Frankfurt mit dem Erbe der Kritischen Theorie pflegt.(3)
Gutmütig, aber ahnungslos zeigt sich beispielsweise auch Micha Brumlik,
der die Ex-Studentin aus Heidelberg gegen Kritik in Schutz nehmen zu
müssen glaubt und ihr Kokettieren mit Hamas und Hisbollah als politischen
Irrtum abtut, der mit ihrer dem Geiste Adornos verbundenen Philosophie nichts
zu tun habe (vgl. konkret 7/2012). Denn anders, als Brumlik meint, steht
Butlers Engagement gegen Israel und die USA im Namen einer Weltinnenpolitik,
die jüdisches Leben erneut der Gefahr der Vernichtung aussetzt, durchaus
in Zusammenhang mit ihren theoretischen Überlegungen. Butler mit dem
Adornos-Preis zu ehren, ist mithin so schlüssig, wie Adorno posthum mit
der Verleihung der Heidegger-Gedächtnis-Medaille zu
würdigen.
Wille zur Ohnmacht
In allen ihren Schriften plädiert Butler dafür, den Geltungsbereich
dessen, was als menschlich anerkannt wird, zu erweitern und zu öffnen, um
all jene zu rehabilitieren, denen dieser Status vorenthalten wird. Nicht dem
Eingedenken der Natur im Subjekt im Namen seiner opferlosen
Nichtidentität (Adorno) im Verein freier Individuen gilt ihr Interesse am
Körper, sondern der Anerkennung der aus dem Bereich des Menschlichen
ausgeschlossenen Möglichkeiten, den Körper zu beleben. Das Subjekt
soll zum Souverän unbegrenzter Körperpolitiken erhoben und
kulturell verpönte Verkörperungen sollen vom Stigma der
psychischen Nichtlebbarkeit (Körper von Gewicht, 39) befreit werden
auf dass der Leib zum Ort für eine Reihe sich kulturell
erweiternder Möglichkeiten (ebd., 11) werde.
Nicht von den verdrängten und entstellten menschlichen Instinkten und
Leidenschaften, vom verstümmelten Körper, wie es in der Dialektik der
Aufklärung heißt, ist folglich die Rede, sondern von den im Prozess
der Subjektbildung verworfenen Objektbeziehungen und der mit diesen
Verwerfungen einhergehenden Melancholie, dem Gefühl eines das Subjekt
begründenden und zugleich bedrohenden Verlusts, der nicht reflektiert und
betrauert werden könne, solange das Subjekt sein Sosein nicht infrage
stelle. Man müsse, so Butler, mit dem Tod liebäugeln, ihn
suchen, um den Griff der gesellschaftlichen Macht auf die Bedingungen des
beharrenden Lebens zu lockern und einer Veränderung auszusetzen (Psyche
der Macht, 32). Dies sei prinzipiell möglich, weil die
Handlungsfähigkeit des Subjekts die sie ermöglichende Norm
glücklicherweise übersteige. Butlers
post-befreiungstheoretische Botschaft, die Derridas Gedanken der
Iterabilität soziologisch wendet, besagt, dass die Möglichkeit des
Widerstands gegen die Macht in dieser selbst angelegt ist: Die
Bedingungen der Macht müssen ständig wiederholt werden, um
fortzubestehen, und das Subjekt ist der Ort dieser Wiederholung, die niemals
bloß mechanischer Art ist. (ebd., 20)
Butler hat zweifellos Recht, wenn sie darauf hinweist, dass das Individuum
weder durch die Macht voll determiniert ist noch seinerseits
vollständig die Macht determiniert (ebd., 22) und erst als Subjekt der
Naturbeherrschung über selbige hinauszugehen vermag. Anders als Adorno
begreift sie die falsche Alternative von Freiheit oder Unfreiheit jedoch nicht
als moralische Gestalt der antagonistischen Gesellschaft, sondern als ewige
Zwickmühle der menschlichen Existenz, die zu revolutionieren sie als
Anmaßung denunziert. Nach Butler sind wir von Anfang an in einer
Art von Beziehungshaftigkeit verstrickt [...], die sich nicht voll
thematisieren lässt, nicht voll der Reflexion unterwerfen und kognitiv
erkennen lässt. Diese per definitionem blinde Art der Relationalität
macht uns anfällig für Betrug und Irrtum. (Adorno-Vorlesungen, 137)
Anstatt den gesellschaftlich produzierten Unmut in eine Kritik der
Produktionsverhältnisse zu verwandeln, zielt Butler mit Emmanuel Levinas
und Melanie Klein auf dessen subjektive Aufhebung, darauf, die eigene
Aggression und das Gefühl der Vorrangigkeit auszumerzen. Der Einzelne
soll die Aggression gegen sich selbst kehren und den als Hybris diskreditierten
Wunsch nach Souveränität in dieser Wendung zivilisieren, um das
gefährdete Leben des Anderen zu bewahren (Raster des Krieges, 163).
