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Der Tod des am 18.7.2012 in einem Nürnberger Krankenhaus gestorbenen
linksradikalen Publizisten und Gesellschaftskritikers Robert Kurz soll an
dieser Stelle Anlass sein, auf eine sehr frühe Schrift dieses Autoren zu
rekurrieren. Der Text steht heute kaum noch stellvertretend für die von
ihm wesentlich mitgetragene Wert- und Abspaltungskritik ein.
Allerdings erschließen sich die grundsätzlichen Probleme eines
Theorieansatzes häufig viel stärker aus derartigen
Frühschriften, in denen die Intentionen eines Autors meist noch offener
zutage liegen und die eigenen Positionen erst mühsam in der
Auseinandersetzung mit anderen Autoren errungen werden müssen. Oft sind
hier die grundlegenden Probleme eines Ansatzes noch deutlicher ausformuliert
und fassbarer als in späteren, elaborierteren Schriften.
Die Krise des Tauschwerts ist der erste von Robert Kurz im
Kontext seines Theorieprojekts Wertkritik veröffentlichte
Aufsatz.(1) Er erschien in der ersten Ausgabe der von ihm begründeten
Theoriezeitschrift Marxistische Kritik, die später unter den
Namen Krisis, bzw. noch später Exit! firmieren
wird. In diesem Aufsatz entfaltet Kurz jenen Gedankengang, der ihn bis zu
seinem Lebensende begleiten wird: den einer im Zuge der mikroelektronischen
Revolution angeblich erreichten fundamentalen Schranke der
kapitalistischen Gesellschaft infolge eines immer schärfer aufbrechenden
Gegensatzes zwischen stofflicher Produktion und Warenform.
Nicht verschweigen will ich an dieser Stelle, dass ich selbst einige Jahre zum
Umfeld dieses Autoren gehörte und auch nicht, dass dies zu einem Bruch
aufgrund inhaltlicher Differenzen führte. Insofern ist diese
Auseinandersetzung auch so etwas wie ein Aufarbeiten der eigenen theoretischen
Vergangenheit. Eine Würdigung des Lebenswerkes des Robert Kurz zu
schreiben, fühle ich mich heutzutage weder willens noch in der Lage. Die
Stärke des Ansatzes dürfte wohl vor allem darin bestehen,
Probleme und Sachverhalte grundlegend zu durchdenken, ihre zwingende Logik bis
zum Ende durchgezogen und bis zur letzten Konsequenz getrieben zu haben.
Insofern ist es auch heute durchaus noch lohnenswert, Robert Kurz
zu lesen, weniger um die kapitalistische Gesellschaft und deren Krise zu
verstehen (wer da was verstehen will, ist für die gute Sache eh
verloren...), sondern um zu lernen, zu welchen Ergebnissen etwa ein in
bestimmter Weise gefasster Begriff von etwas scheinbar doch so
Theoretischem und fernab aller konkreten politischen Problematik
liegendem wie dem Wert als dem zentralen gesellschaftlichen Vermittlungsprinzip
führen kann und muss, wenn man nur wirklich konsequent zu Ende denkt, wie
Kurz es uns vorexerziert. Eine Auseinandersetzung mit der Denkweise, in der
Kurz begrifflich und kategorial arbeitete, ist daher nach wie vor
gewinnbringend. Auch um sich zu verdeutlichen, wie die kapitalistische
Gesellschaft, wie abstrakte Arbeit, der Wert und der Tauschwert ganz gewiss
nicht kritisch auf den Begriff zu bringen sind.
In der Krise des Tauschwerts entfaltet Robert Kurz seine
grundlegende These, dass die gegenwärtige Linke aufgrund ihres veralteten
Verständnisses Marxscher Kategorien nicht in der Lage sei, die reifende
objektive Grenze der kapitalistischen Gesellschaft zu erkennen. Diese Annahme
einer Reifung ist allerdings äußerst problematisch. Die Gefahr einer
Affirmation des Werts zu einem Naturgesetz ist diesem objektivistischen Begriff
des Werts schon inhärent. Die Kritik wird gleich am Anfang zur Theorie
verwässert, die nur noch das objektive Reifen diagnostiziert und daraufhin
dekretiert, dass das Notwendige nun vollstreckt werden müsse. Kurz' Ansatz
läuft damit auf eine soziale Physik oder soziale Biologie der
kapitalistischen Gesellschaft hinaus. Und zwar nicht im kritischen,
ironisch-sozialdarwinistischen Sinne, wie bei Marx im Kapital, also
nicht im dem Sinne, dass die erkannten Gesetzmäßigkeiten
aufgebrochen werden müssen, sondern analytisch-theoretisch als Anweisung
zum Handeln. Die Gesellschaft wird hier in der Theorie zu einem Objekt
verdinglicht, dessen objektiv ablaufende Gesetze analysiert werden sollen. Kurz
glaubt diese Gesellschaft sezieren zu können wie ein Biologe sein
Forschungsobjekt im Labor und damit etwas über ihre grundlegenden
Gesetzmäßigkeiten herauszufinden. Ob sich auf diese Weise Biologie
betreiben lässt, darüber mögen sich WissenschaftlerInnen und
ihre KritikerInnen streiten, Gesellschaftskritik funktioniert so
jedenfalls nicht.
