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• doku: Landfrieden der Bäume
• doku: Never mind the Adorno, here's the Judith Butler
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• das letzte: Das Letzte
Als zum Jahrestag des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen Joachim Gauck, die
aktuelle Personifizierung des deutschen Staates, eine Eiche pflanzte, war das
ein rätselhaftes Ritual: Ist denn dieser Baum nun ein Jubiläumsbaum,
eine Siegeseiche? Und selbst wenn es eine Friedenseiche sein muss, mit
wem wurde dieser Friede geschlossen? Mit den Rostocker Bürgern, die damals
sich vor Lust am Verfolgen kaum einkriegten? Mit den Einwanderern, die niemals
Krieg führten? Mit den Neonazis, die gewiss unbeeindruckt von
irgendwelchen Eichen immer noch Krieg führen?
Wer von Staates wegen den nazistischen Terror bekämpfen wollte, dem
stünde ein einziges probates und wirksames Mittel bereit: Die
Illegalen sofort legalisieren, Residenzpflicht, Sammelunterkunft und
Gutscheinzwang abschaffen, das Asylrecht wieder herstellen und für jeden
nachweislich von Nazis ermordeten Flüchtling, Juden, Einwanderer,
Antifaschisten, Obdachlosen 100.000 bedingungslose Einwanderungsgenehmigungen
im Trikont verteilen. Das wäre eine Geste, die tatsächlich Frieden
mit der Einwanderung schaffen würde und den Nazis den Krieg erklärte.
Die deutschen Konservativen, Grünen, Liberalen und Sozialdemokraten aber
glauben, mit einem einzigen gepflanzten Bäumchen sei das überhaupt
nicht heimliche Bündnis von Neonazis und Abschiebestaat so einfach
zuzudecken.
Das glaubt auch Götz Aly. Unter dem markigen Titel Der Landfriede
muss geschützt werden(1) regt er sich auf. Vor allem darüber, dass
eine Rostocker Antifa in einer nächtlichen Aktion just diesen
Friedenseiche genannten Triumphbaum des Neonazismus gefällt hatte.
Für ihn steht das am Beginn einer Reihe, in der das Attentat auf einen
Rabbi in Berlin und der Überfall von Neonazis auf ein Tanzcafé in
Zwickau(2) folgen, bei beiden Vorfällen wurden insgesamt drei Personen
schwer verletzt.
Die Untaten von Rostock, Berlin und Zwickau weisen Unterschiede in den
Zielen auf und, was Rostock betrifft, in der Wahl des Mittels, aber einiges
haben sie gemein. Die Täter verletzten mehrere Grundrechte anderer. Sie
agierten in Gesinnungsgemeinschaften und aus weltanschaulichen Motiven. Ihre
aggressiven Akte verübten sie nicht gegen Individuen, mit denen ein
spezieller Streit entstanden war, sondern gegen Angehörige einer als
feindlich oder als andersdenkend angesehenen Gruppe. Damit schädigten sie
das auf zivile Konfliktregelung bedachte Zusammenleben aller. Sie
förderten den Großgruppenhass, der ein Gemeinwesen dauerhaft
unterhöhlen kann.
Für Götz Aly ist also diese Eiche eine Angehörige einer
als feindlich oder als andersdenkend angesehenen Gruppe mit
Grundrechten. Das gerbsäureproduzierende Laubholzwächs kann
nun nicht mehr heiraten, wen es will, und sich nicht mehr frei versammeln. Auch
Artikel 16 und 20(3) der Grundrechte kann der Baum nicht mehr wahrnehmen,
Götz Aly hält offenbar von beiden zu wenig, um hier einen
Zusammenhang zu erstellen. Aus einer minderen Sachbeschädigung, eventuell
noch einem Verstoß gegen irgendwelche Baumgesetze, wird für ihn ein
Landfriedensbruch. Weil man nun, so Aly, nicht mit Toleranzkursen
den Antifaschismus auf Friedlichkeit verpflichten könne, gebe es für
alle drei Beispiele von Landfriedensbruch nur ein Mittel:
Es geht darum, Grenzen zu ziehen und die Verletzung des Landfriedens aus
politischen und weltanschaulichen Motiven insbesondere das Schlagen,
Treten und Morden von Menschen, weil sie nicht der eigenen, sondern einer
anderen Gruppe zugerechnet werden unnachsichtig zu verfolgen und hart zu
bestrafen.
Gerade einem Experten der Geschichte des Nationalsozialismus sollte so ein
Aufruf als Verharmlosung nachgetragen werden. Die platte Formulierung
Großgruppenhass hat schon ihren eigenen Frieden gemacht mit dem
Hass auf Kleingruppen wie Juden, Obdachlose, Flüchtlinge oder eben jene
VietnamesInnen im Rostocker Sonnenblumenhaus. Dieser infame und zynische Aufruf
zur Verfolgung eines gelungenen Streichs gegen einen der dümmlichsten,
pervertiertesten, infamsten Akte des Staatsantifaschismus seit
Jahrzehnten als Landfriedensbruch trägt gewiss nicht zu einer freieren und
gerechteren Gesellschaft bei, er suggeriert vielmehr, dass soweit alles in
friedlicher Ordnung sei, solange nur genügend Bäume gepflanzt
werden.
Felix Riedel
Der Autor betreibt ein Weblog unter
http://nichtidentisches.blogsport.de, in dem auch dieser Text zuerst
erschienen ist.