Dass der Einzelne mit der Zügelung seiner eigenen Aggressionen gegen sich
selbst in eine gefährliche Nähe zur Selbstopferung (ebd., 162)
gerät, sieht Butler durchaus. Die einzige Möglichkeit, mit den
Unannehmlichkeiten des Lebens fertig zu werden, bestehe jedoch darin, sich der
Ausweglosigkeit zwischen Zorn und Furcht zu stellen und eine
Verhaltensweise zu finden, die nicht nach der vorschnellen Auflösung
dieser angstbesetzten Lage durch eine Entscheidung strebe. Das Problem
liegt also nicht wirklich in der Frage, wie das Subjekt handeln soll, sondern
in der Frage, wie ein Nichthandeln aussehen könnte, das sich aus der
Einsicht in eine verallgemeinerbare Gefährdung oder anders
ausgedrückt aus der Einsicht in den radikal egalitären Charakter der
Betrauerbarkeit herleitet. (ebd., 169) Die Antizipation des Todes als eines
allen Menschen gleichermaßen drohenden Schicksals soll uns in die Lage
versetzen, darüber nachzudenken, in welcher Weise wir durch unsere
Beziehungen nicht nur begründet werden, sondern durch sie auch enteignet
werden (Gefährdetes Leben, 41).
Man muss weder der Illusion eines autarken, selbsttransparenten und absolut
freien Individuums auf den Leim gehen noch dem regressiven Bedürfnis nach
Unmittelbarkeit frönen, um an der Möglichkeit einer versöhnten
Gesellschaft, worin die freie Entwicklung eines jeden Bedingung der freien
Entwicklung aller wäre, festzuhalten und zu erkennen, dass Butlers
Eigentlichkeitsjargon, ihr leutseliges Gelaber vom Ausgesetztsein und
der Verstrickung in undurchschaubare Beziehungen, die uns begründen
und zugleich enteignen, auf eine Ontologisierung des
Kapitalverhältnisses respektive auf eine Anthropologisierung des doppelt
freien Lohnarbeiters hinausläuft, die die vereinzelten Einzelnen in der
Trauer um den Tod des autonomen Subjekts und die unauflöslichen
Verwicklungen des Daseins zusammenrücken lässt. Die zweite Natur der
Gesellschaft wird dergestalt als soziale Konstruktion entlarvt, ohne die
Grundlage des falschen Bewusstseins, die in der Konkurrenz der Warenmonaden
beschlossene Irrationalität des gesellschaftlichen Zwangszusammenhangs,
anzutasten. Das Subjekt soll die gegebenen Bedingungen von Identität
reflektieren, jedoch nur, um sich als Verkehrsknotenpunkt des
Allgemeinen (Horkheimer/Adorno) dem Zwang von Identität vollkommen zu
unterwerfen. Seine soziale Konstitution wird, mit dem Heidegger von Sein und
Zeit zu reden, in die Existenz eingeholt, damit diese freilich nur die
Geworfenheit des eigenen Da illusionsfreier hinnehme (Sein und Zeit,
§ 75).
Zweifellos ist das Individuum kein bloß von gesellschaftlichen
Mechanismen nachträglich deformiertes, sondern selbst eine soziale
Kategorie. Aber solche Deformation ist weder oberflächlich, noch
gehört sie zum ewigen Wesen des Menschen. Butlers Irrtum resultiert aus
der Unfähigkeit, das individuelle und gesellschaftliche Unbewusste, die
blinde Relationalität der kapitalisierten Gesellschaft, kritisch zu
durchdringen statt zum Existenzial zu hypostasieren. Nicht von ungefähr
sind ihre Anweisungen für ein richtiges Leben im falschen von der
Ideologie der spontanen Wettbewerbsordnung die behauptet, Gesellschaft
sei kraft ihrer Komplexität nicht zu ergründen und vernünftig
einzurichten mitsamt dem dazugehörigen Gestus der Bescheidenheit
und Aufgeschlossenheit für eine unbestimmte Zukunft kaum zu
unterscheiden.(4) Anders formuliert: Menschliches Handeln prinzipiell als
Ausdruck eines stets prekären Prozesses ohne souveränes Subjekt zu
verstehen, läuft auf den Versuch hinaus, das automatische Subjekt des
Kapitals im Denken zu reproduzieren, um den Gedanken an Versöhnung guten
Gewissens begraben zu können fröhliche Wissenschaft vom Tod
des Subjekts statt Dialektik als Ontologie des falschen Zustands.