Kurz stellt der von ihm als typisch links bezeichneten Sichtweise entgegen,
dass der Wert nichts sei, was irgendwie politisch angewendet werden
könnte, sondern dass er sich vielmehr objektiv und militant über die
Köpfe der Menschen hinweg durchsetze. Nun hat Kurz mit der Vorstellung
gewiss Recht, dass der Wert nicht politisch als Verteilungsregulator dienen
könne. Aber das liegt daran, dass es sich bei ihm höchstselbst um
eine politische Kategorie handelt. Darauf verweist bereits der Umstand, wie
Marx erstmals auf das Problem des Werts stieß. Anlass der erstmaligen
Beschäftigung mit dieser Thematik war eine juristische Debatte im
rheinischen Landtag, die sich um die Frage drehte, wie hart Frauen zu bestrafen
seien, die in privaten Wälder nach althergebrachter und plötzlich
rechtswidriger Sitte Reisig als Feuerholz klaubten. Sie seien so die
damalige Formulierung gemäß des Werts des von ihnen
gestohlenen Holzes zu bestrafen: auf diese merkwürdige Weise kam der
zunächst fern von sozial-ökonomischen Problemen stehende studierte
Jurist und Philosoph Marx auf das Problem des Wertes. Was ist das
überhaupt: der Wert? Was bedeutet es, wenn gesagt wird, dass diesem
nutzlos im Walde vor sich hin verrottenden Reisigkram nun auf einmal
Wert zukommen soll? Was ändert das am Reisig? Stofflich gesehen
erst einmal nichts. Der Unterschied ist: während es früher
aufgesammelt und zum Heizen des heimischen Ofens mit nach Hause genommen werden
durfte, so ist selbiges nun ein Vergehen, für das man für Jahre
hinter Gitter gerät oder immerhin eine saftige Geldstrafe aufgebrummt
bekommt. Und wer hat dies veranlasst? Nun: der Staat. Er hat gesetzt,
dass das nützlich Ding nun kein nützlich Ding mehr ist, sondern
vielmehr ein Wertding. Den Wert sieht man dem Ding aber nicht an. Das Reisig
liegt im Wald, ganz so wie Jahrtausende lang zuvor auch. Plötzlich aber
klebt an ihm die magische Eigenschaft, vom Staat und seinen Bütteln
für Jahre hinter Gittern gesetzt zu werden, wer dies magisch Ding in seine
Tasche packt, um es seinem einzig möglichen Verwendungszweck
zuzuführen, es nämlich im Ofen zu verheizen. Das Ding ist nun
für die Mehrheit der Menschen überhaupt nicht mehr nützlich,
sondern gänzlich unnütz. Nutzen hat es nur noch für den
rechtmäßigen Besitzer. Und dass wirklich auch nur der es nutzen
darf, dafür garantiert der Staat mit seinem Polizeiapparat. Der Wert kann
genau deshalb nicht politisch angewendet werden, weil er und die Politik
untrennbar miteinander verquickt sind. Stellt Kurz fest, dass der Wert sich
objektiv über die Menschen hinweg durchsetzt, so ist das nur die eine
Seite der Wahrheit. Er wird gleichzeitig von den Menschen subjektiv
vollstreckt.
Zurück zu Robert Kurz: Die Linke habe den Wert also zumeist als zu
nutzende Naturtatsache und Verteilungsgesetz verkannt. Er aber sei als
fundamentaler Gegensatz von Stoff und Form der Ausdruck des
unversöhnlichen Widerspruchs, der die kapitalistische Gesellschaft
durchziehe. Und damit sind wir gleich beim nächsten grundlegenden Problem
der fundamentalen Wertkritik angelangt. Wiederum handelt es sich um eines, das
die wertkritische Theoriebildung von 1986 bis 2012 durchzieht: der Gegensatz
zwischen stofflicher Produktion und Wertproduktion. Doch Kurz ist bereits hier
entgegenzuhalten: nicht der Wert ist ein fundamentaler Gegensatz von Stoff und
Form, sondern der Wert setzt diesen Gegensatz als reale Abstraktion. Unter
seiner Herrschaft zerbricht die Welt für die Menschen in ihrer
Wahrnehmung und in ihrem Denken in jene zwei Bereiche auseinander. Wenn
sie die Dinge praktisch einerseits als Gebrauchswert und andererseits als
Tauschwert behandeln, dann erscheinen sie ihnen auch in doppelter Weise: als
Gegensatz von Stoff und Form, als keineswegs nützliches Ding, sondern als
Ding, dass sie gerade nicht nutzen dürfen, weil es ihnen nämlich gar
nicht gehört also als Ding, dass sich von ihnen nutzen ließe
(wenn das Wörtchen wenn nicht wäre, nämlich) einerseits
andererseits: als Ding mit sinnlich nicht wahrnehmbarer abstrakter Eigenschaft,
sinnlich-übersinnlich, nicht zu sehen, hören, riechen und fühlen
aber doch sofort handgreiflich zu spüren, wenn einem die Wachposten
die Arme auf den Rücken drehen, einem Handschellen anlegen und dann das
Schicksal (nach Schopenhauer bekanntlich die Summe der eigenen Dummheiten)
unerbittlich seinen Lauf nimmt. Aber bei Stoff und Form der Ware handelt es
sich wirklich nur um einen Gegensatz und zunächst nicht um einen
Widerspruch, wie Kurz vermutet. Die kapitalistische Gesellschaft lebt
davon, dass sie diesen Gegensatz als unversöhnlichen setzt und ihn in
dieser selbst gesetzten Dynamik entfaltet. Kurz rationalisiert und affirmiert
hier lediglich diesen Gegensatz, indem er meint, es sei für die
kapitalistische Gesellschaft wirklich ein Problem, dass der sinnliche
Inhalt nicht in der abstrakten Form aufgehe. Aber: Der Wert setzt
diese Gegensätze als unversöhnliche und lebt von ihnen. Er zehrt von
dem schreienden Gegensatz, dass er einerseits als dieser stofflich-sinnliche
Inhalt und andererseits als diese abstrakte Form erscheint. Dabei ist dieser
Inhalt weder das in irgendeiner Weise Wirkliche oder gar Echte im Gegensatz zu
einer angeblich falschen unwirklichen Form, noch stellt sich ihm die Frage, ob
dieser Inhalt in seiner Form aufginge. Da geht nichts auf, weil im Wert per se
nichts aufgehen kann. Seine Form und sein Inhalt stehen sich krass und grell
entgegen. Und das ist die kapitalistische Gesellschaft als
antagonistische Angelegenheit.