Im Bewusstsein um die Abgründe menschlichen Daseins finden die
Vereinzelten als Trauergemeinde wieder zusammen. Auch darin steht Butlers
Denken im Bann der Heideggerschen Existenzialontologie. Der Unterschied besteht
lediglich darin, dass Butler Heideggers Vorlaufen zum Tode als Vorlaufen
zum Töten für eine pazifistisch motivierte Dezentrierung des Subjekts
nutzbar macht, indem sie die zwischenmenschliche Dimension der
angstbereiten Entschlossenheit als Bedingung des eigentlichen
Ganzseinkönnens des Daseins betont. Wenn Gewaltlosigkeit hier in
Erscheinung treten kann, erläutert sie, dann jedenfalls nicht
aufgrund der Anerkennung der Verletzlichkeit aller Völker (wie sehr diese
Feststellung auch zutreffen mag), sondern ausgehend von der Einsicht in die
Möglichkeit eigener Gewalttätigkeit in Bezug auf jene Leben, an die
man selbst gebunden ist, einschließlich derjenigen, die man sich nicht
ausgesucht hat und die man nicht einmal kennt und deren Bezug zu mir somit
jeglicher Vertragsvereinbarung vorhergeht (Raster des Krieges, 165).
Butlers Plädoyer für eine friedliche Nutzung der menschlichen
Destruktivkraft beschränkt sich darauf, die Art und Richtung dieser
Aggressivität (ebd., 163) zu ändern. Jeder hat demnach die Option,
sich für eine gewaltlose Praxis zu entscheiden, die die Aggression jener
Liebesforderung unterordnet, die das gefährdete Leben des Anderen zu
schützen sucht. Kurz: Der Kampf gegen die Gewalt ist eine je eigene
Möglichkeit. (ebd., 159) Während sich das bürgerliche Subjekt,
seine Schwäche als Stärke verkennend, unter dem Druck der
Verhältnisse zurückbildet zum
frühbürgerlich-spinozistischen sese conservare und darüber sein
Selbst zu verlieren droht, bürdet Butler den auf sich selbst
Zurückgeworfenen auch noch die Aufgabe auf, das Prinzip der
Selbsterhaltung im Stande der Unfreiheit zu überwinden. Statt die
Grundlage der Wahlmöglichkeit zwischen Aggression und Autoaggression
infrage zu stellen, betätigt sie sich als intellektuelle
Deeskalationstrainerin. Wo deterministische und voluntaristische Theorien
immerhin noch Widerspruch zu provozieren vermögen, weil sie in ihrer
Drastik den individuellen Narzissmus kränken bzw. an der Realität als
Ideologie sich blamieren, trösten Butlers dialektische Proklamationen mit
der post-befreiungstheoretischen Botschaft, der zufolge die Macht
sich zwar nicht aus der Welt schaffen, aber variieren lasse, und verleihen der
Aussöhnung mit der widersprüchlichen Realität dergestalt einen
versöhnlichen Anstrich.(5)
Um Missverständnisse zu vermeiden: Butlers therapeutische Anleitungen
unterscheiden sich von der nazistischen Konsequenz Heideggers sowie von der
faschistischen Apologie des Selbstopfers dadurch, dass das zur pathischen
Projektion drängende Ausgeschlossene nicht gegen Andere, sondern gegen das
Selbst gerichtet werden soll, sodass die unterdrückten
Allmachtsgefühle auf der Grundlage des bürgerlichen Subjekts
aufgehoben werden. Ihre Ethik der Gewaltlosigkeit verharmlost den Willen zur
Macht mit anderen Worten dadurch, dass sie ihn radikal demokratisiert und als
gegen das Selbst gewendete Aggression pazifiziert. Dieser moralische
Masochismus ist indes nicht davor gefeit, in Sadismus umzuschlagen
bildet die verklärte Ohnmacht doch nur die Schauseite unterdrückter
Allmachtsfantasien. Die gegen das Selbst gewendete Aggression richtet sich im
Umschlagen vor allem gegen jene, die den moralphilosophischen Gewissensruf
ignorieren und sich über die Norm der Selbstbeschränkung
hinwegsetzen, das heißt politisch: gegen die Vereinigten Staaten und
Israel.
Weltbürgerlicher Zustand als globale Trauergemeinde
So, wie sie das Konzept der ontologischen Differenz vermittelt durch Derrida
und Foucault soziologisch wendet, übersetzt Butler Heideggers Vorlaufen
zum Tode als Voraussetzung eigentlicher Existenz mit Levinas ins Politische.
Auf Verletzungen ihrer Souveränität sollen Staaten ebenso wie
Individuen nicht mit Gewalt reagieren. Stattdessen gelte es, die Trauer
selbst zu einer Ressource für die Politik zu machen, um einen Prozess zu
initiieren, durch den wir einen Punkt der Identifikation mit dem Leiden
selbst entwickeln(6) (Gefährdetes Leben, 47). Israel und die USA
erscheinen, gemessen an einer solchen Politik der Mäßigung, als von
rachsüchtigen Interessengruppen getriebene Weltstörenfriede, die die
Errungenschaften des Rechtsstaats im Namen der Sicherheit unterminieren. Mit
Blick auf Guantanamo und Gaza diagnostiziert Butler folglich eine Renaissance
ungezügelter Souveränität inmitten der modernen Rechtsordnung.
Unter George W. Bush seien die USA zurückgefallen in eine
Cowboy-Tradition der Selbstjustiz von Bürgerwehren (ebd., 104), die
Gefangene zu Untermenschen degradiere und sich über internationale
Konventionen in selbstgefälliger Art hinwegsetze.
Wenn es um Gewalt im Namen des Islams geht, zeigt sich Butler indessen
versöhnlich. Während sie in Bezug auf Israel und die USA eine
aggressive Wachsamkeit gegenüber der Neigung der Aggression, in
Gewalt umzuschlagen (Raster des Krieges, 158), an den Tag legt, ist ihr der
Islamismus pazifistischer Gesinnung zum Trotz Anlass, das
Menschliche neu zu denken: Wenn wir annehmen, daß jeder Mensch so
Krieg führt, wie wir das tun, und daß dies ein Teil dessen ist, was
ihn erkennbar menschlich macht, oder daß die Gewalt, die wir
verüben, Gewalt ist, die in den Bereich des erkennbar Menschlichen
fällt, die von anderen verübte Gewalt jedoch nicht als menschliche
Aktivität erkennbar ist, dann verwenden wir einen begrenzten und
begrenzenden kulturellen Rahmen für unser Verständnis dessen, was es
heißt, menschlich zu sein. [...] Mensch sein impliziert vieles, unter
anderem auch, daß wir Wesen sind, die in einer Welt leben müssen, in
der Wertekollisionen vorkommen, und daß diese Zusammenstöße
ein Zeichen sind, was eine menschliche Gemeinschaft ist. Wir machen Butler
zufolge einen Fehler, wenn wir eine einzige Definition des Menschlichen
oder ein einziges Modell der Rationalität für die bestimmende
Charakteristik des Menschlichen halten [...]. Eine solche Orientierung wird
dazu führen, daß wir uns fragen, ob einige Menschen, die Vernunft
und Gewalt nicht in der Weise verkörpern, wie unsere Definition sie
bestimmt, noch menschlich sind, oder ob sie nicht vielmehr
außergewöhnlich` (Haynes) oder einzigartig` (Hastert)
oder wirklich schlimme Menschen` (Cheney) sind, die uns mit einem
Grenzfall des Menschlichen konfrontieren, in Bezug auf den wir bislang versagt
haben. (Gefährdetes Leben, 110) Ein Selbstmordattentäter ist nach
dieser Logik einer, der Vernunft und Gewalt lediglich anders verkörpert,
und ihn einen schlimmen Menschen zu schelten, ein eurozentristischer Akt der
Dehumanisierung.