In marxistischen Schriften wird diese Gesellschaft als Widerspruch zwischen
Produktivkräften und Produktionsverhältnissen beschrieben. Die
Produktionsverhältnisse müssten laut Kurz ihrerseits als
wertförmig begriffen und dürften nicht auf Eigentumsverhältnisse
reduziert werden. Im marxistisch viel beschworenen Widerspruch zwischen
Produktivkräften und Produktionsverhältnissen drücke sich,
darauf läuft Kurz' Intention hinaus, somit letztlich der
unversöhnliche Widerspruch zwischen stofflicher Produktion und Warenform
als der Wesenskern kapitalistischer Geschichte und Dynamik aus. Aber in den
vorhin ausgeführten Überlegungen zum Gegensatz von stofflicher
Produktion in der Form des Werts bilden auch Produktivkräfte und
Produktionsverhältnisse keinen Widerspruch, sondern lediglich einen
Gegensatz. Sie sind in der Tat streng unversöhnlich, aber die
kapitalistische Gesellschaft in ihrem Wesen ist diese sich entfaltende
Unmöglichkeit. Das Unding, das Unwesen, die pure logische
Unmöglichkeit, dass der Stoff in dieser Form erscheint, ist gerade das
Wesensmerkmal dieser an sich unmöglichen Gesellschaft. Der fortschreitende
Gegensatz zwischen Stoff und Form führt deshalb gerade nicht zum
Zerbrechen der kapitalistischen Gesellschaft, sondern sie ist dieses Zerbrechen
und die darauf folgende Rekonstitution in Permanenz. Eine kapitalistische
Gesellschaft, die sich selbst die Arbeit abschafft, ist genauso unmöglich
oder eben möglich wie ein allmächtiger Gott, der
k/einen Stein zu schaffen vermag, der so schwer ist, dass er ihn nicht
aufheben könnte. Mit dem Kapital bzw. dem Wert verhält es sich wie
mit Gott. Es stört ihn nicht, dass seine Unmöglichkeit bewiesen
wurde. Er existiert in den Köpfen der Menschen trotzdem weiter und deshalb
gibt es ihn auch wirklich, da kann er so unmöglich sein, wie er will.
Kurz begreift das Kapital aufgrund des der Ware immanenten Gegensatzes zwischen
Gebrauchswert und Tauschwert als einen prozessierenden Widerspruch. Wird die
Befreiung des Gebrauchswerts von der Diktatur der Wertabstraktion als Ziel
anvisiert, dann müsse sich dieses Ziel auf die Entfaltung eines objektiven
Widerspruchs im konkreten historischen Prozess stützen und auch im
Produktionsprozess nachweisbar sein, so der Nürnberger Sozialphilosoph.
Beim Prüfen dieser These sollte gefragt werden, was Kurz unter dem Kapital
als prozessierendem Widerspruch versteht. Die Formulierung klingt ja erstmal
irgendwie gut. Der Gebrauchswert aber ist keineswegs das Gute, das von der
bösen Abstraktion des Tauschwerts befreit werden müsste. Daran
ändert es auch nichts, wenn Kurz den Begriff des Gebrauchswerts als
positiven Bezugspunkt später aufgibt: denn er durchschaut
später einfach den Gebrauchswert, den er bisher für das Konkrete und
Gute hielt, als selber schon abstrakt. Damit lässt er aber sein
theoretisches Grundmuster vom konkreten Stoff, der von der abstrakten Form
gefasst wird, ohne freilich zur Gänze darin aufgehen zu können,
einfach bestehen. Der Gebrauchswert ist aber als erscheinender nützlicher
Gegenstand die wertgesetzte Konkretion des Abstrakten. Die Produktion wird in
diese beiden Momente aufgespalten und lebt vom unversöhnlichen Gegensatz,
den sie selbst herstellt. M.a.W.: Wenn ein Produkt einerseits als Gebrauchswert
und andererseits als Tauschwert verwendet wird, dann erscheint es einerseits
als Gebrauchswert und andererseits als Träger von Wert, also als Ware. Als
Einheit dieser zwei Momente ist die Ware der prozessierende Widerspruch, von
dem auch Kurz spricht, also die gewaltförmige Einheit von etwas
grundsätzlich nicht zu vereinbarendem: ein sinnlich-übersinnliches
Ding. In dieser zerrissenen Einheit tritt auch der kapitalistische
Produktionsprozess auf: als Einheit zweier entgegengesetzter Momente, als
kapitalistischer Arbeits- und als kapitalistischer Verwertungsprozess. Beide
stehen in grundsätzlichem Gegensatz zueinander und müssen sich immer
stets wieder aufs Neue miteinander vermitteln. Bei Kurz klingt das anders: Die
im Produktionsprozess vonstatten gehende produktive Arbeit vereine in der
kapitalistischen Gesellschaft stets die Produktion von Gebrauchswert mit der
von Wert. So weit so gut. Aus diesem Grunde erscheine in ihm die konkrete,
nützliche menschliche Arbeit stets nur als entstofflichte, abstrakte
Arbeit. Hier geht es dann los mit den Problemen: mit der Arbeit verhält es
sich erst einmal wie mit der Ware, denn die Arbeit tritt ja in der
kapitalistischen Gesellschaft als solche auf. Als konkrete ist sie keineswegs
die nützliche, sondern die bereits vom Wert gesetzte Arbeit, die durchaus
nützlich sein kann, aber keineswegs sein muss. Der Drehpunkt ist, dass die
Arbeit in den Gegensatz von abstrakter und konkreter Arbeit aufgespalten wird,
sie in dieser Gesellschaft in dieser doppelten Weise erscheint. Nicht die
konkrete Arbeit erscheint abstrakt als entstofflichte, sondern die Arbeit
erscheint einerseits als konkrete, sinnlich-stoffliche und andererseits als
abstrakte, abzüglich jeden Inhalts. Die konkrete Arbeit ist somit nicht
das unter dem Wert verborgene Echte, nicht der berühmte Strand
unter dem Pflaster. Dies aber ist die Grundannahme von Kurz und die
spätere Kritik der Ontologie der Arbeit ist nur die mühselig
unternommene Veranstaltung, dieses Grundprinzip zu retten. Erkennt man, dass
die Arbeit ja gar nicht so rein und unschuldig ist wie gewünscht, dann
wird sie flugs als abstrakt per se verunglimpft und ihr eine
vorwarenförmige diffuse Tätigkeit, jenseits aller
Sphärentrennung gegenübergestellt und die wertkritische Welt
ist wieder in Butter.
Doch gehen wir zurück zur Kurzschen Argumentation. Unter dem Gesichtspunkt
der Verwertung des Werts hält er nur jene Arbeit für produktiv, die
wirklich als wertbildende Substanz erscheine. Aber bei dieser Bestimmung
handelt es sich doch wohl um eine veritable Tautologie. Welche Arbeit ist
wertproduktiv? Nun: solche die als wertbildende Substanz erscheint. Und welche
Arbeit erscheint als wertbildende Substanz? Solche die sich produktiv
verwertet! Mit dieser Bestimmung von Kurz ist also in Wirklichkeit rein gar
nichts geklärt. Die Geschichte der kapitalistischen Gesellschaft sei aber
laut Kurz, wie bereits festgestellt, durch das sukzessive Auseinanderbrechen
von stofflicher Produktion und Wertproduktion aufgrund ihres
grundsätzlichen Widerspruchs gekennzeichnet. Aber im Gegensatz zur Annahme
von Kurz gibt es kein sich zuspitzendes Zerbrechen dieser Gesellschaft,
vielmehr ist ihr permanenter Zusammenbruch genau die Dynamik, die sie
antreibt. Die Krise versteht Marx etwa in den Theorien über den
Mehrwert als eine gewaltförmige Einheit von Stoff und Form, zweier
in der Tat sich grundsätzlich widersprechenden Momente und
gleichermaßen als ebenso gewaltvolles Auseinanderbrechen genau dieser
zwei zusammengehörigen Momente. Diesen Gegensatz von Stoff und Form
behandelt Marx im Kapital der Reihe nach als Gegensatz von Gebrauchswert
und Tauschwert, konkrete und abstrakte Arbeit, Ware und Geld, Arbeitsprozess
und Verwertungsprozess, realem Kapital und zinstragendem Kapital. Stets ist
dabei das Moment der Krise der Zentralgedanke: stets dreht sich die
Argumentation um zwei Momente, die zusammengehören und auseinanderbrechen
bzw. die gerade nicht zusammengehören aber mit Gewalt zueinander
gedrängt werden. Stets erweist sich die zu lösende Aufgabe die
Möglichkeit der Einheit, die Versöhnung zu finden als falsch,
weshalb der Widerspruch dann auf einer höheren Ebene versucht wird
zu klären. Nur in diesem Sinne ergibt es übrigens Sinn, bei Marx von
Ebenen zu sprechen.
Kurz hält hingegen ernsthaft so etwas wie ein mikroelektronisches
Steuerungsmodul einer Produktionsanlage stofflich für ein
unmittelbar gesellschaftliches Produkt, da sein Wert in alle Produkte der
Gesellschaft gleichermaßen eingehe, während es andererseits dennoch
in der Form wertschaffender Arbeit produziert werden müsse. Die stofflich
produktive Arbeit, die dieses Steuerungsmodul erzeugt, ist somit für Kurz
also überhaupt nicht wertproduktiv. Darauf ist aber zu entgegnen, dass
derartige Kopfarbeit sehr wohl Wert produziert, wenn sie im Rahmen
kapitalistischer Verwertung praktiziert wird und somit als Gegensatz von
konkreter und abstrakter Arbeit erscheint. Ihre Verselbständigung vom
unmittelbaren Produktionsprozess stellt rein gar nichts in Frage. Mit dem
Übergang zur reellen Akkumulation wird das Konkrete vielmehr vollends nun
auch in der Produktion vom Abstrakten gesetzt und die Arbeiter und ihre
Arbeiten mit Haut und Haaren in ein Teil des Kapitals verwandelt sie
werden es nun reell und nicht mehr lediglich, wie zuvor, formell.
Die Einheit des Zerrissenen, die berüchtigte Identität von
Identität und Nichtidentität, wird auf Stufe der Manufaktur und der
großen Industrie, die Kurz hier beschreibt, auf neue Weise hergestellt,
wobei sich der gewaltförmige Zugriff auf die Arbeiter und nun zunehmend
Arbeiterinnen verschärft (in der Tat kommen hier erstmals im
Großmaßstab Arbeiterinnen und Kinder zum Einsatz, da sie den
Ausbeutern als biegsam und wenig widerständig erscheinen. In England
werden Vierjährige massenhaft aus Bauerndörfern entführt und in
schottische Maschinenfabriken verschleppt, wo sie unter mörderischen
Bedingungen ausgepowert werden. Daraus ergibt sich kein sukzessives
Auseinandertreten der Gegensätze, sondern nichts als eine forttreibende
kapitalistische Dynamik.