Während Butler den Regierungen Israels und der USA vorwirft, den
Rechtsstaat im Namen eines unreflektierten Anspruchs auf Selbsterhaltung
auszuhöhlen, gelten ihr die Praktiken irregulärer Kriegsführung,
sofern sie von Angehörigen fremder Kulturen ausgehen, als Ausdrucksformen
von Gewalt, die unser Verständnis verdienen und unseren Horizont
erweitern. Ihr moralischer Masochismus schlägt in moralischen Sadismus um,
sobald sie ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht wird, ihre kritische
Wachsamkeit ungerecht verteilt und systematisch mit zweierlei Maß misst.
So fordert Butler den Boykott israelischer Akademiker, während sie Hamas
und Hisbollah als progressive Bewegung würdigt, die grundsätzlich als
Bündnispartner anzusehen seien.(7) Während sie das Existenzrecht
Israels im Namen des Rechts gefährdet, verklärt sie die Gewalt von
Hamas, al-Qaida und anderen Rackets der Vernichtung als Ausdruck grenzenloser
Menschlichkeit.
Schwulenfeindlichkeit unter Migranten hält sie dementsprechend in erster
Linie für eine Projektion von Homonationalisten und Heterosexuellen, die
von ihrer eigenen Homophobie ablenken wollten(8); Schleier und Burka gelten ihr
nicht als Zeichen männlicher Unterdrückung, sondern als vieldeutige
Accessoires weiblicher Selbstermächtigung. Wenn Feministinnen der Ersten
Welt ihre Kritik an den Bedingungen der Unterdrückung von Frauen der
Dritten Welt auf der Grundlage universeller Ansprüche entwickeln,
heißt das für Butler, dass solche Feministinnen ihre
Geschlechtsgenossinnen homogenisieren. Ja, sie ist der Ansicht, dass die
Überstülpung von Versionen der Handlungsfähigkeit auf
Dritte-Welt-Kontexte und die Konzentration auf eine offenkundig fehlende
Handlungsfähigkeit, die durch Schleier oder Burka signalisiert wird, nicht
nur die verschiedenen kulturellen Bedeutungen missversteht, die die Burka
für Frauen, die sie tragen, haben kann, sondern auch genau die Idiome der
Handlungsfähigkeit leugnet, die für solche Frauen relevant sind
(ebd., 65). Diese Frauen sind so gesehen nicht Opfer männlicher
Unterdrückung, sondern Opfer eines weißen, feministischen
Universalismus, der ihre Handlungsfähigkeit verschleiert und dadurch
untergräbt. Um des guten Gewissens willen werden braune Patriarchen vor
weißen Feministinnen gerettet.
Undoing Zionism
Als gegen westliche Feministinnen und Israel agitierende Jüdin bleibt
Butler ihrer antiessentialistischen Theorie folgend auch in der politischen
Praxis treu. Während sie sich für das Recht der Palästinenser
auf nationale Selbstbestimmung einsetzt, attackiert sie die israelische
Regierungspolitik im Namen einer heterogenen, flexiblen jüdischen
Identität. Der Jude`, meint Butler, sei im Wesentlichen
als Diaspora-Überschuß auszumachen, eine historisch und
kulturell wechselnde Identität, die nicht nur eine einzige Form annimmt
und nicht nur ein Telos hat (ebd., 147). Jüdischsein wäre demnach
mit jener prekären Existenz zu identifizieren, die Juden historisch immer
wieder mit dem Tode bedrohte und im antisemitischen Klischee vom wurzellosen
und zu ehrlicher Arbeit wie ordentlicher Staatlichkeit unfähigen Anti-Volk
begegnet.(9) Butlers Überlegungen wirken mithin wie eine Umwertung der
nazistischen Mär vom staatsfeindlichen Zionismus (Rosenberg)
eine Umwertung, die das zionistische Projekt der Staatsgründung,
Notwehrmaßnahme gegen den globalen Antisemitismus, als unjüdisch
verwirft. Butlers post-zionistische Vision zielt mit anderen Worten auf die
Rückkehr zu einer Form jüdischen Lebens, die den politischen
Körper in einen Ort unbegrenzter Möglichkeiten verwandelt und dabei
dem verständlicherweise Verworfenen der Möglichkeit
nämlich, erneut Opfer kollektiver Raserei zu werden Tür und
Tor öffnet. Dem naheliegenden Einwand, dass ein friedliches Miteinander
voraussetzt, dass auch das Gegenüber an einer solchen Koexistenz
interessiert ist, dass, in Freuds Worten, nicht alle Menschen liebenswert sind,
hat sie nicht viel mehr entgegenzusetzen als den Glauben an die Macht ethischer
Anrufungen.(10)
Indem sie die Anerkennung anderer Modi der Selbstbestimmung(11) über
die Selbsterhaltung des Rechtsstaates stellt und die Bereitschaft zum
Selbstopfer als Zeichen eigentlicher Souveränität würdigt,
befördert Butler den Ausnahmezustand in Form der Anerkennung des Anderen.