Grundlegendes Charakteristikum der neuen Arbeiten sei, so Kurz, ihr
wissenschaftlicher Charakter. Ihre Ausweitung beruhe auf der immer stärker
zunehmenden Verwissenschaftlichung der Produktion: einerseits der Anwendung der
Naturwissenschaft auf die Produktion und andererseits der neu entstehenden
Arbeits- und Organisationswissenschaften. Die Wissenschaft wird infolge dessen
zu einer, nach Marx, unmittelbaren Produktivkraft der kapitalistischen
Gesellschaft und das führt dazu, dass die lebendige Arbeit, für Kurz
die Substanz des Werts, immer weiter minimiert und eliminiert würde. Damit
habe eine neue Epoche in der Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft
begonnen: die des sukzessiven Ausbrennens der Akkumulation des Kapitals. Kurz
ist an dieser Stelle zu entgegnen, dass hier sehr wohl eine neue Epoche
beginnt, nämlich die der sich immer weiter zuspitzenden totalen
Einverleibung des Individuums in und unter Staat und Kapital. Die Individuen
werden nun auch innerlich von Ausbeutung und Herrschaft durchdrungen
Ausgebeutete und Beherrschte sind sie alsbald nicht mehr von einem ihnen
äußerlich entgegenstehenden Staat und Kapital, sondern mit Haut,
Muskeln und Knochen werden sie ausgebeutet, ihr Fühlen und Denken, mithin
ihre gesamte Triebstruktur ist beherrscht und zwar nicht nur
äußerlich unterdrückt, sondern innerlich davon durchdrungen
(das ist der materialistische Kern der Aussage von Foucault, dass die Macht
nicht nur unterdrücke, sondern auch produktiv sei): mit einem Satz
sie beginnen, was ihnen angetan wird, zu wollen, wirklich, nicht nur scheinbar
zu wollen. Ab diesem Zeitpunkt wird es veritabler Nonsense, die Arbeiter
über diverse wahre und objektive Interessen aufklären zu wollen, die
sie als Arbeiter angeblich hätten und die sie in einen Gegensatz zum
Kapital stellen würden. Dies gilt nur für Zeiten vor der
Durchsetzung der reellen Subsumtion der Arbeit unter das Kapital. Danach
verschmelzen sie sukzessive mit dieser sie beherrschenden Kraft. Und: Keine
Akkumulation des Kapitals der Welt brennt dabei aus. Das einzige Problem
für Kurz bestand bei der Thematik der Verwissenschaftlichung der
Produktion darin, dass die Marxisten nicht in der Lage gewesen seien, in ihr
die sich immer stärker zuspitzende und auf den endgültigen Crash zu
laufende Krise zu erkennen. Und der Grund dafür sei gewesen, dass sie
zwischen stofflicher und wertförmiger Produktion nicht hätten
unterscheiden können. Fälschlicherweise seien sie deshalb davon
ausgegangen, dass mit dem Siegeszug der Wissenschaft in der Produktion die
kapitalistische Gesellschaft zum unbezwingbaren und unüberwindlichen
Gegner geworden sei und knickten somit samt und sonders gerade in jenem Moment
vor dem Kapital ein, an dem sein revolutionärer Sturz nicht nur immer
dringender notwendig geworden sei, sondern an dem dieser erstmals in der
menschlichen Geschichte auch mit großer Wahrscheinlichkeit von Erfolg
hätte gekrönt werden können.
Aber: Die Gesellschaft in Stoff und Form auseinanderzudividieren, ist gerade
das Problem der Marxisten, das sie vereint. Kurz setzt mit seiner Krisentheorie
nur das Sahnehäubchen auf die unglückselige Geschichte der
marxistischen Krisentheorien, die innerhalb dieser Gesellschaft einen
fortgesetzten Widerspruch am Wirken sahen, der sie in die Zerstörung oder
in den Sozialismus treibe. Aber dieser Gegensatz von Stoff und Form entspringt
genau der Realabstraktion, der spezifischen Denkform der kapitalistischen
Gesellschaft, die die Welt in konkret/abstrakt, Natur/Gesellschaft etc.
zerfallen lässt.