Das Verdrängte kehrt zurück: Die verpönte Tendenz zur
Selbstaufhebung des Rechts wird im arbeitsteiligen Bündnis mit der
fremden, von außen hereinbrechenden Gewalt akzeptabel. Butler spricht das
selbst unumwunden aus, wenn sie feststellt, dass wir eben das
Unmenschliche brauchen, um menschlich zu werden, und das wahrhaft Menschliche
dort entdeckt, wo das Subjekt sich nicht länger gegen den
Übergriff der Welt zur Wehr setze: Wenn wir der Abweisung des
Anderen ausgesetzt sind und diese Abweisung uns zwingt, ein Recht geltend zu
machen und auf dieses Recht zu verzichten, indem wir dessen Legitimität in
Frage stellen, dann verkörpern wir in dieser letzten Geste der
Zurückhaltung und Hinterfragung selbst das Unmenschliche.
(Adorno-Vorlesungen, 142)
Ebenso wie sie daran scheitert, den die individuellen Körper zurichtenden
gesellschaftlichen Zwangszusammenhang auf den Begriff zu bringen, scheitert
Butler daran, den globalen Ausbeutungs- und Gewaltzusammenhang im Namen einer
staaten- und klassenlosen Weltgesellschaft zu transzendieren. Anstatt die
objektiven Bedingungen von Staat und Kapital anzugreifen, zielt der von Butler
favorisierte weltbürgerliche Zustand lediglich auf die
Gleichverteilung der Gewaltrisiken (Raster des Krieges, 34) und eine
egalitäre Minderung von Gefährdungslagen (ebd., 28), sprich:
auf die gerechte Verteilung des Elends im Namen einer dem Feminismus und der
jüdischen Tradition entlehnten Politik der Fürsorge, die sich das
Recht herausnimmt, noch im Ausnahmefall zugunsten einer Geste der
Zurückhaltung auf Gewalt zu verzichten und die eigene Bevölkerung
sterben zu lassen, um die nationale Melancholie im Namen einer globalen
Trauergemeinschaft zu überwinden. Butler forciert die Erosion westlicher
Staats- und Souveränitätsvorstellungen ebenso wie die der
Ich-Stärke, die doch beide als Voraussetzungen universeller
Versöhnung zu bewahren wären, und macht sich zur Anwältin ihrer
Auflösung in barbarische Vielheit (Adorno), wenn sie das von
Feinden umgebene Israel dazu auffordert, das Recht auf Selbsterhaltung
zugunsten eines Bekenntnisses zur sozialen Bindung (ebd., 164)
außer Kraft zu setzen.
Kurzum: Judith Butler zählt zu jenen empörten Intellektuellen, die,
indem sie den Vereinigten Staaten und Israel politischen Egozentrismus
vorwerfen und für eine Verrechtlichung internationaler Beziehungen
eintreten, als Schutzmacht von Selbstmord-Rackets und Racket-Theokratien
fungieren und dergestalt eine Allianz stiften zwischen jenen, die in
dekonstruktivistischer Absicht mit dem Tod liebäugeln, und
jenen, die den Tod zu lieben lernten, um den Triumph der repressiven
Gemeinschaft über das Leben zu besiegeln. In diese Allianz reihen sich
schließlich auch jene Grabschänder aus dem Kulturmanagement ein, die
einen Preis, der nach einem Mann benannt ist, der als Akademiker in Deutschland
lange Zeit boykottiert wurde und der die Nötigung, dialektisch und
zugleich undialektisch zu denken, zum Angelpunkt all seiner Überlegungen
machte und folglich zwischen dem falschen Ganzen und dem ganz Falschen zu
unterscheiden wusste, an eine Frau verleihen, die zum Boykott israelischer
Akademiker aufruft.
Gruppe Morgenthau (Frankfurt am Main)