Ganz im Gegensatz zur Einschätzung von Kurz erstarkt mit dem Siegeszug
wissenschaftlicher und organisierter Produktion die kapitalistische
Gesellschaft in der Tat, da sich die Arbeiter nun mit Haut und Haaren samt
ihrer Arbeit in Kapital verwandeln. Kurz unterschätzt seinen Feind, die
kapitalistische Gesellschaft, also grundlegend. Er führt Mauke und
Habermas als linke Theoretiker an, die diese neue Epoche grundlegend
missverstehen würden. Laut Mauke produziere die Wissenschaft nun
ihrerseits Mehrwert und bei Habermas wird der technische Fortschritt selbst zur
Quelle von Mehrwert, womit die Marxsche Arbeitswertlehre ihre Gültigkeit
verlöre. Beiden hält Kurz entgegen, dass sie den grundlegenden
Gegensatz zwischen Stoff und Form verkennen würden, der die
kapitalistische Gesellschaft durchziehe. Sie missverstünden daher die
Marxsche Formulierung von der Wissenschaft, die in der kapitalistischen
Gesellschaft zur unmittelbaren Produktivkraft werde: Marx hätte diese
Aussage nicht im wertförmigen, sondern ausschließlich im stofflichen
Sinne verstanden wissen wollen. Der Fehler von Habermas und Mauke besteht aber
im Gegensatz zur Kritik von Kurz an ihnen viel grundlegender
darin, die Arbeitswertlehre überhaupt für den Kern der Marxschen
Theorie zu halten. Solange die Wissenschaft wertförmig betrieben wird,
schafft sie auch Wert. In der Reduktion der Marxschen Kritik der politischen
Ökonomie auf eine Arbeitswertlehre im Stile von Smith und Ricardo wird nur
nach der Wertgröße gefragt, also nicht nach der
Wertform, die überhaupt den Grund dafür darstellt, dass sich
nach einer Wertgröße sinnvoll fragen lässt und diese für
das entscheidende Problem gehalten wird. Es kommt aber darauf an, dass die
Menschen nach wie vor vom Staat beherrscht und vom Kapital ausgebeutet werden
und das Denken aller in diesen Prozess verstrickten Akteure aufgrund ihrer
Handlungen in diesem Prozess diesen auch in der ihm entsprechenden Form
wahrnimmt und denkt nämlich explizit in diesem Gegensatz von Stoff
und Form, den zu denken Kurz als Ausweg aus der Misere empfiehlt.
Kurz war nun der Auffassung, dass als Konsequenz des relativen Mehrwerts und
der damit einhergehenden immer intensiveren Ausbeutung der Ware Arbeitskraft
dieser Gegensatz von Stoff und Form immer schärfer auseinander gebrochen
wäre und schließlich zur unumkehrbaren Elimination der menschlichen
Arbeit geführt hätte, diese doch aber gleichzeitig die Substanz sei,
auf der die kapitalistische Gesellschaft gründe.
Aber auch diese Argumentation von Kurz kann nicht hingenommen werden: Der
Gegensatz, der die Gesellschaft angeblich zerstören soll, ist gerade von
Anbeginn mit und von der kapitalistischen Gesellschaft gesetzt. Er driftet gar
nicht weiter auseinander, sondern wird lediglich stets neu vermittelt und auf
höherer Stufe rekonstituiert. Was sich dabei durchaus ändert
und dass Kurz dafür keinen Blick hat, macht eine weitere entscheidende
Schwäche seines Ansatzes aus , ist die nun alle Bereiche der
Gesellschaft ergreifende Totalität dieser Veranstaltung: unter der Dynamik
des relativen Mehrwerts als treibender Kraft werden schrittweise sämtliche
Bereiche der Gesellschaft dem Kapital unterworfen. Es gibt immer weniger
Bereiche, die sich ihm noch entziehen können.
Da Kurz die kapitalistische Gesellschaft als unversöhnlichen Widerspruch
von Stoff und Form also einen zwischen stofflicher Produktion und
Wertproduktion beschreibt, bei dem die lebendige Arbeit fortwährend
eliminiert wird und dabei dennoch diese Gesellschaft auf deren Ausbeutung
basiert, stellt sich ihm folgerichtig die Frage, wie sie überhaupt bis
heute hat bestehen können und nicht bereits in ihren Anfängen
zugrunde ging. Sie konnte, konstatiert Kurz, bis zum heutigen Tag
überleben, indem sie sich immer weiter ausdehnte, also durch Expansion.
Diese Frage, warum die kapitalistische Gesellschaft bis heute überlebt
hat, stellt sich in der Tat. Allerdings in viel grundsätzlicherer Weise
als Kurz sie formuliert, ist diese Gesellschaft doch die logisch
unmögliche Einheit zweier gegensätzlicher Prinzipien. Aber
unmöglich war diese Gesellschaft immer, in ihren Anfängen ebenso wie
heute. Darin, dass sie doch möglich gemacht wurde, sich von ihrer Existenz
nicht durch logische Unmöglichkeit abhalten ließ und dieser realen
Unmöglichkeit Natur und Mensch zum Opfer fallen, liegt der wirkliche
Skandal, gegen den kritische Gesellschaftstheorie polemisieren muss und gegen
den sie das wirkliche sinnliche Glück menschlicher Individuen zu stellen
hat. Sie hat also dem kategorischen Imperativ zu folgen, alle
Verhältnisse, in denen der Mensch ein geknechtetes, beherrschtes und
beleidigtes Wesen ist, umzuwälzen. Eine historische Entfaltungslogik steht
ihr dabei allerdings nicht zur Seite, sondern einzig der Nachweis der logischen
Unmöglichkeit dieser Gesellschaft. Eine Befreiung ist somit nur rein
voluntaristisch zu begründen. Wer aber der kapitalistischen Gesellschaft
unterstellt, sie würde heute nicht mehr funktionieren und
müsse deshalb zusammenbrechen , der unterstellt 1) dass es ihr
überhaupt darum geht, zu funktionieren (was ihr als zwar zweite aber eben
trotzdem: Natur in Wirklichkeit völlig gleichgültig ist) und
2) dass sie je, in auch nur irgend einer Weise logisch, rational
oder funktional gewesen sei und betreibt damit objektiv nichts anderes
als das Geschäft ihrer Legitimation und Affirmation.
Solange die kapitalistische Gesellschaft ausreichend expandieren konnte, war
für Kurz eigentlich noch alles prima. Der Kapitalismus musste expandieren
und nichts auf der Welt konnte ihn von seiner logisch-objektiv notwendigen
Entfaltung abhalten. Mit der mikroelektronischen Revolution würde nun aber
alles anders: erstmals in der menschlichen Geschichte würde tendenziell
mehr menschliche Arbeit eliminiert als neue absorbiert. Weitere Ausdehnung
führt damit nicht dazu, dass auch mehr lebendige Arbeit wertförmig
absorbiert wird. Dieser Begründungszusammenhang ist aber leicht
widerlegbar: Auch mikroelektronisch wird in Wertform gearbeitet und auch die
neuen stofflich produktiven Arbeiten, die Kurz als wert-unproduktiv betrachtet,
erfolgen in Warenform, werden von privaten Produzenten betrieben und erst
nachträglich auf dem Markt durch Tausch vergesellschaftet. Nichts deutet
darauf hin, dass dabei die wertsetzende Arbeit verschwände. Keineswegs
steht daher mit der mikroelektronischen Revolution eine Endkrise der
kapitalistischen Gesellschaft an. Ihr Zusammenbruch ist heute so wahrscheinlich
bzw. unwahrscheinlich wie zuvor.
In der Sichtweise von Kurz jedoch zeigen sich die Folgen der Elimination der
menschlichen Arbeit recht bald auch auf der Oberfläche dieser
Gesellschaft, also nicht nur in den rein theoretisch-analytisch zu erfassenden
Tiefendimensionen. Das Geld selbst verliert seine Wertsubstanz, was sich in der
schrittweisen Entkopplung des Weltgeldes vom Gold angezeigt habe. Infolge
dieser schwindenden Wertsubstanz des Geldes komme es zu Geldkrisen und die
massenhaft außer Kurs gesetzten Arbeitskräfte führen zu einer
strukturellen Massenarbeitslosigkeit, die auch von keiner Konjunktur mehr
abgefedert wird. Aber dieser verselbständigte Finanzsektor liegt
völlig in der kapitalistischen Logik und deutet durchaus nicht auf einen
Bruch hin. Nichts auf der Welt spräche dagegen, dass nach dem Platzen der
Blase fröhlich weiterakkumuliert, kapitalistisch produziert und das
Grundprinzip einer auf dem Wert gegründeten Gesellschaft
höchstwahrscheinlich gesäumt von blutigen Gewaltherrschaften und
Kriegen am Leben erhalten wird. Mit großer Wahrscheinlichkeit,
schlichtweg genau solange, bis die Diktatur des Werts über die Menschheit
beseitigt ist. Dies ist aber nur bewusst, also durch menschlichen Willen
möglich.
Die kapitalistische Gesellschaft dient des Weiteren auch nicht der
Vollbeschäftigung. Die strukturelle Massenarbeitslosigkeit stellt für
sie kein existenzielles Problem dar. Beim Lesen der Kurzschen Schriften
entsteht häufig der Eindruck, bei ihm würde eine Art von
Idealkapitalismus vorausgesetzt ohne Finanzblasen, ohne
Massenarbeitslosigkeit , und alles, was von diesem Grundprinzip abweicht,
muss als empirischer Beweis für eine angeblich innerlich angelegte
Zerstörungskrise herhalten.
Nun stellt sich noch die Frage, wie Kurz es erklärt, warum das Kapital
nicht selber bemerkt, dass es auf den Zusammenbruch zusteuert und ob es nicht
geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen könnte. Dazu merkt er an, dass
das Kapital stets nur als Einzelkapital und niemals als Gesamtkapital agiere,
und daher unablässig weiter am Ast sägen müsse, auf dem es
sitzt. Letztlich sei es das kapitalistische Grundprinzip, dass jenes Kapital
den größten Profit einfährt, das die größte Menge
Arbeitskraft einspart und aus dieser Logik könne keine kapitalistische
Gesellschaft aussteigen, ohne sich selbst zu zerstören. Der Staat
vermöge dabei nur unvollständig zu vermitteln und auszugleichen.
Durch gesetzliche Regelungen und Abfederungsmaßnahmen, wie wir sie
gegenwärtig in den Diskussionen um die Rettung des Euro beobachten
können, ließe sich der endgültige Crash nur hinausschieben,
aber nicht vermeiden. Aufgeschoben ist halt nicht aufgehoben. Die
kapitalistische Gesellschaft könne somit keinen Weg aus dieser von ihr
verursachten Krise finden, denn dazu müsste sie sich letztlich gleich dem
Baron von Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpfe ziehen.
Hier sind wir nun bei der problematischsten Seite der Kurzschen Krisentheorie
angelangt. Denn der Staat hat leider schon ganz anderes geschafft, als
lediglich relativ harmlose Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zur
Grünanlagenpflege zu organisieren, die Kaufkraft der Konsumenten zu
stärken oder ein paar einknickenden Banken finanziell unter die Arme zu
greifen: In Deutschland wurde die Gesellschaft in Folge der
Weltwirtschaftskrise von 1929 von den Nazifaschisten in die Volksgemeinschaft
geführt. Auch diese stellte die immanenten Gegensätze der Verwertung
keineswegs still und setzte auch die Wertlogik nicht außer Kraft, sondern
verschärfte sie eher noch. Zwar ließ sich die von den Nazis geplante
totale Herrschaft der NSDAP nicht errichten was sich in der Entstehung
von Rackets und Machtblöcken niederschlug, in denen Staat, Nazipartei,
Wehrmacht und Großindustrie in ein unablässiges gegenseitiges Hauen
und Stechen verfielen und die Bevölkerung en gros in der Deutschen
Arbeitsfront als verkappte Unterabteilung der nazifaschistischen Partei
organisiert wurde , aber der innere Zusammenhalt wurde in der Figur des
Führers personifiziert und mit äußerster Gewalt und im
Vernichtungskrieg gegen einen imaginierten jüdischen Feind, der zur
Gegenrasse erklärt wurde, tatsächlich hergestellt. Damit ist
eine Form von Gesellschaft real und somit auch bis heute denkmöglich
geworden, die sich im drohenden Zusammenbruch auf der Basis des antisemitischen
Massenmordes zusammenhält.
Robert Kurz war bis zum Ende nicht bereit, zu erkennen, dass sich damit die
Geschäftsgrundlagen wesentlich verändert haben und man von einer auf
dem Wert basierenden Gesellschaft zumindest nicht mehr ohne weiteres sprechen
kann. Für die Einsicht Horkheimers, dass im Nazifaschismus nicht mehr der
Antisemitismus aus der Gesellschaft, sondern genau umgekehrt die Gesellschaft
aus dem Antisemitismus erklärt werden muss, hatte der Nürnberger
Wertkritiker stets nur beißenden Spott übrig, womit er den
kritischen Anspruch seiner Theorie endgültig ad absurdum führte.
Laut Horkheimer wurde die Krise von den Nazis im autoritären Staat
(von dem er hier noch fälschlicherweise im Anschluss an Fred Pollock
ausgeht, was aber seiner Argumentation im Ganzen keinen Abbruch tut)
für die Dauer des ewigen Deutschland hypostasiert und zur
Permanenz erhoben. Damit wandten die Nazis den Fakt, dass die kapitalistische
per se eine Krisengesellschaft ist und nur durch die Krise begriffen werden
kann, praktisch in ihr blankes Gegenteil um. Marx hatte die Krise gefasst, als
das Moment, dass für die Unmöglichkeit dieser Gesellschaft einsteht,
dafür, dass sie nicht stabil ist, sondern, dass ihr Reichtum
gleichermaßen Elend produziert und sie nur durch praktische Aktion aus
den Angeln gehoben werden kann und muss (und insofern ist es durchaus richtig
von einer Zusammenbruchstheorie zu sprechen aber hierbei handelt es sich
um einen Zusammenbruch, bei dem die soziale Revolution des bewussten
revolutionären Proletariats ein unbedingt notwendiges Moment ist ,
der freie Wille des Proletariats ist für Marx selbst bereits eine
notwendige Bedingung dafür, dass die auf dem Tauschwert ruhende
Produktion zusammenbricht ). Für Marx stand die Krise dafür, dass
diese Gesellschaft aufbrechbar ist und dann ihre immensen Reichtümer den
nunmehr frei assoziierten ProduzentInnen zukommen könnten. Ein
Zusammenbruch, der zur Barbarei führt, ist aus Marxscher Sicht
völliger Nonsense.
Die Einsicht, die Gesellschaftskritik nun aber nach Auschwitz abzuverlangen
ist, lautet, dass die Krise diese sprengende Kraft verloren hat. Genauer
gesagt: die Nazis zeigten, wie die sprengende Kraft der Krise in bestialischer
Weise für die Interessen der Herrschaft (nicht aber zwingend für die
der Herrschenden) nutzbar zu machen ist. Sie zeigten damit die Haltlosigkeit
des alten marxistischen Basis-Überbau-Theorems auf, nach dem die
Ideologien, die eine Gesellschaft produziert, den sozial-ökonomischen
Verhältnissen aufsitzen würden. Adorno meinte dazu, die Ideologie sei
unter nazifaschistischer Regie in den Unterbau eingesickert. M.a.W.: die
Gesellschaft basiert dann auf der Überzeugung, dass die Juden das
Unglück seien und dass die welthistorische Mission der Deutschen darin
bestünde, die gesamte Welt von diesem Übel zu befreien. Verbunden
durch diese mörderische Überzeugung und Praxis schweißten sich
die Deutschen dann wirklich zur Vernichtungsgemeinschaft zusammen und
leider spricht momentan nichts dagegen, dass dieses Beispiel nicht Schule
machen könnte.(2)
Um Missverständnissen vorzubeugen: mit dieser nazifaschistischen Praxis
ist weder die kapitalistische Ökonomie mit ihren Krisen abgeschafft noch
wurde damit unter Federführung der Nazis der Vergesellschaftung durch den
Wert ein konkurrierendes Prinzip, etwa eine Art deutscher Gemeinschaftsgeist,
an die Seite oder gegenübergestellt. Auschwitz war vielmehr, so Adorno in
der Negativen Dialektik, die Bestätigung des philosophischen Theorems
von der reinen Identität als dem Tode. Der Wert als Reduktion der
Dinge und Menschen auf letztlich ein pures Nichts wurde vielmehr in ein
bewusstes Prinzip überführt und an der jüdischen
Gegenrasse vollstreckt. Der Wert wurde von den Nazideutschen weder
abgeschafft noch eingeschränkt, sondern zu seiner letzten und nunmehr
bewussten Konsequenz getrieben.
Was die Deutschen unter ihrer nazifaschistischen Führungsriege betrieben,
war explizit die Umwandlung der kapitalistischen Gesellschaft in ein
Produktionsverhältnis des Todes, also nicht Antisemitismus statt
kapitalistische Ökonomie sondern: Vernichtungsökonomie. Damit
exerzierten sie vor, bis zu welchem Extrem sich der prozessierende Widerspruch
von Stoff und Form, von stofflicher Produktion und Verwertung zuspitzen kann.
Sie zeigten damit, dass die letzte Konsequenz des unlösbaren Widerspruches
dieser Gesellschaft keineswegs in einer finalen Krise, sondern in einer
antisemitischen Vernichtungsgesellschaft liegt. Damit ist nun allerdings, wie
Kurz es am Ende seines Textes bemerkt, der Ausgangspunkt ein komplett
anderer aber in ganz anderer Art, als sich das die Wertkritik so
denkt.
Martin Dornis